Urteil des BVerwG vom 29.01.2009

Agent Provocateur, Mildernde Umstände, Polizei, Begriff

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 34.08
OVG 12 Bf 371/06.F
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Januar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberver-
waltungsgerichts vom 7. März 2008 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg. Der Beklagte hat nicht ge-
mäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 65 Abs. 1 Hamburgisches Disziplinargesetz
- HmbDG - dargelegt, dass ein Revisionszulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 1 bis 3 VwGO, § 65 Abs. 1 HmbDG gegeben ist.
1. Der Beklagte ist Ruhestandsbeamter. Er war zuletzt - von 1985 bis zu seiner
vorläufigen Suspendierung im Jahre 2001 - als Steueramtmann in der Vollstre-
ckungsstelle des Finanzamtes H. als Hauptsachbearbeiter tätig. Im sachglei-
chen Strafverfahren ist der Beklagte durch Berufungsurteil des Landgerichts H.
vom 2. Januar 2003 wegen Bestechlichkeit gemäß § 332 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2
StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung verurteilt worden,
weil er einer Steuerschuldnerin angeboten hatte, die von ihr geschuldeten
Säumniszuschläge in Höhe von 7 000 DM gegen die Zahlung von 3 500 DM an
ihn zu erlassen. Die Steuerschuldnerin reagierte auf das Angebot zunächst
nicht, sondern wandte sich an den Präsidenten der Oberfinanzdirektion H., der
die Polizei einschaltete. Staatsanwaltschaft und Polizei stimmten schließlich mit
ihr ab, dass sie zum Schein auf das Angebot eingehen sollte, so dass es zur
Geldübergabe an den Beklagten kam.
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Im Disziplinarklageverfahren hat das Verwaltungsgericht gegen den geständi-
gen Beamten eine Ruhegehaltskürzung ausgesprochen. Im Berufungsverfahren
hat das Oberverwaltungsgericht dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt und
zur Begründung ausgeführt:
Der Beklagte habe durch das Angebot gegenüber der Steuerschuldnerin vom
Januar 2001 und dessen Wiederholung im April 2001 bereits ein schweres
Dienstvergehen im Sinne der § 81 Abs. 1 Satz 1, § 74 HmbBG begangen. Er
habe den Kernbereich seiner Dienstpflichten verletzt, so dass die disziplinare
Höchstmaßnahme die Richtschnur für die zu treffende Disziplinarmaßnahme
gemäß § 11 Abs. 1 und 2 HmbDG sei. Die erforderliche Würdigung aller Um-
stände nach § 11 Abs. 1 und 2 HmbDG ergebe keine entlastenden Gesichts-
punkte solchen Gewichts, dass eine günstigere Beurteilung gerechtfertigt wäre.
2. Der Beklagte wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 65 Abs. 1 HmbDG die Frage auf:
Handelt es sich um einen Verstoß gegen Sinn und Zweck
des Disziplinarrechts, nämlich insbesondere auch dessen
Schutzfunktion, wenn der Dienstherr als „agent provocateur“
den Beamten „ins offene Messer laufen“ lässt, und stellt die
Verletzung dieser Fürsorgepflicht durch den Dienstherrn
einen Milderungsgrund im Sinne des § 11 HmbDG dar?
Er vertritt hierzu die Auffassung, dass der Dienstherr bei zureichenden Anhalts-
punkten für den Verdacht eines Dienstvergehens die Pflicht habe, ein Diszipli-
narverfahren einzuleiten und den Beamten hierüber unverzüglich zu informie-
ren, § 23 HmbDG. Der Dienstherr habe gewartet, bis der Beklagte auch wirklich
überführt, die Tat nicht nur vollendet, sondern auch dadurch beendet sei, dass
der entgegengenommene Betrag angebrochen und für eigene Zwecke verwen-
det wird. Dadurch habe er den Schaden nicht begrenzt, sondern bewusst ge-
duldet und vertieft.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO, § 65 Abs. 1 HmbDG, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheiden-
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den Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem
Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 65 Abs. 1
HmbDG obliegt es dem Beschwerdeführer darzulegen, worin der allgemeine,
über den Einzelfall hinausgehende Bedarf an der Klärung der von ihm aufge-
worfenen Rechtsfrage bestehen soll (Urteil vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr).
Hieran fehlt es, denn die vom Beklagten aufgeworfene Frage ist schon nicht
entscheidungserheblich. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts
hat der Dienstherr nicht als „agent provocateur“ den Beamten „ins offene Mes-
ser laufen“ lassen. Vielmehr hat sich der Beklagte aus eigenem Antrieb ent-
schlossen, von der Steuerschuldnerin 3 500 DM zu fordern. Im Berufungsurteil
(UA S. 27 und S. 37/38) heißt es hierzu, der Beklagte habe nach den tatsächli-
chen Feststellungen des Landgerichts der Steuerschuldnerin gegenüber in dem
Telefongespräch im April 2001 sein „Angebot“ erneuert, ohne dass die Zeugin
seine frühere Forderung nach „Schmiergeld“ selbst in das Gespräch einge-
bracht habe. Er habe trotz des zwischenzeitlichen Teilerlasses der Säumniszu-
schläge durch seinen Vorgesetzten ihr gegenüber tatsachenwidrig behauptet,
diese seien nun auf über 8 000 DM angewachsen. Dann habe er auf Nachfrage
der Zeugin seinen Vorschlag wiederholt, dass er dafür sorgen werde, dass die-
se Säumniszuschläge in voller Höhe erlassen würden, wenn ihm die Zeugin vor
seinem erneut bevorstehenden Urlaub 3 500 DM in bar vorbeibringe. Es sei
daher unerheblich, dass das gesamte Verhalten der Zeugin im April 2001 in
Absprache mit der Polizei erfolgt sei. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht
auseinander.
