Urteil des BVerwG vom 26.03.2012

Altersgrenze, Ausnahme, Beamtenverhältnis, Versorgung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 26.11
OVG 6 A 1695/10
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und Dr. Hartung
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Dezember
2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdever-
fahren wird auf die Wertstufe bis 30 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die 1959 geborene Klägerin legte nach einem Studium der Fächer Geschichte
und Katholische Religionslehre 1984 und 1987 die Erste und Zweite Staatsprü-
fung für das Lehramt an der Sekundarstufe I und II ab. Sie ist Mutter von zwei
1988 und 1991 geborenen Kindern. Von 1992 bis 2001 war sie als Lehrerin an
einer Schule des Erzbistums Köln tätig; seitdem steht sie als Angestellte im öf-
fentlichen Schuldienst des beklagten Landes. Im Mai 2009 beantragte sie die
Übernahme in das Beamtenverhältnis. Die Bezirksregierung Köln lehnte dies
durch Bescheid vom 14. August 2009 ab, weil die Klägerin die Höchstalters-
grenze von 40 Jahren gem. § 6 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 der Verordnung über die
Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen in der seit dem 18. Juli
2009 geltenden Fassung (LVO NRW n.F.) überschritten habe. Ihr Begehren
blieb vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erfolglos.
Die von der Beschwerde geltend gemachten Zulassungsgründe führen nicht zur
Zulassung der Revision.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO), die die Klägerin ihr zumisst.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine abstrakte, in
dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer
über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im
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Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechts-
fortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraus-
setzungen sind insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine von der Beschwerde
aufgeworfene Frage bereits geklärt ist, auf Grund des Gesetzeswortlauts mit
Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der
einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens
beantwortet werden kann oder wenn sie nur einzelfallbezogen zu beantworten
ist und deshalb keine allgemeine Bedeutung hat.
Die Beschwerde wirft unter verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen As-
pekten sowie im Hinblick auf Regelungen des einfachen Rechts die Frage auf,
ob §§ 6, 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO NRW n.F. wegen Verstoßes gegen
höherrangiges Recht unwirksam sind. Diese Frage kann jedoch anhand der
vorliegenden Senatsrechtsprechung (vor allem Urteil vom 19. Februar 2009
- BVerwG 2 C 18.07 - BVerwGE 133, 143 = Buchholz 237.7 § 15 NWLBG Nr. 6,
Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - BVerwG 2 B 2.11 - Buchholz 237.7 § 15
NWLBG Nr. 9 und vom 6. April 2011 - BVerwG 2 B 58.11 -) beantwortet wer-
den, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
1.1 Der Gesetzgeber durfte die Festlegung der Höchstaltersgrenze einschließ-
lich der unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit erforderlichen Aus-
nahmeregelungen dem Verordnungsgeber übertragen. Dem Vorbehalt des Par-
lamentsgesetzes genügt eine gesetzliche Ermächtigung, die wie § 5 Abs. 1
Satz 1 LBG NRW i.d.F. vom 21. April 2009 (GV. NRW S. 224) der Landesregie-
rung als Verordnungsgeber die Befugnis zum Erlass von Regelungen über die
Laufbahnen der Beamten überträgt. Eine solche Ermächtigung umfasst alle
Regelungsmaterien, die herkömmlicherweise zum Laufbahnwesen der Beam-
ten zählen; Regelungen über Höchstaltersgrenzen zählen dazu (Urteil vom
19. Februar 2009 a.a.O.). Es obliegt dann dem Verordnungsgeber, die Gewähr-
leistung des leistungsbezogenen Zugangs zum Beamtenverhältnis unter Be-
rücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben in einen angemessenen Ausgleich
mit dem Interesse des Dienstherrn an einer möglichst langen Lebensdienstzeit
zu bringen.
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Einer Übergangsregelung bedurfte es bei Erlass der Neufassung der Laufbahn-
verordnung nicht, da die Härtefallregelung des § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
LVO NRW es unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigungslast ermöglicht,
unverhältnismäßige Einschränkungen des Art. 33 Abs. 2 GG zu vermeiden.
