Urteil des BVerwG vom 22.09.2005

Beihilfe, Fürsorgepflicht, Belastung, Wesenskern

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 27.05
OVG 2 A 11887/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. September 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n und Dr. K u g e l e
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 4. März 2005 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 716 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die geltend gemachte Abweichung der angefochtenen Entscheidung von dem Se-
natsurteil vom 17. Juni 2004 - BVerwG 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103 besteht nicht.
a) Dabei kann unentschieden bleiben, ob eine Abweichung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 127 Nr. 1 BRRG darin gesehen werden
kann, dass das Berufungsurteil nicht auf die Frage eingegangen ist, ob das Beihilfe-
recht des beklagten Landes gegen höherrangiges Recht dadurch verstößt, dass es
mit § 90 LBG RP nicht auf einer hinreichend konkretisierten gesetzlichen Ermächti-
gung beruht. Davon abgesehen, dass in der bloßen Nichtanwendung eines Rechts-
satzes noch keine Abweichung liegen muss, kommt es auf beide Gesichtspunkte
nicht an. Denn der Senat hat die Anwendbarkeit der auf einer unzureichenden ge-
setzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhenden Beihilfevorschriften für eine Über-
gangszeit, die derzeit noch nicht als beendet angesehen werden kann, in der Be-
zugsentscheidung für zulässig erklärt.
b) Keine Divergenz von der Bezugsentscheidung vom 17. Juni 2004 (a.a.O.) liegt in
dem Rechtssatz,
"ein unmittelbarer Durchgriff auf den Fürsorgegedanken ist lediglich in wenigen,
extrem gelagerten Ausnahmefällen geboten, in denen der Beihilfeberechtigte
mit erheblichen, nicht versicherbaren Aufwendungen belastet bleibt, die eine
amtsgemäße Lebensführung drastisch und unzumutbar beeinträchtigen".
Dieser Rechtssatz entspricht der Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl.
z.B. das in der Berufungsentscheidung zitierte Urteil vom 18. Juni 1980 - BVerwG
6 C 19.79 - BVerwGE 60, 212 <220 f.>), zu der die Bezugsentscheidung mit der von
der Beschwerde zitierten Passage in keinem Widerspruch steht. Denn nach beiden
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Rechtssätzen hat der Beamte einen unmittelbar auf das Fürsorgeprinzip gestützten
Anspruch auf Unterstützung im Krankheits- und Pflegefall, sobald er mit Aufwendun-
gen belastet ist, die die Beihilfe nicht absichert, und die er auch durch eine zumutba-
re Eigenvorsorge nicht absichern kann. Ob ein solcher Fall gegeben ist, entscheidet
im Einzelfall - wie vorliegend geschehen - das Tatsachengericht. Dessen Schlussfol-
gerung jedoch, eine jährliche Belastung von 716 € bei einem monatlichen Versor-
gungsbezug von 1 700 € rechtfertige keinen Anspruch unmittelbar aus dem Fürsor-
geprinzip, stellt keinen abweichenden Rechtssatz, sondern die Anwendung eines
Rechtssatzes dar. Diese aber eröffnet die Divergenzbeschwerde nicht.
c) Keine Divergenz zur zitierten Bezugsentscheidung liegt in dem Rechtssatz des
Berufungsgerichts, dass angesichts der grundsätzlichen Unterschiede beider Siche-
rungssysteme (gemeint ist einerseits die Beihilfe, andererseits die Pflegeversiche-
rung nach dem SGB XI) von keiner Vergleichbarkeit der Sachverhalte auszugehen
sei. Im Senatsurteil vom 17. Juni 2004 (a.a.O.) wird der rechtssystematische Unter-
schied beider Versorgungssysteme nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich festge-
stellt, dass die privaten Versicherungsunternehmen wegen des gesetzlich bestehen-
den Kontrahierungszwangs eine beihilfekonforme Versicherung anbieten müssen,
damit der kontrahierungspflichtige Beamte den Versicherungsschutz erhält, den er
mit Blick auf seine Beihilfeansprüche benötigt.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
a) Die Frage,
"ob die Beihilfeverordnung des (beklagten) Landes … den Anforderungen des
verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts genügt",
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil die den Gesetzgebern vom
Senat zugebilligte Übergangszeit im Zeitpunkt einer Entscheidung über die Revision
noch nicht abgelaufen sein würde. Aus diesem Grunde würde sich auch die Frage
nicht stellen, ob eine planwidrige Regelungslücke besteht.
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b) Zur Beantwortung der Frage, ob für den Dienstherrn im Bereich der Pflege die
Verpflichtung besteht, das umfassend gedachte Regelwerk der Pflegeversicherung
nicht auch in das Beihilfesystem zu übernehmen, um zu verhindern, dass der Beam-
te mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die er nicht durch eine Versiche-
rung absichern kann, bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens.
Stünde nämlich tatrichterlich fest, dass ein Beamter mit solchen Aufwendungen be-
lastet ist, hätte er einen Anspruch unmittelbar aus der Fürsorgepflicht, wenn durch
die Belastung der Grundsatz der amtsgemäßen Besoldung und Versorgung verletzt
wäre.
3. Die Frage, ob sich das Berufungsgericht bei dem Rechtssatz, ein Beihilfeanspruch
kann nur unter der Voraussetzung unmittelbar auf den Fürsorgegrundsatz gestützt
werden, dass ohne Beihilfe die Fürsorgepflicht im Wesenskern verletzt wäre, auf das
Senatsurteil vom 10. Juni 1999 - BVerwG 2 C 29.98 - (Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 12)
berufen könne, stellt weder eine rechtsgrundsätzliche Frage dar, noch wird eine Di-
vergenz geltend gemacht. Die Beschwerde argumentiert wie in einer Berufungsbe-
gründung und macht allenfalls die unzutreffende Anwendung eines vom Bundesver-
waltungsgericht aufgestellten Rechtssatzes geltend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streit-
werts auf § 72 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Albers Prof. Dawin Dr. Kugele
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