Urteil des BVerwG vom 26.08.2004

Gefahr, Mitgliedschaft, Erwerb, Wahrscheinlichkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 31.04
OVG 4 B 7.03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. August 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. K u g e l e und G r o e p p e r
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom
18. November 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Der Sache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch weicht das angegriffene
Urteil von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab.
Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob auch Lehrer an öffentlichen Schulen unmit-
telbare Landesbeamte mit Dienstbezügen in der Hauptverwaltung gemäß § 26 Abs. 1
Nr. 1 des Landeswahlgesetzes Berlin sind und, wenn dies der Fall sein sollte, ob es
verfassungswidrig ist, dass das Lehramt an öffentlichen Schulen mit dem Ab-
geordnetenmandat in Berlin mit der Folge unvereinbar ist, dass mit dem Erwerb der
Mitgliedschaft im Abgeordnetenhaus Lehrer an öffentlichen Schulen in Berlin aus
ihrer beruflichen Funktion ausscheiden.
Es kann dahinstehen, ob § 26 Abs. 1 Nr. 1 LWahlG-Berlin, der mit dem Erwerb der
Mitgliedschaft im Abgeordnetenhaus das Ausscheiden unmittelbarer Landesbeamter
mit Dienstbezügen in der Hauptverwaltung aus ihrer beruflichen Funktion anordnet,
dem gemäß § 127 Nr. 2 BRRG revisiblen Landesrecht angehört. Selbst wenn man
diese Frage bejaht, wirft die Beschwerde keine Frage auf, die in einem Revisionsver-
fahren zu klären wäre. Nach den von der Beschwerde nicht angegriffenen Feststel-
lungen des Berufungsgerichts ist der Kläger Dienstkraft des (inzwischen in die Se-
natsverwaltung eingegliederten) Landesschulamtes und gehört damit als unmittelba-
rer Landesbeamter der Hauptverwaltung des beklagten Landes an (Art. 67 Abs. 1
und Abs. 4 der Verfassung von Berlin; § 2 Abs. 1 und Abs. 2 des Gesetzes über die
Zuständigkeit in der allgemeinen Berliner Verwaltung; § 2 Abs. 2 des Landesbeam-
tengesetzes). Wieso diese unmittelbar aus den genannten gesetzlichen Vorschriften
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zu beantwortende Frage klärungsbedürftig sein sollte, ist den Ausführungen der Be-
schwerde nicht zu entnehmen.
Sollte die Beschwerde, worauf einzelne Ausführungen hindeuten, für klärungsbedürf-
tig halten, ob der Kläger in den Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 Nr. 1 LWahlG-
Berlin fällt, so ergibt sich auch insoweit die - bejahende - Antwort unmittelbar aus
dem Gesetz. Die Vorschrift besagt, dass unmittelbare Landesbeamte mit Dienstbe-
zügen in der Hauptverwaltung mit Erwerb der Mitgliedschaft im Abgeordnetenhaus
aus ihrer beruflichen Funktion ausscheiden. Welcher weiteren Klärung es hierzu
noch bedürfte, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen.
Auch soweit der Kläger für klärungsbedürftig hält, ob die Inkompatibilitätsregel des
§ 26 Abs. 1 Nr. 1 LWahlG-Berlin mit Art. 137 GG vereinbar ist, ist die Zulassung der
Revision nicht geboten. Die Frage ist vielmehr anhand der vorliegenden Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig zu bejahen. So ist insbesondere
geklärt, dass der in Art. 137 GG verwendete Begriff der Wählbarkeit nicht das passi-
ve Wahlrecht als solches, sondern nur die durch Inkompatibilitätsregelungen be-
schränkbare Möglichkeit betrifft, das Mandat unter Beibehaltung des Dienstverhält-
nisses innezuhaben und auszuüben (BVerfGE 12, 73 <78>; 38, 326 <337>; 58, 177
<192>). Ebenso ist geklärt, dass die Frage, wer "Beamter" im Sinne des Art. 137 GG
ist, nach dem allgemeinen Beamtenrecht zu beantworten ist (BVerfGE 18, 172
<180>; 48, 64 <83>). Weiterhin ist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts zu entnehmen, dass Art. 137 GG die Wählbarkeit nicht ausschließen, sondern
nur beschränken darf; letzteres ist gewährleistet, wenn die Regelung dem Gewählten
rechtlich und tatsächlich die Möglichkeit belässt, sich zwischen der Fortführung sei-
ner beruflichen Tätigkeit und der Annahme des Mandats zu entscheiden (BVerfGE
98, 145 <161>). Schließlich ist geklärt, dass eine die Beamten betreffende Inkompa-
tibilitätsregelung wie die des § 26 Abs. 1 Nr. 1 LWahlG-Berlin mit Art. 137 GG ver-
einbar ist. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon
aus, die Vorschrift diene allgemein der Sicherung der organisatorischen Gewaltentei-
lung gegen Gefahren, die durch das Zusammentreffen von beruflicher Stellung und
Mandatswahrnehmung entstehen können. Es gehe darum, zu verhindern, dass durch
