Urteil des BVerwG vom 13.10.2005

Bares Geld, Beamter, Verwirkung, Dienstzeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 19.05
OVG 7 R 1/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Oktober 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M ü l l e r und Dr. H e i t z
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 11. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG gestützte Beschwerde ist nicht begründet.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Aberkennung des Ruhegehaltes des Beklagten
für geboten gehalten, weil der Beklagte in seiner aktiven Dienstzeit mehrfach gegen
das Verbot der Vorteilsannahme gemäß § 70 Satz 1 BBG verstoßen habe. In dem
Berufungsurteil heißt es, der Beklagte habe von Mai bis Dezember 1991 von einem
Reinigungsunternehmen monatlich 900 DM in bar erhalten, nachdem dieses Unter-
nehmen aufgrund eines Vergabeverfahrens mit der Reinigung eines Dienstgebäudes
beauftragt worden sei. Der Beklagte, zu dessen dienstlichen Aufgaben es gehört
habe, die Angebote zu prüfen und einen Vergabevorschlag zu machen, habe zu ver-
stehen gegeben, er werde sich bei entsprechenden Zahlungen für die Auftragsver-
gabe an das Unternehmen einsetzen. Eine Verwirkung des Rechts auf Erhebung
einer Disziplinarklage sei trotz längeren Zeitablaufs noch nicht eingetreten. Die Klä-
gerin habe dem Beklagten zu keinem Zeitpunkt Grund zu der Annahme gegeben, die
Sache sei disziplinarrechtlich abgeschlossen. Der Ausübung der Disziplinargewalt
stehe nicht entgegen, dass der Beklagte mit Wirkung vom 1. Januar 2003 wegen
Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden sei. Der Umstand, dass seine
Schuldfähigkeit im Tatzeitraum wegen Bewusstseinsstörungen zeitweilig erheblich
vermindert gewesen sein könne, rechtfertige keine mildere Maßnahme. Der Beklagte
habe mehrfach eine leicht einsehbare Kernpflicht verletzt, deren Beachtung auch im
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Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit erwartet werden müsse. Die
Abwägung aller Umstände des Einzelfalles ergebe, dass die Aberkennung des Ru-
hegehaltes nicht unverhältnismäßig sei.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO,
wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revi-
siblen Rechts von über diesen Fall hinausgehender Bedeutung aufwirft, die im Inte-
resse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtsfortbildung der Klärung
in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, hat
die Beschwerde nicht dargetan.
1. Die vom Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Ausübung der Disziplinarbefugnis
dadurch verwirkt werden kann, dass der Dienstherr einen Beamten in Kenntnis eines
Dienstvergehens in den Ruhestand versetze, ist nicht rechtsgrundsätzlich bedeut-
sam, weil aufgrund der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwal-
tungsgerichts kein entscheidungserheblicher Klärungsbedarf besteht:
Nach dieser Rechtsprechung findet der allgemeine Rechtsgrundsatz der Verwirkung
auf die Ausübung der Disziplinarbefugnis keine Anwendung. Die disziplinarische Ver-
folgung von Dienstvergehen kann nicht durch Verwirkung oder Verzicht seitens des
Dienstherrn ausgeschlossen werden. Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung
zugrunde, dass der Zweck der Disziplinarbefugnis nicht darin liegt, begangenes Un-
recht zu vergelten. Vielmehr geht es darum, die Integrität des Berufsbeamtentums
und die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes aufrechtzuerhalten. Demzufolge
ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, ob ein
Beamter nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist
und falls dies zu bejahen ist, ob durch eine Disziplinarmaßnahme auf ihn eingewirkt
werden muss, um den Eintritt der Untragbarkeit zu verhindern (vgl. Urteil vom 5. Mai
1998 - BVerwG 1 D 12.97 - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 16 m.w.N.; Beschluss
vom 6. Juli 1984 - BVerwG 1 DB 21.84 - BVerwGE 76, 176 <177 ff.>).
Zudem ist durch die Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungs-
gerichts geklärt, dass die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand die Aus-
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übung der Disziplinarbefugnis nicht beeinträchtigt. Denn auch Disziplinarmaßnahmen
gegen Ruhestandsbeamte verfolgen den Zweck, die Integrität des Berufsbeam-
tentums zu wahren und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes si-
cherzustellen. Es wären Rückwirkungen auf das Vertrauen in die Integrität der Be-
amtenschaft zu erwarten, wenn ein Ruhestandsbeamter trotz eines erheblichen,
während seiner aktiven Dienstzeit begangenen Dienstvergehens, durch das er das
Vertrauen in seine Zuverlässigkeit zerstört hat, weiterhin sein Ruhegehalt beziehen
könnte und berechtigt bliebe, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit
dem früheren Amt verliehenen Titel zu führen (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2, § 12 Abs. 1
bis 3 BDG). Auch gebietet der Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, dass ein
Beamter, der nach Begehung einer schwerwiegenden Verfehlung in den Ruhestand
tritt, nicht besser gestellt werden kann als ein Beamter, der bis zum Abschluss des
Disziplinarverfahrens im aktiven Dienst verbleibt (vgl. Urteil vom 26. Januar 1999
- BVerwG 1 D 34.97 - zitiert nach juris). Das Bundesverfassungsgericht hat diese
Rechtsprechung bestätigt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2001
- 2 BvR 2138/00 - NVwZ 2002, 467).
