Urteil des BVerwG vom 26.03.2012

Beamtenverhältnis, Erlass, Eugh, Versorgung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 11.12
OVG 6 A 3/11
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und Dr. Hartung
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Novem-
ber 2011 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdever-
fahren wird auf die Wertstufe bis 30 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die 1959 geborene Klägerin absolvierte nach einem Studium der Fächer
Deutsch und Geografie Ausbildungen zur Verkäuferin und im Bäckereihand-
werk. Nach dem Vorbereitungsdienst legte sie 1989 die zweite Staatsprüfung
ab und arbeitete bis 1992 als Verkäuferin. Zwischen 1992 und 1995 war sie als
Lehrerin beim Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands e.V. tätig. Seit Febru-
ar 1995 steht sie in einem Angestelltenverhältnis im öffentlichen Schuldienst
des beklagten Landes. Sie ist Mutter eines Kindes. In den Jahren 2000 und
2002 beantragte sie erfolglos die Übernahme ins Beamtenverhältnis. Im April
2009 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Übernahme in das Beamten-
verhältnis. Die Bezirksregierung Münster lehnte dies durch Bescheid vom
7. September 2009 ab, weil sie die Höchstaltersgrenze von 40 Jahren gem. § 6
Abs. 1 und § 52 Abs. 1 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im
Lande Nordrhein-Westfalen in der seit dem 18. Juli 2009 geltenden Fassung
(LVO NRW n.F.) überschritten habe. Das Verwaltungsgericht verpflichtete den
Beklagten zur Neubescheidung, weil der angegriffene Bescheid wegen fehlen-
der Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten formell fehlerhaft sei und der
Klägerin ein Einstellungsanspruch auf der Grundlage der Härtefallregelung des
§ 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW n.F. zustehe. Das Oberverwaltungsgericht
änderte dieses Urteil und wies die Klage ab.
Die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen führen unabhängig von
der Frage, ob die Beschwerde in vollem Umfang den Darlegungserfordernissen
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des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt, nicht zur Zulassung der Revision. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO), die die Klägerin ihr zumisst.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine abstrakte, in
dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer
über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechts-
fortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraus-
setzungen sind insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine von der Beschwerde
aufgeworfene Frage bereits geklärt ist, auf Grund des Gesetzeswortlauts mit
Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der
einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens
beantwortet werden kann oder wenn sie nur einzelfallbezogen zu beantworten
ist und deshalb keine allgemeine Bedeutung hat.
Dies gilt auch für die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen.
1. Die Frage,
„Ist in Verfahren, in denen über die Frage zu entscheiden
ist, ob der dortige Kläger einen Anspruch auf Übernahme
in das Beamtenverhältnis auf Probe - oder zumindest auf
Neubescheidung seines entsprechenden Antrages - hat,
vor dem Hintergrund des Grundrechts aus Art. 33 Abs. 2
GG und dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG
für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den
Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger oder auf
den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw.
der gerichtlichen Entscheidung abzustellen?“
ist auf der Grundlage der Rechtsprechung im letztgenannten Sinne zu beant-
worten.
Der Erfolg einer Klage, mit der ein Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts
oder auf erneute Entscheidung darüber geltend gemacht wird, richtet sich nach
dem materiellen Recht, dass zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auf
den Sachverhalt anzuwenden ist. Aufgrund der Bindung an Gesetz und Recht
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(Art. 20 Abs. 3 GG) haben die Gerichte bei der Beurteilung von Verpflichtungs-
und Neubescheidungsbegehren Rechtsänderungen zu beachten, die während
des behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens in Kraft getreten sind, sofern
das neue, zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltende Recht nichts
anderes bestimmt. Durch seine Auslegung ist zu ermitteln, ob Verpflichtungs-
und Neubescheidungsbegehren für bestimmte Fallkonstellationen noch nach
dem aufgehobenen oder inhaltlich geänderten Recht zu beurteilen sind (stRspr;
vgl. Urteile vom 31. März 2004 - BVerwG 8 C 5.03 - BVerwGE 120, 246 <250>
und vom 24. Juni 2004 - BVerwG 2 C 45.03 - BVerwGE 121, 140 <143 f.>).