"Personalunion" die Parlamentarier als Kontrolleure sich selbst kontrollieren. So solle
der Gefahr von Entscheidungskonflikten und Verfilzungen entgegengewirkt werden
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(BVerfGE 98, 145 <160>). Bei aktiven Beamten, die in einem besonderen öffentlich-
rechtlichen Treueverhältnis zu ihrem Dienstherrn stehen und deren Berufung
regelmäßig nur zur Wahrnehmung hoheitsrechtlicher oder besonders sicher-
heitsempfindlicher Aufgaben zulässig ist (vgl. Art. 33 Abs. 4 GG; § 2 BRRG), hat das
Bundesverfassungsgericht diese Gefahr stets ohne weiteres als gegeben angesehen
(BVerfGE 12, 73 <77>; 18, 172 <183>; 48, 64 <83>). Soweit es die Anwendung des
Art. 137 GG von einschränkenden Voraussetzungen wie etwa von einer die Möglich-
keit oder Wahrscheinlichkeit von Interessen- und Entscheidungskonflikten "nahe le-
genden" beruflichen Stellung (BVerfGE 98, 145 <161>) oder von Leitungs- und Ent-
scheidungsbefugnissen bei Angestellten mit verhältnismäßig loser Beziehung zur
öffentlichen Hand (BVerfGE 48, 64 <87>) abhängig gemacht hat, betraf dies Man-
datsträger, die nicht Beamte waren. Die Ermächtigung in Art. 137 GG stellt auf das
Dienstverhältnis und nicht auf die Funktion ab, soweit es um Beamte (vgl. BVerfGE
48, 64 <83 a.E.>) und im engeren Sinne um Angestellte des öffentlichen Dienstes
geht, die in einem Dienstverhältnis zu einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn stehen
(vgl. BVerfGE 48, 64 <84>, s. auch Urteil vom 29. Juli 2002 - BVerwG 8 C 22.01 -
BVerwGE 117, 11 <13>).
Ob die Herausnahme der hauptberuflichen Professoren aus der Inkompatibilitätsre-
gelung (§ 26 Abs. 3 LWahlG-Berlin) systemkonform ist oder dem Gleichheitssatz
widerspricht, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Sollte
die Regelung mit höherrangigem Recht nicht vereinbar sein, würde dies lediglich die
Stellung der Professoren betreffen, zu denen der Kläger nicht gehört. Die allgemeine
Inkompatibilitätsregelung wäre hiervon nicht berührt.
Die angegriffene Entscheidung beruht auch nicht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO auf einer Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Die in diesem Zusammenhang angezogene Entscheidung BVerfGE 98, 145 <161>
enthält zwar den Satz, die Anordnung einer Inkompatibilität sei von der Ermächtigung
des Art. 137 GG nur gedeckt, wenn sie nur gewählte Bewerber betreffe, deren
berufliche Stellung die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessen- und Ent-
scheidungskonflikten nahe lege. Die Entscheidung betrifft jedoch nicht den Fall eines
Beamten, sondern den eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft, deren Ak-
tien mehrheitlich vom Land Berlin gehalten werden. Sie beschäftigt sich demgemäß
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mit der sachgerechten Eingrenzung einer Inkompatibilitätsregelung, die auch Mitglie-
der der zur Geschäftsführung berufenen Organe eines solchen privatrechtlichen Un-
ternehmens einbezieht. Auf Beamte, die unmittelbar im Dienst des Landes stehen, in
dessen Landtag sie gewählt worden sind, ist diese Einschränkung nicht übertragbar,
weshalb es keine Divergenz darstellt, dass das Berufungsgericht auf die konkrete
berufliche Stellung des Klägers gerade nicht abgestellt hat. Dasselbe gilt von der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 58, 177 <193>, in der das
Gericht im Falle eines Angestellten eines Landkreises konkrete Gründe verlangt hat-
te, dass ohne die Inkompatibilitätsregelung der Gefahr von Interessenkollisionen
nicht wirksam zu begegnen sei. Solche konkreten Gründe hat das Gericht dem Ge-
setzgeber bei allen leitenden Angestellten des Landkreises ohne Unterscheidung
danach zugebilligt, ob der jeweilige Bedienstete nach seinem konkreten Aufgaben-
bereich innerhalb der Verwaltung des Kreises überhaupt der Gefahr eines Interes-
senwiderstreits ausgesetzt sein konnte (a.a.O. S. 198). Für Beamte hat das Bundes-
verfassungsgericht eine derartige zusätzliche Rechtfertigung nicht verlangt. Es stellt
deshalb keine Divergenz dar, dass auch das Berufungsgericht sie nicht geprüft hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über den
Streitwert aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG in der Fassung der Bekanntmachung vom
15. Dezember 1975 (BGBl I S. 3047) mit späteren Änderungen; diese Regelung ist
gemäß § 71 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Mo-
dernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718) noch anzuwenden,
weil die Beschwerde vor dem 1. Juli 2004 eingelegt worden ist.
Albers Dr. Kugele Groepper