Danach ist die weitere Ausübung der Disziplinarbefugnis auch dann geboten, wenn
der Dienstherr einen Beamten in Kenntnis von dessen disziplinarrechtlichen Verfeh-
lungen wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Es gibt keinen rechtli-
chen Zusammenhang zwischen der Ausübung der Disziplinarbefugnis und der Ver-
setzung in den Ruhestand. Die Zurruhesetzung eines Beamten vor Erreichen der
gesetzlichen Altersgrenze hängt ausschließlich davon ab, ob dieser wegen seines
körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner
Dienstpflichten dauernd unfähig ist (§ 42 Abs. 1 BBG).
Schließlich könnte die lange Dauer des Disziplinarverfahrens auch bei Anwendbar-
keit des Verwirkungsgrundsatzes für sich genommen nicht zur Verwirkung der Aus-
übung der Disziplinarbefugnis führen. Nach der Rechtsprechung des Disziplinarse-
nats des Bundesverwaltungsgerichts kann die lange Verfahrensdauer nicht mildernd
berücksichtigt werden, wenn der Beamte durch sein Fehlverhalten untragbar gewor-
den ist (vgl. zuletzt Urteil vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - zitiert nach juris;
stRspr).
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2. Soweit der Beklagte die Aberkennung des Ruhegehaltes als überzogen bean-
standet, lässt sich der Beschwerdebegründung bereits keine verallgemeinerungsfä-
hige Fragestellung entnehmen, genügt sie also schon nicht den Darlegungsanforde-
rungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO:
Das Oberverwaltungsgericht ist bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme von
der ständigen Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts
ausgegangen. Danach handelt es sich bei Verstößen gegen das Verbot der
Vorteilsannahme gemäß § 70 Satz 1 BBG regelmäßig um sehr schwerwiegende
Pflichtverletzungen. Die uneigennützige, auf keinen privaten Vorteil bedachte Füh-
rung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums
dar. Ein Beamter, der Vorteile in Bezug auf sein Amt annimmt, erweckt den Eindruck,
sich bei seinen Dienstgeschäften nicht an sachlichen Erwägungen zu orientieren,
sondern für Amtshandlungen allgemein käuflich zu sein. Dies kann im Interesse einer
gesetzmäßigen Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Vertrauens in ein
rechtsstaatliches Handeln der Verwaltung nicht hingenommen werden. Daher verliert
ein Beamter, der wie der Beklagte vorsätzlich gegen § 70 Satz 1 BBG verstößt, re-
gelmäßig endgültig das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in seine
pflichtgemäße Amtsführung und ist daher aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen,
wenn er als Gegenleistung für den gewährten Vorteil eine pflichtwidrige Amtshand-
lung vorgenommen oder wenn er bares Geld angenommen hat und durchgreifende
Milderungsgründe fehlen. Die Annahme von Geldzuwendungen offenbart ein beson-
ders hohes Maß an Pflichtvergessenheit, weil jedem Beamten klar sein muss, dass
er durch ein solches Verhalten die Grenze der Sozialadäquenz eindeutig überschrei-
tet. Unter diesen Voraussetzungen erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als
geeignet und erforderlich, um den Zwecken des Disziplinarrechts Geltung zu ver-
schaffen, sowie als verhältnismäßig im engeren Sinne (vgl. Urteile vom 24. Juni 1998
- BVerwG 1 D 23.97 - BVerwGE 113, 229 <232>; vom 20. Februar 2002 - BVerwG
1 D 19.01 - DokBer B 2002, 169 und vom 8. Juni 2005, a.a.O.; BVerfG, Kammerbe-
schluss vom 19. Februar 2003 - 2 BvR 1413/01 - NVwZ 2003, 1504). Gemäß § 13
Abs. 2 Satz 2 BDG, der inhaltlich der Vorgängerregelung des § 12 Abs. 2 Satz 1
BDO entspricht, tritt an die Stelle der Entfernung aus dem Dienst die Aberkennung
des Ruhegehaltes, wenn sich der Beamte bei Abschluss des Disziplinarverfahrens im
Ruhestand befindet.
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Davon ausgehend hat das Oberverwaltungsgericht bei der Prüfung der Verhältnis-
mäßigkeit der Aberkennung des Ruhegehaltes eine Abwägung aller relevanten Um-
stände des Einzelfalles vorgenommen. Dabei hat es auch berücksichtigt, dass eine
erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Beklagten aufgrund von zeitweiligen Be-
wusstseinsstörungen im Tatzeitraum nicht auszuschließen ist. Es hat sowohl diesen
Umstand als auch die langjährige Dienstzeit des Beklagten aufgrund der vorliegen-
den erschwerenden Gesichtspunkte nicht ausreichen lassen, um eine mildere Maß-
nahme zu verhängen. Als erschwerend hat das Oberverwaltungsgericht zum einen
gewertet, dass es sich bei dem Verbot der Vorteilsannahme um eine leicht einsehba-
re Kernpflicht handelt, deren Beachtung auch bei erheblich verminderter Steuerungs-
fähigkeit erwartet werden müsse. Zum anderen hat es dem Beklagten angelastet,
dass er die Geldzuwendungen aus eigener Initiative gefordert und regelmäßig ange-
nommen habe, bis eine persönliche Übergabe nicht mehr möglich war.
Dieser einzelfallbezogenen Gesamtabwägung stellt die Beschwerde in der Art einer
Revisionsbegründung eine eigene dem Beklagten naturgemäß günstigere Würdigung
entgegen, ohne insoweit eine klärungsbedürftige Rechtsfrage von über den Einzelfall
hinausreichender Bedeutung aufzuwerfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Gerichts-
gebühren werden gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben.
Albers Dr. Müller Dr. Heitz