Urteil des BVerwG vom 21.04.2010

Dienstliches Verhalten, Mahnung, Beamtenverhältnis, Notlage

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 101.09
VGH DB 16 S 2045/08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. April 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Hartung
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beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Ba-
den-Württemberg vom 30. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
G r ü n d e :
Die auf einen Verfahrensmangel (§ 69 BDG, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ge-
stützte Beschwerde ist unbegründet. Die Prüfung des Senats ist auf fristgerecht
geltend gemachte Beschwerdegründe beschränkt.
Die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe seine Auffassung,
ungeachtet einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei dem Dienst-
vergehen sei die Entfernung des Beklagten aus dem Dienstverhältnis geboten,
auf einen Sachverhalt gestützt, der nicht Gegenstand der Klageschrift gewesen
sei. Dem von der Beschwerde zitierten Passus zufolge hatte der Beklagte die
ihm zur Last gelegten Diebstähle begangen, kurz nachdem er wegen Auffällig-
keiten im Zusammenhang mit der Absicht, sich Mehrwertsteuer unberechtigt
erstatten zu lassen, in einem Personalgespräch mit dem Vorsteher des Haupt-
zollamtes am 31. Januar 2003 eindringlich gemahnt worden sei, sich künftig
korrekt zu verhalten. Mithin sei eine kurz vor der Tat ergangene Mahnung sei-
nes Dienstvorgesetzten zu gesetzestreuem Verhalten erfolglos geblieben.
Schon diese Umstände ließen es für sich genommen als nahezu ausgeschlos-
sen erscheinen, Vorgesetzten und Kollegen auch unter Berücksichtigung einer
erheblich verminderten Schuldfähigkeit eine weitere Zusammenarbeit mit dem
Beklagten zuzumuten.
Die Rüge ist unbegründet.
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Richtig ist, dass der Gegenstand des gerichtlichen Disziplinarklageverfahrens
durch die Disziplinarklageschrift festgelegt wird (§ 60 Abs. 2 Satz 1 BDG). Hier-
gegen hat das Berufungsgericht jedoch nicht verstoßen. Der Versuch, sich un-
berechtigt Mehrwertsteuer erstatten zu lassen, ist nicht Gegenstand der Diszip-
linarklage gewesen und auch vom Berufungsgericht nicht als Dienstvergehen
gewertet worden, auf das die Entfernung des Beklagten aus dem Beamten-
verhältnis zu stützen war.
Nach der Rechtsprechung des Senats erfasst das Bemessungskriterium „Per-
sönlichkeitsbild des Beamten“ gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG dessen persönli-
che Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach
der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstverge-
hen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt
oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer
psychischen Ausnahmesituation davon abweicht. Hiermit steht in Einklang,
dass das Berufungsgericht auf den in der Einleitungsverfügung vom 20. Okto-
ber 2003 (Beiakte 5/S. 1) enthaltenen, an den Beklagten gerichteten Hinweis
zurückgekommen ist, er habe sich in der Zeit vor dem 31. Januar 2003 bei ei-
genen Einkäufen unberechtigt Bescheinigungen ausstellen lassen, um sich
später die Mehrwertsteuer erstatten zu lassen (Beiakte 5/S. 10). Es ist nicht ver-
fahrensfehlerhaft, dass auch das Berufungsgericht, wie zuvor schon der
Dienststellenleiter, diesem Gesichtspunkt Bedeutung beigemessen hat, auch
wenn er nicht in der Klageschrift aufgeführt war. Wie der Beklagte selbst vor-
trägt und wie sich im Übrigen auch aus den Feststellungen des Berufungsge-
richts ergibt, ist dem Beklagten dieser Sachverhalt in der mündlichen Verhand-
lung vor dem Senat vorgehalten und von ihm eingeräumt worden. Dass der
Vorhalt nicht protokolliert ist, ist ohne Bedeutung.
Die Klageschrift muss gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG die Tatsachen, in denen
ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismit-
tel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet und aus sich heraus
verständlich darstellen. Dies erfordert, dass Ort und Zeit der einzelnen Hand-
lungen möglichst genau angegeben sowie die Geschehensabläufe nachvoll-
ziehbar beschrieben werden (Urteil vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D
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1.06 - juris Rn. 14
druckt>; Beschluss vom 13. März 2006 - BVerwG 1 D 3.06 - Buchholz 235 § 67
BDO Nr. 1 Rn. 13). Damit ist nicht gesagt, dass sämtliche für die zu treffende
Maßnahme bedeutsamen Tatsachen und Umstände in der Klageschrift aufge-
führt sein müssen. Das Gericht ist vielmehr gehalten, von Amts wegen den ent-
scheidungserheblichen Sachverhalt zu ermitteln (§ 3 BDG, § 86 VwGO). Es hat
dabei den Beteiligten das rechtliche Gehör zu gewähren und darf sein Urteil nur
auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen sie sich äußern konn-
ten (§ 108 Abs. 2 VwGO). Das ist hier geschehen.
Hiervon abgesehen würde der von der Beschwerde gerügte Verfahrensfehler
auch nicht zur Zulassung der Revision führen, weil das angegriffene Urteil nicht
allein auf der zitierten Passage beruht. Wie den zitierten Ausführungen zu ent-
nehmen ist, hält das Berufungsgericht den ins Auge gefassten Gesichtspunkt
zwar „schon für sich genommen“ für ausreichend, um eine Fortsetzung des
Dienstverhältnisses als „nahezu ausgeschlossen erscheinen“ zu lassen.
Gleichwohl handelt es sich hierbei nur um eine weitere Erwägung, die selbst-
ständig, aber nicht allein tragend neben den Gesichtspunkt tritt, dass der Be-
klagte in mehreren Fällen und über einen längeren Zeitraum hinweg auf das
Geld seiner Kolleginnen zugegriffen und in einem Fall die Tat sogar durch den
Rat, das Geld in einen Geldbeutel zu tun, geplant vorbereitet hat. Dem Urteil ist
nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht anders entschieden hätte,
wenn es die erwähnte vorangegangene Mahnung des Beklagten nicht gegeben
hätte.
Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass, der Frage nachzugehen, wel-
che Grenzen § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dem Gericht bei der Verwertung des Ak-
teninhalts zieht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Der
Festsetzung eines Streitwerts bedarf es nicht, weil das gerichtliche Verfahren
kostenfrei ist (§ 78 Satz 1 i.V.m. § 85 Abs. 11 BDG).
Herbert
Groepper
Dr. Hartung
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