Dies gilt auch dann, wenn die Verwaltung den Erlass des beantragten Verwal-
tungsakts rechtswidrig abgelehnt hat, diese Entscheidung aber von einer da-
nach in Kraft getretenen Rechtsänderung gedeckt wird. Auch hier kann das
Verwaltungsgericht die Verwaltung nur dann zum Erlass des Verwaltungsakts
oder zur erneuten Entscheidung darüber verurteilen, wenn das neue Recht für
diese Fälle die Anwendung des alten Rechts anordnet oder einen Anspruch für
derartige Fälle (sog. Folgenbeseitigungslast) einräumt (stRspr, vgl. Urteile vom
17. Dezember 1954 - BVerwG 5 C 97.54 - BVerwGE 1, 291 <295 f.>, vom
6. März 1987 - BVerwG 8 C 65.84 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 99 S. 2, vom
18. Juni 1998 - BVerwG 2 C 20.97 - Buchholz 237.7 § 15 NWLG Nr. 2 S. 2 und
vom 24. Juni 2004, a.a.O. S. 143 f.).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen sind die Regelungen über die Höchstalters-
grenze für Lehrer in der Nordrhein-Westfälischen Laufbahnverordnung in der
Fassung vom 30. Juni 2009 auf alle Anträge auf Einstellung oder Übernahme in
das Beamtenverhältnis auf Probe anwendbar, die zum Zeitpunkt des Inkrafttre-
tens dieser Rechtsverordnung am 18. Juli 2009 nicht bestandskräftig beschie-
den waren. Denn die Neuregelung enthält keine Übergangsregelung oder sonst
eine Anordnung, mit der für bestimmte Fallkonstellationen die Anwendung älte-
ren Rechts oder eine Entscheidung ohne Zugrundelegung eines Einstellungs-
höchstalters angeordnet würde.
2. Auch die weitere Frage, ob
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„sich aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG die Verpflich-
tung eines Trägers hoheitlicher Gewalt , über
einen Antrag eines Bürgers auf Übernahme in das Beam-
tenverhältnis zeitnah unter Anlehnung an die in § 75
VwGO genannte Frist von 3 Monaten zu entscheiden“,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, da sie sich ohne weiteres beant-
worten lässt. Selbstverständlich ist der Dienstherr verpflichtet, über die an ihn
gerichteten Anträge auf Erlass eines Verwaltungsakts - hier: die Übernahme in
eine Probebeamtenverhältnis - zügig zu entscheiden. Nach dem Rechtsgedan-
ke des § 75 VwGO kann innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung eine
Entscheidung über einen derartigen Antrag grundsätzlich erwartet werden,
wenn der Antragsteller alles ihm Obliegende getan hat, der Behörde eine hin-
reichende Entscheidungsgrundlage an die Hand zu geben. Dies gilt allerdings
nicht, wenn zureichende Gründe für eine Verzögerung der Entscheidung vorlie-
gen. Bei der Entscheidung über das Vorliegen eines zureichenden Grundes
sind alle Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen. Grundsätzlicher
Klärungsbedarf, der die Durchführung eines Revisionsverfahrens rechtfertigen
könnte, besteht zu dieser Frage allerdings nicht, da es vom jeweiligen Einzelfall
abhängt, ob derartige Gründe vorliegen. Ob es regelmäßig als zureichender
Grund für eine verzögerte Entscheidung gelten kann, wenn eine Änderung der
maßgeblichen normativen Entscheidungsgrundlagen zu erwarten ist oder ob
- insbesondere wenn die erwartete Gesetzesänderung für den Antragsteller ne-
gativ ausfallen wird - im Gegenteil ein Anspruch auf zügige Entscheidung noch
nach altem Recht besteht, muss hier nicht entschieden werden, da jedenfalls im
vorliegenden Fall über diesen Aspekt hinaus besondere Umstände vorlagen.
