Urteil des BVerwG vom 20.07.2011

Wohnung, Rechtliches Gehör, Berechtigte Person, Dienstort

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 32.10
OVG 2 A 11263/09
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Juli 2011
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Dr. Maidowski
und Dr. Fleuß
beschlossen:
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Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 26. Februar 2010 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückver-
wiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Klägerin hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit
gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen
des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil die Klägerin
in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1
GG, § 108 Abs. 2 VwGO verletzt und die Entscheidung auf dem geltend ge-
machten Verfahrensmangel beruhen kann.
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Trennungsgeld für die Zeit vom 1. Au-
gust 2008 bis zum 31. Oktober 2008. Während dieser Monate war sie als
Rechtsreferendarin dem Auswärtigen Amt zur Ausbildung in ihrer Wahlstation
zugewiesen. Ausbildungsstelle war die Botschaft der Bundesrepublik Deutsch-
land in Peking. Die Klägerin bewohnte seinerzeit in Mannheim ein Zimmer in ei-
ner Wohngemeinschaft. Das Verwaltungsgericht hat der Klage überwiegend
stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht
die Klage abgewiesen.
1. Das Gebot, gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO rechtliches Ge-
hör zu gewähren, verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbe-
teiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwä-
gung zu ziehen (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96,
205 <216>; stRspr). Das Gericht ist zwar nicht gehalten, das gesamte Vorbrin-
gen in den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Ge-
sichtspunkt Stellung zu nehmen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist aber
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jedenfalls dann verletzt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich ma-
chen, dass das Gericht nach seinem Rechtsstandpunkt zentrale Argumente ei-
nes Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder sich mit ihnen nicht ausei-
nandergesetzt hat (Urteil vom 13. Mai 1976 - BVerwG 2 C 26.74 - Buchholz
237.4 § 35 HmbBG Nr. 1).
Diesem Maßstab genügt das Berufungsurteil nicht. Die Klägerin hat ihr Begeh-
ren maßgeblich darauf gestützt, eine „Wohnung“ im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 LTGV i.V.m. § 10 Abs. 3 LUKG innezuhaben. Das Oberverwaltungsgericht
ist dem nicht gefolgt und hat sich zur Begründung auf den Hinweis beschränkt,
ein zur Untermiete bewohntes Zimmer stelle keine Wohnung im trennungsgeld-
rechtlichen Sinne dar. Dass es sich mit dem Vortrag der Klägerin zu ihrer indivi-
duellen Wohnsituation auseinandergesetzt hat, ist nicht erkennbar. So hat die
Klägerin vorgetragen, ihr Mietverhältnis unterscheide sich hinsichtlich der
Pflicht, einen Mietzins und eine Kaution zu entrichten, anteilig für die Nebenkos-
ten der Wohnung aufzukommen und im Falle seiner Beendigung eine Kündi-
gungsfrist einzuhalten, nicht von demjenigen des Hauptmieters einer Wohnung.
Der bloße Verweis auf eine Kommentarstelle (Meyer/Wicke, Umzugskosten im
öffentlichen Dienst, Stand: November 2009, § 10 BUKG, Rn. 67) ändert daran
nichts, weil diese sich in enger Anlehnung an Nr. 10.3 der Allgemeinen Verwal-
tungsvorschrift zu diesem Gesetz auf die Darstellung von Entscheidungsalter-
nativen beschränkt. Aus welchen Gründen das Berufungsgericht die Unterkunft
der Klägerin als den Anforderungen des trennungsgeldrechtlichen Wohnungs-
begriffs nicht genügend erachtet, lässt sich auch nicht aus der Würdigung ablei-
ten, Beamten, die über keine eigene Wohnung verfügen, entstünden keine zu-
sätzlichen Kosten, die mit denen von Beamten vergleichbar seien, die schon
bislang über eine eigene Wohnung verfügten und diese beibehielten.
Das Berufungsurteil kann auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG,
§ 108 Abs. 2 VwGO beruhen. Nach dem Rechtsstandpunkt des Berufungsge-
richts hängt ein Anspruch der Klägerin wegen § 1 Abs. 5 Nr. 4, § 2 Abs. 1 LTGV
davon ab, ob sie über eine Wohnung verfügt oder dem Personenkreis des § 3
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LTGV zuzuordnen ist. Es ist deshalb nicht auszuschließen,
dass das Berufungsgericht, sofern es sich vertiefend mit dem Vorbringen der
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Klägerin auseinandergesetzt hätte, zu einer anderen Entscheidung gekommen
wäre.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 LJAG erhalten Rechtsreferendarinnen und
Rechtsreferendare Reisekostenvergütung und Trennungsgeld bei dienstlich
veranlassten Reisen entsprechend den für Landesbeamte geltenden Vorschrif-
ten. Leistungen für dienstlich veranlasste Umzüge sind nach der als abschlie-
ßend zu verstehenden Vorschrift nicht vorgesehen. § 18 Abs. 2 LJAPO be-
grenzt das Trennungsgeld bei einer Ausbildung außerhalb von Rheinland-Pfalz
auf die Dauer von drei Monaten. Die Einzelheiten des Trennungsgeldanspruchs
bei auswärtigem Verbleiben ergeben sich aus § 3 LTGV. Insbesondere hängt
die Höhe des Anspruchs u.a. davon ab, ob die Berechtigte ihre bisherige Woh-
nung beibehält (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 LTGV) oder nicht (§ 3 Abs. 2 Satz
1 Nr. 3 LTGV); für den Begriff der Wohnung verweist die Vorschrift auf die Beg-
riffsbestimmung des § 10 Abs. 3 LUKG.
