Urteil des BVerwG vom 27.07.2012

Rechtliches Gehör, Befangenheit, Beschlussfähigkeit, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 AV 5.12, 2 PKH 1.12 (2 AV 3.12)
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juli 2012
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung
beschlossen:
Der Beschluss des Senats vom 22. März 2012 (- BVerwG
2 AV 3.12 -) wird ergänzt: Der Antrag des Antragstellers
auf Ablehnung der Richterin am Oberlandesgericht A., des
Richters am Oberlandesgericht B. sowie des Richters am
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Oberverwaltungsgericht C. wegen Ausschlusses von der
Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes wird abgelehnt.
Der Antrag auf Tatbestandsberichtigung des Beschlusses
des Senats vom 22. März 2012 (- BVerwG 2 AV 3.12 -),
die Anhörungsrüge sowie die Gegenvorstellung gegen
diesen Beschluss werden zurückgewiesen.
Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wer-
den abgelehnt.
G r ü n d e :
1. Der Senat hat im Beschluss vom 22. März 2012 (- BVerwG 2 AV 3.12 -) nicht
über den Ausschluss der im Tenor genannten Richter von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes entschieden. Der Beschluss ist dahingehend zu
ergänzen, dass ein entsprechender Antrag des Antragstellers abgelehnt wird.
Die Annahme, die Richter seien nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 ZPO oder
§ 54 Abs. 2 VwGO kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausge-
schlossen, liegt fern. Die Voraussetzungen der gesetzlichen Ausschlusstatbe-
stände sind offensichtlich nicht gegeben.
2. Die Anhörungsrüge des Antragstellers gegen den Beschluss ist unbegründet.
Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG,
§ 108 Abs. 2 VwGO, deren Verletzung nach § 152a VwGO gerügt werden kann,
verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Verfahrensbeteiligten bei seiner
Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Der Gehörsanspruch verlangt jedoch
nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der Beteiligten in den Gründen
seiner Entscheidung wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt
Stellung zu nehmen hat. Vielmehr sind in der Entscheidung lediglich diejenigen
Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen tatsächli-
chen und rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem
Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2
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VwGO). Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des
Vorbringens eines Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung nicht abge-
handelt hat, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht in Er-
wägung gezogen, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Fra-
ge von zentraler Bedeutung betrifft (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992
- 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994
- BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209 f.> = Buchholz 402.25 § 1
AsylVfG Nr. 174 S. 27 f., Beschluss vom 21. Juni 2007 - BVerwG 2 B 28.07 -
Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 3 Rn. 6; stRspr).
Danach ist das Vorbringen des Antragstellers nicht geeignet, eine Gehörsver-
letzung darzulegen (§ 152a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 VwGO). Die vom An-
tragsteller vorgebrachten Gesichtspunkte, aus denen sich bei objektiver Würdi-
gung der Tatsachen vernünftigerweise ein Grund für die Besorgnis der Befan-
genheit der Richter ergeben könnte, sind im angegriffenen Beschluss gewürdigt
worden. Dies gilt für den Aspekt der „Kollegialität“ der im Tenor genannten
Richter zu einem anderen Richter des OVG Bremen, der ausgeschlossen oder
der ebenfalls wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden ist, oder
der „Nähe“ zu anderen Richtern des OVG Bremen. Auch ist das Vorbringen des
Antragstellers hinsichtlich seiner an die Präsidentin des OVG Bremen gerichte-
ten Anfrage vom 19. April 2011, zur Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit der
Ablehnungsgesuche und zur Vorlage der Akten an das Bundesverwaltungsge-
richt berücksichtigt worden.
Für die Besorgnis der Befangenheit eines Richters vorgebrachte Gesichtspunk-
te, aus denen sich bei der gebotenen objektiven Würdigung der Tatsachen of-
fenkundig kein Grund ergibt, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu
zweifeln, müssen nicht ausdrücklich verbeschieden werden.
Soweit der Antragsteller mit seiner Anhörungsrüge die inhaltliche Richtigkeit
des Beschlusses des Senats über die Ablehnung der drei genannten Richter
wegen der Besorgnis der Befangenheit angreift, ist sie unstatthaft. Mit der An-
hörungsrüge nach § 152a VwGO kann ein Beteiligter lediglich geltend machen,
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das Gericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungser-
heblicher Weise verletzt.