Insbesondere sind nach der Praxis des Berufungsgerichts (Urteil vom 27. Juli
2010 - 6 A 282/08 - juris Rn. 71 f.; seitdem stRspr des OVG) Übernahmeanträ-
ge, die vor dem Bekanntwerden des Urteils vom 19. Februar 2009 (a.a.O.) ge-
stellt und unter Berufung auf die alte unwirksame Altersgrenze, jedoch noch
nicht bestands- oder rechtskräftig abgelehnt worden sind, auch bei solchen Be-
werbern positiv zu bescheiden, die im Laufe des Verfahrens auch die neue Al-
tersgrenze überschritten haben. In dieser Auslegung und Handhabung über-
nimmt die Härtefallregelung die Funktion einer Übergangsvorschrift, so dass die
Frage, ob es einer gesonderten Übergangsvorschrift bedurft hätte, ohne Durch-
führung eines Revisionsverfahrens verneint werden kann.
Die von der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage, ob „rechtsfehlerhaft zuge-
schnittene Ausnahmetatbestände“ zur Rechtswidrigkeit der Altersgrenze insge-
samt führen müssten, ist nicht grundsätzlich bedeutsam, da sie sich in einem
Revisionsverfahren nicht stellen würde. Denn die vom Verordnungsgeber zur
Sicherung der Verhältnismäßigkeit des normierten Höchstalters vorgesehenen
Möglichkeiten, die Altersgrenze in Ausnahmefällen zu überschreiten, sind we-
der jeweils für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit rechtsfehlerhaft. Auch
die Frage, ob die Neuregelung so pauschal ist, dass sie erst durch ministerielle
Erlasse hinreichend konkretisiert werden muss, führt nicht zur Zulassung der
Revision, da sie sich anhand des Normtextes und der vorliegenden Rechtspre-
chung ohne weiteres im verneinenden Sinne beantworten lässt.
Die Neufassung der nordrhein-westfälischen Laufbahnverordnung ermöglicht
eine Überschreitung der Altersgrenze zunächst in den typischen Verzögerungs-
fällen, in denen sich die Einstellung oder Übernahme wegen der Ableistung ei-
ner Dienstpflicht nach Art. 12a GG, wegen der Teilnahme an einem freiwilligen
sozialen Jahr, wegen der Geburt oder Betreuung von Kindern oder der Pflege
von Angehörigen verzögert hat, ohne dass die Verwaltung insoweit eine Er-
messensentscheidung zu treffen hätte (§ 6 Abs. 2 LVO NRW n.F., vgl. Urteil
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vom 19. Februar 2009 a.a.O. S. 152 f. bzw. S. 7 f.). Zudem ist die Altersgrenze
zugunsten von schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Men-
schen auf 43 Jahre festgesetzt (vgl. Urteil vom 19. Februar 2009 - BVerwG 2 C
55.07 - Buchholz 237.7 § 15 NWLBG Nr. 7). In Fällen, in denen eine Verbeam-
tung an Verhaltensweisen der Bewerber scheitern würde, die im öffentlichen
Interesse liegen, ist damit ein nicht der freien Entscheidung der Verwaltung
überlassener Ausgleich geschaffen worden.
Zusätzlich können nach § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LVO NRW n.F. Ausnahmen
vom Einstellungshöchstalter zugelassen werden, wenn in Einzelfällen oder
Gruppen von Fällen der Dienstherr ein erhebliches dienstliches Interesse an der
Gewinnung oder Bindung von Bewerbern hat. Diese Regelungen werden auch
im Hinblick auf die darin enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe dem rechts-
staatlichen Gebot der Normklarheit gerecht. Sie ermöglichen eine vorhersehba-
re und einheitliche Verwaltungspraxis, weil insbesondere der Begriff des erheb-
lichen dienstlichen Interesses durch § 84 Abs. 2 Satz 2 LVO NRW n.F. näher
bestimmt wird und im Zusammenhang des geregelten Sachgebiets sachgerecht
ausgelegt werden kann (vgl. Urteile vom 13. August 2008 - BVerwG 2 C 41.07
- Buchholz 237.7 § 48 NWLBG Nr. 2 Rn. 10, vom 30. März 2006 - BVerwG 2 C
23.05 - Buchholz 236.2 § 76 c DRiG Nr. 1 und vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 C
68.08 - Buchholz 232.0 § 46 BBG 2009 Nr. 1). Er zielt auf die für die Einstellung
von Lehrern in den Schuldienst praktisch relevante und häufig anzutreffende
Situation eines Bewerbermangels bei bestimmten Fächern oder Fächerkombi-
nationen; in solchen Situationen kann es erforderlich sein, durch die begrenzte
Abweichung von dem geltenden Einstellungshöchstalter Anreize zu schaffen,
um die Versorgung der Schulen mit qualifiziertem Lehrpersonal zu sichern. In
welchem Umfang Abweichungen von § 6 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 LVO NRW
n.F. jeweils ermessensgerecht sind, welche Fächer bzw. Fächerkombinationen
betroffen sind und welche Umstände der jeweiligen Bedarfssituation in die Ent-
scheidung über die Gewährung einer Ausnahme vom Einstellungshöchstalter
einzufließen haben, sind hingegen Fragen des Einzelfalles, die sich einer abs-
trakt-generellen Regelung im Verordnungsrecht ebenso wie einer rechtsgrund-
sätzlichen Klärung im Revisionsverfahren entziehen.
