Urteil des BVerwG vom 05.02.2008, 2 B 127.07
Beamtenverhältnis, Begriff, Verwaltung, Polizei
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 127.07 OVG 21d A 3070/06.BDG
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und Groepper
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. August 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
1Die Beschwerde bleibt erfolglos. Weder beruht das angegriffene Urteil auf einer
Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 69 BDG), noch kommt der Sache
grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG).
21. Die von der Beklagten in erster Linie gerügte Divergenz liegt nicht vor. Eine
zur Zulassung der Revision nötigende Abweichung von einer Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts ist dann gegeben, wenn das Berufungsgericht in
Anwendung einer konkreten Norm des revisiblen Rechts einen tragenden
Rechtssatz aufstellt, der im Widerspruch zu einem zur selben Norm aufgestellten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts steht. Das ist hier nicht der Fall.
3Die Beklagte beanstandet, das Berufungsgericht hat außer Acht gelassen, dass
es nach den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Oktober
2005 - BVerwG 2 C 12.04 - (BVerwGE 124, 252 <259>) und vom 22. September 2006 - BVerwG 2 B 52.06 - (DÖD 2007, 187 f.) bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme auf die persönlichen Verhältnisse und das sonstige dienstliche Verhalten des Beamten vor, bei und nach dem Dienstvergehen ankomme.
Dies habe das Berufungsgericht missachtet. Zudem habe es das Persönlichkeitsbild der Beklagten und insbesondere deren wirtschaftliche Verhältnisse
nicht zureichend entlastend im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts berücksichtigt. Der für eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erforderliche tiefgreifende und letztlich restlose Verlust des für die
weitere Berufsausübung benötigten Vertrauens der Vorgesetzten und der Allgemeinheit lasse sich nicht feststellen.
4Mit diesen Ausführungen wird eine Divergenz nicht dargelegt, sondern allenfalls
deutlich gemacht, das Berufungsgericht habe die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Bemessungskriterien nicht fehlerfrei angewandt. In Disziplinarverfahren kann eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 69
BDG grundsätzlich nicht damit begründet werden, das Tatsachengericht habe
die be- und entlastenden Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß
§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG fehlerhaft gewürdigt und gewichtet (vgl. Beschluss vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07). Letztlich beanstandet die Beklagte die tatrichterliche Würdigung des Dienstvergehens, legt jedoch nicht dar,
dass sich das Berufungsgericht dabei von einem Maßstab habe leiten lassen,
der mit dem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten unvereinbar ist.
5Hiervon abgesehen trifft der Vorwurf auch in der Sache nicht zu. Das Berufungsgericht hat, wie seine Ausführungen auf Seite 16/17 der angegriffenen
Entscheidung zeigen, das Urteil des Senats vom 20. Oktober 2005 (a.a.O.)
ausdrücklich zur Kenntnis genommen und die darin aufgestellten Maßstäbe
nicht nur formal, sondern auch inhaltlich zur Grundlage seiner eigenen Rechtsfindung gemacht. Es hat die nach Lage der Dinge in Betracht zu ziehenden entlastenden Gesichtspunkte - lange beanstandungsfreie Dienstzeit, wirtschaftliche
Lage der Familie, dauernde Arbeitslosigkeit des Ehemanns, Einsicht und Reue
gegenüber dem zur Last gelegten Dienstvergehen, lasche Kontrolle durch die
Klägerin, angebliche Gedankenlosigkeit der Beklagten - nicht nur unter dem
hergebrachten Blickwinkel der „anerkannten Milderungsgründe“ gewürdigt,
sondern sich auch unter Lösung von diesem Begriff mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Würdigung dieser entlastenden Gesichtspunkte in ihrer
Gesamtheit die Prognose zu rechtfertigen vermag, die Beklagte habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren.
Das Berufungsgericht ist in tatrichterlicher Würdigung dieser Umstände zu dem
Ergebnis gekommen, dass diese Frage zu verneinen und die Beklagte deshalb
aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist. Da bereits das Verwaltungsgericht
- vom Ansatz her zutreffend - eine Gesamtwürdigung vorgenommen hatte, hat
es sich darauf beschränkt, die beiden Hauptgesichtspunkte, die im Vordergrund
der erstinstanzlichen Würdigung gestanden hatten, anders zu würdigen. Die
verbleibenden und weniger gewichtigen entlastenden Gesichtspunkte hat es mit
dem zusammenfassenden Satz gewürdigt: „Sonstige Gründe in der Person der
Beklagten, die eine Entfernung aus dem Dienst hier nicht angemessen erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich.“ In der Gesamtschau beider Entscheidungen und der jeweils zutreffenden Obersätze lässt sich bei dem gegebenen
Zusammenhang noch nicht feststellen, dass sich das Berufungsgericht bei der
Rechtsanwendung zu den eigenen Rechtssätzen (und denen des Bundesverwaltungsgerichts) in Widerspruch gesetzt hätte. Etwaige Unvollkommenheiten
oder Fehler bei der Anwendung der Rechtssätze auf den Einzelfall vermögen
jedenfalls eine Divergenz nicht zu begründen.
62. Der Sache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, was unter „Rest an Vertrauen in die Person des Beamten“ zu verstehen sei, ist keine
klärungsfähige Rechtsfrage. Ob trotz des festgestellten Dienstvergehens noch
ein Rest an Vertrauen in den Beamten besteht oder schon ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist, ist das Ergebnis einer Gesamtabwägung und
damit eine Frage der Würdigung des Einzelfalls. Die hierfür von § 13 BDG aufgestellten begrifflichen Voraussetzungen und anzuwendenden Bemessungsmaßstäbe sind bereits höchstrichterlich geklärt. Der Senat hat in mehreren Entscheidungen (vgl. Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O., vom 3. Mai 2007
- BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 und vom 24. Mai 2007
- BVerwG 2 C 25.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4) deutlich gemacht, dass
die prognostische Frage nach dem Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung die
Erwartung betrifft, der Beamte werde sich aus der Sicht des Dienstherrn und
der Allgemeinheit so verhalten, wie es von ihm in Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich (§ 54 Satz 3, § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG) erwartet
wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des
Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beam-
ter, daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der
Verwaltung, z.B. als Polizei- oder Zollbeamter, und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z.B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung
des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr
bei objektiver Betrachtung unter Würdigung des Gewichts des Dienstvergehens
in Auslegung aller festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch
darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig
pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen kann, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt
würde (vgl. Berufungsurteil S. 15 f.).
7Wenn § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis von
einem prognostisch zu beurteilenden endgültigen Vertrauensverlust durch ein
schweres Dienstvergehen abhängig macht, greift er die generell geltenden Bemessungskriterien des § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG - Schwere des Dienstvergehens - und des § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG - Umfang der Beeinträchtigung des
Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit - sowie als drittes Kriterium
für die Bestimmung einer Disziplinarmaßnahme das Persönlichkeitsbild des
Beamten auf. Diesen Anforderungen wird die fallbezogene Handhabung der
Bemessungskriterien des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG und damit die Prüfung
der Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG dann gerecht,
wenn die bereits in der bisherigen Disziplinarrechtsprechung unter Geltung der
Bundesdisziplinarordnung als bemessungserheblich eingestuften und auch in
§ 38 Abs. 1 WDO erwähnten Umstände einschließlich sogenannter Erschwerungs- und Milderungsgründe berücksichtigt werden.
8Einen hierüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
9Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben (§ 78 Abs. 1 Satz 1 BDG).
Albers Dr. Müller Groepper
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5 C 19.11 vom 10.01.2013
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