Urteil des BVerwG vom 15.07.2010

Prüfer, Wiederholung, Befangenheit, Entscheidungskompetenz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 104.09
VGH 4 S 1071/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juli 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 16. Februar 2009 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdever-
fahren wird auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der Kläger begehrt die erneute Wiederholung der unterrichtspraktischen Prü-
fung im Rahmen der Zweiten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und
Hauptschulen, hilfsweise die Neubewertung seiner Prüfungsleistung. Er erhielt
auch in der Wiederholung der Prüfung im Fach Deutsch die Note 5,0 (mangel-
haft). Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zur erneuten Wiederholung
verpflichtet und dabei auf die Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder der
Prüfungskommission abgestellt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewie-
sen.
2. Der Kläger sieht im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG sinn-
gemäß als klärungsbedürftig an,
ob in der Begründung der Bewertung der Lehrprobe mit-
geteilt werden müsse, welche Bewertungsaspekte von
vorrangiger und welche von weniger entscheidender Be-
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deutung gewesen seien, wie diese im einzelnen bewertet
worden seien und auf welche Art und Weise hieraus die
Gesamtnote gebildet worden sei und
ob die Prüfungskommission der Bewertung der Lehrprobe
einen vorher feststehenden (abschließenden) Kriterienka-
talog zugrunde legen und diesen abhandeln müsse, der
dem Prüfling offen zu legen sei.
Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu ent-
scheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Inte-
resse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der
Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. Beschluss vom
2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310
§ 132 VwGO Nr. 18). Das ist hier nicht der Fall.
Die vom Kläger zum Begründungsumfang aufgeworfenen Fragen sind in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach erfordern es
das Grundrecht auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) und das Recht auf
effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG), dass die Prüfungskommission die
Bewertung einer berufsrelevanten Prüfungsleistung begründet und die tragen-
den Erwägungen darlegt, die zu ihrer Bewertung der Prüfungsleistung geführt
haben (Urteile vom 9. Dezember 1992 - BVerwG 6 C 3.92 - BVerwGE 91, 262 =
Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 307 und vom 6. September 1995 - BVerwG
6 C 18.93 - BVerwGE 99, 185 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 356,
stRspr, jeweils m.w.N.). Der Grundrechtsschutz umfasst daher einen
Informationsanspruch des Prüflings, der sich auf eine angemessene Begrün-
dung der Prüfungsentscheidung richtet, das heißt auf die Bekanntgabe der we-
sentlichen Gründe, mit denen der Prüfer zu einer bestimmten Bewertung der
Prüfungsleistungen gelangt ist. Die maßgeblichen Gründe müssen zwar nicht in
allen Einzelheiten, aber doch in den für das Ergebnis ausschlaggebenden
Punkten erkennbar sein (Urteile vom 9. Dezember 1992 a.a.O. und vom
6. September 1995 a.a.O., jeweils m.w.N.).
Bei der Bewertung einer mündlichen Prüfungsleistung ist den besonderen Be-
dingungen, die eine solche Prüfung wesentlich von schriftlichen Prüfungen un-
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terscheiden, angemessen Rechnung zu tragen. Deshalb hängt der konkrete
Inhalt des Anspruchs auf eine Begründung und damit korrespondierend die
Pflicht der Prüfer, ihre Bewertungen der Prüfungsleistungen zu begründen, da-
von ab, ob der Prüfling eine solche Begründung verlangt, wann er dies tut, mit
welchem konkreten Begehren und mit welcher Begründung. Daraus folgt, dass
die Begründung der Bewertung mündlicher und berufspraktischer Prüfungsleis-
tungen - soweit eine spezielle normative Regelung fehlt - nach Form, Zeitpunkt,
Umfang und Inhalt auf unterschiedliche Weise geschehen kann (stRspr, vgl.
Urteile vom 6. September 1995 a.a.O., vom 16. April 1997 - BVerwG 6 C 9.95 -
Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 382, vom 24. Februar 2003 - BVerwG 6 C
22.02 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 403 m.w.N.; Beschluss vom 20. Mai
1998 - BVerwG 6 B 50.97 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 389).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen hängt die Beantwortung der ersten Teilfrage
zum Begründungsumfang bei der Bewertung der Lehramtsprobe von den tat-
sächlichen Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich deshalb einer revi-
sionsgerichtlichen Klärung in Gestalt weiterer verallgemeinerungsfähiger und
fester Regeln.
