Urteil des BVerwG vom 29.03.2012

Visa, Vermittler, Disziplinarverfahren, Dienstliche Tätigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 A 11.10
Verkündet
am 29. März 2012
Melzer
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen sowie
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und Dr. Hartung
für Recht erkannt:
Der Beklagte wird aus dem Beamtenverhältnis entfernt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Der 19.. geborene Beklagte schloss im Jahr 19.. die Ausbildung zum Diplom-
Verwaltungswirt (FH) ab. 19.. trat er als Angestellter in den Dienst des Bundes-
nachrichtendienstes (BND) ein. Im Oktober 19.. ernannte ihn die Klägerin zum
Beamten auf Lebenszeit. Zuletzt hatte er das Amt eines Regierungsamtmanns
(Besoldungsgruppe A 11) inne. Er ist verheiratet und hat zwei minderjährige
Kinder. Im BND war der Beklagte zunächst operativ tätig, insbesondere im Be-
reich „…“. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse und guter Beurteilungen wurde er
für eine Auslandsverwendung vorgeschlagen. Von August 2001 bis Juli 2005
war der Beklagte bei der BND-Residentur an der Deutschen Botschaft in B./K.
tätig. Seitdem wird er wieder im Inland im Bereich Auswertung eingesetzt. Im
Oktober 2009 erhielt er eine Leistungsprämie für vorbildlichen Einsatz in Höhe
von 750 €.
Im Frühjahr 2006 erreichten den BND Informationen, nach denen sich der Be-
klagte zum Ende seines Einsatzes in K. gegenüber k. Staatsangehörigen als
„deutscher Vizekonsul“ bezeichnet und diesen gegenüber den Eindruck erweckt
haben soll, Einfluss auf die Visa-Erteilung durch die deutsche Botschaft neh-
men zu können.
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Hierzu sagte der Beklagte in einem „Sicherheitsgespräch“ vom 30. März 2006
gegenüber Mitarbeitern des BND aus, er sei von einem Mittelsmann gegen sei-
nen Willen gegenüber k. Staatsangehörigen als Konsul oder als Mitarbeiter der
Konsularabteilung vorgestellt worden. Der Beklagte bestritt, jemals finanzielle
Zuwendungen oder andere Vorteile erhalten oder auf die Vergabe von Visa Ein-
fluss genommen zu haben. Er räumte lediglich ein, bis zu 40 Visa-Anträge auf
„formale Richtigkeit“ hin geprüft zu haben.
Am 8. Juni 2006 wandte sich der BND an die Staatsanwaltschaft Be. und teilte
dieser unter Vorlage eines Berichts über die damaligen Erkenntnisse mit, es
bestehe der Verdacht, der Beklagte habe sich im Zusammenhang mit der Ertei-
lung von Visa eines Betrugs zum Nachteil ausländischer Staatsbürger schuldig
gemacht. Daraufhin eröffnete die Staatsanwaltschaft Be. gegen den Beklagten
ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Unter dem
6. November 2006 leitete der Präsident des BND gegen den Beklagten das
Disziplinarverfahren ein. Der Beklagte wurde weder über die Eröffnung des
Strafverfahrens noch über die des Disziplinarverfahrens in Kenntnis gesetzt.
Am 3. Januar 2007 erteilte die Staatsanwaltschaft Be. die Freigabe für das wei-
tere behördliche Disziplinarverfahren, nachdem sie das Büro des Beklagten
beim BND und dessen Privatwohnung durchsucht und dabei dem Beklagten
auch den strafrechtlichen Vorwurf eröffnet hatte. Der Beklagte wurde am 8. Ja-
nuar 2007 vom BND über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet.
Der Beklagte gab zunächst keine Stellungnahme ab. Mit Schreiben vom 9. Mai
2007 dehnte der Präsident des BND das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf
aus, der Beklagte habe im Jahr 2005 eine offene dienstliche E-Mail-Adresse pri-
vat genutzt. Das Disziplinarverfahren wurde im Juli 2007 im Hinblick auf das
anhängige Strafverfahren ausgesetzt.
In Bezug auf den Vorwurf des Titelmissbrauchs (§ 132a StGB) beschränkte die
Staatsanwaltschaft Be. die Strafverfolgung nach § 154a Abs. 1 StPO auf den
Vorwurf des Betrugs. Hinsichtlich des Vorwurfs der Bestechlichkeit stellte sie
das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Da der Beklagte in der Botschaft
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in B. nicht für die Erteilung der Visa zuständig gewesen sei, fehle es am Tatbe-
standsmerkmal der pflichtwidrigen Diensthandlung.
Ende Januar 2009 erließ das Amtsgericht T. gegen den Beklagten einen Straf-
befehl wegen des Vorwurfs, gemeinschaftlich mit B. zum Nachteil zweier k.
Staatsangehöriger einen Betrug begangen zu haben. Der Beklagte habe sich
gegenüber den Geschädigten als Konsul der Deutschen Botschaft ausgegeben
und diesen gegen eine Zahlung von jeweils 1900 € die Erteilung von Schengen-
Visa zugesagt. Tatsächlich habe er jedoch weder die Möglichkeit gehabt, auf
die Erteilung der Visa Einfluss zu nehmen, noch habe er die Absicht gehabt,
den Geschädigten die Visa zu verschaffen. Gegen diesen Strafbefehl erhob der
Beklagte unbeschränkten Einspruch.
In der Verhandlung vor dem Amtsgericht T. am 19. Mai 2009 machte der Be-
klagte nach Belehrung Angaben zur Sache. Nachdem das Amtsgericht die Kri-
minalhauptkommissarin U. als Zeugin zur Sache vernommen hatte, beschränk-
te der Beklagte seinen Einspruch gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß. Auf
der Grundlage des im Schuldspruch rechtskräftigen Strafbefehls wurde der Be-
klagte wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt.
Nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils setzte der BND das Disziplinarver-
fahren fort. Der Beklagte wurde hiervon unterrichtet. Im März 2010 billigte der
Präsident des BND den Vorschlag, gegen den Beklagten Disziplinarklage mit
dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst zu erheben. Hiergegen erhob die
Gruppe der Beamten im Personalrat des BND mit der Begründung Einwendun-
gen, es sei zweifelhaft, ob der Beklagte das ihm zur Last gelegte Dienstverge-
hen tatsächlich begangen habe. Da der Präsident des BND am Ziel der Entfer-
nung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis festhielt, beantragte der Per-
sonalrat eine Entscheidung des Bundeskanzleramtes. Im Hinblick hierauf sagte
der Präsident des BND dem Personalrat zu, den Klageantrag dahingehend um-
zustellen, dass kein bestimmter Antrag erhoben werde, sondern die Diszipli-
narmaßnahme stattdessen in das Ermessen des Gerichts gestellt werde. Zu-
dem würden die Einbehaltung von 10 % der Bezüge des Beklagten und seine
vorläufige Dienstenthebung zurückgestellt. Im Hinblick hierauf nahm der Perso-
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nalrat seinen gegenüber dem Bundeskanzleramt gestellten Antrag auf Ent-
scheidung zurück.
Am 27. Oktober 2010 hat der Präsident des BND Disziplinarklage erhoben.
Dem Beklagten wird entsprechend der im Strafbefehl getroffenen Feststellun-
gen vorgeworfen, Geld als Gegenleistung für die Verschaffung von Visa ange-
nommen zu haben. Dabei müsse davon ausgegangen werden, dass die tat-
sächliche Zahl der Geschädigten sowie die gezahlten Beträge wesentlich höher
seien als nach den Feststellungen im Strafbefehl, der nur von zwei geschädig-
ten k. Staatsangehörigen und einem Schaden von 3 800 € ausgehe. Da bei den
beiden k. Staatsangehörigen kein Motiv für eine Falschaussage erkennbar sei,
sei von der Richtigkeit ihrer Aussagen auszugehen. Demgegenüber habe der
Beklagte wegen seiner angespannten finanziellen Situation ein Motiv gehabt.
