Urteil des BVerwG vom 07.10.2014

Rechtliches Gehör, Lebensgefahr, Haus, Brand

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 12.14
OVG 2 A 10479/13.OVG
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Oktober 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. Hartung
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 26. November 2013 wird zurückge-
wiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisions-
verfahren auf 1 211,42 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Der 1960 geborene Kläger war bis zu seiner Zurruhesetzung mit Ablauf des
30. Juni 2012 als Feuerwehrbeamter in der Berufsfeuerwehr der Beklagten tä-
tig, zuletzt im Range eines Brandmeisters. Beim Brand eines Mehrfamilien-
wohnhauses am 3. Februar 2008 war der Kläger als Maschinist an einer der
Drehleitern eingesetzt. Außerdem half er, ein sog. Sprungpolster unmittelbar
vor das brennende Haus zu tragen. Bei dem Brandereignis kamen mehrere
Menschen zu Tode oder wurden verletzt, weil sie - offenbar in Panik - beim
Sprung aus dem Haus das Sprungpolster verfehlten bzw. in das (noch) nicht
einsatzbereite Sprungpolster sprangen.
Nach dem Brandereignis leistete der Kläger zunächst weiterhin Dienst. Seit Au-
gust 2008 war er nach einer im Dienst erlittenen Handverletzung dienstunfähig
erkrankt. Im März 2009 erkannte die Beklagte eine posttraumatische Belas-
tungsstörung (PTBS) als Dienstunfallschaden an. Über einen inzwischen erfolg-
ten Widerruf dieses Anerkennungsbescheides ist noch nicht bestandskräftig
entschieden.
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Mit Wirkung ab Dezember 2011 stellte die Beklagte die Zahlung der Zulage für
den Dienst zu ungünstigen Zeiten ein, weil die Weitergewährung einen Dienst-
unfall voraussetze, bei dem für den Beamten eine besondere Lebensgefahr
bestanden habe (vgl. § 4a Abs. 1 EZulV, § 37 Abs. 1 BeamtVG). Dies sei bei
dem erwähnten Brandereignis nicht der Fall gewesen. Widerspruch, Klage und
Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht hat - nach Durchführung einer Beweisaufnahme -
zur Begründung im Wesentlichen darauf abgehoben, der Kläger habe sich bei
dem Brandereignis nicht einer besonderen Lebensgefahr i.S.v. § 37 Abs. 1
Satz 1 BeamtVG ausgesetzt, als er mitgeholfen habe, das Sprungpolster vor
das brennende Haus zu ziehen; vielmehr habe er sich danach sofort wieder an
seinen relativ sicheren Platz an der Drehleiter begeben.
2. Die Revision ist nicht wegen der von der Beschwerde geltend gemachten
grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob sich ein Beamter i.S.d. § 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG
bei Ausübung einer Diensthandlung einer damit verbun-
denen besonderen Lebensgefahr nur dann aussetzt, wenn
er sich in diese Lebensgefahr begibt und sodann in dieser
gefährlichen Lage verbleibt, oder ob das Tatbestands-
merkmal des Sichaussetzens auch dann erfüllt ist, wenn
sich der Beamte sodann aus der Gefahrenzone entfernt.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine - vom Be-
schwerdeführer zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall
erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich
nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder
der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Dies ist
nicht der Fall, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage bereits vorliegender
bundesgerichtlicher Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mithilfe der
üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr; Be-
schlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>
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und vom 13. Dezember 2013 - BVerwG 2 B 79.13 - NVwZ-RR 2014, 397
Rn. 7).
Hiernach wirft die Beschwerde keine neue grundsätzlich klärungsbedürftige
Rechtsfrage auf, sondern wendet sich gegen die den Senat gemäß § 137
Abs. 2 VwGO bindende Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsge-
richts im Einzelfall.
Im Übrigen sind die maßstäblichen Voraussetzungen eines sog. qualifizierten
Dienstunfalls i.S.v. § 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. Urteil vom 13. Dezember
2012 - BVerwG 2 C 51.11 - Buchholz 239.1 § 37 BeamtVG Nr. 4 Rn. 10 ff.
m.w.N.). Hiernach erfordert § 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG zunächst in objektiver
Hinsicht eine Diensthandlung, mit der für den Beamten typischerweise eine be-
sondere, über das übliche Maß der Lebens- oder nur Gesundheitsgefährdung
hinausgehende Lebensgefahr verbunden ist. Die Gewährung eines erhöhten
Unfallruhegehalts setzt damit eine Dienstverrichtung voraus, die bei typischem
Verlauf das Risiko entsprechender Verletzungen in sich birgt, sodass deren Ein-
tritt als Realisierung der gesteigerten Gefährdungslage und nicht als Verwirkli-
chung eines allgemeinen Berufsrisikos erscheint (vgl. Urteil vom 8. Oktober
1998 - BVerwG 2 C 17.98 - Buchholz 239.1 § 37 BeamtVG Nr. 2 S. 2). Ob die
Diensthandlung für das Leben des Beamten eine solche Gefahr begründet hat,
erfordert eine wertende Betrachtung der Umstände des konkreten Einzelfalls
(Urteil vom 12. April 1978 - BVerwG 6 C 59.76 - Buchholz 232 § 141a BBG
Nr. 4 S. 4 und Beschluss vom 30. August 1993 - BVerwG 2 B 67.93 - juris
Rn. 6). Weiter ist für die Annahme eines qualifizierten Dienstunfalls erforderlich,
dass der Beamte sich der Gefährdung seines Lebens bewusst ist; dieses Be-
wusstsein folgt in aller Regel bereits aus der Kenntnis der die Gefahr begrün-
denden objektiven Umstände (Urteil vom 13. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 13 ff.).