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Eine weitere Ausnahme vom Einstellungshöchstalter ist nach § 84 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 LVO NRW n.F. in Einzelfällen unverschuldeter Verzögerung des
beruflichen Werdegangs zulässig, in denen die Anwendung der Altersgrenze
unbillig wäre. Auch diese Regelung ist in einer dem Gebot der Normklarheit ge-
nügenden Weise als eng gefasste und an eine Nachweisobliegenheit des Be-
werbers geknüpfte Ausnahme vom Einstellungshöchstalter zu verstehen und
bietet der Verwaltung nicht die Möglichkeit, ohne jede Bindung an normative
Vorgaben eine Praxis im Widerspruch zur Laufbahnverordnung zu begründen.
Auch insoweit wäre allerdings im Revisionsverfahren die abschließende Klä-
rung aller einzelfallbezogenen Aspekte der Rechtsanwendung nicht möglich.
1.2 Die im Hinblick auf Aspekte des einfachen Rechts als rechtsgrundsätzlich
aufgeworfenen Fragen führen ebenfalls nicht zu einer Zulassung der Revision.
Die Rechtswirksamkeit der Regelungen der nordrhein-westfälischen Laufbahn-
vorschriften vom 30. Juni 2009 hängt nicht davon ab, ob die Vorschriften über
die Beteiligung der Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften und
Berufsverbände bei der Vorbereitung eingehalten wurden (§ 53 BeamtStG, § 94
LBG NRW). Dies folgt daraus, dass diese Beteiligung nicht Bestandteil des
Normsetzungsverfahrens ist, sondern den Zweck verfolgt, dem Gesetzgeber im
Vorfeld von Gesetzgebungsvorhaben Zugang zum Sachverstand der Spitzen-
organisationen zu öffnen (Beschluss vom 25. Oktober 1979 - BVerwG 2 N 1.78
- BVerwGE 59, 48 = Buchholz 237.5 § 110 HessBG Nr. 1, ebenso Reich, Be-
amtStG, § 53 Rn. 4). Es besteht kein Anlass, von dieser Senatsrechtsprechung
abzuweichen.
Keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung bedarf auch die Frage,
„ob die Nichtbeteiligung der Gleichstellungsbeauftragten
bei einer Entscheidung über einen Verbeamtungsantrag
einen absoluten Verfahrensfehler darstellt, der die An-
wendung des § 46 VwVfG nicht ausschließt, wenn nach
der Ausnahmevorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
LVO NRW n.F. eine Ermessensentscheidung eröffnet ist
und bei den Ermessenserwägungen eine langjährige Vor-
tätigkeit einer Beamtenbewerberin im kirchlichen Ersatz-
schuldienst und im staatlichen Schuldienst sowie das Vor-
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liegen von Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen
sind.“
Sie betrifft eine Einzelfallkonstellation und ist einer Klärung mit Bedeutung über
den Einzelfall hinaus nicht zugänglich. Im Übrigen würde sie sich im Revisions-
verfahren nicht stellen, da im Falle der im Antragszeitpunkt bereits 49 Jahre
alten Klägerin die Ablehnung ihres Übernahmeantrags durch § 6 Abs. 1 und 2,
§ 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO NRW auch unter Berücksichtigung von Kin-
dererziehungszeiten zwingend vorgegeben war. Ebenso wenig ist allgemein
klärungsbedürftig, ob die Berufstätigkeit einer Beamtin im kirchlichen Schul-
dienst sowie als Angestellte im staatlichen Schuldienst als Umstand zu werten
sein könnte, der eine Berufung auf das Einstellungshöchstalter als unbillig er-
scheinen ließe. Dies ist im Regelfall schon deshalb nicht anzunehmen, weil die
Tätigkeit als Lehrerin im Ersatzschuldienst sowie im öffentlichen Schuldienst
des Landes keine Verzögerung des beruflichen Werdegangs als Lehrerin dar-
stellt.
