Urteil des BVerwG vom 21.02.2006

Probezeit, Beamtenverhältnis, Behandlung, Entlassung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 1.06
OVG 1 L 25/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. K u g e l e und G r o e p p e r
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Sachsen-Anhalt vom 13. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
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Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 30 469 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe der Divergenz und eines Verfahrensfehlers - § 132
Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO - gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Ohne Erfolg rügt die Klägerin als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO, das Berufungsgericht habe die Feststellung des Verwaltungsgerichts
nicht berücksichtigt, dass die Klägerin polizeidienstfähig sei.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit dieser Rüge einen Mangel bei der Aufklä-
rung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) oder einen Mangel bei der Überzeu-
gungsbildung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) beanstanden will. Der Man-
gel liegt jedenfalls nicht vor. Der Begriff der Polizeidienstfähigkeit gehört dem mate-
riellen Recht an. Die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit ist Sache des Dienst-
herrn. Ob die Beklagte diese Feststellung in zutreffender Weise getroffen hat - ob
also die Klägerin polizeidienstfähig war oder nicht -, konnten das Verwaltungsgericht
und das Berufungsgericht nur anhand der vorhandenen ärztlichen Gutachten beur-
teilen. Dass das Berufungsgericht hierbei zu einem anderen Ergebnis gelangt ist als
das Verwaltungsgericht, stellt als solches keinen Verfahrensfehler dar, sondern ist
Ausfluss des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Frage, ob die aus dem unstreitigen gesundheitlichen Befund der Klägerin abzu-
leitenden Folgerungen (erhöhtes Verletzungsrisiko bei roher Gewalt von Seiten ab-
zuwehrender Rechtsbrecher) den uneingeschränkten Einsatz der Klägerin bei der
Polizei ausschließen oder durch Maßnahmen wie etwa das Tragen einer Schutzwes-
te kompensiert werden können, ist letztlich keine medizinische Frage, sondern eine
dem Dienstherrn vorbehaltene Entscheidung, die einer weiteren sachverständigen
Begutachtung entzogen ist. Infolgedessen war das Berufungsgericht nicht gehalten,
hierzu den Sachverständigen F. nochmals anzuhören, zumal auch die anwaltlich ver-
tretene Klägerin dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht
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beantragt oder angeregt hatte. Ein Gericht verletzt seine Aufklärungspflicht regelmä-
ßig nicht, wenn es auf eine weitere Beweisaufnahme oder auf die Anhörung eines
Sachverständigen verzichtet, die sich nach Lage der Dinge nicht aufdrängt und von
keinem der Beteiligten beantragt worden ist.
2. Als Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rügt die Klägerin, das Be-
rufungsgericht habe sich in Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 25. Februar 1993 - BVerwG 2 C 27.90 - (BVerwGE 92, 147) gesetzt. In
jener Entscheidung habe das Bundesverwaltungsgericht den Rechtssatz aufgestellt,
dass der Dienstherr, der den Probebeamten nicht spätestens am Ende der laufbahn-
rechtlichen Probezeit wegen mangelnder Bewährung - wozu auch diejenige in ge-
sundheitlicher Hinsicht gehöre - entlasse, ihm aus diesem Grund die Übernahme in
das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nach Ablauf der für die Probestatusdienstzeit
vorgesehenen Frist nicht mehr verwehren dürfe. Demgegenüber habe das Beru-
fungsgericht angenommen, dass die Entlassung eines Probebeamten auch noch
nach Ende der laufbahnrechtlichen Probezeit möglich sei.