Diese Rechtsgrundsätze liegen dem Berufungsurteil zugrunde, wie die rechtli-
che Würdigung des festgestellten Sachverhalts durch das Oberverwaltungsge-
richt belegt.
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3. Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die Revision auch nicht wegen
der von der Beschwerde behaupteten Divergenz zuzulassen ist (§ 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO).
Eine Divergenz in diesem Sinne setzt voraus, dass die Beschwerde einen in-
haltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten
Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung tra-
genden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen
hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied
über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines
Rechtsgrundsatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unter-
bliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in
seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt hierfür nicht (stRspr; vgl. Be-
schlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14 f. = NJW 1997, 3328 und vom 9. April 2014
- BVerwG 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 3).
Ein solcher prinzipieller Auffassungsunterschied zu dem von der Beschwerde
angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2012
(a.a.O. Rn. 10) ist dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen. Vielmehr hat das
Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Würdigung der Umstände des konkre-
ten Streitfalls darauf abgestellt, dass sich der Kläger bei dem Brand vom 3. Fe-
bruar 2008 keiner besonderen Gefahr i.S.v. § 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG „aus-
gesetzt“ habe, weil er sich nach dem Aufstellen des Sprungpolsters an seinen
Einsatzort an der Drehleiter begeben und von dort das Geschehen beobachtet
habe. Darin unterscheide sich der Fall des Klägers von dem seines Kollegen,
der versucht habe, unter Einsatz seines Lebens das Sprungpolster funktionsfä-
hig zu machen. Dieser Einzelfallwürdigung kann - entgegen der Ansicht der Be-
schwerde - nicht die Aussage des Oberverwaltungsgerichts entnommen wer-
den, dass die eingangs dargestellten Rechtsgrundsätze um ein einschränken-
des Kriterium zu ergänzen seien, nämlich dass der Betroffene sich nicht wieder
aus dem Gefahrenbereich entfernen dürfe. Vielmehr ist das Oberverwaltungs-
gericht zutreffend davon ausgegangen, dass die gesteigerte Gefährdungslage
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i.S.v. § 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG mehr als nur einen kurzen, nach Lage der
Dinge nicht ins Gewicht fallenden Moment bestanden haben muss.
4. Eine Zulassung der Revision wegen des von der Beschwerde geltend ge-
machten Verfahrensmangels einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf
rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2, § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3 VwGO) schei-
det ebenfalls aus.
Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht hätte den Kläger darauf hinwei-
sen müssen, dass es beabsichtige, das Vorliegen eines qualifizierten Dienstun-
falls deshalb zu verneinen, weil es an einer mit dem Einsatz an dem Sprung-
polster verbundenen objektiven Lebensgefahr fehle. Dieser Aspekt habe zuvor
im gesamten Verfahren keine Rolle gespielt. Da ein solcher Hinweis weder vor
noch in der mündlichen Verhandlung erfolgt sei, liege ein Gehörsverstoß in Ge-
stalt einer Überraschungsentscheidung vor. Dieser Vorwurf ist unberechtigt.
Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung folgt aus dem Anspruch
auf rechtliches Gehör auch in der Ausprägung, die er in § 86 Abs. 3 und § 104
Abs. 1 VwGO gefunden hat, keine Pflicht des Gerichts zur umfassenden Erörte-
rung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte. Insbesondere muss das
Gericht die Beteiligten nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beab-
sichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und
rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung
ergibt (stRspr; vgl. etwa Urteil vom 13. Mai 1976 - BVerwG 2 C 26.74 - Buch-
holz 237.4 § 35 HmbBG Nr. 1 Orientierungssatz 6 und S. 16; Beschluss vom
28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO
Nr. 51 S. 2 m.w.N.). Etwas anders gilt allerdings dann, wenn das Gericht seine
Entscheidung auf Anforderungen an den Sachvortrag oder auf sonstige rechtli-
che Gesichtspunkte stützen will, mit denen auch ein gewissenhafter und kundi-
ger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Be-
rücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen
brauchte (stRspr; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 -
BVerfGE 84, 188 <190> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86,
133 <144 f.>).
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Hieran gemessen liegt eine gehörsverletzende Überraschungsentscheidung
nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat - wie schon zuvor das Verwaltungs-
gericht - im Rahmen einer Beweisaufnahme zwei Feuerwehrbeamte als Zeugen
zum Ablauf des Feuerwehreinsatzes vom 3. Februar 2008 angehört und zudem
(weitere) Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens einer besonde-
ren Lebensgefahr eingeholt, die von den Gutachtern in der mündlichen Ver-
handlung erläutert wurden. Auch die Frage der kurzen Verweildauer des Klä-
gers am Sprungpolster wurde in der Beweisaufnahme thematisiert (vgl. Sit-
zungsprotokoll S. 12: „Auch wenn sich der Kläger <…> nur kurze Zeit an dem
Sprungpolster aufgehalten haben sollte <…>“). Damit mussten der Kläger und
sein Prozessbevollmächtigter damit rechnen, dass die sich aus dieser Beweis-
aufnahme ergebenden Einzelheiten des Feuerwehreinsatzes und dessen Schil-
derung durch den Kläger im Rahmen seiner medizinischen Exploration für den
Ausgang des Rechtsstreits entscheidungserheblich sein würden. Zu welchem
Ergebnis diese Beweisaufnahme führen und welche Umstände dabei für das
Oberverwaltungsgericht letztlich entscheidend sein würden, war naturgemäß
nicht absehbar. Das Berufungsgericht war auch nicht gehalten, vor der maß-
geblichen Schlussberatung seine vorläufige Beweiswürdigung vorab den Betei-
ligten mitzuteilen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des
Werts des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52
Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
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