Die weiteren zur Auslegung des § 84 LVO NRW n.F. formulierten Fragen las-
sen sich - soweit sie nicht lediglich Einzelfallkonstellationen betreffen und schon
deshalb einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich sind - anhand des
Normtextes und der Senatsrechtsprechung ohne weiteres beantworten. So ist
etwa der Begriff der „von dem Bewerber nicht zu vertretenden Gründe“ im Zu-
sammenhang mit dem Erfordernis zu verstehen, dass diese Gründe zu einer
Verzögerung des beruflichen Werdegangs geführt haben müssen. Welche
Gründe diesen Anforderungen entsprechen - denkbar sind etwa schwere
Krankheiten oder ähnliche zwingende Unterbrechungen oder Verzögerungen
der Ausbildung -, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Keine
klärungsbedürftigen Zweifelsfragen wirft auch der Umstand auf, dass Kinder-
erziehungszeiten, die nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Buchst. c und Satz 2 LVO NRW
n.F. zu einer Überschreitung der Altersgrenze um bis zu sechs Jahre führen
können, nicht zu einer weiteren Überschreitung auf der Grundlage des § 84
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW n.F. berechtigen. Die von der Beschwerde als
rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, ob die Rechtsprechung
des Berufungsgerichts zur Härtefallregelung des § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO
NRW auf alle im Ersatzschuldienst oder im öffentlichen Schuldienst beschäftig-
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ten Bewerber zu übertragen ist, die nach Bekanntwerden der Senatsentschei-
dung vom 19. Februar 2009 ihre Übernahme in das Beamtenverhältnis bean-
tragt haben, kann gleichfalls ohne weiteres verneint werden. Denn diese Be-
werber mussten gerade damit rechnen, dass der Verordnungsgeber alsbald
eine Neuregelung erlassen würde, die nach den allgemeinen Vorschriften für
ihre Anträge maßgeblich sein würde. Soweit die Beschwerde schließlich eine
Koordination des § 6 Abs. 2 mit § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW n.F. ver-
misst und die Handhabbarkeit der Härtefallklausel hinsichtlich der „verschie-
densten persönlichen Umstände“ im Werdegang der Beamtenbewerber bezwei-
felt, ist schon nicht erkennbar, welche konkreten Rechtsfragen damit aufgewor-
fen sein sollen. Die nebeneinander mögliche Anwendung der genannten Vor-
schriften bei Überschreitungen der Altersgrenze (§ 6) bzw. bei der im Ermessen
des Dienstherrn stehenden Zulassung einer Ausnahme vom Höchstalter (§ 84)
bedarf auf der Grundlage der Beschwerdebegründung zu diesen Aspekten kei-
ner weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren; dies gilt auch für die Hand-
habung des Ermessens bei Anwendung der Härtefallklausel.
Die Frage, ob die Wertung des § 6 Abs. 5 LVO NRW n.F. - die von der Be-
schwerde mehrfach genannte Vorschrift des § 6 Abs. 5 LBG NRW existiert nicht
- im Rahmen einer Härtefallentscheidung nach § 84 Abs. 2 LVO NRW n.F. zu
einem Einstellungsanspruch von Bewerbern führen kann, die in einer früheren
Phase ihrer Berufstätigkeit an einer Ersatzschule beschäftigt waren, ist eben-
falls nicht klärungsbedürftig. Sie kann ohne weiteres verneint werden, ebenso
die weiter aufgeworfene Frage, ob der Verordnungsgeber verpflichtet war, für
diese Personengruppe einen gesonderten Ausnahmetatbestand zu schaffen.