Gegen den Beklagten spreche auch, dass er eingeräumt habe, Visa-Unterlagen
von bis zu zwölf k. Staatsangehörigen entgegengenommen zu haben. Denn als
Sachbearbeiter der Residentur B. habe er mit der Bearbeitung von Visa-
Anträgen nichts zu tun gehabt. Gerade deshalb sei von der Staatsanwaltschaft
auch der Vorwurf der Bestechlichkeit fallengelassen worden. Das Vorbringen,
er habe die Visa-Formulare geprüft, um Interessenten für illegale Visa oder Ein-
reisen weitermelden zu können, sei unglaubhaft. In den Jahren 2004 und 2005
habe die Residentur keine Meldung zum Thema „illegale Visa/ Einreise“ über-
mittelt. Aus der Schuldenerklärung aus dem Jahr 2006 ergebe sich, dass sich
der Beklagte damals ungeachtet der höheren Auslandsbezüge in einer finanziell
schwierigen Situation befunden und deshalb ein Motiv gehabt habe. Der Be-
klagte müsse eine dienstliche E-Mail-Anschrift an eine private Bekannte weiter-
gegeben haben. Hierdurch habe er die Gehorsamspflicht verletzt. Das Versa-
gen des Beklagten und die damit verbundene Schädigung des Ansehens der
Bundesrepublik insbesondere im Ausland wögen schwer. Bereits der Anschein,
die Ausstellung von Schengen-Visa könne bei einer deutschen Auslandsvertre-
tung erkauft werden, sei geeignet, die Interessen des Bundes erheblich zu be-
schädigen. Gerade der BND müsse sich als Sicherheitsbehörde auf die korrek-
te und gewissenhafte Erfüllung der Dienstpflichten durch seine Mitarbeiter ver-
lassen können. Bei einer Auslandsverwendung seien die Kontrollmöglichkeiten
zudem erheblich eingeschränkt. Die Beschädigung der Integrität der Amtsfüh-
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rung sei so gravierend, dass das Vertrauensverhältnis irreparabel und nachhal-
tig zerstört sei. Unerheblich sei, dass das dienstliche Verhalten des Beklagten
seit seiner Rückkehr nach Deutschland unauffällig und ob eine Wiederholung
des Fehlverhaltens zu erwarten sei. Allein durch die in seinem Verhalten zu Ta-
ge tretende kriminelle Energie sei der Beklagte als Beamter nicht länger trag-
bar. Zwar liege das Fehlverhalten bereits mehr als sechs Jahre zurück und der
Beklagte habe zwei minderjährige Kinder. Diese Milderungsgründe könnten
nicht berücksichtigt werden, weil die Schwere des Fehlverhaltens keinen weite-
ren Bemessungsspielraum erlaube. Die lange Verfahrensdauer sei dem BND
nicht anzulasten. Zudem stehe eine lange Verfahrensdauer der Verhängung der
Höchstmaßnahme nicht entgegen. Unerheblich sei auch, dass der Beklagte
nicht vorläufig seines Dienstes enthoben worden und er seit der Rückkehr nach
Deutschland seinen dienstlichen Pflichten in lobenswerter Weise nachgekom-
men sei. Das angeschuldigte Dienstvergehen offenbare schwerwiegende cha-
rakterliche Defizite des Beklagten. Die mit den Vorkommnissen verbundene
Schädigung des Ansehens des BND stehe einer weiteren vertrauensvollen Zu-
sammenarbeit im Wege.
Die Klägerin stellt keinen Antrag.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die ihm im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa vorgeworfene Tat
habe er nicht begangen. Er habe sich nicht als deutscher Konsul oder Vizekon-
sul ausgegeben. Auch habe er keine Geldbeträge erhalten, um auf die Erteilung
von Visa Einfluss zu nehmen. Ferner habe er nicht behauptet, auf die Erteilung
von Visa Einfluss nehmen zu können. Dass Zeugen ihn auf Fotos erkannt hät-
ten, könne auch darauf zurückgeführt werden, dass die Zeugen ihn zusammen
mit Herrn B. gesehen hätten oder dieser den Zeugen Fotos von ihm gezeigt
habe, um seine eigenen Einflussmöglichkeiten gegenüber den Visa-Interessen-
ten glaubhaft zu machen. Er habe Herrn B. lediglich angeboten, die Visa-
Anträge wie ein privater Visa-Dienst zu prüfen. Dabei sei es ihm um die Mög-
lichkeit gegangen, mögliche Interessenten für illegale Visa oder Einreisen zu
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ermitteln und die so gewonnenen Informationen weiterzumelden. Herr B. sei
eine interessante dienstlich nutzbare Quelle gewesen, weil dieser mitgeteilt ha-
be, Informationen über Rauschgiftkuriere oder Schmuggler beschaffen zu kön-
nen. Das Motiv für eine Falschaussage der Zeugen Q. und R. bestehe offen-
sichtlich darin, dass ihre Chancen, die von ihnen bezahlten 3 800 € zurückzu-
erhalten, stiegen, wenn der Täterkreis auf den Beklagten erweitert werde. Denn
dann bestehe die Möglichkeit, dass entweder der Beklagte oder die Botschaft
zahle. Angesichts der ihn wirtschaftlich schwer belastenden Verurteilung zu ei-
ner Geldstrafe bestehe auch kein Bedürfnis nach einer zusätzlichen Pflichten-
mahnung im Disziplinarverfahren. Sowohl die Klägerin als auch das Gericht
seien angesichts der nicht vollständig abgeschlossenen Beweisaufnahme im
strafgerichtlichen Verfahren und der lediglich aus Kostengründen erklärten Be-
schränkung des Einspruchs gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß nicht an
die Feststellungen des Strafgerichts gebunden. Zudem sei die einzige im Straf-
verfahren gehörte Zeugin lediglich eine Zeugin vom Hörensagen, weil sie ledig-
lich an der Vernehmung von vermeintlichen Tatzeugen beteiligt gewesen sei.
Während seiner Tätigkeit in K. habe der Beklagte wegen des Auslandsverwen-
dungszuschlags ein höheres Einkommen gehabt. Deshalb habe bei ihm kein
beachtliches Motiv zur Tatbegehung bestanden. Im Übrigen stehe ihm inzwi-
schen ein höherer Nettobetrag zur Verfügung; eine Überschuldung sei nicht
gegeben. Zwar kenne der Beklagte die Frau, die ihm zwei E-Mails geschickt
habe, privat. Er könne sich aber nicht erklären, wie diese Frau an die Adresse
gekommen sei. Es könne sein, dass diese „offene“ Adresse auf der dienstlichen
Visitenkarte angegeben gewesen sei. Die Zusendung von privaten E-Mails auf
dienstliche E-Mail-Konten stelle kein Dienstvergehen dar. Jedenfalls habe er
das E-Mail-Konto nicht aktiv privat genutzt. Da der von den Visa-Antragstellern
mit 3 800 € behauptete Schaden unter 5 000 € liege, scheide die Höchstmaß-
nahme aus, weil diese bei Vermögensdelikten erst ab einem Betrag von 5 000 €
in Betracht komme. Die von der Klägerin behauptete Zerstörung des Vertrau-
ensverhältnisses sei nicht nachvollziehbar. Er sei während des gesamten Ver-
fahrens nicht vorläufig seines Amtes enthoben worden, habe seine dienstlichen
Pflichten vorbildlich erfüllt und habe eine Leistungsprämie von 750 € erhalten.
Er sei auch weiterhin in einem sensiblen Bereich beschäftigt.
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II
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat gemäß § 56 Satz 1 BDG den ge-
gen den Beklagten in der Klageschrift erhobenen Vorwurf aus dem Disziplinar-
verfahren ausgeschieden, er habe vor dem 4. Oktober 2005 eine vom BND für
die Residentur in B. eingerichtete E-Mail-Adresse an Dritte zur Übersendung
privater Nachrichten weitergegeben.
Aufgrund des Beschlusses vom 28. Februar 2012 und des Beweisbeschlusses
vom 8. März 2012 ist D. S. vom beauftragten Richter als Zeuge zu dem Beweis-
thema vernommen worden, welche Aussagen die k. Staatsangehörigen R. und
Q. sowie der l. Staatsangehörige B. zum Verhalten des Beklagten im Zusam-
menhang mit der Beantragung von Visa bei der Deutschen Botschaft in B./K. im
Frühjahr 2005 gemacht haben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisauf-
nahme wird auf das Protokoll der Zeugenvernehmung vom 12. März 2012 ver-
wiesen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat aufgrund des dort verkündeten
Beschlusses durch Vernehmung der Zeugen D., U., Dr. und P. zum Verhalten
des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa durch die k.
Staatsangehörigen Q. und R. bei der Deutschen Botschaft in B./K. im Frühjahr
2005 Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Die von der Klägerin vorgelegten Personal- und Disziplinarakten des Beklagten
sowie die beigezogene Strafakte einschließlich der Unterlagen des Rechtshilfe-
ersuchens der Staatsanwaltschaft Be. sind Gegenstand der mündlichen Ver-
handlung gewesen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der gewechselten Schriftsät-
ze wird ergänzend Bezug genommen.
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III
Der Senat entscheidet über die Disziplinarklage in erster und letzter Instanz
(§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO, § 45 Satz 5 BDG). Sie führt zu der Entfernung des
Beklagten aus dem Beamtenverhältnis (§ 60 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1, § 5
Abs. 1 Nr. 5 sowie §§ 10 und 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).
