Urteil des BVerwG vom 11.04.2011

Rechtsmittelbelehrung, Vorverfahren, Rechtssicherheit, Überprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 17.10
OVG 2 KO 893/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. April 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Thüringer Oberverwaltungsge-
richts vom 29. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 190,48 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der Kläger begehrt die Gewährung eines Zuschusses nach § 4 2. BesÜV. In
Bezug auf den noch streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis
zum 31. Dezember 2000 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klä-
gers zurückgewiesen und hierzu ausgeführt: Der Anspruch sei gemäß Art. 229
§ 6 Abs. 4 Satz 2 EGBGB i.V.m. den §§ 197, 198, 201 BGB a.F. verjährt. Der
Eintritt der Verjährung sei nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB durch die Er-
hebung des Widerspruchs gehemmt worden, da der Kläger nicht innerhalb von
drei Monaten nach Ergehen des Widerspruchsbescheides Klage erhoben habe.
Als solcher sei das Schreiben vom 25. Juni 2004 auszulegen, obwohl es nicht
entsprechend bezeichnet, nicht in Entscheidungssatz und Begründung geglie-
dert, weder mit einer Kostenentscheidung noch mit einer Rechtsmittelbelehrung
versehen und nicht zugestellt worden sei.
2. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine abstrakte, in
dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer
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über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechts-
fortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss (stRspr; vgl. Be-
schluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>
= Buchholz 310 § 132 Nr. 18 S. 22 VwGO).
Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage,
ob § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB auch im Falle eines Wider-
spruchsverfahrens voraussetzt, dass der Gläubiger inner-
halb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs Kla-
ge erhebt,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht, da
sie sich auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln
sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der entstandenen Recht-
sprechung ohne weiteres beantworten lässt.
Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 BGB wird die Verjährung gehemmt durch
die Einreichung des Antrags bei einer Behörde, wenn die Zulässigkeit der Kla-
ge von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt und innerhalb von drei
Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird; nach § 204
Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 2 BGB gilt dies entsprechend für bei einem Gericht oder
bei einer in § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB bezeichneten Gütestelle zu stellende An-
träge, deren Zulässigkeit von der Vorentscheidung einer Behörde abhängt.
Der eindeutige Wortlaut der Norm sieht eine Ausnahme von dem Erfordernis
der Klageerhebung innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs
nicht vor.
Das Gebot, das Verfahren innerhalb dieses Zeitraums zu betreiben, geht auf
die Vorgängernorm des § 210 Satz 1 Alt. 1 BGB a.F. zurück, die in ihrem Kern
bereits in der ursprünglichen Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs enthalten
war und schon seinerzeit eine entsprechende Frist vorsah. Deren Länge trägt
dem Umstand Rechnung, dass beide Normen über das Widerspruchsverfahren
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hinaus auf verschiedene andere verwaltungsbehördliche Vorverfahren wie auch
nach § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 2 BGB bzw. § 210 Satz 1 BGB a.F. auf das
Güteantragsverfahren Anwendung fanden und finden (vgl. zur Unterbrechung
bzw. Hemmung der Verjährungsfrist durch Widerspruchserhebung Urteile vom
9. März 1979 - BVerwG 6 C 11.78 - BVerwGE 57, 306 <308 f.> = Buchholz
235.17 § 21 LBesG NW Nr. 4 S. 2 f. und vom 15. Juni 2006 - BVerwG 2 C
17.05 - Buchholz 240 § 73 BBesG Nr. 13 Rn. 21-23). Die jetzige Fassung der
Vorschrift entspricht der bisherigen Auslegung des § 210 BGB a.F. Die Entste-
hungsgeschichte wie auch Sinn und Zweck des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1
BGB unterstreichen das uneingeschränkte Festhalten des Gesetzgebers an
dem Gebot der Klageerhebung binnen drei Monaten nach Erledigung des Ge-
suchs. Es diente ausweislich der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Modernisierung des Schuldrechts unter anderem dem Zweck, dem Eintritt einer
Hemmung der Verjährung vorzubeugen, dass der Gläubiger die Angelegenheit
nach Erledigung des Gesuchs nicht weiterbetreibt (BTDrucks 14/6040 S. 116).
Dieser soll einerseits nicht dadurch Nachteile erleiden, dass er durch das Erfor-
dernis, ein behördliches Vorverfahren zu betreiben, daran gehindert ist, den
Eintritt der Hemmung der Verjährung unmittelbar durch Klageerhebung nach
§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu bewirken; andererseits soll das Betreiben des be-
hördlichen Vorverfahrens nur dann verjährungshemmend wirken, wenn nicht
nur der eindeutige Wille besteht, den Anspruch gegenüber dem Schuldner ge-
richtlich durchzusetzen, sondern dieser Wille nach erfolgloser Durchführung
des Vorverfahrens auch innerhalb der Frist von drei Monaten realisiert wird.
Verstreicht die Frist, ohne dass Klage erhoben worden ist, so soll der Schuldner
gemäß § 214 Abs. 1 BGB unter allen Umständen berechtigt sein, die Leistung
zu verweigern.