Denn die Änderungsverordnung wurde bereits am 30. Juni 2009 und damit vor
Ablauf von drei Monaten nach dem Antrag der Klägerin (7. April 2009) erlassen,
auch wenn sie erst im Juli 2009 in Kraft trat.
3. Schließlich bedarf es einer Zulassung der Revision auch im Hinblick auf die
von der Beschwerde aufgeworfene Frage zum Recht der Europäischen Union
nicht, da sie sich auf dem Boden der Senatsrechtsprechung und der Recht-
sprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter Einschluss der von
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der Beschwerde angeführten Judikate beantworten lässt und da es einer Vorla-
ge an den Gerichtshof insoweit nicht bedarf.
Höchstaltersgrenzen für den Zugang zu einem Beruf stellen eine Ungleichbe-
handlung wegen des Alters dar, die zulässig sein kann, wenn sie objektiv und
angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist (Art. 1, Art. 2 Abs. 1
und Abs. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates der
Europäischen Union vom 27. November 2000 - RL - ABl. EG Nr. L 303/16; § 7
i.V.m. § 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie § 3 Abs. 1 Satz 1 des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes vom 14. August 2006 - AGG < BGBl. I S. 1897>).
Derartige Ziele können sich insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungs-
politik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung ergeben; daneben kommt jedes wei-
tere sozialpolitische Ziel in Betracht (EuGH, Urteil vom 13. September 2011
- C-447/09, Prigge u.a. - NJW 2011, 3209 ). Die Mitgliedstaaten verfü-
gen über einen weiten Spielraum bei der Wahl der Maßnahmen, die sie zur Er-
reichung eines legitimen Ziels für erforderlich halten; sie können sich auf politi-
sche, wirtschaftliche, soziale, demografische und fiskalische Erwägungen stüt-
zen, auch wenn letztere für sich allein nicht ausreichen (EuGH, Urteil vom
21. Juli 2011 - C-159 und 160/10, Fuchs und Köhler - NVwZ 2011, 1249
). Die Angemessenheit und Erforderlichkeit einer Maß-
nahme ist nachgewiesen, wenn sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht un-
vernünftig erscheint und auf Beweismittel gestützt ist, deren Beweiskraft das
nationale Gericht zu beurteilen hat (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011, a.a.O.,
Rn. 84).
Das Interesse des Dienstherrn an einem ausgewogenen Verhältnis von Le-
bensdienstzeit und Ruhestand der Beamten stellt ein legitimes Ziel in diesem
Sinne dar. Die Berechtigung dieser Erwägung ergibt sich aus dem Zusammen-
hang zwischen der Dienstleistung der Beamten und den Versorgungsleistungen
im Ruhestand. Beamte erdienen die lebenslang zu gewährende Versorgung
aus dem letzten Amt während ihrer aktiven Dienstzeit. Die unionsrechtliche An-
erkennung des Interesses an einer adäquaten Lebensdienstzeit wird durch
Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c RL (§ 10 Satz 2 Nr. 3 AGG) belegt, wonach Un-
gleichbehandlungen wegen des Alters insbesondere die Festlegung eines
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Höchstalters für die Einstellung auf Grund der Notwendigkeit einer angemesse-
nen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand einschließen können.
Eine Höchstaltersgrenze für den Zugang zum Beamtenverhältnis stellt daher
dem Grunde nach ein geeignetes und erforderliches Mittel dar, um eine ange-
messene, die Versorgung rechtfertigende Lebensdienstzeit sicherzustellen. Die
auch unionsrechtlich geforderte Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung
wird dadurch sichergestellt, dass die Höchstaltersgrenze bei anerkannten und
normativ fixierten, insbesondere bei familiären und gemeinnützigen Verzöge-
rungsgründen in angemessenem Umfang überschritten werden darf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts beruht für das Beschwerdeverfahren auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie
§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG.
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