Urteil des BVerwG vom 27.05.2015

Mildernde Umstände, Beamtenverhältnis, Verfahrensmangel, Ausnahme

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 16.15
OVG 6 LD 1/14
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Mai 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dollinger
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 12. Januar 2015 wird zurückge-
wiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf das Vorliegen
eines Verfahrensfehlers gestützte Beschwerde des Beklagten (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 und 3 VwGO und § 69 BDG) ist unbegründet.
1. Der 1955 geborene Beklagte steht als Postbetriebsassistent im Dienst der
Klägerin. Ursprünglich war der Beklagte als Postzusteller eingesetzt. In der Dis-
ziplinarklageschrift ist ihm vorgeworfen worden, im Jahr 2007 in neun Fällen
Nachnahmebeträge in Höhe von insgesamt ca. 1 530 €, die er bei Postkunden
kassiert hatte, nicht an die Deutsche Post AG abgeliefert zu haben. Ferner ist
ihm vorgehalten worden, im Zeitraum von Ende 2006 bis Ende 2007 in elf wei-
teren Fällen Nachnahmebeträge in Höhe von insgesamt ca. 1 800 € entgegen-
genommen und erst mit einer zeitlichen Verzögerung von mehreren Wochen
abgerechnet und abgeliefert zu haben. Das wegen dieser Vorwürfe eingeleitete
Strafverfahren ist vom Landgericht nach Zahlung einer Geldbuße im Februar
2012 eingestellt worden. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem
Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des
Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausge-
führt:
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Durch das Einbehalten sowie die verspätete Abrechnung der Nachnahmebeträ-
ge habe der Beklagte gegen die ihm obliegenden Pflichten zur uneigennützigen
Amtsführung, zu achtungs- und vertrauenswürdigem dienstlichen Verhalten und
zur Beachtung der Dienstvorschriften vorsätzlich und schuldhaft verstoßen. Das
einheitliche Dienstvergehen führe zu seiner Entfernung aus dem Beamtenver-
hältnis. Das Zugriffsdelikt indiziere den endgültigen Verlust des für die Fortfüh-
rung des Beamtenverhältnisses notwendigen Vertrauens. Dem Beklagten
komme weder einer der sog. anerkannten Milderungsgründe zugute noch lägen
sonstige mildernde Umstände von insgesamt vergleichbarem Gewicht vor. Der
Umstand, dass der Beklagte weiterhin dienstlich tätig und nicht vorläufig des
Dienstes enthoben worden sei, rechtfertige nicht die Annahme, das Vertrauens-
verhältnis sei nicht endgültig zerstört. Der Beklagte sei nach der Aufdeckung
seines Fehlverhaltens in einem gänzlich anderen Aufgabenbereich eingesetzt
worden. Dort habe es nicht mehr zu seinen dienstlichen Pflichten gehört, eigen-
verantwortlich Geldbeträge von Kunden entgegenzunehmen und an die Post-
kasse abzuliefern. Zudem könne die Weiterbeschäftigung eines Beamten auf
finanziellen Erwägungen des Dienstherrn beruhen, die für die Disziplinarent-
scheidung ohne Bedeutung seien.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO und § 69 BDG), die ihr die Beschwerde beimisst.
Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache
nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätz-
liche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung
des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung
des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom
2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der
Fall.
Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der
Frage, ob die langjährige Weiterbeschäftigung des Beamten in derselben
Dienststelle nach der Aufdeckung des Fehlverhaltens bzw., wie vorliegend, die
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Versetzung ohne weitere Begründung oder Benennung besonderer Umstände
des Einzelfalles indiziert, dass das Vertrauen noch nicht endgültig zerstört ist.
Diese Frage vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen, weil sie
in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist.
Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG ist es bei einer Disziplinarklage Sache der Ver-
waltungsgerichte, die angemessene Disziplinarmaßnahme nach Maßgabe des
§ 13 BDG zu bestimmen. Dabei sind die Gerichte weder in tatsächlicher noch in
rechtlicher Hinsicht an die Wertungen des Dienstherrn gebunden (stRspr,
BVerwG, Urteile vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - Buchholz 235.1 § 70 BDG
Nr. 3 Rn. 11 und vom 28. Juli 2011 - 2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 Rn. 18).