Die zweite Teilfrage ist dahingehend zu beantworten, dass es, solange norma-
tive Regelungen nicht bestehen, keinen darüber hinausgehenden Anspruch auf
im Voraus feststehende Bewertungsregeln in Gestalt eines abschließenden
Kriterienkatalogs gibt. Der Kläger hat zwar - als unselbständigen verfahrens-
rechtlichen Bestandteil seines materiellrechtlichen Anspruchs auf eine recht-
mäßige Bewertung seiner Prüfungsleistungen - einen Anspruch auf Bekannt-
gabe der Gründe, die die einzelnen Prüfer und sodann den Prüfungsausschuss
als Kollegium dazu bewogen haben, seine Prüfungsleistung insgesamt mit dem
Ergebnis „nicht bestanden“ zu bewerten. Denn der Prüfling muss diejenigen
Informationen erhalten, die er benötigt, um feststellen zu können, ob die rechtli-
chen Vorgaben und Grenzen der Prüfung, insbesondere der Beurteilung seiner
Leistungen, eingehalten worden sind (vgl. zum Ganzen: Urteile vom 24. Febru-
ar 1993 - BVerwG 6 C 35.92 - BVerwGE 92, 132 = Buchholz 421.0 Prüfungs-
wesen Nr. 313, vom 6. September 1995 - BVerwG 6 C 18.93 - BVerwGE 99,
185 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 356, vom 16. April 1997 a.a.O. und
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vom 4. Februar 2003 a.a.O., je m.w.N.). In welcher Form dies geschieht, insbe-
sondere, ob es einen vorher feststehenden Bewertungskatalog geben muss
oder kann, ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben; ein Anspruch auf eine
normative Regelung im vom Kläger gewünschten Sinne besteht nicht.
3. Weiter hält der Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam, welche Gren-
zen bei Prüfungsentscheidungen für das Nachschieben von wesentlich neuen
Begründungsteilen im Widerspruchsverfahren bestehen, die in ihrem Negativ-
gewicht deutlich von den bisherigen nach unten abweichen.
Auch diese Rechtsfrage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie
bereits geklärt ist und zudem einen so vom Berufungsgericht nicht festgestellten
Sachverhalt unterstellt. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der
höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991
- 1 BvR 419/81 u.a. BVerfGE 84, 34; BVerwG, Urteile vom 9. Dezember 1992
a.a.O. und vom 24. Februar 1993 - BVerwG 6 C 35.92 - BVerwGE 92, 132)
ausgeführt, dass die Prüfer sich im Rahmen des Überdenkensprozesses mit
den Einwänden des Prüflings auseinandersetzen und, soweit die Einwände
berechtigt sind, ihre Bewertung korrigieren müssen. Kommen sie dabei zu dem
Ergebnis, dass ihre erste Bewertung weiterhin zutreffend ist, haben sie die da-
für maßgeblichen Gründe mitzuteilen, wobei die Gründe erkennbar aus dem
Bewertungsvorgang und der Kritik des Prüflings an ihm hergeleitet sein und aus
Gründen der Chancengleichheit weiterhin den bisherigen Bewertungskriterien
entsprechen müssen (vgl. Urteile vom 9. Dezember 1992 a.a.O., vom 24. Feb-
ruar 1993 - BVerwG 6 C 38.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 314 und
vom 14. Juli 1999 - BVerwG 6 C 20.98 - BVerwGE 109, 211 = Buchholz 421.0
Prüfungswesen Nr. 396; Beschluss vom 11. Juni 1996 - BVer-
Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 368 S. 141, 142).
Hiervon ausgehend hat das Berufungsgericht tragend darauf abgestellt, dass
die Stellungnahme der Prüfungskommission über eine Konkretisierung der ur-
sprünglichen Begründung in diesem Sinne nicht hinausgeht. Zu dieser Würdi-
gung ist es durch Auslegung der in der Stellungnahme angeführten Gründe
gelangt. An diese Auslegung ist das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2
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VwGO gebunden. Die Beschwerde legt nicht dar, dass die Würdigung des Be-
rufungsgerichts auf einer unzutreffenden oder unzureichenden Feststellung der
entscheidungserheblichen Tatsachen oder auf einem Verstoß gegen gesetzli-
che Auslegungsregeln, allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze beruht.
Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nur vor, wenn eine Schlussfolgerung
aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann. Es reicht nicht
aus, dass das Gericht andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung
eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen. Dies gilt selbst
dann, wenn die von diesem favorisierte Schlussfolgerung näher liegen sollte als
diejenige des Gerichts (Beschluss vom 26. Februar 2008 - BVerwG 2 B
122.07 - ZBR 2008, 257 <260> insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 235.1
§ 55 BDG Nr. 2).