1. Dem behördlichen Disziplinarverfahren haften keine wesentlichen Mängel
i.S.d. § 55 BDG an.
a) Die Einleitung des Disziplinarverfahrens gegenüber dem Beklagten erst am
6. November 2006 entspricht nicht der Vorgabe des § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG.
Danach hat der Dienstvorgesetzte die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren
einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den
Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Zweck der Vorschrift ist der
Schutz des Beamten. Die disziplinarischen Ermittlungen sollen so früh wie mög-
lich im Rahmen des gesetzlich geordneten Verfahrens mit seinen rechtsstaatli-
chen Sicherungen zu Gunsten des Beamten, insbesondere dem Recht auf Be-
weisteilhabe nach § 24 Abs. 4 BDG, geführt werden. Der Dienstvorgesetzte
darf, wenn die Voraussetzungen zur Einleitung vorliegen, nicht abwarten und
weiteres Belastungsmaterial sammeln. Verzögert der Dienstvorgesetzte ent-
gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG die Einleitung des Disziplinarverfahrens, so
kann dies bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme (§ 13 BDG) als mil-
dernder Umstand berücksichtigt werden, wenn die verzögerte Einleitung für das
weitere Fehlverhalten des Beamten ursächlich war (Beschluss vom 18. Novem-
ber 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 13 ff.).
Zwar darf der Dienstherr auch Verwaltungsermittlungen durchführen, weil ein
Disziplinarverfahren wegen seiner stigmatisierenden Wirkung nicht vorschnell
eingeleitet werden darf (Weiß, in: GKÖD, Bd. II, Disziplinarrecht des Bundes
und der Länder, Teil 4 BDG, M § 17 Rn. 32). Verwaltungsermittlungen müssen
aber wegen der Schutzwirkung der Verfahrensvorschriften in disziplinarrechtlich
geführte Ermittlungen umschlagen, wenn der Dienstvorgesetzte Kenntnis von
Tatsachen erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht,
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dass der Beamte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevan-
ter Weise verletzt hat. Diese Voraussetzungen waren spätestens am 6. Juni
2006 erfüllt. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Innenrevision des BND die ge-
gen den Beklagten letztendlich erhobenen Vorwürfe schriftlich zusammenge-
fasst, um sie der Staatsanwaltschaft Be. mit dem Ziel der Einleitung eines straf-
rechtlichen Ermittlungsverfahrens vorzulegen. Grundlage dieser Zusammenfas-
sung waren vor allem detaillierte Berichte des Leiters der BND-Residentur P. an
die BND-Zentrale über den weiteren Fortgang seiner Ermittlungen, insbesonde-
re über die in B. geführten Gespräche mit dem „Vermittler“ B.
Ein Verstoß gegen die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG folgende Pflicht zur recht-
zeitigen Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens stellt einen Mangel
i.S.v. § 55 Abs. 1 BDG dar. Der Begriff des Mangels i.S.v. § 55 Abs. 1 BDG er-
fasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfah-
ren von Bedeutung sind (Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 -
BVerwGE 124, 252 <254> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1). Hierunter fallen
Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die
den äußeren Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschlie-
ßenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage
oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (vgl. Beschluss
vom 18. November 2008 a.a.O. Rn. 14).
Dieser Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist aber nicht wesentlich
i.S.d. § 55 BDG. Es lässt sich mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass
er sich auf das Ergebnis des Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann (Ur-
teil vom 24. Juni 2010 - BVerwG 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 = Buchholz
235.1 § 55 BDG Nr. 6, jeweils Rn. 19). Hätte die Klägerin das Disziplinarverfah-
ren entsprechend ihrer Verpflichtung aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG im Zeitraum
zwischen dem Sicherheitsgespräch vom 30. März 2006 und der Erstellung des
zusammenfassenden Berichts vom 6. Juni 2006 eingeleitet, so wäre der Be-
klagte hiervon in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nicht unterrichtet
worden. Die Vorgehensweise der Klägerin, den Beklagten über die Einleitung
des Disziplinarverfahrens bis zum Abschluss der Durchsuchungen seines Büros
und seiner Privatwohnung im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfah-
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rens nicht zu informieren, ist durch § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG gedeckt. Durch eine
Unterrichtung des Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens wäre
die Aufklärung des disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalts gefährdet gewe-
sen. Bei einer früheren Unterrichtung bestand die Gefahr, dass der Beklagte
private Unterlagen über seine Kontakte zum „Vermittler“ B. und den geschädig-
ten k. Visa-Antragstellern beseitigt oder mit diesen Kontakt aufnimmt.
b) Das Anschreiben vom 8. Januar 2007, mit dem die Klägerin den Beklagten
über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet hat, genügt den for-
mellen Anforderungen des § 20 Abs. 1 Satz 2 und 3 BDG. Es lässt erkennen,
welches Dienstvergehen dem Beklagten zur Last gelegt wird, und weist diesen
auf die ihm im Verfahren zustehenden Rechte hin. Der Personalrat ist auf An-
trag des Beklagten beteiligt worden.
c) Die Zuständigkeit des Präsidenten des BND zur Erhebung der Disziplinarkla-
ge folgt aus § 34 Abs. 2 Satz 2 BDG i.V.m. Nr. 3 der Anordnung zur Übertra-
gung disziplinarrechtlicher Zuständigkeiten und Befugnisse im Bereich des BND
vom 28. Januar 2002 (BGBl I S. 560).
2. Im Ergebnis weist auch die Klageschrift keine wesentlichen Mängel auf.
a) In Bezug auf das Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Bean-
tragung von Schengen-Visa bei der Deutschen Botschaft in B. genügt die Diszi-
plinarklageschrift allerdings nur mit einer vom Vertreter der Klägerin in der
mündlichen Verhandlung auf Anregung des Senats erklärten Einschränkung
den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG.
Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Klageschrift den persönlichen und be-
ruflichen Werdegang des Beamten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfah-
rens, die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die ande-
ren Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, ge-
ordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet
wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der
einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehens-
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abläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Hierdurch soll gewährleistet wer-
den, dass sich der Beamte gegen die gegen ihn erhobenen disziplinarischen
Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Zugleich werden durch eine den Anfor-
derungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG genügende Klageschrift Umfang und
Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festgelegt. Denn nach § 60
Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung
gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder einer Nachtragsdiszipli-
narklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind (Urteile vom 25. Ja-
nuar 2007 - BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27 f. und
vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 146 f.; Beschluss vom 26. Ok-
tober 2011 - BVerwG 2 B 69.10 - juris Rn. 6). Zwar ist es nicht erforderlich, dass
die Klageschrift die angeschuldigten Sachverhalte disziplinarrechtlich zutreffend
würdigt. Aufgrund des doppelten Zwecks der Disziplinarklageschrift muss der
Dienstherr aber erkennen lassen, gegen welche Dienstpflichten das angeschul-
digte Verhalten des Beamten verstoßen soll und ob dem Beamten Vorsatz oder
Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird (Beschluss vom 28. März 2011 - BVerwG
2 B 59.10 - IÖD 2011, 143, juris Rn. 5).
Die Disziplinarklage des BND stellt den persönlichen und beruflichen Werde-
gang des Beklagten und auch den bisherigen Gang des Verfahrens ausrei-
chend dar. Soweit sich die Disziplinarklageschrift inhaltlich am Gegenstand des
Strafbefehls des Amtsgerichts T. vom 29. Januar 2009 orientiert, sind die An-
forderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG auch hinsichtlich der Bestimmung des
Dienstvergehens erfüllt. Es werden die dem Beklagten vorgeworfenen konkre-
ten Verhaltensweisen, die konkret geschädigten Personen (Q. und R.) sowie
der diesen durch das vorgeworfene Verhalten entstandene finanzielle Schaden
dargelegt. Die Disziplinarklage enthält die Beweismittel, insbesondere den we-
sentlichen Inhalt der Zeugenaussagen, würdigt den als erwiesen angesehenen
Tatvorwurf und stellt auch die vorsätzliche Begehung des Dienstvergehens fest.
Soweit aber in der Klageschrift ausgeführt wird, die tatsächliche Zahl der Ge-
schädigten sowie die gezahlten Beträge lägen erheblich über den Feststellun-
gen im strafrechtlichen Verfahren zum Verhalten des Beklagten gegenüber Q.
und R., fehlt es an einer Darstellung i.S.v. § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG. Der Vertre-
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ter der Klägerin hat aber in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass diese
Umstände nicht Gegenstand der Disziplinarklage sein sollen.
b) Die formellen Mängel der Klageschrift im Hinblick auf den gegen den Beklag-
ten erhobenen Vorwurf, eine dienstliche E-Mail-Adresse privat genutzt zu ha-
ben, sind unerheblich. Diese Handlungen sind vom Senat nach § 56 BDG aus-
geschieden und nicht wieder in das Disziplinarverfahren einbezogen worden.
c) Unerheblich ist, dass die Klägerin in der Disziplinarklageschrift keinen be-
stimmten Antrag gestellt hat. § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG schreibt dies im Gegen-
satz zu § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vor. Es bedarf keines Antrags des
Dienstherrn, weil nach § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG die Gerichte die erforderliche
Disziplinarmaßnahme bestimmen (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O.
S. 255 f. bzw. Rn. 16 und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1
§ 13 BDG Nr. 3 Rn. 26).
