Urteil des BVerwG vom 26.02.2008

Unfall, Gebäude, Lehrer, Dienstort

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 135.07
VGH 4 S 516/06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Februar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Heitz
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen das Urteil des Ver-
waltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Sep-
tember 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Beklagten, die auf die Revisionszulassungsgründe der
grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und der Diver-
genz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützt ist, kann keinen Erfolg haben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat das beklagte Land verpflichtet, den zu einer
Schulterverletzung führenden Sturz der Klägerin, einer Lehrerin, beim mor-
gendlichen Duschen während eines mehrtägigen Schullandheimaufenthalts als
Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG anzuerkennen. Der Un-
fall sei in Ausübung des Dienstes geschehen, weil das Duschen in engem Zu-
sammenhang mit den dienstlichen Aufgaben der Klägerin gestanden habe.
Diese habe während des Schullandheimaufenthalts eine umfassende, zeitlich
nicht begrenzte Betreuungs- und Aufsichtspflicht gegenüber den Schülern
wahrgenommen. Außerdem sei dem Dienstherrn zuzurechnen, dass ein von
der Duschvorrichtung ausgehendes besonderes Gefahrenmoment wesentlich
zu dem Unfall beigetragen habe.
1. Der Beklagte hält die Fragen für rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne
von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO,
in welcher Weise der dienstunfallrechtlich geschützte Be-
reich während eines Schullandheimaufenthalts abzugren-
zen sei;
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welche besonderen Gefahrenmomente der Unterkunft es
rechtfertigten, eine der privaten Sphäre angehörende
Handlung dem dienstunfallrechtlich geschützten Bereich
zuzuordnen.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Fra-
ge des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Recht-
sprechung oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren
bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO obliegt es dem Beschwerdeführer
darzulegen, worin der allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedarf an
der Klärung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage bestehen soll (Urteil vom
2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr).
Davon ausgehend verleihen die vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen
der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO, weil es zu ihrer Klärung nicht der Durchführung eines Revisions-
verfahrens bedarf. Denn sie können auf der Grundlage der Rechtsprechung des
Senats zum Dienstunfallbegriff gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ohne
Weiteres beantwortet werden.
Nach dieser Rechtsprechung verlangt das gesetzliche Merkmal „in Ausübung
des Dienstes“ gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG eine besonders enge ur-
sächliche Verknüpfung des Unfallereignisses mit dem Dienst (Urteile vom
24. Oktober 1963 - BVerwG 2 C 10.62 - BVerwGE 17, 59 <62 f.>, vom 18. April
2002 - BVerwG 2 C 22.01 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 12 S. 2 und vom
15. November 2007 - BVerwG 2 C 24.06 - juris).
Dabei kommt nach dem Normzweck der gesetzlichen Regelung dem Kriterium
der Beherrschbarkeit des Risikos der Geschehnisse durch den Dienstherrn
herausragende Bedeutung zu. Der Beamte steht bei Unfällen, die sich innerhalb
des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen,
unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Zu die-
sem Bereich gehört der Dienstort, an dem der Beamte seine Dienstleistung
erbringen muss, wenn dieser Ort zum räumlichen Machtbereich des Dienst-
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herrn gehört. Risiken, die sich hier während der Dienstzeit verwirklichen, sind in
der Regel dem Dienstherrn zuzurechnen (Urteile vom 24. Oktober 1963 a.a.O.
S. 67 und vom 15. November 2007 a.a.O.).
Leisten Beamte - wie Lehrer während eines Schullandheimaufenthalts - Dienst
außerhalb ihres eigentlichen Dienstortes, so genießen sie hierbei Dienstunfall-
schutz, wenn die konkrete Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, im en-
gen natürlichen Zusammenhang mit ihren dienstlichen Aufgaben oder dienstlich
notwendigen Verrichtungen besteht. Der Unfall muss seine wesentliche
Ursache in den Erfordernissen des Dienstes haben und dadurch nach seiner
Eigenart geprägt sein (Urteile vom 3. November 1976 - BVerwG 6 C 203.73 -
BVerwGE 51, 220 <222 f.> und vom 14. Dezember 2004 - BVerwG 2 C 66.03 -
Buchholz 239.1 § 45 BeamtVG Nr. 6 S. 11). Davon ausgehend kann kein Zwei-
fel daran bestehen, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen:
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs hatte die Klägerin einen
umfassenden, nicht auf bestimmte Zeiten beschränkten Betreuungsauftrag ge-
genüber den Schülern wahrzunehmen. In ihrer Eigenschaft als aufsichtsfüh-
rende Lehrerin war sie dienstlich verpflichtet, die Schüler „rund um die Uhr“ zu
betreuen. Sie hatte die Schüler auch außerhalb konkreter Veranstaltungen zu
beaufsichtigen und musste jederzeit, auch während der Nachtstunden, an-
sprechbar und bereit sein, einzugreifen, wenn sich ein Anlass ergab. Diesen
dienstlichen Erfordernissen konnte die Klägerin nur gerecht werden, wenn sie,
wozu sie ausdrücklich verpflichtet war, in dem Schullandheim übernachtete. Da-
her war sie zwangsläufig darauf angewiesen, die dort vorhandenen sanitären
Einrichtungen zu benutzen. Das Schullandheim war für die Dauer des Aufent-
halts Dienstort der Klägerin.