Die den Trennungsgeldanspruch von Landesbeamten einschränkenden §§ 1
Abs. 5 Nr. 4 und 2 Abs. 1 LTGV dürften auf Rechtsreferendare nicht anwendbar
sein. Denn sie setzen voraus, dass für den Berechtigten eine Erstattung von
Umzugskosten in Betracht kommt und machen die Gewährung von Trennungs-
geld deshalb davon abhängig, dass er uneingeschränkt umzugswillig ist und nur
wegen Wohnungsmangels nicht an den neuen Dienstort umziehen kann. Da
Rechtsreferendare jedoch im Hinblick auf die in ihrem Ausbildungsgang typi-
sche Abfolge zahlreicher Ausbildungsstationen von jeweils nur kurzer Dauer
von Leistungen für Umzugskosten ausgeschlossen sind, wäre die Einschrän-
kung von Trennungsgeldansprüchen nach § 2 Abs. 1 LTGV kaum systemge-
recht. Denn sie stehen anders als Landesbeamte nicht vor der Wahl zwischen
der Erstattung von Leistungen für Umzüge und der Gewährung von Trennungs-
geld für erhöhten Aufwand an einem auswärtigen Ausbildungsort unter Beibe-
haltung der bisherigen Wohnung.
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Sollte die Höhe des der Klägerin ggf. zustehenden Anspruchs trotz der von ihr
erklärten teilweisen Klagerücknahme davon abhängen, ob die von ihr beibehal-
tene Unterkunft als Wohnung im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LTGV, § 10
Abs. 3 LUKG anzusehen ist, spricht manches dafür, diese Frage zu bejahen.
Das auf dieser Rechtsgrundlage gewährte Trennungsgeld soll dem Mehrauf-
wand der doppelten Haushaltsführung Rechnung tragen. Dies setzt die Beibe-
haltung einer Wohnung am bisherigen Dienstort voraus. Das Trennungsgeld
wird zwar gewährt, um den Mehraufwand der Haushaltsführung am neuen
Dienstort abzugelten. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LTGV soll es aber nur ei-
ner berechtigten Person zustehen, die mit einem Beibehaltungsaufwand be-
lastet ist, der demjenigen des Eigentümers oder Mieters einer Wohnung ent-
spricht, nicht dagegen demjenigen, der nur eine sonstige Wohngelegenheit
(z. B. ein Zimmer in der elterlichen Wohnung, ein möbliertes Zimmer oder eine
bereitgestellte Gemeinschaftsunterkunft) beibehält. Ob ein Untermietverhältnis
als Wohnung in diesem Sinne anzusehen ist, ist unter Würdigung aller Umstän-
de des Einzelfalles zu entscheiden. Dabei dürfte zu berücksichtigen sein, dass
die Wohnung, in der die Klägerin ein Zimmer bewohnt, den Anforderungen des
qualifizierten Wohnungsbegriffs (§ 10 Abs. 3 LUKG) genügt und dass aus dem
Untermietverhältnis das Recht der Klägerin folgt, nicht nur das ihr zur alleinigen
Nutzung zugewiesene Zimmer, sondern auch die zur Wohnung gehörenden
Gemeinschaftsräume zu nutzen. Dass die berechtigte Person Hauptmieter der
Wohnung oder hinsichtlich aller Räume zumindest mitverfügungsberechtigt sein
muss, sieht der Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LTGV nicht vor. Die Ent-
stehungsgeschichte der Norm dürfte dieses weite Normverständnis stützen. Mit
Art. 1 Nr. 2 der Ersten Landesverordnung zur Änderung der Landestrennungs-
geldverordnung (GVBl 1999 S. 163) hat der Verordnungsgeber das in der Fas-
sung vom 15. Januar 1993 (GVBl 1993 S. 111) noch enthaltene Erfordernis ei-
nes ausschließlichen Verfügungsrechts über die Wohnung gestrichen. Von Be-
deutung mag schließlich auch sein, ob die Klägerin für die Zeit der dienstlichen
Maßnahme verpflichtet ist, weiterhin nicht nur den Mietzins zu entrichten, son-
dern auch anteilig für die im Zuge der gemeinschaftlichen Nutzung der gesam-
ten Wohnung anfallenden (Neben-)Kosten aufzukommen.
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Dr. Heitz
Dr. Maidowski
Dr. Fleuß