IV
Aufgrund der Beweisaufnahme sieht der Senat folgenden Sachverhalt als er-
wiesen an:
Am 2. März 2005 sprachen die beiden k. Staatsangehörigen Q. und R. aus M.
bei der Deutschen Botschaft in B. vor, um in Erfahrung zu bringen, welche Vo-
raussetzungen für ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland erfüllt und
welche Unterlagen vorgelegt werden müssen. In der Warteschlange wurden die
beiden Interessenten vom l. Staatsangehörigen B. angesprochen, der ihnen
gegen Geld seine Hilfe bei der Beschaffung der Visa anbot und auch darauf
verwies, dass er die Kontaktperson zum Vizekonsul sei, der bei der Deutschen
Botschaft für die Erteilung der Visa zuständig sei. Die beiden Interessenten
nahmen das Hilfsangebot an und überwiesen, nachdem sie den „Vermittler“ B.
überprüft hatten, in der Folgezeit auf dessen Konto insgesamt ca. 12 Mio. COP
(Peso Colombiano; ca. 3 800 €); außerdem übersandten sie ihm die für die Er-
teilung der Visa erforderlichen Unterlagen, darunter den Pass, ein Führungs-
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zeugnis und eine Kopie des Personalausweises. Als die beiden Interessenten
insgesamt ca. 8 Mio. COP überwiesen hatten, bestellte sie Herr B. zur Überga-
be der Visa nach B. Beim Treffen am 23. März 2005 bei einem Hotel in der Nä-
he der Deutschen Botschaft in B. konnte der „Vermittler“ B. den Interessenten
die zugesagten Visa nicht übergeben. Zur Beruhigung der beiden Interessenten
zog Herr B. den Beklagten zu diesem Gespräch hinzu. Herr B. stellte den bei-
den Interessenten den Beklagten ohne Namensnennung als Mitarbeiter der
Botschaft vor. Die beiden Interessenten, der „Vermittler" B. und der Beklagte
begaben sich in eine in der Nähe der Botschaft gelegene Ladenpassage. Bei
diesem Gespräch bezeichnete sich der Beklagte selbst als Vizekonsul und als
der für die Erteilung der Visa zuständige Mitarbeiter der Botschaft. Der Beklagte
sagte ferner, dass er die Visa bereits genehmigt habe und dass man nur auf die
Freigabe zur Aushändigung aus Deutschland innerhalb von 15 Tagen warte.
Bei dieser Aussage war dem Beklagten bewusst, dass die beiden Interessenten
an Herrn B. Geld gezahlt hatten, damit dieser ihnen abredegemäß Visa be-
schafft. Am 24. März 2005 überwies Q. auf das Konto des Herrn B. weitere, von
diesem für die Beschaffung der beiden Visa geforderte 1,7 Mio. COP. 15 Tage
später rief Herr B. Q. an und bestellte die beiden Interessenten zur Übergabe
der Visa in die Nähe der Deutschen Botschaft. Der „Vermittler“ B. erschien aber
nicht am vereinbarten Treffpunkt und war für die Interessenten auch telefonisch
nicht zu erreichen. Die Interessenten warteten daraufhin mehrere Stunden vor
der Deutschen Botschaft. Als der Beklagte das Botschaftsgebäude verließ,
lehnte er jedes Gespräch mit ihnen über die Visa ab und verwies sie an den
„Vermittler“ B. Q. und R. wurden auch in der Folgezeit keine Visa erteilt.
V
1. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich nicht bereits nach § 57 Abs. 1 Satz 1
BDG aus dem Urteil des Amtsgerichts T. vom 19. Mai 2009. Dieses Urteil ist für
das gerichtliche Disziplinarverfahren nicht bindend, weil es zum tatsächlichen
Geschehen keine Feststellungen trifft.
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Gegenstand des Urteils vom 19. Mai 2009 ist nur das Strafmaß, nachdem der
Beklagte seinen ursprünglich unbeschränkt erhobenen Einspruch gegen den
Strafbefehl vom 29. Januar 2009 in der Hauptverhandlung nach § 410 Abs. 2
StPO auf das Strafmaß beschränkt hatte. Die Feststellungen zum Tatgesche-
hen beruhen lediglich auf dem im Schuldspruch rechtskräftigen Strafbefehl vom
29. Januar 2009.
Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafbefehl kommt trotz seiner strafpro-
zessualen Gleichstellung mit einem rechtskräftigen Urteil (§ 410 Abs. 3 StPO)
keine Bindungswirkung i.S.v. § 23 Abs. 1 und § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG zu. Dies
ist in der Rechtsprechung zu § 18 BDO allgemein anerkannt (Urteil vom
16. Juni 1992 - BVerwG 1 D 11.91 - BVerwGE 93, 255 <258>). Hintergrund
hierfür ist die Überlegung, dass nur solche tatsächlichen Feststellungen eine
sichere Entscheidungsgrundlage für ein Disziplinarverfahren liefern können, die
aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen in einer Hauptverhandlung vor Gericht
und nach richterlicher Beweiswürdigung getroffen worden sind. Demgegenüber
liegt einem Strafbefehl lediglich eine in einem besonders geregelten summari-
schen Verfahren getroffene richterliche Entscheidung zugrunde. Er ergeht ohne
Hauptverhandlung und gerichtliche Beweisaufnahme und bietet damit nicht das
Maß an Ergebnissicherheit, das Voraussetzung für eine Bindungswirkung ist.
Die in § 410 Abs. 3 StPO ausgesprochene Gleichstellung bestimmt lediglich
den Umfang der Rechtskraft eines Strafbefehls (BTDrucks 10/1313, S. 38) und
dient insoweit der prozessrechtlichen Klarstellung (Urteil vom 8. Juni 2000
- BVerwG 2 C 20.99 - Buchholz 237.7 § 51 NWLBG Nr. 1).
Aus der Entstehungsgeschichte der §§ 23 und 57 BDG (Entwurf eines Geset-
zes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts, BTDrucks 14/4659, S. 41 f.
und 49) ist zu schließen, dass der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der
bisherigen Rechtsprechung den rechtskräftigen Strafbefehl hinsichtlich der Bin-
dungswirkung nicht einem rechtskräftigen Strafurteil gleichgestellt hat (Gansen,
Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 23 Rn. 4; Weiß, a.a.O. § 23 Rn. 24;
Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Aufl., § 23 Rn. 2). Denn der Bundesgesetzge-
ber ist einem entsprechenden Vorschlag des Bundesrates im Gesetzgebungs-
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verfahren nicht gefolgt (BTDrucks 14/4659, S. 59 f.; vgl. dazu Gegenäußerung
der Bundesregierung, BTDrucks 14/4659, S. 64).
Auch die Anwendung des § 57 Abs. 2 BDG ist ausgeschlossen, wonach die in
einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen
Feststellungen nicht bindend sind, aber der Entscheidung ohne erneute Prüfung
zugrunde gelegt werden können. Denn der Beklagte bestreitet substantiiert die
im Strafbefehl vom 29. Januar 2009 getroffenen Feststellungen zu seinem Ver-
halten im Zusammenhang mit der Beantragung von Schengen-Visa durch Q.
und R. im März 2005. Wegen des im Wortlaut angelegten Regel-Ausnahme-
Verhältnisses und des systematischen Zusammenhangs mit der in § 58 Abs. 1
BDG geregelten gerichtlichen Aufklärungspflicht ist für die Anwendung des § 57
Abs. 2 BDG nur Raum, wenn die Richtigkeit der anderweitig festgestellten Tat-
sachen vom betroffenen Beamten im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht
substantiiert angezweifelt wird (Beschluss vom 4. September 2008 - BVerwG 2
B 61.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 Rn. 8 m.w.N.).
2. a) Die tatsächlichen Feststellungen beruhen vorrangig auf den konsulari-
schen Vernehmungen der k. Staatsangehörigen Q. und R. durch den Zeugen S.
vom 26. Februar 2007 und des l. Staatsangehörigen B. durch den Zeugen Dr.
vom 13. April 2007. Wie in der mündlichen Verhandlung festgestellt, befinden
sich in der vom Senat beigezogenen Strafakte die von den vernommenen Per-
sonen eigenhändig unterschriebenen und in spanischer Sprache abgefassten
Originale der Niederschriften über die in Spanisch geführten Vernehmungen.
Bei den Vernehmungen haben die Zeugen S. und Dr. die für ihre Amtstätigkeit
als Konsularbeamte geltenden Schranken nach § 4 KonsG beachtet. Das Wie-
ner Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen
(BGBl II 1969 S. 1585), das in seinem Art. 5 die von einer konsularischen Ver-
tretung im Empfangsstaat wahrzunehmenden konsularischen Aufgaben auf-
führt, ist nach seinem Art. 77 Abs. 2 für K. am 6. Oktober 1972 in Kraft getreten
(Bekanntmachung über den Geltungsbereich des Wiener Übereinkommens
über konsularische Beziehungen vom 15. Februar 1973, BGBl II S. 166). Nach
§ 15 Abs. 4 KonsG stehen die Vernehmungen und die über sie aufgenomme-
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nen Niederschriften den Vernehmungen sowie den darüber aufgenommenen
Niederschriften inländischer Gerichte und Behörden gleich.