3. In einem Verfahren nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 3 ZPO können
neue Gründe für die Ablehnung eines Richters nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m.
§ 42 Abs. 1 ZPO und § 54 Abs. 2 VwGO nicht vorgebracht werden. Dieses Ver-
fahren betrifft die besondere Konstellation, dass das zur Entscheidung berufene
Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig ge-
worden ist. Das übergeordnete Gericht hat lediglich über dieses konkrete Ab-
lehnungsgesuch zu entscheiden, weil seine Befassung nur die Funktion hat, die
Beschlussfähigkeit der Vorinstanz hinsichtlich der Entscheidung über dieses
Gesuch herzustellen. Neue Gründe für ein Ablehnungsgesuch sind bei dem
Gericht vorzubringen, dem der Abgelehnte angehört. Dieses hat insbesondere
darüber zu befinden, ob von einem rechtsmissbräuchlichen Antrag auszugehen
ist.
4. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die vom Antragsteller beantragte
Tatbestandsberichtigung und Beschlussergänzung ist ausgeschlossen. Nach
§ 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug besonders
zu bewilligen. Daraus folgt, dass das angerufene Gericht eine Entscheidung
über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur für den zu ihm selbst eröffne-
ten Rechtszug treffen kann, nicht aber für den Rechtszug bei einer nachgeord-
neten Instanz (Beschluss vom 1. Juli 1991 - BVerwG 5 B 26.91 - Buchholz 310
§ 166 VwGO Nr. 23). Der Antrag auf Tatbestandsberichtigung und Beschluss-
ergänzung bezieht sich auf den Beschluss vom 22. März 2012. Das Verfahren
nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 3 ZPO selbst ist aber Teil des beim
OVG Bremen anhängigen Verfahrens, so dass allein das OVG Bremen über die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe entscheiden kann. Zudem scheidet eine
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einzelne Prozesshandlungen, hier für
den Antrag nach §§ 119, 120 und 122 Abs. 1 VwGO, aus (OLG Köln, Beschluss
vom 29. Februar 1988 - 2 U 101/87 - OLGZ 1989, 70; Zöller, ZPO, 29. Aufl.
2012, § 114 Rn. 4).
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5. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Anhörungsrüge ist
unbegründet. Die Rüge bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166
VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
6. Soweit sich der Antragsteller mit seiner Gegenvorstellung dagegen wendet,
dass der Senat lediglich hinsichtlich einer beschränkten Zahl von Richtern des
OVG Bremen entschieden hat, ist die Gegenvorstellung jedenfalls unbegründet.
Diese Beschränkung orientiert sich am Zweck des Verfahrens, die Beschluss-
unfähigkeit eines Gerichts zu überwinden. Danach ist es nicht geboten, dass
das nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 3 ZPO zuständige Gericht hin-
sichtlich sämtlicher Richter der Vorinstanz entscheidet. Eine Abweichung von
dem vom Antragsteller herangezogenen Urteil des BGH vom 12. Februar 1998
(- 1 StR 588/97 -) liegt nicht vor. Dieses Urteil betrifft keine mit § 54 Abs. 1
VwGO i.V.m. § 45 Abs. 3 ZPO vergleichbare Konstellation. Dies gilt auch für die
vom Antragsteller benannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
7. Sofern sich der Antragsteller dagegen wendet, dass im Tenor des Beschlus-
ses vom 22. März 2012 die Gesuche abgelehnt werden, namentlich benannte
Richter für befangen zu erklären, sind Anträge auf Tatbestandsberichtigung
oder Beschlussergänzung sowie die Gegenvorstellung jedenfalls unbegründet.
Diese Wortwahl im Tenor entspricht der Praxis des Senats. Aus den Gründen
des Beschlusses ergibt sich unmittelbar, dass der Senat entsprechend § 54
Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO die Ablehnung wegen „Besorgnis der Be-
fangenheit“ geprüft hat.
8. Sofern der Antragsteller schließlich in einem neuerlichen Schriftsatz eine wei-
tere Äußerungsfrist für erforderlich hält, besteht hierfür anlässlich des vorste-
hend Ausgeführten kein Anlass. Es ist weder dargetan noch ersichtlich was
noch vorgetragen werden könnte.
Dr. Heitz Thomsen Dr. Hartung
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