Muss der Beamte in einem vom Dienstherrn bestimmten Gebäude übernach-
ten, um dort seine dienstlichen Aufgaben zu erfüllen, so ist dieses Gebäude
nach dem Normzweck des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG der räumlichen Risiko-
sphäre des Dienstherrn zuzurechnen. Dies bedeutet, dass der Dienstherr je-
denfalls das spezifische örtliche Risiko für solche Verrichtungen trägt, die wie
die Körperpflege eigentlich der privaten Lebenssphäre zuzurechnen sind, die
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der Beamte aber aufgrund der dienstlichen Erfordernisse in dem Gebäude vor-
nehmen muss. Der Beamte genießt hier Dienstunfallschutz, wenn der Unfall
seine wesentliche Mitursache in der baulichen Beschaffenheit oder Ausstattung
des Gebäudes hatte und er nicht bei einer Verhaltensweise eingetreten ist, die
mit der Dienstausübung schlechthin nicht mehr in Zusammenhang gebracht
werden kann.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs stellte die besondere
Beschaffenheit der Duschvorrichtungen eine wesentliche Ursache für den Sturz
der Klägerin dar. Der Zusammenhang mit der Dienstausübung war nicht gelöst,
weil die Klägerin in dem Gebäude übernachten und demnach dort auch ihre
morgendliche Körperpflege verrichten musste.
2. Weiterhin macht der Beklagte geltend, das Berufungsurteil weiche von dem
Urteil des Senats vom 24. Oktober 1963 - BVerwG 2 C 10.62 - BVerwGE 17, 59
<62 f.> ab. Danach sei das gesetzliche Merkmal „in Ausübung des Dienstes“
regelmäßig dann verwirklicht, wenn der Beamte während der Arbeitszeit im
Dienstgebäude zu Schaden komme. Demgegenüber befinde er sich außerhalb
der regelmäßigen Arbeitszeit nur im Dienst, wenn er dienstlich notwendige Ver-
richtungen ausübe. Diese Abgrenzungsgrundsätze habe der Verwaltungsge-
richtshof nicht zutreffend angewandt.
Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn die Ent-
scheidung der Vorinstanz auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Wi-
derspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in
Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Demnach setzt eine
Divergenz voraus, dass zwischen beiden Gerichten ein prinzipieller Auffas-
sungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer Rechtsvorschrift besteht.
Dagegen liegt eine Divergenz nicht vor, wenn die Vorinstanz einen Rechtssatz
des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder
daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für eine Sachverhalts-
und Beweiswürdigung geboten sind (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG
7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26; stRspr).
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Das Urteil des Senats vom 24. Oktober 1963 (a.a.O.) ist zu § 107 Abs. 2 Satz 1
des Deutschen Beamtengesetzes i.d.F. vom 21. Oktober 1941 (RGBl I S. 646)
ergangen, während der Verwaltungsgerichtshof § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG
angewandt hat. Davon abgesehen kommt eine Divergenz im Sinne von § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil sich der Senat in
dem Urteil vom 24. Oktober 1963 (a.a.O.) ausschließlich mit der Auslegung des
gesetzlichen Merkmals „in Ausübung des Dienstes“ bei Unfällen des Beamten
befasst hat, die sich während der Dienstzeit in dem Gebäude ereignen, in dem
der Beamte üblicherweise seinen Dienst zu verrichten hat (Dienstort). Dagegen
hat der Senat keine die Entscheidung tragenden Rechtssätze zu dem Bedeu-
tungsgehalt dieses Merkmals für Sachverhalte aufgestellt, die dem hier festge-
stellten, wesentlich anders gelagerten Sachverhalt vergleichbar sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Wert des Streitge-
genstandes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Albers Groepper Dr. Heitz
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtenversorgungsgesetz
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
BeamtVG
§ 31 Abs. 1 Satz 1
Stichworte:
Dienstunfall; Schullandheimaufenthalt; Notwendigkeit der Übernachtung; Kör-
perpflege; spezifisches örtliches Risiko.
Leitsatz:
Ein Unfall, den ein Lehrer im Schullandheim während des morgendlichen Du-
schens erleidet, geschieht jedenfalls dann „in Ausübung des Dienstes“ im Sinne
von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG, wenn der Lehrer aus dienstlichen Gründen
im Schullandheim übernachten muss und sich ein spezifisches örtliches Risiko
verwirklicht.
Beschluss des 2. Senats vom 26. Februar 2008 - BVerwG 2 B 135.07
I. VG Stuttgart vom 07.12.2005 - Az.: VG 17 K 951/04 -
II. VGH Mannheim vom 28.09.2007 - Az.: VGH 4 S 516/06 -