Die Zeugen S. und Dr. haben den Inhalt der Vernehmungen gegenüber dem
erkennenden Gericht überzeugend wiedergegeben. Der Senat hält die Bekun-
dungen der k. Staatsangehörigen Q. und R. für glaubhaft, diejenigen des l.
Staatsangehörigen B. allerdings nur im Kern insoweit, als er eine Zusammen-
arbeit mit dem Beklagten angegeben und die Überweisung der geforderten 12
Mio. COP auf sein Konto bestätigt hat.
Das Ergebnis der konsularischen Vernehmungen ist durch die Bekundungen
der vom Senat vernommenen Zeugen U. und P. über den Inhalt im Frühjahr
2006 geführter informatorischer Gespräche mit den beiden k. Staatsangehöri-
gen Q. und R., dem l. Staatsangehörigen B. und der bei der k. Generalstaats-
anwaltschaft zuständigen Sachbearbeiterin bestätigt worden. Kopien der Bele-
ge für die Überweisungen der Geschädigten an den „Vermittler“ B. befinden
sich in der Akte des Rechtshilfeersuchens. Bestandteil der beigezogenen Straf-
akten der Staatsanwaltschaft Be. sind auch die Unterlagen des an die Republik
K. gerichteten Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Be. vom 15. Juni
2007. Zudem haben die beiden Zeugen U. und P. inhaltlich übereinstimmend
glaubhaft ausgesagt, dass Q. und R. im Rahmen ihres Gesprächs in einem Ca-
fé in M. am 16. Mai 2006 den Beklagten anhand von sechs Fotos als denjeni-
gen Mitarbeiter der Botschaft identifiziert haben, der sich ihnen gegenüber am
23. März 2005 als Vizekonsul bezeichnet und ihnen zugleich versichert hat, die
von ihnen beantragten Visa seien bereits bewilligt und könnten in ungefähr zwei
Wochen ausgehändigt werden. Auch im Rahmen ihrer konsularischen Verneh-
mungen haben die beiden k. Staatsangehörigen den Beklagten auf den insge-
samt sechs Fotos wiedererkannt.
Bei der Würdigung des Umstands, dass Q. und R. jeweils im Mai 2006 und im
Februar 2007 den Beklagten auf den ihnen vorgelegten Bildern erkannt haben,
berücksichtigt der Senat, dass einem Zeugen bei einer Wahllichtbildvorlage
nacheinander Lichtbilder von wenigstens acht Personen vorgelegt werden sol-
len. Denn ein Zeuge kann bei dieser größeren Vergleichszahl etwaige Unsi-
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cherheiten in seiner Beurteilung besser erkennen und dementsprechend offen
legen, so dass eine Wiedererkennung unter (mindestens) acht Vergleichsper-
sonen einen höheren Beweiswert gewinnen kann (BGH, Beschluss vom
9. November 2011 - 1 StR 524/11 - NJW 2012, 791, Rn. 6 f. m.w.N.). Dies
schließt es aber nicht aus, das Ergebnis einer Wiedererkennung im Rahmen
einer auf fünf vergleichbare Porträtfotos beschränkten Wahllichtbildvorlage in
die Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme einzubeziehen.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die beiden Geschädigten, die dem Beklag-
ten nicht nur am 23. März 2005 persönlich begegnet sind, sondern diesen auch
ca. zwei Wochen später nach mehrstündigem Warten vor dem Gebäude der
Deutschen Botschaft wiedererkannt und von sich aus auf den Verbleib der ih-
nen zugesagten Visa angesprochen haben, diesen auf einem Gruppenfoto der
Beschäftigten der Deutschen Botschaft - unter ca. 35 Personen - wiedererkannt
haben.
Die Angaben der Zeugen S., U. und P. zum Inhalt der Äußerungen des unmit-
telbar geschädigten Q. zum Verhalten des Beklagten sowie des „Vermittlers“ B.
decken sich zudem mit dessen Schilderungen gegenüber der k. Staatsanwalt-
schaft im Rahmen des dort gegen den „Vermittler“ B. wegen des Verdachts des
Betrugs geführten Ermittlungsverfahrens. In der eigentlichen Anzeige vom
3. Mai 2005 sowie in seiner weiteren Vernehmung vom 25. Juli 2006 aus An-
lass des Scheiterns der zwischen dem „Vermittler“ B. und der k. Staatsanwalt-
schaft getroffenen Gütevereinbarung hat der Geschädigte Q. den Sachverhalt
übereinstimmend dargestellt. Dort hat dieser auch geschildert, dass sich Herr B.
bereits beim ersten Zusammentreffen am 2. März 2005 berühmt hatte, die Kon-
taktperson zu dem in der Deutschen Botschaft für die Erteilung von Visa zu-
ständigen Bediensteten zu sein. Inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmend
sind auch die verschiedenen Angaben des Herrn Q. zu den in der Nähe der
Deutschen Botschaft gelegenen Örtlichkeiten der Zusammentreffen mit dem
„Vermittler“ B. und mit dem Beklagten am 23. März 2005.
b) Aus seinen Angaben im zweiten Teil des mit Mitarbeitern des BND geführten
Sicherheitsgesprächs vom 30. März 2006 sowie in der Beschuldigtenverneh-
mung vom 20. September 2007 ergibt sich, dass dem Beklagten seit November
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2004 bekannt war, dass sein Bekannter B. für seine „Vermittlungstätigkeit“ von
den Visa-Antragstellern Geldzahlungen erhielt. Die vom Beklagten unterschrie-
bene Niederschrift über das Sicherheitsgespräch ist im Disziplinarverfahren ver-
wertbar.
§ 54 Satz 3 BBG a.F. (in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März
1999, BGBl I S. 675) sieht vor, dass das Verhalten eines Beamten der Klägerin
innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht
werden muss, die sein Beruf erfordert. Nach § 55 Satz 1 BBG a.F. hat ein Be-
amter seine Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Hieraus folgt, dass
der Beamte in dienstlichen Angelegenheiten wahrheitsgemäß und vollständig
zu berichten hat (Urteil vom 27. August 1997 - BVerwG 1 D 49.96 - BVerwGE
113, 118 <126 f.> = Buchholz 232 § 52 BBG Nr. 9). Über diese Pflicht ist der
Beklagte von Mitarbeitern des BND zu Beginn des Gesprächs und unmittelbar
vor der Korrektur seiner bisherigen Aussage zu seinen Kontakten zum „Vermitt-
ler“ B. auch noch nach seiner Rückversetzung in das Inland zutreffend belehrt
worden. Die Bediensteten des BND haben den Beklagten auch auf das ihm zu-
stehende Recht hingewiesen, die Aussage zu verweigern, wenn er sich dabei
strafrechtlich belasten würde. Vor dem Abschluss des Sicherheitsgesprächs
bestand auch noch keine Dienstpflicht zur Einleitung eines Disziplinarverfah-
rens i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG mit der Folge, dass der Beklagte nach § 20
Abs. 1 Satz 3 BDG darauf hinzuweisen gewesen wäre, dass es ihm freistehe,
sich schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und sich jederzeit
eines Bevollmächtigten oder Beistands zu bedienen. Die Einleitung des Diszi-
plinarverfahrens kam frühestens im Anschluss an dieses Gespräch in Betracht.
Denn erst aufgrund der Angaben des Beklagten im Gespräch vom 30. März
2006 hatte der Dienstvorgesetzte von solchen Tatsachen Kenntnis erlangt, auf-
grund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestand, dass der Beklagte
schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt
hatte.
c) Der Beklagte ist in der mündlichen Verhandlung zu den Ereignissen in K. so-
wie zu den Aussagen der Zeugen in Bezug auf die Angaben der Geschädigten
Q. und R. zu seinem Verhalten und zu dem des „Vermittlers“ B. im Zusammen-
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hang mit der Beantragung von Visa im Frühjahr 2005 angehört worden. Seine
Äußerungen beschränkten sich im Wesentlichen auf Ausflüchte oder auf die
Geltendmachung von Erinnerungslücken. Ihn belastende Angaben im Sicher-
heitsgespräch oder Unterschiede zwischen diesen Angaben und seinen Äuße-
rungen in der mündlichen Verhandlung hat er nicht plausibel zu erklären ver-
mocht.
In der zweiten Hälfte des Sicherheitsgesprächs vom März 2006 hatte es der
Beklagte zumindest nicht ausgeschlossen, dass er sich im Verlauf eines von
seinem Bekannten B. initiierten Telefongesprächs, in dem es um Visa-Anträge
und Geldüberweisungen an Herrn B. ging, gegenüber dem ihm unbekannten
Gesprächspartner des Herrn B. selbst als Konsul vorgestellt hat. Bei seiner An-
hörung in der mündlichen Verhandlung ist ihm diese Aussage vorgehalten wor-
den; er hat dann aber nachdrücklich bestritten, sich jemals so vorgestellt zu ha-
ben. Diese gravierende Abweichung konnte der Beklagte nicht erklären.
