Urteil des BVerwG vom 29.10.2008

Treu Und Glauben, Verwirkung, Verfügung, Berechtigter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 22.08
OVG 21 A 3314/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Oktober 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Januar 2008 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 1 200 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage mit zwei Begründungen abgewiesen:
Zum einen sei der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Gewährung ei-
ner höheren Sonderzahlung nicht rechtzeitig geltend gemacht worden und
daher verwirkt, zum anderen stehe das Sonderzahlungsgesetz-NRW im Ein-
klang mit dem Grundgesetz. Wird die Berufungsentscheidung auf zwei vonein-
ander unabhängige Begründungen gestützt, von der jede die Entscheidung
trägt, kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur erfolg-
reich sein, wenn sie sich gegen beide Begründungen richtet und in beiden Fäl-
len begründet ist (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 3. Juli 1973 - BVerwG 4 B
92.73 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 109 und vom 1. Februar 1990 - BVerwG
7 B 19.90 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 22). Das ist nicht der Fall.
Unbegründet ist schon die Rüge, die gegen die Annahme des Berufungsge-
richts gerichtet ist, der geltend gemachte Anspruch sei verspätet erhoben wor-
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den. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, was unter
dem Begriff der Zeitnähe im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts bezogen auf ein Land wie Nordrhein-Westfalen zu verstehen sei,
in dem der Haushaltsplan im Zweijahresrhythmus aufgestellt werde, ist in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt.
Danach ist der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes
von Treu und Glauben auch im öffentlichen Recht einschließlich des Beamten-
rechts anwendbar. Für die Annahme der Verwirkung genügt aber - anders als
für den Eintritt der Verjährung - nicht der bloße Zeitablauf. Vielmehr setzt sie
zusätzlich ein bestimmtes Verhalten des Berechtigten voraus, das geeignet ist,
beim anderen Teil die Vorstellung zu begründen, das Recht werde nicht mehr
geltend gemacht werden. Außerdem wird eine Verletzung oder Gefährdung be-
rechtigter Interessen des anderen Teils gefordert, etwa weil dieser sich auf die
vom Berechtigten erweckte Erwartung, das Recht werde nicht mehr geltend
gemacht, einrichten durfte und eingerichtet hat (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom
29. August 1996 - BVerwG 2 C 23.95 - BVerwGE 102, 33 = Buchholz 237.95
§ 10 S-HLBG Nr. 2 m.w.N.).
Mit diesen Rechtssätzen lassen sich die auf die Staatspraxis in Nordrhein-
Westfalen bezogenen Fragen der Beschwerde ohne Weiteres beantworten.
Davon abgesehen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die
Alimentation des Beamten der Sache nach die Befriedigung eines gegenwärti-
gen Bedarfs aus gegenwärtig zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln ist.
Eine verfassungsrechtlich gebotene Besoldungskorrektur braucht sich daher
grundsätzlich nur auf denjenigen Zeitraum zu erstrecken, der mit dem Haus-
haltsjahr beginnt, in dem die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelung
verfassungsgerichtlich festgestellt worden ist (Beschlüsse vom 22. März 1990
- 2 BvL 1/86 - BVerfGE 81, 363 <385> und vom 24. November 1998 - 2 BvL
26/91 u.a. - BVerfGE 99, 300 <330>). Ob das Berufungsgericht diese Rechts-
sätze zutreffend auf die Klage angewandt hat, ist im Beschwerdeverfahren nicht
zu prüfen.
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Da die Beschwerde schon hinsichtlich des ersten das Berufungsurteil selbst-
ständig tragenden Begründungsteils ohne Erfolg bleibt, kommt es auf die im Zu-
sammenhang mit der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit des Sonderzah-
lungsgesetzes aufgeworfenen Rechtsfragen nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 52 Abs. 1 GKG.
Herbert Prof. Dr. Kugele Thomsen
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