Die geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor. Nach der genannten Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts ist der Dienstherr gehalten, über die Umwandlung
eines Beamtenverhältnisses auf Probe in ein solches auf Lebenszeit zu entscheiden,
sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen; diese Entscheidung darf nicht
unangemessen lange hinausgezögert werden (a.a.O. S. 148). Die Entscheidung
setzt indessen voraus, dass der Dienstherr die in Vorbereitung dieser Entscheidung
erforderlichen Feststellungen und Wertungen im gesetzlich vorgegebenen Zeitrah-
men treffen kann. Lässt sich innerhalb dieses Zeitrahmens, zu der auch die Vollen-
dung des 27. Lebensjahres gehört, die gesundheitliche Eignung des Probebeamten
nicht feststellen, weil die Möglichkeit künftiger Erkrankungen oder des Eintritts dau-
ernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze nicht mit einem hohen Grad
an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, so kann der Dienstherr nicht
die Entscheidung treffen, das Beamtenverhältnis auf Probe in ein solches auf Le-
benszeit umzuwandeln. Dem Dienstherrn verbleibt in diesem Falle die Möglichkeit,
die Probezeit um bis zu zwei Jahre, aber insgesamt nicht über fünf Jahre hinaus zu
verlängern. Danach besteht für den Dienstherrn kein Ermessen, einen Beamten, der
sich nicht bewährt hat, gleichwohl auf Dauer zu beschäftigen. Er hat dann vielmehr
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die Entscheidung zu treffen, den Beamten zu entlassen oder ihn zum Beamten auf
Lebenszeit zu ernennen und bei Dienstunfähigkeit in den Ruhestand zu versetzen.
Zu diesen Rechtssätzen hat sich das Berufungsgericht nicht in Widerspruch gesetzt.
Nach seinen mit durchgreifenden Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb
für den Senat bindenden Feststellungen ist die Klägerin nicht polizeidienstfähig, weil
die bei ihr festgestellte Zystenbildung in der Leber die Verletzungsgefahr durch rohe
Gewalt beim Einsatz gegen Rechtsbrecher erhöht mit der Folge, dass ihre jederzeiti-
ge Einsatzbereitschaft nicht gegeben ist. Die Frage der dauernden Dienstfähigkeit
der Klägerin habe sich bis zum Ablauf der Statusdienstzeit nicht abschließend klären
lassen. In einem solchen Falle, so führt das Berufungsgericht aus, werde nach Sinn
und Zweck der gesetzlichen Regelung der Ablauf der fünfjährigen Frist gehemmt und
die Pflicht des Dienstherrn zur Entscheidung des Sachverhalts hinausgeschoben. Mit
diesen Ausführungen befindet sich das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit
dem Beschluss des erkennenden Senats vom 1. Oktober 2001 - BVerwG 2 B 11.01 -
Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 61. Diesem Beschluss ist ebenso wie dem noch nicht
veröffentlichten Beschluss des Senats vom 10. November 2005 - BVerwG 2 B
54.05 - zu entnehmen, dass die im Urteil vom 25. Februar 1993 (a.a.O.) dargestellten
Pflichten zu alsbaldiger Entscheidung über die künftige Gestaltung des Beam-
tenverhältnisses den Dienstherrn aus Gründen der Fürsorge treffen. Hier entsprach
es dieser Pflicht, die letzte medizinische Behandlung der Klägerin abzuwarten, weil
eine Chance bestand, die innerhalb der Statusdienstzeit nicht mögliche positive Ent-
scheidung über die Polizeidienstfähigkeit der Klägerin nach deren Ablauf doch noch
zu treffen.
Das Berufungsgericht hat deshalb auch ein schuldhaftes Zögern des Dienstherrn bei
der Entscheidung über das weitere dienstliche Schicksal der Klägerin verneint und
ausgeführt, es sei nicht zu beanstanden, dass die Beklagte zunächst noch der Anre-
gung des polizeiärztlichen Dienstes vom 27. September 2001 gefolgt sei und abge-
wartet habe, wie sich die auf eigenen Wunsch der Klägerin durchgeführte mehrmo-
natige Behandlung durch einen Homöopathen auf ihren Gesundheitszustand auswir-
ken werde. Klarheit über das Ergebnis sei erst durch die abschließende Stellung-
nahme des polizeiärztlichen Dienstes vom 24. September 2002 geschaffen worden,
der dann die Entlassung der Klägerin durch Bescheid vom 15. Oktober 2002 unmit-
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telbar gefolgt sei. Mit Recht hat das Berufungsgericht dabei auch berücksichtigt, dass
die die Dienstunfähigkeit begründende Zystenbildung erst zufällig anlässlich einer
Schwangerschaft im Jahre 2000 festgestellt worden war, also während der davor
liegenden Probezeit nicht berücksichtigt werden konnte.
3. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und aus § 52
Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG.
Albers Dr. Kugele Groepper
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