Wenig überzeugend sind auch die Reaktionen des Beklagten auf andere Vor-
halte aus der Niederschrift über das Sicherheitsgespräch vom 30. März 2006
gewesen. Dies gilt insbesondere für seine Schilderung im Sicherheitsgespräch,
eine ihm unbekannte Person per Telefon aufgefordert zu haben, eine Überwei-
sung zu veranlassen, damit Anträge für Visa positiv beschieden werden kön-
nen. Im Sicherheitsgespräch vom März 2006 hatte der Beklagte noch ausge-
sagt, im Januar 2006 habe ihm sein Bekannter B. telefonisch mitgeteilt, Visa-
Antragsteller, die Geld auf dessen Konto eingezahlt hätten, ohne dass die Visa
erteilt worden seien, hätten bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet. In der
mündlichen Verhandlung konnte sich der Beklagte an dieses Telefonat und sei-
nen ihn belastenden Inhalt nicht mehr erinnern.
Unglaubhaft ist auch die Angabe des Beklagten, er habe sich deshalb bereit
erklärt, ihm vom „Vermittler“ B. übergebene Visa-Anträge auf „formale“ Richtig-
keit zu überprüfen, um diesen als nachrichtendienstliche Verbindung zu halten
und um damit an für den BND bedeutsame nachrichtendienstliche Informatio-
nen zu gelangen. Denn da nach den Vorgaben des BND Mitarbeiter einer BND-
Residentur dienstlich gerade nicht mit der Erteilung von Visa befasst sind, hätte
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es sich aus Sicht eines Mitarbeiters einer BND-Residentur geradezu aufge-
drängt, die - angeblich - im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Zusammen-
arbeit mit Herrn B. vorgenommene Kontrolle von Visa-Anträgen dem unmittel-
baren Dienstvorgesetzten mitzuteilen. Die Brisanz seiner Befassung mit Visa-
Angelegenheiten im Rahmen seines Kontakts zu der nachrichtendienstlichen
Quelle B. als Mitarbeiter des BND an der Deutschen Botschaft war dem Beklag-
ten durchaus bewusst. Denn er hat diese Tätigkeit in der mündlichen Verhand-
lung selbst als „heikle Angelegenheit“ bezeichnet. Der Zeuge P. hat aber in
Übereinstimmung mit dem Beklagten ausgesagt, dass er von dieser Tätigkeit
des Beklagten keine Kenntnis hatte.
d) Der Umstand, dass der „Vermittler“ B. mit den beiden Interessenten Anfang
April 2005 telefonisch einen bestimmten Termin zur Aushändigung der Visa
vereinbart hat, obwohl er die versprochene Gegenleistung tatsächlich nicht er-
bringen konnte, steht den Feststellungen nicht entgegen. Aus dem schriftlichen
Bericht des Zeugen P. über das Treffen mit Q. und R. am 16. Mai 2006, der Teil
der Strafakte ist, ergibt sich, dass der „Vermittler“ B. häufig und regelmäßig mit
diesen telefonisch in Kontakt getreten ist, so dass sie dies als Ausdruck seines
hohen Interesses und Engagements gewertet haben. Auch vor dem Zusam-
mentreffen vom 23. März 2005, an dem Herr B. die versprochenen Visa nicht
aushändigen konnte und zur Beruhigung der Interessenten den Beklagten als
den Garanten der Erteilung der Visa präsentiert hatte, hatte der „Vermittler“ B.
Q. und R. telefonisch nach B. bestellt.
e) Angesichts der aufgeführten Beweismittel bedurfte es zur Feststellung des
Verhaltens des Beklagten im Zusammenhang mit der Zusage der Erteilung von
Visa an Q. und R. im Frühjahr 2005 nicht der unmittelbaren Vernehmung der im
Ausland zu ladenden Zeugen R., Q. und B.
3. Nach der im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren Bestimmung
des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines
Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden,
wenn er nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der
Wahrheit nicht erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts-
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hofs, die das Bundesverfassungsgericht gebilligt hat (Kammerbeschluss vom
21. August 1996 - 2 BvR 1304/96 - NJW 1997, 999 f.), ist für die Anwendung
des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO maßgebend, ob die Erhebung des beantragten
Beweises ein Gebot der Aufklärungspflicht ist (BGH, Urteil vom 18. Januar 1994
- 1 StR 745/93 - BGHSt 40, 60 <62> = NJW 1994, 1484 f., Beschluss vom
5. September 2000 - 1 StR 325/00 - NJW 2001, 695 f.). Es ist dem Richter er-
laubt und aufgegeben, das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme zugrunde
zu legen. Das sonst im Beweisantragsrecht weitgehend herrschende Verbot
einer Beweisantizipation gilt nicht. Die Entscheidung über den Beweisantrag
darf davon abhängig gemacht werden, welche Ergebnisse von der Beweisauf-
nahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen
wären (Beschluss vom 20. Mai 1998 - BVerwG 7 B 440.97 - Buchholz 428 § 1
VermG Nr. 153).
a) Nach diesen Grundsätzen hat der Senat den Antrag des Beklagten abge-
lehnt, die in K. zu ladenden Q. und R. als Zeugen in der mündlichen Verhand-
lung dazu zu vernehmen, ob sie mit dem Beklagten zusammengetroffen sind
und was der Beklagte mit ihnen beredet hat. Der Vertreter des Beklagten hat
den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag in Übereinstimmung mit
seinem schriftlichen Antrag vom 27. März 2012 damit begründet, die Glaubwür-
digkeit von Q. und R. sei zweifelhaft und müsse durch eine Vernehmung durch
den Senat geklärt werden.
Die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 58 Abs. 1 BDG, § 86 Abs. 1
Satz 1 VwGO) gebietet hier die Vernehmung der beiden k. Staatsangehörigen
durch den Senat zur Klärung ihrer Glaubwürdigkeit nicht. Gemäß § 58 Abs. 1
BDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grund-
sätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des
Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung
sind (BTDrucks 14/4659, S. 49 zu § 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 Satz 1
VwGO folgt daraus grundsätzlich die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen zur
Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Auf-
grund der beigezogenen Akten und der Aussagen der Zeugen in der mündli-
chen Verhandlung ist der Senat von der Glaubwürdigkeit der beiden k. Staats-
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angehörigen überzeugt, so dass die gerichtliche Aufklärungspflicht nicht die
persönliche Befragung der Zeugen durch den Senat erfordert.
Für die Glaubwürdigkeit des Geschädigten Q. spricht insbesondere, dass er
den Sachverhalt und das Verhalten des Beklagten anlässlich der beiden Zu-
sammentreffen am 23. März 2005 und Anfang April 2005 viermal geschildert
hat, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln oder seine Darstellung zum Nach-
teil des Beklagten auszuschmücken oder zu steigern. Die jeweiligen Angaben
des Herrn Q. stehen aufgrund der Beweisaufnahme fest. Der Inhalt seiner Aus-
sage anlässlich der Erstattung der Anzeige bei der k. Staatsanwaltschaft vom
3. Mai 2005 sowie seine Äußerung gegenüber dieser Staatsanwaltschaft vom
25. Juli 2006 nach dem Scheitern der Gütevereinbarung ergeben sich aus der
Antwort auf das Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Be. Über die nach
Belehrung von Herrn Q. gemachten Angaben beim Zusammentreffen mit den
Mitarbeitern der Deutschen Botschaft in B. U. und P. in einem Café in M. am
16. Mai 2006 sind diese in der mündlichen Verhandlung als unmittelbare Zeu-
gen vernommen worden. Der Inhalt der Aussage des Zeugen Q. bei seiner k.
Vernehmung durch den Zeugen S. am 26. Februar 2007 ergibt sich zum einen
aus der von ihm eigenhändig unterschriebenen Niederschrift über diese Ver-
nehmung sowie aus den Angaben des Zeugen S. in dessen Vernehmung durch
den beauftragten Richter vom 12. März 2012.
Auch Frau R. hat Verhalten und Aussagen des Beklagten mehrfach geschildert,
ohne ihre Darstellung abzuändern oder sich in Widersprüche zu verwickeln.
Gemeinsam mit Herrn Q. hatte sie sich mit den Zeugen U. und P. am 16. Mai
2006 in einem Café in M. getroffen und nach einer Belehrung über ihre Pflicht
zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Aussage über Angaben und Verhal-
ten des Beklagten am 23. März 2005 und Anfang April 2005 berichtet. Auch
Frau R. ist vom Zeugen S. am 26. Februar 2007 in der Deutschen Botschaft
konsularisch vernommen worden und hat die in Spanisch abgefasste Nieder-
schrift über diese Vernehmung eigenhändig unterschrieben.
