Urteil des BVerwG vom 23.10.2013

Körperschaden, Disposition, Risikoverteilung, Unfall

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 34.12
VGH 3 B 10.1015
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Oktober 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 30. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdever-
fahren wird auf 9 716,30 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf Grundsatzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwer-
de bleibt ohne Erfolg.
1. Der Kläger steht als Sportlehrer im Dienst des beklagten Landes. Er erlitt
2007 beim Sportunterricht einen Achillessehnenabriss. Der von der Behörde
beauftragte Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Achillessehnenruptur im
Wesentlichen durch degenerative Veränderungen verursacht worden sei. Da-
raufhin wurde das Schadensereignis nicht als Dienstunfall anerkannt und vor-
läufig geleistete Zahlungen zurückgefordert. Widerspruch und Klage hiergegen
blieben erfolglos. Das Berufungsgericht ist nach Einholung eines Sachverstän-
digengutachtens ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die Achillessehne
vorgeschädigt gewesen sei, so dass nicht mit an Sicherheit grenzender Wahr-
scheinlichkeit festgestellt werden könne, dass das Schadensereignis die we-
sentliche Ursache oder wenigstens eine wesentlich mitwirkende Teilursache für
den Achillessehnenabriss gewesen sei.
2. Der Kläger sieht die Fragen als grundsätzlich bedeutsam (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) an:
„ob durch das Ergebnis einer histologischen Untersuchung
das Vorliegen der Voraussetzungen eines Dienstunfalles
geführt werden kann“,
„ob das Ergebnis des histologischen Befundes (Feststel-
lung, dass keine degenerativen Veränderungen im Seh-
nengewebe vorlagen) ausreichend ist für die Bejahung der
Voraussetzungen eines Dienstunfalles bei einer Achilles-
sehnenruptur“,
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„ob bei einem histologischen Befund (d. h. keine Erkenn-
barkeit von degenerativen Vorschäden) bei einer Ruptur
dies zumindest zu einer Beweislastumkehr für die Beurtei-
lung der Voraussetzungen eines Dienstunfalles führt“,
„ob und in wie weit selbst bei Vorliegen von degenerativen
Veränderungen der Achillessehne das Vorliegen der Vo-
raussetzungen eines Dienstunfalles bejaht werden kön-
nen“ und
„ob und in wie weit selbst bei degenerativen Veränderun-
gen der Achillessehne die Voraussetzungen eines Dienst-
unfalles gegeben sind, sofern diejenige Person sich die
Verletzung bei einer im täglichen Leben nicht vorkom-
menden schulspezifischen Tätigkeit zuzog“.
Insoweit verweist die Beschwerde auch auf das Urteil des Verwaltungsgerichts-
hofes Baden-Württemberg vom 30. Januar 1991 - 4 S 2438/90 -, das sogar bei
unstreitiger degenerativer Veränderung der Achillessehne einen Dienstunfall
anerkannt habe, weil die degenerative Vorschädigung an der Achillessehne
nicht über einen gewöhnlichen altersbedingten Verschleiß hinausgereicht habe.
Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache
nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätz-
liche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung
des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung
des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, u.a. Beschluss vom 2. Okto-
ber 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der
Fall.
Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen sind keine Rechtsfragen in die-
sem Sinne, sondern beziehen sich allenfalls auf die den Senat gemäß § 137
Abs. 2 VwGO bindende Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsge-
richts im Einzelfall. Soweit sie dahin zu verstehen sein sollten, ob das Hinzutre-
ten einer dienstunfallunabhängigen Mitursache zu einer fortbestehenden
dienstunfallbedingten Mitursache den Kausalzusammenhang zwischen dem
Dienstunfall und dem dadurch ausgelösten Körperschaden ausschließt, bedarf
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es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil sich die Frage an-
hand der vorliegenden Rechtsprechung beantworten lässt. In derartigen Fällen
ist der Dienstunfall dann als wesentliche Ursache im Rechtssinne anzuerken-
nen, wenn er bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Er-
folg (Körperschaden) hingewirkt hat oder zumindest annähernd die gleiche Be-
deutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insge-
samt (vgl. Urteile vom 20. April 1967 - BVerwG 2 C 118.64 - BVerwGE 26, 332
<333>, vom 10. Juli 1968 - BVerwG 6 C 65.65 - Buchholz 232 § 186 BBG Nr. 6,
vom 30. Juni 1988 - BVerwG 2 C 77.86 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 6
und vom 1. März 2007 - BVerwG 2 A 9.04 - Schütz BeamtR ES/C II 3.5 Nr. 16).
