Urteil des BVerwG vom 22.03.2012

Befangenheit, Ermessen, Unparteilichkeit, Beschlussfähigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 AV 3.12
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung
beschlossen:
Die Gesuche des Antragstellers, die Richterin am Ober-
landesgericht A., den Richter am Oberlandesgericht Dr. B.
sowie den Richter am Oberverwaltungsgericht C. für be-
fangen zu erklären, werden abgelehnt.
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G r ü n d e :
Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung über das Ablehnungs-
gesuch des Antragstellers nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 45
Abs. 3 ZPO zuständig. Der Antragsteller hat sämtliche Richter des Oberverwal-
tungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen, darunter auch die beiden zu
Richtern am Oberverwaltungsgericht im Nebenamt bestellten Richter des Han-
seatischen Oberlandesgerichts in Bremen, wegen Besorgnis der Befangenheit
abgelehnt. Hierdurch ist das Oberverwaltungsgericht beschlussunfähig gewor-
den (§ 45 Abs. 3 ZPO), so dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch
dem Bundesverwaltungsgericht als dem im Rechtszug nächst höheren Gericht
obliegt. Die Überordnung folgt dem in der Hauptsache gegebenen Instanzen-
zug.
Das Verfahren nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 45 Abs. 3 ZPO
dient dazu, die Beschlussunfähigkeit des für die Entscheidung über die Befan-
genheitsgesuche an sich zuständigen Gerichts zu überwinden. Diesem Zweck
entspricht es, dass sich das übergeordnete Gericht darauf beschränken kann,
lediglich über so viele Ablehnungsgesuche zu befinden, bis die Beschlussfähig-
keit des Ausgangsgerichts wiederhergestellt ist (Beschluss vom 3. April 1997
- BVerwG 6 AV 1.97 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 55; Gehrlein, in: Münche-
ner Kommentar, ZPO, 3. Aufl., § 45, Rn. 3; Bork, in: Stein/Jonas, ZPO,
22. Aufl., § 45, Rn. 3). Nach § 9 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2
Brem AGVwGO ist die Entscheidung über einen Befangenheitsantrag von drei
Berufsrichtern zu treffen. Dementsprechend kann sich der Senat im Verfahren
OVG 2 S 326/11 auf die - ablehnende - Entscheidung über die Befangenheits-
gesuche gegen drei Richter beschränken. Es steht im Ermessen des Senats,
über welche drei Ablehnungsgesuche er entscheidet. Der Senat entscheidet
über die vom Antragsteller zuletzt gestellten Ablehnungsgesuche gegen die
Richterin A. sowie die Richter Dr. B. und C.
Das Bundesverwaltungsgericht kann dahinstehen lassen, ob die Ablehnungs-
gesuche gegen die Richterin A. sowie die Richter Dr. B. und C. bereits rechts-
missbräuchlich sind. Jedenfalls sind sie unbegründet.
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Wegen Besorgnis der Befangenheit kann ein Richter abgelehnt werden, wenn
ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu
rechtfertigen (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO). Danach ist es einer-
seits nicht notwendig, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Andererseits
reicht die rein subjektive Vorstellung eines Beteiligten, der Richter werde seine
Entscheidung an persönlichen Motiven orientieren, nicht aus, wenn bei objekti-
ver Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund für diese Befürch-
tung ersichtlich ist. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann gerechtfertigt,
wenn aus der Sicht des Beteiligten hinreichend objektive Gründe vorliegen, die
bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreinge-
nommenheit des Richters zu zweifeln (Urteil vom 5. Dezember 1975 - BVerwG
6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <38 f.> = Buchholz 448.0 § 34 WPflG Nr. 48 und
Beschluss vom 18. Mai 2010 - BVerwG 2 C 10.09 - juris Rn. 5 m.w.N.).
Hieran gemessen geben die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe keinen
Anlass, an der Unvoreingenommenheit der Richterin sowie der Richter zu zwei-
feln.
An den Auswahlverfahren zur Vergabe von Richterstellen haben die Richterin
und die Richter nicht mitgewirkt. Die entsprechenden dienstlichen Stellungnah-
men sind dem Antragsteller übersandt worden.
Aus der vom Antragsteller vertretenen Rechtsauffassung, ein bestimmter Rich-
ter sei „aufgrund der für die Geschäftseingänge vom 1. August bis zum 31. De-
zember 2011 beschlossenen Geschäftsverteilung des OVG Bremen“ nicht der
zur Entscheidung gesetzlich berufene Richter, können sich bei vernünftiger
Würdigung der Umstände keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit dieses
Richters ergeben. Die Besetzung der Richterbank richtet sich nach den Vorga-
ben des Geschäftsverteilungsplans, der zu dem Zeitpunkt gilt, an dem die ge-
richtliche Entscheidung zu treffen ist.
Auch der Umstand, dass die Akten des vor dem Oberverwaltungsgericht an-
hängigen Verfahrens dem Bundesverwaltungsgericht „zur Bestimmung des Ge-
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richts nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 VwGO“ und nicht nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m.
§ 45 Abs. 3 ZPO vorgelegt worden sind, lässt es bei der gebotenen vernünfti-
gen Würdigung der Umstände nicht als zweifelhaft erscheinen, dass die Richte-
rin und die Richter über die Anträge des Antragstellers unvoreingenommen ent-
scheiden werden. Ferner führt die Vorlage zu dem Schluss, dass das Oberver-
waltungsgericht die verschiedenen Ablehnungsgesuche des Antragstellers nicht
als rechtsmissbräuchlich eingestuft hat. Denn andernfalls wäre es nicht von
seiner Beschlussunfähigkeit ausgegangen, sondern hätte selbst eine Entschei-
dung treffen müssen. Eines gesonderten Beschlusses, dass ein Ablehnungsge-
such nicht rechtsmissbräuchlich ist, bedarf es entgegen der Auffassung des An-
tragstellers nicht.
Das bloße Bearbeiten einer Anfrage eines Beteiligten zum Stand eines (Aus-
wahl-)Verfahrens begründet nicht die Annahme der Mitwirkung im Sinne von
§ 54 Abs. 2 VwGO. Die Bearbeitung von Anfragen eines Verfahrensbeteiligten
oder von gegen andere Richter des Oberverwaltungsgerichts gerichteten Ab-
lehnungsgesuchen begründet ebenfalls keine Zweifel an der Unvoreingenom-
menheit dieses Richters. Dies gilt auch für das nachträgliche Vorbringen, einige
der abgelehnten Richter hätten ihre dienstliche Äußerung zu dem in Bezug auf
ihre Person gestellten Befangenheitsantrag verfrüht abgegeben.
Auch gibt der bloße Umstand, dass ein Richter einem Spruchkörper eines Ge-
richts angehört, dessen Vorsitzender nach § 54 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen
oder der ebenfalls wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden ist,
bei vernünftiger Würdigung keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des
Richters zu zweifeln.
Herbert
Thomsen
Dr. Hartung
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