Urteil des BVerwG vom 16.10.2007

Rechtliches Gehör, Befangenheit, Briefkasten, Prozessvertreter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 101.07
BVerwG 2 B 20.07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Oktober 2007
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele und Groepper
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:
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Die Gegenvorstellung und die Anhörungsrüge der Klägerin
werden zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens der Anhö-
rungsrüge.
G r ü n d e :
Die Anhörungsrüge ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen.
1. Mit Schriftsatz vom 29. August 2007 erhob die Klägerin gegen den Beschluss
des Senats vom 2. August 2007 - BVerwG 2 B 20.07 - „Gegenvorstellung mit
Gehörsrüge, hilfsweise sonstige Rechtsmittel“ und beantragte, die Ent-
scheidung aufzuheben und ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu ge-
währen. Zudem lehnte sie sämtliche Richter, die an dem gerügten Beschluss
mitgewirkt haben, wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
In dem Beschwerdeverfahren - BVerwG 2 B 20.07 - hatte die Klägerin gegen
die Versäumung der Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
beantragt und zur Begründung u.a. geltend gemacht, der Prozessbevollmäch-
tigte habe die außerhalb der üblichen Geschäftszeiten in seinen Briefkasten
eingelegte Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses des Berufungsgerichts
erst am nächsten Tag gesehen und auch am nächsten Tag als zugestellt zur
Kenntnis nehmen müssen. Mit dieser Einlassung hat sich der Senat in seinem
Beschluss vom 2. August 2007 (a.a.O.) befasst und sie unter Hinweis auf die
neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zurückgewiesen. Mit ihrer
„Gegenvorstellung mit Gehörsrüge“ macht die Klägerin geltend, dieser Be-
schluss sei „irrational, rechts- und gesetzeswidrig“ und versage der Klägerin
das rechtliche Gehör. Denn auf den Fall seien die Vorschriften der §§ 178 und
180 ZPO (Ersatzzustellung) nicht anwendbar. Außerdem macht sie geltend, der
Senat hätte sie auf den zutreffenden Tag des Fristablaufes hinweisen müssen,
nachdem sie selbst dem Senat mitgeteilt habe, welchen Tag sie hierfür als
maßgeblich ansehe.
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2. Die Ablehnung des Vorsitzenden und der namentlich genannten weiteren
Richter ist offensichtlich unzulässig. Deshalb braucht über die Ablehnung nicht
förmlich entschieden zu werden (BVerfG, Beschlüsse vom 22. Februar 1960
- 2 BvR 36/60 -<3>, vom 2. November 1960 - 2 BvR 473/60 -
BVerfGE 11, 343 <348> und vom 15. Dezember 1986 - 2 BvE 1/86 - BVerfGE
74, 96 <100>). Auch in der Sache ist die Besorgnis der Klägerin, die beteiligten
Richter könnten befangen sein, unbegründet. Diese wäre nur dann begründet,
wenn die Klägerin die auf objektiv feststellbaren Tatsachen beruhende, subjek-
tiv vernünftigerweise mögliche Besorgnis hätte, die Richter würden über die
Anhörungsrüge nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen ent-
scheiden. Wird, wie hier, die Besorgnis der Befangenheit der Richter mit einer
bereits in einem vorausgegangenen Verfahren entstandenen Besorgnis der Be-
fangenheit begründet, kann die Besorgnis in dem laufenden Verfahren nur dann
begründet sein, wenn bei objektiver Betrachtung auf eine unsachliche
Einstellung der an dem vorausgegangenen Verfahren beteiligten Richter ge-
genüber einem Beteiligten geschlossen werden kann. Das ist hier nicht der Fall.
Denn die bloße Tatsache, dass das Gericht den Vortrag einer Partei anders
wertet, als diese es für richtig hält, begründet für sich allein nicht die Besorgnis
der Befangenheit. Eine andere Tatsache hat die Klägerin weder vorgetragen
noch ist sie sonst ersichtlich. Sie benennt vielmehr keine einzige Tatsache,
sondern bezeichnet den angegriffenen Beschluss lediglich als „irrational, rechts-
und gesetzeswidrig“ und der Klägerin das rechtliche Gehör versagend. Auch
daraus, dass die Klägerin sämtliche beteiligten Richter wegen der Besorgnis der
Befangenheit abgelehnt hat, muss die Schlussfolgerung gezogen werden, dass
sie allein die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung angreift. Ein solches
Befangenheitsgesuch ist rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam.
Über das Ablehnungsgesuch können daher die abgelehnten Richter selbst ent-
scheiden. Der Einschaltung anderer Richter bedarf es nicht. Der abgelehnte
Senatsvorsitzende wirkt an der Entscheidung über die Anhörungsrüge nicht mit,
weil er aus anderen Gründen verhindert ist.
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3. Die erhobene Gegenvorstellung ist als außerordentlicher Rechtsbehelf unzu-
lässig. Sie hat neben der Anhörungsrüge des § 152a VwGO, die die bisherigen
- in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht ausdrücklich geregelten - außeror-
dentlichen Rechtsbehelfe ersetzt hat, keinen Bestand.
4. Die Anhörungsrüge ist zwar zulässig, jedoch unbegründet; sie ist gemäß
§ 152a Abs. 4 Satz 2 VwGO zurückzuweisen.
Die durch Gesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3220, 3223) auch zur Ent-
lastung des Bundesverfassungsgerichts geschaffene Anhörungsrüge nach
§ 152a VwGO gewährt den Verfahrensbeteiligten in der Form eines außeror-
dentlichen Rechtsbehelfs (BTDrucks 15/3706 S. 22) die Möglichkeit fachge-
richtlicher Abhilfe für den Fall, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher
Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Die Klägerin sieht sich in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch ver-
letzt, dass der Senat den Vortrag unberücksichtigt gelassen habe, ihr Prozess-
bevollmächtigter habe keinen Grund oder Anlass gehabt, am 29. November
2006 noch nach 18:00 Uhr erneut in den Briefkasten zu schauen. Hätte der
Senat diesen Umstand berücksichtigt, hätte er den nächsten Tag als den zu-
treffenden Zustellungstag annehmen müssen.
Dieser Vortrag enthält keine begründete Gehörsrüge. Denn es kommt, wie be-
reits in dem gerügten Senatsbeschluss vom 2. August 2007 (a.a.O.) dargelegt,
nicht darauf an, ob der Prozessvertreter noch nach 18:00 Uhr Grund oder An-
lass gehabt hat, den Briefkasten einzusehen. Denn die Zustellung der Ent-
scheidung des Berufungsgerichts an den Prozessvertreter der Klägerin ist da-
von unabhängig gemäß § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 180 Satz 1 ZPO bereits
durch Einlegen in den Briefkasten erfolgt. Aus diesem Grund wurde auch dem
Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin nicht entsprochen.
Auch war der Senat aufgrund der Schriftsätze der Klägerin vom 29. Dezember
2006 und 20. Januar 2007 vor Ablauf der Begründungsfrist nicht gehalten, die
anwaltlich vertretene Klägerin über seine rechtliche Beurteilung des Fristenlaufs
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aufzuklären. Von einem Rechtsanwalt muss erwartet werden, dass er die ge-
setzlichen Verfahrensfristen eigenständig und ohne Hilfe des Gerichts berech-
nen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfest-
setzung bedarf es nicht, da sich die Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5400
der Anlage 1 zum GKG ergibt.
Dr. Kugele Groepper Thomsen
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