Die Frage, ob der Verwaltungsgerichtshof die genannten Grundsätze zur we-
sentlich mitwirkenden Teilursache auf den konkreten Fall zutreffend angewen-
det hat, ist keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Im Übrigen ist
das Berufungsgericht von der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts zur wesentlichen (Mit-)Ursache ausgegangen. Es hat den Achil-
lessehnenriss nicht als Dienstunfallfolge angesehen, weil das Unfallereignis
nicht ursächlich im Sinne des Dienstunfallrechts war, sondern eine so genannte
„Gelegenheitsursache“ darstellte (vgl. Beschluss vom 8. März 2004 - BVerwG
2 B 54.03 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 13 S. 4 m.w.N.). Das Berufungs-
gericht ist den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen gefolgt und
hat angenommen, dass das Unfallereignis den Achillessehnenabriss zwar aus-
gelöst habe. Es stelle aber nur eine - rechtlich unbeachtliche - Gelegenheits-
ursache dar. Der eingetretene Körperschaden stehe nur in einer mehr oder min-
der zufälligen Beziehung zum Dienst, weil eine vorhandene persönliche Dis-
position so leicht ansprechbar gewesen sei, dass nicht nur das Unfallereignis,
sondern jedes andere, alltäglich vorkommende Ereignis denselben Erfolg her-
beigeführt hätte. Da diese Feststellungen nicht mit Verfahrensrügen angegriffen
worden sind, wären sie für den Senat in einem Revisionsverfahren gemäß
§ 137 Abs. 2 VwGO bindend.
Der Hinweis der Beschwerde auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 30. Januar 1991 - 4 S 2438/90 - (juris), wonach nur
bei einem außergewöhnlichen altersbedingten Verschleiß der Achillessehne im
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Bereich der Rissstelle unter Berücksichtigung der Tätigkeit des Klägers als
Sportlehrer eine wesentliche Mitursache des Unfallgeschehens ausgeschlossen
werden könne, kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Insoweit hat das
Bundesverwaltungsgericht bereits mit Urteil vom 18. April 2002 - BVerwG 2 C
22. 01 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 12 = juris Rn. 11) entschieden, dass
die dieser Entscheidung zugrundeliegende Rechtsauffassung die Bedeutung
des im Dienstunfallrechts maßgebenden Ursachenbegriffs verkennt. Dieser soll
zu einer dem Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge entsprechenden sachge-
rechten Risikoverteilung führen. Der Dienstherr soll nur die spezifischen Gefah-
ren der Beamtentätigkeit tragen und mit den auf sie zurückführenden Unfall-
ursachen belastet werden. Dem Beamten sollen dagegen diejenigen Risiken
verbleiben, die sich aus anderen als dienstlichen Gründen, insbesondere aus
persönlichen Anlagen, Gesundheitsschäden und Abnutzungserscheinungen
ergeben (vgl. bereits Urteil vom 20. Mai 1958 - BVerwG 6 C 360.56 -
<49 f.>). Reißt eine vorgeschädigte Achillessehne bei einem Unfall, so ist
der zusätzliche Körperschaden dem individuellen Lebensschicksal des Beam-
ten und damit seinem Risikobereich zuzurechnen, wenn die schadhafte Sehne
jederzeit auch außerhalb des Dienstes bei einer im Alltag vorkommenden Be-
lastung hätte reißen können.
Die Kostenentscheidung folgt aus Die Festsetzung des
Streitwertes beruht für das Beschwerdeverfahren aufbs. 1 und 3 i.V.m.
Domgörgen Thomsen Dr. Hartung
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