Für die Glaubwürdigkeit der beiden geschädigten k. Staatsangehörigen spricht
ferner, dass sie gegenüber den Zeugen U. und P. anlässlich des Treffens in
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einem Café in M. am 16. Mai 2006 freimütig eingeräumt haben, gegenüber der
k. Staatsanwaltschaft die Angaben über ihre Zahlungen an Herrn B. um ca. 5
Mio. COP erhöht zu haben, um auf diese Weise die ihnen entstandenen Unkos-
ten für die Reisen von ihrem Heimatort M. nach B. auszugleichen. Ihre Glaub-
würdigkeit ergibt sich auch aus ihrem Eingeständnis gewusst zu haben, dass
die Erlangung von Schengen-Visa auf dem vom „Vermittler“ B. vorgeschlage-
nen Weg nicht legal war. Herrn Q. war nach seinen Angaben bei der konsulari-
schen Vernehmung zudem bewusst, dass er nicht über die erforderlichen finan-
ziellen Mittel verfügte, um im vorgeschriebenen Verfahren ein Visum zu erhal-
ten.
Die Zeugen U. und P., die insoweit unmittelbare Zeugen und nicht nur Zeugen
vom Hörensagen sind, haben das Verhalten der Frau R. sowie des Herrn Q.
anlässlich ihres Treffens in M. am 16. Mai 2006 eingehend geschildert. Das ge-
schilderte Verhalten spricht für die Glaubwürdigkeit der Geschädigten und die
Glaubhaftigkeit ihrer Angaben zum Verhalten des Beklagten. Die von den Zeu-
gen U. und P. übereinstimmend geschilderte anfängliche Zurückhaltung der
beiden k. Staatsangehörigen gegenüber den Mitarbeitern der Deutschen Bot-
schaft ist von den beiden Geschädigten nachvollziehbar begründet worden. Die
beiden K. gingen zunächst davon aus, ihnen drohten durch die beiden Mitarbei-
ter der Botschaft seitens der Botschaft oder seitens des Herrn B. Repressalien.
Die Geschädigten hatten sich vor dem Gespräch mit den Zeugen U. und P. bei
der k. Staatsanwaltschaft nach dem Hintergrund der Kontaktaufnahme durch
Mitarbeiter der Deutschen Botschaft erkundigt und haben ihre anfängliche Zu-
rückhaltung im Gespräch vom 16. Mai 2006 erst nach der Klarstellung durch die
Zeugen U. und P. aufgegeben, dass das Gespräch ausschließlich dazu diene,
das Verhalten eines Mitarbeiters der Botschaft im Zusammenhang mit ihren
Visa-Anträgen aufzuklären. Im Anschluss hieran haben die beiden Geschädig-
ten den Sachverhalt inhaltlich übereinstimmend berichtet und dabei auch frei-
mütig eigenes Fehlverhalten, d.h. das „Aufschlagen“ von ca. 5 Mio. COP auf die
an Herrn B. tatsächlich gezahlte Gesamtsumme von 12 Mio. COP zur Abde-
ckung der ihnen entstandenen Reisekosten, eingeräumt. Die Angaben des
Zeugen P. in der mündlichen Verhandlung zu Auftreten und Äußerungen der
beiden Geschädigten anlässlich des Gesprächs vom 16. Mai 2006 decken sich
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mit seinem detaillierten, an die Zentrale des BND gerichteten Bericht vom
17. Mai 2006, der Bestandteil der Strafakte ist.
Die Zeugin U., eine erfahrene Kriminalbeamtin, hat die beiden Geschädigten
aufgrund ihres Verhaltens anlässlich des Zusammentreffens in M. am 16. Mai
2006 als glaubwürdig angesehen. Für diese Einschätzung spricht nach Auffas-
sung des Senats insbesondere, dass die beiden Geschädigten nach den de-
ckungsgleichen Aussagen der Zeugen U. und P. ihre Antworten im Gespräch
vom 16. Mai 2006 nicht bedenken mussten, sondern spontan und inhaltlich
übereinstimmend ausgesagt haben. Ferner haben sie sich auch auf Nachfragen
der beiden Mitarbeiter der Botschaft nicht in Widersprüche verwickelt. Nach den
Bekundungen der Zeugen U. und P. haben die beiden Geschädigten den Sach-
verhalt und das Verhalten des Beklagten am 16. Mai 2006 ohne größere Emo-
tionen oder Ärger geschildert. Dies deckt sich mit der Beurteilung des Verhal-
tens der Geschädigten durch die Zeugin D.. Diese hat in der mündlichen Ver-
handlung ausgesagt, die beiden k. Staatsangehörigen hätten bei ihren konsula-
rischen Vernehmungen am 26. Februar 2007 einen ruhigen Eindruck gemacht.
Sie hätten die ihnen gestellten Fragen flüssig und ohne sichtliche Emotionen
gegenüber dem Beklagten beantwortet. Triebfeder für das Vorgehen der Ge-
schädigten Q. und R. ausschließlich gegen den „Vermittler“ B. war der Um-
stand, dass sie an diesen ganz erhebliche Geldzahlungen geleistet hatten, oh-
ne die ihnen von diesem zugesagte Gegenleistung zu erhalten.
b) Die Geschädigten wären unglaubwürdig, wenn sich Anhaltspunkte für die
These finden ließen, sie hätten den Beklagten als Mitarbeiter der Deutschen
Botschaft nur deshalb der Mitwirkung bei ihrem Versuch der illegalen Erlangung
von Visa bezichtigt, um diesen persönlich oder mittelbar die deutsche Botschaft
unter Hinweis auf eine drohende Veröffentlichung zur Rückzahlung der von ih-
nen an den „Vermittler“ B. gezahlten Gesamtsumme von 12 Mio. COP drängen
zu können. Für diese „Komplotttheorie“ oder die Tendenz der Geschädigten,
den Beklagten durch unrichtige Angaben zu belasten, fehlt jedoch jeglicher An-
halt.
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Wie die beiden Geschädigten bei ihren konsularischen Vernehmungen überein-
stimmend ausgesagt haben, ging es ihnen zwar darum, die ganz erhebliche
Summe von 12 Mio. COP, die sie sich darlehnsweise beschafft und als Gegen-
leistung für die zugesagte Beschaffung der beiden Visa an Herrn B. auf dessen
Konten überwiesen hatten, zurückzuerhalten. Die Ernsthaftigkeit dieses Bestre-
bens ist durch den Umstand belegt, dass Herr Q. den „Vermittler“ B. bereits am
3. Mai 2005, d.h. nur kurze Zeit nach der ausgebliebenen Aushändigung der
Visa, bei der Staatsanwaltschaft wegen Betrugs angezeigt hat. Wäre es dem
Geschädigten darum gegangen, einen Mitarbeiter der Botschaft zu Unrecht ei-
ner Mitwirkung zu bezichtigen, um einen weiteren, auch solventen Schuldner
ihres Anspruchs auf Rückerstattung zu „konstruieren“, so hätte es sich aufge-
drängt, zeitgleich mit der Erstattung der Strafanzeige gegen Herrn B. bei der
Deutschen Botschaft vorstellig zu werden, um den Beschäftigten oder die Deut-
sche Botschaft, z.B. durch die Drohung einer Veröffentlichung von Einzelheiten,
zur Zahlung zu bewegen. Tatsächlich haben jedoch die Geschädigten von sich
aus jeden Kontakt zum Beklagten oder der Deutschen Botschaft gemieden.
Nicht die Geschädigten, sondern der „Vermittler“ B. ist an die Botschaft heran-
getreten und hat diese vor dem Hintergrund des Ablaufs der in der Güteverein-
barung festgesetzten Frist zur Rückzahlung durch die Androhung der Veröffent-
lichung „unangenehmer Details“ zur Zahlung der Gesamtsumme von 12 Mio.
COP gedrängt. Zwar war Herrn Q. zum Zeitpunkt der Erstattung seiner Anzeige
am 3. Mai 2005 der Name des Beklagten noch nicht bekannt. Nach seiner kon-
sularischen Vernehmung hat er diesen aber im Verlauf des gegen Herrn B. bei
der Staatsanwaltschaft geführten Verfahrens erfahren. Obwohl die Geschädig-
ten den Mitarbeiter der Botschaft später namentlich benennen und zudem des-
sen auffällige Erscheinung bereits zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung detail-
liert beschreiben konnten, haben sie sich ausschließlich an den „Vermittler“ B.
als denjenigen gehalten, an den sie die verschiedenen Zahlungen geleistet hat-
ten.
Dieser Zurückhaltung der Geschädigten gegenüber der Deutschen Botschaft
und ihren Mitarbeitern widerspricht auch nicht der Umstand, dass die beiden k.
Staatsangehörigen Anfang April 2005 vor dem Gebäude der Deutschen Bot-
schaft mehrere Stunden auf das Erscheinen des Beklagten gewartet haben, um
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diesen nach dem Verbleib der ihnen vom „Vermittler“ B. für diesen Tag zuge-
sagten Visa zu fragen. Denn für die beiden Geschädigten war der Beklagte an
diesem Tag, an dem sie ausschließlich wegen der angekündigten Erteilung der
Visa von M. nach B. geflogen waren, die einzige Person, die ihnen nach dem
Ausbleiben des Herrn B. vor Ort Auskunft hätte geben können.