Mit Recht ist das Berufungsgericht deshalb davon ausgegangen, dass weder
dem Wortlaut noch dem Zweck des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 BGB Anhalts-
punkte für die Annahme zu entnehmen sind, der Gesetzgeber habe mit der
Drei-Monatsfrist an die in den jeweiligen Prozessordnungen geltenden Klage-
fristen anknüpfen wollen. Während etwa die §§ 74 und 58 Abs. 2 VwGO dazu
dienen, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen den Geboten der Rechts-
schutzgewährleistung und der Rechtssicherheit im Wege des Prozessrechts zu
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gewährleisten (vgl. Urteil vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 31.07 - Buchholz
310 § 74 VwGO Nr. 15 S. 2 Rn. 22), zielt § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 BGB
darauf, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit in materiellrechtlicher Hinsicht her-
zustellen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1992 - X ZR 123/90 - NJW-RR
1993, 1059 <1060>). Dieser unterschiedliche Ansatz schließt die Annahme
aus, die Drei-Monatsfrist des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 BGB werde durch
die Monatsfrist des § 74 VwGO verkürzt oder durch die Jahresfrist des § 58
Abs. 2 VwGO verlängert (in diesem Sinne bereits RG, Urteil vom 16. Septem-
ber 1930 - III 386/29 - SeuffA 85 Nr. 2 S. 3 <4> zum Verhältnis von § 210 BGB
a.F. und der Klagefrist des § 2 des Preußischen Gesetzes vom 24. Mai 1861
betreffend die Erweiterung des Rechtsweges (Preuß. GS 1861, 241). Gerade
§ 58 Abs. 2 VwGO belegt, dass der Frist des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 BGB
auch im Vorfeld eines verwaltungsrechtlichen Klageverfahrens eine eigenstän-
dige verjährungsrechtliche Bedeutung zukommt.
Ebenso wenig rechtfertigt die von dem Kläger als rechtsgrundsätzlich aufgewor-
fene sinngemäße Frage,
ob der Auslegung eines behördlichen Schriftstückes als
Widerspruchsbescheid und dessen Qualifikation als nicht
nichtig entgegensteht, dass es weder die Bezeichnung
„Widerspruchsbescheid“ trägt noch in Entscheidungssatz
und Begründung gegliedert noch mit einer Kostenent-
scheidung und Rechtsmittelbelehrung versehen ist,
die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, da sie durch die
höchstrichterliche Rechtsprechung bereits geklärt ist.
Grundsätzlich stellt die Auslegung eines Schreibens revisionsrechtlich Tatsa-
chenfeststellung dar. Deren Ergebnis unterliegt der revisionsgerichtlichen Über-
prüfung nur, soweit es um die Einhaltung allgemeiner Erfahrungssätze, Denk-
gesetze oder Auslegungsgrundsätze geht (stRspr; vgl. nur Urteil vom 24. Sep-
tember 2009 - BVerwG 2 C 63.08 - BVerwGE 135, 14 = Buchholz 239.1 § 67
BeamtVG Nr. 4 ). Das Berufungsgericht ist ohne Verstoß gegen
Auslegungsgrundsätze und auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts mit Recht davon ausgegangen, ein Verwal-
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tungsakt müsse angesichts der Regelungsfunktion, die ihm innewohnt, seinen
Charakter als hoheitlich verbindliche Regelung eines Einzelfalles auf dem Ge-
biet des öffentlichen Rechts hinreichend klar erkennen lassen. Maßgebend ist
hierfür nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei
objektiver Würdigung verstehen konnte. Unklarheiten müssen hierbei zu Lasten
der Verwaltung gehen (vgl. nur Urteil vom 12. Januar 1973 - BVerwG 7 C 3.71 -
BVerwGE 41, 305 <306> = Buchholz 310 Vorbemerkung III zu § 42 VwGO
Ziff. 1: Begriff Nr. 115 S. 40).
Daran anknüpfend steht der Auslegung eines Schriftstücks als Widerspruchs-
bescheid nicht zwingend entgegen, dass dieses nicht als solcher bezeichnet
oder in Entscheidungssatz und Begründung gegliedert ist. Vom Gegenteil wäre
nur auszugehen, wenn entsprechende gesetzliche Vorgaben bestünden. Dies
ist indes nicht der Fall: Solche finden sich weder in § 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO
(vgl. Urteil vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 4 C 9.07 - BVerwGE 130, 113
<116, Rn. 11> = Buchholz 310 § 73 VwGO Nr. 40 Rn. 11), noch in § 73 Abs. 3
Satz 1 VwGO oder in § 37 Abs. 1 oder 3 ThürVwVfG, der § 37 Abs. 1 und 3
VwVfG entspricht. Ein Widerspruchsbescheid ist schon dann inhaltlich hinrei-
chend bestimmt, wenn der Wille der Behörde, eine Entscheidung über den Wi-
derspruch zu treffen, für die Beteiligten des Verfahrens, in dem der Verwal-
tungsakt ergeht, bei verständiger Würdigung ohne Zweifel erkennbar und einer
unterschiedlichen subjektiven Bemessung nicht zugänglich ist (vgl. Beschluss
vom 27. Juli 1982 - BVerwG 7 B 122.81 - Buchholz 316 § 37 VwVfG Nr. 1
= juris Rn. 2). Das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung gemäß
§ 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO löst lediglich die Rechtsfolge des § 58 Abs. 2 VwGO
aus (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 11. Februar 1998 - BVerwG 7 B 30.98 -
Buchholz § 310, § 58 VwGO Nr. 69 S. 10). In gleicher Weise zwingt das Fehlen
einer Kostenentscheidung nicht zu dem Schluss, dass es sich bei dem Schrift-
stück nicht um einen Widerspruchsbescheid handelt. Für den Fall, dass die
Kostenentscheidung versehentlich unterblieben ist, kann der Widerspruchsfüh-
rer die Ergänzung des Widerspruchsbescheides beantragen (Urteil vom
29. August 1983 - BVerwG 6 C 111.82 - BVerwGE 68, 1 <2, 4>); ist die Kos-
tenentscheidung hingegen bewusst unterblieben, so ist sie im Wege der Ver-
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pflichtungsklage zu erstreiten (Urteil vom 28. April 2009 - BVerwG 2 A 8.08 -
Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 55 S. 12 Rn. 17).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m.
§ 52 Abs. 1 GKG.
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