Zum einen ließe sich die von der Beschwerde für richtig gehaltene Auslegung
mit dem Wortlaut des § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW n.F. nicht vereinba-
ren, der lediglich Fälle einer Verzögerung des beruflichen Werdegangs erfasst.
Zum anderen stellt § 6 Abs. 5 LVO NRW n.F. eine eng begrenzte Ausnahme
vom Regeleinstellungshöchstalter dar, deren Ausdehnung auf weitere Anwen-
dungsfälle mit dem Lebenszeitprinzip nicht zu vereinbaren wäre. Die Vorschrift
privilegiert Planstelleninhaber an Ersatzschulen. Die damit bewirkte besondere
Attraktivität der Ersatzschulen erleichtert diesen nicht in staatlicher Trägerschaft
geführten Schulen die Anwerbung qualifizierter Lehrer; ein Grund, die Privilegie-
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rung auf frühere Lehrer an Ersatzschulen auszudehnen, ist auch unter Gleich-
heitsgesichtspunkten nicht ersichtlich.
1.3 Schließlich rechtfertigen auch die zum Recht der Europäischen Union auf-
geworfenen Fragen die Zulassung der Revision nicht. Die Fragen,
ob die vom Verordnungsgeber verfolgte Zielsetzung mit
Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates in Einklang
steht,
ob die Vermeidung eines Missverhältnisses von Dienstzeit
und Versorgungslast nach unionsrechtlichem Maßstab ob-
jektiv und angemessen und legitim ist,
ob die Sicherung einer sparsamen Haushaltsführung -
auch im Hinblick auf die Erfahrungen anderer Bundeslän-
der - als rechtfertigender Grund in Betracht kommt,
ob die Herstellung einer ausgewogenen Altersstruktur ei-
nen rechtfertigenden Grund für eine Altersdiskriminierung
darstellt und
ob die Altersdiskriminierung in Fällen zulässig sein kann,
bei denen es um eine alternative Stellenbesetzung mit
Beamten oder Angestellten geht,
lassen sich auf dem Boden der Senatsrechtsprechung und der Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union unter Einschluss der von der Be-
schwerde angeführten Judikate beantworten.
Höchstaltersgrenzen für den Zugang zu einem Beruf stellen eine Ungleichbe-
handlung wegen des Alters dar, die zulässig sein kann, wenn sie objektiv und
angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Derartige Ziele kön-
nen sich insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt
und berufliche Bildung ergeben; daneben kommt jedes weitere sozialpolitische
Ziel in Betracht (EuGH, Urteil vom 13. September 2011 - C-447/09, Prigge u.a. -
NJW 2011, 3209 ). Die Mitgliedstaaten verfügen über einen weiten
Spielraum bei der Wahl der Maßnahmen, die sie zur Erreichung eines legitimen
Ziels für erforderlich halten; sie können sich auf politische, wirtschaftliche, so-
ziale, demografische und fiskalische Erwägungen stützen, auch wenn letztere
für sich allein nicht ausreichen (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 - C-159 und
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160/10, Fuchs und Köhler - NVwZ 2011, 1249 ). Die
Angemessenheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme ist nachgewiesen, wenn
sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unvernünftig erscheint und auf Be-
weismittel gestützt ist, deren Beweiskraft das nationale Gericht zu beurteilen hat
(EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 a.a.O. Rn. 83). Das Interesse des Dienstherrn
an einem ausgewogenen Verhältnis von Lebensdienstzeit und Ruhestandszeit
der Beamten stellt ein legitimes Ziel in diesem Sinne dar. Die unionsrechtliche
Anerkennung des Interesses an einer adäquaten Lebensdienstzeit wird durch
Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c der Richtlinie 2000/78/EG des Rates der Europäi-
schen Union vom 27. November 2000 (§ 10 Satz 3 Nr. 3 AGG) belegt, wonach
Ungleichbehandlungen wegen des Alters insbesondere die Festlegung eines
Höchstalters für die Einstellung auf Grund der Notwendigkeit einer angemesse-
nen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand einschließen. Eine
Höchstaltersgrenze für den Zugang zum Beamtenverhältnis stellt daher dem
Grunde nach ein geeignetes und erforderliches Mittel dar, um eine angemesse-
ne, die Versorgung rechtfertigende Lebensdienstzeit sicherzustellen. Dies
rechtfertigt auch die systembedingt unterschiedliche Behandlung von Angestell-
ten und Beamten, da nur bei letzteren die Versorgung aus dem letzten Amt ge-
währt wird und deshalb regelmäßig höhere Versorgungsansprüche begründet
sind. Die auch unionsrechtlich geforderte Verhältnismäßigkeit der Ungleichbe-
handlung wird dadurch sichergestellt, dass die Höchstaltersgrenze bei an-
erkannten und normativ fixierten, insbesondere bei familiären und gemeinnützi-
gen Verzögerungsgründen in angemessenem Umfang überschritten werden
darf. Die Frage einer Nichtanwendung der LVO NRW im Hinblick auf den An-
wendungsvorrang des Unionsrechts stellt sich vor diesem Hintergrund nicht.