Dementsprechend kommt der Entscheidung des Dienstherrn, den Beamten
nach dem Aufdecken seines Fehlverhaltens unverändert oder anderweitig wei-
ter zu beschäftigen, für die von den Gerichten zu treffende Entscheidung über
die angemessene Disziplinarmaßnahme grundsätzlich keine Bedeutung zu
(BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 148, 98 Rn. 42 f.
m.w.N.). Zudem kann diese Entscheidung des Dienstherrn auf Umständen be-
ruhen, die für die vom Gericht zu bestimmende Maßnahme im Sinne von § 5
BDG nicht von Bedeutung sind. Insbesondere kann sich der Dienstherr aus fi-
nanziellen Gründen für eine Weiterbeschäftigung entschieden haben, weil der
Beamte auch während des laufenden Verfahrens weiterhin alimentiert wird
(BVerwG, Urteil vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - Schütz BeamtR ES/B II 1.1
Nr. 26 Rn. 83). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann allenfalls bei Vor-
liegen besonderer Umstände des Einzelfalls in Betracht kommen (Urteile vom
19. Mai 1998 - 1 D 37.97 - juris Rn. 20 und vom 21. Juni 2000 - 1 D 49.99 - juris
Rn. 18). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Oberverwaltungsge-
richt die ihm obliegende Bemessung der Disziplinarmaßnahme unter Würdi-
gung der Umstände des konkreten Einzelfalls vorgenommen und auch das Vor-
liegen besonderer Umstände für eine von dem obigen Grundsatz abweichende
Entscheidung verneint. Weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt
die Beschwerde nicht auf.
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3. Die Revision ist auch nicht wegen des vom Beklagten gerügten Verfahrens-
fehlers zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 69 BDG).
Der Beklagte rügt, das Oberverwaltungsgericht habe die ihm obliegende Pflicht
zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen verletzt. Es habe nicht auf-
geklärt, dass er bei seiner Weiterbeschäftigung im Postverteilungszentrum so-
wie als Fahrer für Postsendungen aller Art keiner Kontrolle durch Mitarbeiter der
Klägerin unterlag und es ihm möglich war, unbemerkt Postsendungen und da-
mit auch Geld und Wertsendungen an sich zu nehmen.
Damit wird ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon
nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO und § 69 BDG erforderlichen Wei-
se bezeichnet. Danach muss ein Verfahrensmangel sowohl in den ihn (ver-
meintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung
substantiiert dargetan werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. November
1992 - 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5 S. 2 und vom 19. August
1997 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 f.). Bei einem behaupte-
ten Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO sowie
§ 58 Abs. 1 und § 3 BDG) muss dementsprechend nicht nur substantiiert darge-
legt werden, hinsichtlich welcher tatsächlicher Umstände Aufklärungsbedarf
bestanden hat, sondern auch, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen
Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tat-
sächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachver-
haltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entwe-
der dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht,
insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachver-
haltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist
oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein sol-
ches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Be-
schluss vom 6. März 1995 - 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO
Nr. 265 S. 9). Daran fehlt es hier, weil der Beklagte zum einen in der mündli-
chen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keine Beweisanträge ge-
stellt hat und zum anderen weil in der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt
wird, dass sich dem Oberverwaltungsgericht die unterbliebene Klärung der kon-
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kreten Umstände der Weiterbeschäftigung des Beklagten hätte aufdrängen
müssen.
Unabhängig davon ist auch in der Sache nicht zu erkennen, dass die von der
Beschwerde behaupteten Aufklärungsmängel vorliegen. Gemäß § 58 Abs. 1
BDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grund-
sätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des
Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung
sind. Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus für das Gericht die Pflicht,
diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich auf der Basis
seines Rechtsstandpunkts nach Lage der Dinge aufdrängen (stRspr, vgl.
BVerwG, Urteile vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>
und vom 28. Juli 2011 - 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 25).
Im Streitfall war jedoch - ausgehend vom hiernach zugrunde zu legenden
Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts - die unterbliebene Beweisauf-
nahme nicht von Bedeutung. Denn das Berufungsgericht hat im Rahmen der
Bemessung der Disziplinarmaßnahme nach § 13 BDG maßgeblich darauf ab-
gestellt, dass die Weiterbeschäftigung des Beklagten während des laufenden
Disziplinarverfahrens, ohne dass es zu neuen Verfehlungen gekommen sei,
sich gemäß der oben dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung für die
Bemessung der Disziplinarmaßnahme grundsätzlich nicht maßnahmemildernd
auswirkt. Es lägen auch keine besonderen Umstände des Einzelfalls für eine
ausnahmsweise abweichende Beurteilung vor. Der frühere und der neue
Dienstposten des Beklagten seien nicht miteinander vergleichbar, weil der Be-
klagte auf dem neuen Dienstposten nicht mehr damit betraut sei, eigenverant-
wortlich Geldbeträge von Kunden entgegen zu nehmen und an die Postkasse
abzuliefern. Daran ändere auch nichts, dass der Beklagte - wie er mit der Be-
schwerde wiederholt - auf dem neuen Dienstposten ebenfalls unbemerkt Wert-
sendungen öffnen könne. Dies sei mit seinen früheren Verfehlungen nicht ver-
gleichbar. Hiernach war die von der Beschwerde vermisste weitere Sachaufklä-
rung vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts aus nicht erheblich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 77 Abs. 1 Satz 1
BDG. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf
es nicht, weil die Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78
BDG erhoben werden.
Domgörgen Dr. Hartung Dollinger
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