4. Schließlich sieht es der Kläger sinngemäß als grundsätzlich klärungsbedürftig
an, ob das Prüfungsamt neben der für das Überdenken der Prüfungsentschei-
dung ausschließlich zuständigen Prüfungskommission eine eigenständige
fachbezogene Entscheidungskompetenz habe, mit der es die Einwände des
Prüflings daraufhin überprüfe, ob diese substantiiert seien. Daraus ergebe sich
die weitere Frage, ob die Prüfungsbehörde im Überdenkensverfahren im We-
sentlichen auf eine rein organisatorische Tätigkeit beschränkt sei und ob Hin-
weise an die Prüfungskommission, mit denen dieser in fachlichen Fragen
Schwerpunkte im Überdenkensverfahren vorgegeben werden, daher die Be-
sorgnis der Befangenheit auslösten.
Auch diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Sie sind klä-
rungsfähig, weil sie - im Gewand der Grundsatzrüge - in Wahrheit gegen die
Sachverhalts- und Beweiswürdigung gerichtet sind und einen Sachverhalt vor-
aussetzen, den der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt hat. Einen Rechts-
satz, das Prüfungsamt habe neben der für das Überdenken der Prüfungsent-
scheidung ausschließlich zuständigen Prüfungskommission eine eigenständige
fachbezogene Entscheidungskompetenz, hat das Berufungsgericht nicht einmal
sinngemäß aufgestellt. Das Berufungsgericht hat vielmehr im Einklang mit der
höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgeführt, dass das Prüfungsamt eine
verfahrensrechtliche bzw. organisatorische Stellung im Verfahren des Über-
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denkens habe. Es obliege ihm u.a. zu gewährleisten, dass die substantiierten
Einwände den Prüfern zugeleitet werden und sich diese mit ihnen auseinander-
setzen (vgl. Urteil vom 24. Februar 1993 a.a.O. m.w.N.). Diese Aufgabe er-
mächtige das Prüfungsamt auch, die Einwendungen des Prüflings daraufhin zu
überprüfen, ob sie völlig substanzlos seien oder nicht, da nur substantiierte Ein-
wendungen das Überdenkensverfahren auslösten (vgl. Urteile vom 24. Februar
1993 a.a.O., vom 30. Juni 1994 - BVerwG 6 C 4.93 - Buchholz 421.0 Prü-
fungswesen Nr. 334 und vom 4. Februar 2003 a.a.O., jeweils m.w.N.). Aller-
dings sei das Prüfungsamt nicht befugt, in größerem Umfang vorgebrachte
Einwendungen, die nur in Teilen substantiiert seien, in dem Sinne „vorzustruk-
turieren“, dass es die substantiierten Einwände herausfiltere und diese isoliert
der Prüfungskommission vorlege. Es habe in einem solchen Fall vielmehr die
gesamten Einwendungen der Kommmission zuzuleiten.
Weiter hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass das Prüfungsamt bei einer
solchen Zuleitung die ihm wichtig erscheinenden Punkte markieren könne,
wenn dies in neutraler Form und mit dem Hinweis darauf geschehe, dass sich
das Überdenken nicht auf die markierten Punkte zu beschränken habe. Denn
diese fachliche Kompetenz komme ihr nicht zu. Es sei allein Aufgabe der Prüfer
aufgrund der Einwendungen des Prüflings die Prüfungsentscheidung zu über-
denken. Damit hat es keinen Rechtssatz aufgestellt, der die Zulassung der Re-
vision wegen der letzten (weiteren) als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fra-
ge rechtfertigt. Mit dieser Frage wendet sich die Beschwerde abermals, ohne
zulässige Verfahrensrügen geltend zu machen, gegen die tatsächlichen Fest-
stellungen und die Würdigung der Umstände im Einzelfall durch das Beru-
fungsgericht, da sie entgegen dessen tatsächlicher Würdigung unterstellt, die
Hinweise des Prüfungsamts seien als Vorgabe fachlicher Schwerpunkte an die
Prüfungskommission zu verstehen gewesen. Die Würdigung im Einzelfall kann
aber nicht mit der Grundsatzrüge beanstandet werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes folgt für das Beschwerdeverfahren aus § 47 Abs. 1 und 3 und § 52
Abs. 2 GKG.
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Thomsen
Dr. Maidowski
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