2. Die von der Beschwerde geltend gemachte Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO) liegt nicht vor.
Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschriften ist gegeben, wenn das
Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abs-
trakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen
hat, den eines der in den § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, §127 Nr. 1 BRRG genann-
ten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Es ge-
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nügt nicht, wenn das Berufungsgericht einen Rechtssatz im Einzelfall rechtsfeh-
lerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa
für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr; vgl. Be-
schlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 und vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz
235.1 § 69 BDG Nr. 1).
Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Rechtswirksamkeit der nord-
rhein-westfälischen Laufbahnverordnung vom 30. Juni 2009 nicht davon ab-
hänge, ob die Vorschriften über die Beteiligung der Spitzenorganisationen ein-
gehalten wurden, weicht nicht von dem Beschluss des Bundesverfassungsge-
richts vom 12. Oktober 2010 - 2 BvF 1/07 - (BVerfGE 127, 293) ab, weil die Re-
gelungen des § 53 BeamtStG und des § 94 Abs. 1 LBG NRW nach der Recht-
sprechung des Senats nicht Bestandteil des Normsetzungsverfahrens sind (Be-
schluss vom 25. Oktober 1979 a.a.O.). Eine - verdeckte - Divergenz enthalten
auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Interesse an ausgewoge-
nen Altersstrukturen nicht. Denn das Berufungsgericht hat auch unausgespro-
chen nicht den Satz aufgestellt, dass das Interesse an ausgewogenen Alters-
strukturen unabhängig vom Vorliegen einer plausiblen und nachvollziehbaren
Planung die Festsetzung eines Höchstalters rechtfertige. Vielmehr hat es die-
sen Gesichtspunkt ergänzend neben dem die Höchstaltersgrenze rechtfertigen-
den Lebenszeitprinzip und unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom
19. Februar 2009 angeführt; geringere Anforderungen als der Senat in jener
Entscheidung hat es gerade nicht formuliert.
3. Auch die vom Kläger angeführten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
Soweit die Beschwerde eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108
Abs. 1 Satz 1 VwGO) darin sieht, dass das Berufungsgericht sich der Sache
nach auf die Konkretisierung der Regelungen zur Höchstaltersgrenze durch
ministerielle Erlasse gestützt und die Verweildauer der Klägerin im kirchlichen
Schuldienst fehlerhaft gewürdigt habe, so sind damit keine Verstöße gegen die
Gesetze der Logik oder gegen Denk- und Erfahrungssätze geltend gemacht.
Nach der angeführten Rechtsprechung des Senats sind die Regelungen der § 6
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Abs. 1, § 52 Abs. 1 und § 84 LVO NRW n.F. hinreichend bestimmt und bedür-
fen keiner weiteren Konkretisierung, um handhabbar zu sein; ministerielle Er-
lasse können zwar den Inhalt einer Rechtsnorm beispielhaft verdeutlichen und
ermessenslenkende Gesichtspunkte enthalten, binden aber die Gerichte nicht.
Deshalb ist es nicht als verfahrensfehlerhaft zu beanstanden, dass das Beru-
fungsgericht die bestehenden Erlasse nicht als „entscheidend“ zur Umsetzung
der laufbahnrechtlichen Normen angesehen und berücksichtigt hat.