Im Übrigen geht die Beschwerde von den unzutreffenden rechtlichen Annah-
men aus, es sei entscheidend, dass es bis zu dem Geschehen im April 2001
lediglich zu einem „Versuch“ bzw. einer „Vollendung“, nicht aber einer „Been-
dung“ gekommen sei. Disziplinarrechtlich belastet eine versuchte Straftat den
Beamten genauso wie eine vollendete. Entscheidend ist insoweit allein, dass
der Beamte durch ein bestimmtes Verhalten schuldhaft seine Dienstpflichten
verletzt hat. Für die im Disziplinarrecht gebotene Persönlichkeitsbeurteilung
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(§ 13 Abs. 1 Satz 3 BDG, § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 HmbDG) kommt es vor al-
lem auf den gezeigten Handlungswillen an; dass der Erfolg der Tat nicht einge-
treten ist, ist nur dann von Bedeutung, wenn der Nichteintritt auf zurechenba-
rem Verhalten des Ruhestandsbeamten beruht (vgl. Urteile des Disziplinarse-
nats vom 7. Dezember 1993 - BVerwG 1 D 32.92 - BVerwGE 103, 54 <56 f.>
und vom 18. März 1998 - BVerwG 1 D 88.97 - BVerwGE 113, 208 <212> =
Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 15, s. auch Beschluss des Senats vom
11. März 2008 - BVerwG 2 B 8.08 - juris).
2. Die Beschwerde rügt außerdem eine Abweichung von den Urteilen des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - (Buchholz 235.1
§ 13 BDG Nr. 3) und vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - (BVerwGE
124, 252 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1), § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 65
Abs. 1 HmbDG. Dort habe das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass die
Entfernung aus dem Beamtenverhältnis neben der Schwere des Dienstverge-
hens auch bei sogenannten Zugriffsdelikten die umfassende Würdigung des
Persönlichkeitsbildes des Beamten voraussetze, um einen endgültigen Ver-
trauensverlust feststellen zu können.
Auch diese Rüge vermag nicht zur Zulassung der Revision zu führen. Die be-
hauptete Divergenz liegt nicht vor. Die angeführten Urteile des Senats sind zu
den Bemessungsvorgaben des Bundesdisziplinargesetzes (§ 13 Abs. 1 Satz 2
bis 4 BDG) ergangen, während das Berufungsgericht die Bemessungsvorgaben
gemäß § 11 des Hamburgischen Disziplinargesetzes angewandt hat, deren
Wortlaut nicht mit § 13 Abs. 1 BDG übereinstimmt. Davon abgesehen liegt die
Annahme nahe, dass dem gesetzlichen Begriff der Schwere des Dienstverge-
hens nach § 11 Abs. 1 Satz 2 HmbDG die gleiche Bedeutung für die Bestim-
mung der Disziplinarmaßnahme zukommt wie dem Begriff nach § 13 Abs. 1
Satz 2 BDG. Hierzu hat der Senat in dem Urteil vom 3. Mai 2007 (a.a.O.
Rn. 20) ausgeführt:
Die Schwere des festgestellten Dienstvergehens ist als maßgebendes Bemes-
sungskriterium richtungweisend für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme.
Dies bedeutet, dass das Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der ge-
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setzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Dabei können
die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fall-
gruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Auf der
Grundlage dieser Zuordnung kommt es für die Bestimmung der Disziplinar-
maßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten
und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Ge-
wicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens
indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist.
Nach der Rechtsprechung des Disziplinarsenats ziehen vorsätzliche Verstöße
gegen das Verbot der Vorteilsannahme im Regelfall die Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts nach sich, wenn ein
Beamter in hervorgehobener Vertrauensposition für die Wahrnehmung dienstli-
cher Aufgaben nicht unerhebliche Geldzuwendungen erhalten hat. Dies gilt
auch dann, wenn er keine pflichtwidrigen Amtshandlungen als Gegenleistung
vereinbart hat. Denn die Annahme derartiger Zuwendungen offenbart ein be-
sonders hohes Maß an Pflichtvergessenheit, weil jedem Beamten klar sein
muss, dass er durch ein solches Verhalten den Anschein der Käuflichkeit er-
weckt. Dies kann im Interesse der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes
nicht hingenommen werden (Urteile vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris
Rn. 20, vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG
Nr. 12 Rn. 30 und vom 19. Juni 2008 - BVerwG 1 D 2.07 - juris Rn. 61 ff.). Die-
ser Rechtsprechung hat sich der 2. Senat angeschlossen (Beschluss vom
10. November 2005 - BVerwG 2 B 48.05 - juris Rn. 17).
Der Beklagte hat nicht aufgezeigt, dass das Berufungsgericht diese Rechts-
grundsätze nicht beachtet hat, weil es sie für unrichtig hält. Es hat zwar aus-
schließlich auf ältere, teilweise überholte Rechtsprechung des Disziplinarsenats
verwiesen. Jedoch stimmt sein rechtlicher Ansatz zur Bedeutung der Schwere
von Verstößen gegen das Verbot der Vorteilsannahme im Ergebnis mit demje-
nigen des Senats überein. Davon ausgehend lässt auch seine Würdigung, mil-
dernde Umstände rechtfertigten angesichts der Schwere des Dienstvergehens
keine mildere Disziplinarmaßnahme, eine Divergenz nicht erkennen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 76 Abs. 4 Satz 1
HmbDG. Gerichtsgebühren werden gemäß § 75 Abs. 1 HmbDG nicht erhoben.
Herbert Dr. Heitz Thomsen
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