Auch die Annahme der Beschwerde, die langjährige Tätigkeit der Klägerin im
kirchlichen Schuldienst müsse einer Tätigkeit im staatlichen Schuldienst gleich-
gestellt werden, enthält keine durchgreifende Verfahrensrüge. Vielmehr wendet
sich die Beschwerde auch hier lediglich gegen die inhaltliche Auffassung des
Berufungsgerichts, dass keiner der vom geltenden Recht akzeptierten Verzöge-
rungsgründe bei der Klägerin vorgelegen habe. Ein Verstoß gegen Denkgeset-
ze liegt in dieser Wertung - die lediglich von der inhaltlichen Position der Kläge-
rin abweicht - nicht. Dasselbe gilt für die Auffassung des Berufungsgerichts, die
Nichtbeteiligung der Gleichstellungsbeauftragten habe sich mangels jeglicher
im materiellen Recht eingeräumten Einflussmöglichkeiten nicht auswirken kön-
nen. Auch diese Wertung ist - abgesehen davon, dass sie der Senatsrechtspre-
chung entspricht - vertretbar und beruht jedenfalls nicht auf einem Gedanken-
gang, der etwa infolge unauflöslicher innerer Widersprüche den Gesetzen der
Logik nicht genügt und deshalb einen Verfahrensfehler begründen könnte.
Einen Verfahrensfehler stellt es schließlich auch nicht dar, dass im Berufungs-
verfahren eine Entscheidung nach § 130a VwGO getroffen, also keine mündli-
che Verhandlung durchgeführt worden ist, obwohl auch in erster Instanz ohne
mündliche Verhandlung entschieden worden war. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK
gewährleistet jeder Person das Recht, dass über ihre Streitigkeiten in einem
fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.
Dieser Gewährleistung ist grundsätzlich Genüge getan, wenn in einem mehrere
Instanzen umfassenden Verfahren die Verfahrensbeteiligten zumindest in einer
Instanz die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erzwingen können.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass dann, wenn diese Möglichkeit im erstinstanzli-
chen Verfahren bestanden hat, das Berufungsgericht stets ohne weitere Ein-
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schränkungen nach § 130a VwGO entscheiden könnte; vielmehr muss diese
Vorschrift konventionskonform ausgelegt werden. Sie schränkt das dem Beru-
fungsgericht durch § 130a VwGO eingeräumte Ermessen, ohne mündliche Ver-
handlung zu entscheiden, etwa in Fällen ein, in denen außergewöhnliche
Schwierigkeiten in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht bestehen oder in de-
nen eine erstinstanzliche Beweiswürdigung nur durch eine erneute Beweisauf-
nahme des Berufungsgerichts überprüft werden kann (Urteil vom 9. Dezember
2010 - BVerwG 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 = Buchholz 310 § 130a VwGO
Nr. 82; Beschluss vom 26. Februar 1998 - BVerwG 9 B 169.98 - juris; Seibert,
in : Sodan / Ziekow, VwGO 3. Aufl. § 130a Rn. 8 ff.). Ob selbst dann, wenn in
erster Instanz eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, eine weitere
mündliche Verhandlung in einem zweitinstanzlichen Tatsachenverfahren erfor-
derlich ist oder nicht, hängt demnach von den Umständen des konkreten Falls
ab.
Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach
§ 130a VwGO zu entscheiden, nicht zu beanstanden. Die Klägerin hätte in ers-
ter Instanz eine mündliche Verhandlung erzwingen können, hat sich jedoch im
Hinblick darauf, dass Musterverfahren mündlich verhandelt worden waren, mit
einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ausdrücklich einverstanden
erklärt. Im Berufungsverfahren hat sie auf einen Hinweis zur beabsichtigten
Entscheidung nach § 130a VwGO nicht reagiert; der jetzige Prozessbevoll-
mächtigte hat seine Mandatierung erst nach Erlass der angegriffenen, auf
§ 130a VwGO gestützten Entscheidung angezeigt. Gesichtspunkte, die eine
mündliche Verhandlung in zweiter Instanz erforderlich hätten erscheinen las-
sen, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts beruht für das Beschwerdeverfahren auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie
§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG.
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Dr. Maidowski
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