VI
1. Durch das festgestellte Verhalten hat der Beklagte die ihm nach § 54 Satz 2
und 3 sowie § 70 Satz 1 BBG a.F. obliegenden Pflichten vorsätzlich, rechtswid-
rig und schuldhaft verletzt. Er hat gegen die Pflicht verstoßen, sein Amt un-
eigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten, gegen die Pflicht zum ach-
tungs- und vertrauenswürdigen Verhalten sowie gegen das Verbot, in Bezug
auf das Amt geldwerte Vorteile anzunehmen. Damit hat der Beklagte ein
Dienstvergehen i.S.v. § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. begangen.
Im Hinblick auf den Verstoß gegen § 70 Satz 1 BBG a.F. ist es unerheblich,
dass der Beklagte nach der Aufgabenverteilung in der Deutschen Botschaft in
B. mit der Erteilung von Visa dienstlich nicht befasst war und die Geschädigten
Q. und R. die geforderten Zahlungen an den „Vermittler“ B. geleistet haben.
Denn der Tatbestand des § 70 Satz 1 BBG a.F. ist bereits dadurch erfüllt, dass
Q. an den „Vermittler“ B. nach dem Zusammentreffen mit dem Beklagten am
23. März 2005 Geld für die Beschaffung von Visa überwiesen hat und der Be-
klagte im Zusammenwirken mit dem „Vermittler“ B. gegenüber den Geschädig-
ten wahrheitswidrig den Eindruck erweckt hat, er werde ihnen im Hinblick auf
die an B. geleisteten Zahlungen die von diesem als Gegenleistung versproche-
nen Visa verschaffen.
Zweck des Verbots nach § 70 Satz 1 BBG a.F. ist es, bereits den bloßen An-
schein zu vermeiden, dienstliche Handlungen seien durch Gefälligkeiten beein-
flussbar und Amtshandlungen seien käuflich (Urteile vom 14. Dezember 1995
- BVerwG 2 C 27.94 - BVerwGE 100, 172 <176 f.> = Buchholz 236.1 § 19 SG
Nr. 1 S. 5, vom 22. Oktober 1996 - BVerwG 1 D 76.95 - BVerwGE 113, 4 <5 f.>
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65
66
- 28 -
= Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 4 und vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D
1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 Rn. 29). Anknüpfungspunkt des gesetzli-
chen Verbots ist nicht das enge Gebiet der Amtshandlungen des Beamten,
sondern nach dem Wortlaut sowohl das Amt im abstrakt- oder konkret-
funktionellen Sinn als auch das Amt im statusrechtlichen Sinn (Urteil vom
20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11
S. 18 f.). Danach besteht der in § 70 Satz 1 BBG a.F. geforderte Bezug zum
Amt bereits dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls sich der Geber
davon leiten lässt, dass der Bedienstete dienstlich tätig wird oder geworden ist.
Es reicht aus, wenn, wie hier, nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven
des Gebers der Gesichtspunkt der Anstellung oder dienstlichen Tätigkeit des
Beamten zumindest mitkausal ist (Urteile vom 14. Dezember 1995 a.a.O.
S. 176 bzw. S. 5 und vom 20. Februar 2002 a.a.O. S. 19). Auch dann, wenn der
Beamte unter Hinweis auf seine Dienststellenzugehörigkeit beim Zuwender le-
diglich den wahrheitswidrigen Anschein erweckt hat, auf die begehrte Entschei-
dung der Dienststelle in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können, ist der
Bezug zum Amt gegeben.
Entsprechend dem Zweck des § 70 Satz 1 BBG a.F., bereits den Anschein der
Käuflichkeit von Diensthandlungen zu vermeiden, werden von dem Verbot auch
solche Belohnungen und Geschenke erfasst, die nicht dem Beamten persön-
lich, sondern einem Dritten zufließen, bei denen aber nicht der Dritte, sondern
der Beamte wegen seiner dienstlichen Stellung oder seiner dienstlichen Hand-
lungen den Grund für die Zuwendung bildet (Urteil vom 20. Februar 2002
a.a.O.; Plog/Wiedow, BBG alt, § 70 Rn. 3; Zängl, in: GKÖD, Bd. I, BBG, K § 70
Rn. 22; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 76 LBG
NRW a.F. Rn. 24). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil Herr Q. dem „Ver-
mittler“ B. - erneut - Geld zur Erlangung der Visa überwiesen hat, nachdem die
Interessenten mit dem Beklagten am 23. März 2005 zusammengetroffen waren
und dieser ihnen die Erteilung der Visa zugesichert hatte. Auch der Gesetzge-
ber geht offenkundig davon aus, dass das Verbot der Annahme von Belohnun-
gen oder Geschenken auch Zuwendungen an Dritte erfasst, wenn Motiv für die
Gewährung des Vorteils die dienstliche Stellung des Beamten oder seine
dienstlichen Handlungen sind. Denn in § 71 Abs. 1 Satz 1 BBG in der Fassung
67
- 29 -
des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160) ist
nunmehr ausdrücklich bestimmt, dass Beamtinnen und Beamte keine Beloh-
nungen, Geschenke oder sonstige Vorteile für sich oder einen Dritten in Bezug
auf ihr Amt fordern, sich versprechen lassen oder annehmen dürfen. Inhaltlich
ist aber mit der Neufassung der Vorschrift keine Änderung gegenüber der Vor-
gängerreglung des § 70 BBG a.F. verbunden (vgl. Gesetzentwurf der Bundes-
regierung, BTDrucks 16/7076, S. 117).
Auf die dem § 54 Satz 2 und 3 sowie § 70 Satz 1 BBG a.F. entsprechenden
Regelungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 BBG n.F. und § 71 Abs. 1 Satz 1
BBG n.F. ist nicht abzustellen, weil die Vorschriften mit Ausnahme der redaktio-
nellen Anpassung an die geschlechtergerechte Sprache mit den Vorgängerre-
gelungen übereinstimmen und damit für den Beklagten gegenüber der zum
Tatzeitpunkt geltenden Rechtslage keine günstigere Regelung geschaffen ha-
ben, auf die er sich nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB im Diszi-
plinarverfahren berufen könnte (vgl. Urteile vom 25. August 2009 - BVerwG 1 D
1.08 - Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 33, vom 25. März 2010
- BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 11
jeweils Rn. 17 und vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 5.10 - Buchholz 235.2
LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 11).
2. Das Dienstvergehen hat der Beklagte innerdienstlich begangen. Das pflicht-
widrige Verhalten war in sein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätig-
keit eingebunden (Urteile vom 25. August 2009 Rn. 54, insoweit in Buchholz
232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 nicht abgedruckt, und vom 29. Juli 2010 - BVerwG
2 A 4.09 - juris Rn. 194). Das Auftreten als Vizekonsul der Deutschen Botschaft
gegenüber den Interessenten sowie das Inaussichtstellen von Visa war dem
Beklagten allein aufgrund seiner dienstlichen Stellung als Mitarbeiter der Deut-
schen Botschaft möglich.
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69
- 30 -
VII
Den Verwaltungsgerichten ist durch § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG die Disziplinarbe-
fugnis in den durch die Disziplinarklage gezogenen Grenzen übertragen. Daher
bestimmen sie die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer eigenen
Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 und 2 BDG, wenn
und soweit sie den Nachweis des dem Beamten zur Last gelegten Dienstverge-
hens für erbracht halten. An die Wertungen des klagenden Dienstherrn sind sie
nicht gebunden (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1
§ 13 BDG Nr. 3 Rn. 11).
Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1
Satz 2 bis 4 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener
Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten. Aus den gesetzlichen Vor-
gaben folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, die Disziplinarmaßnah-
me aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung
aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen.
Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funk-
tionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der diszipli-
narrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaß-
nahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funk-
tionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamten-
tums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (Urteil vom 3. Mai 2007
a.a.O. Rn. 16; Beschluss vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz
235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 5).
Bei der Gesamtwürdigung haben die Verwaltungsgerichte die im Einzelfall be-
messungsrelevanten Tatsachen nach Maßgabe des § 58 Abs. 1 BDG zu ermit-
teln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubezie-
hen. Hier findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung: Insbesondere bei
der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens dürfen nur solche belas-
tenden Tatsachen berücksichtigt werden, die zur Überzeugung des Gerichts
feststehen. Demgegenüber sind entlastende Umstände schon dann beachtlich,
wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind
70
71
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- 31 -
und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (Urteile vom 20. Ok-
tober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 f.> = Buchholz
235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 22 und vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 17).
Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens
gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungweisend für die Bestimmung der erfor-
derlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienst-
vergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten
Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Dabei können die vom Disziplinarsenat
des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten
Regeleinstufungen von Bedeutung sein (vgl. zur Vorteilsannahme Urteil vom
23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12). Da-
von ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf
an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauens-
beeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die
durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme gebo-
ten ist (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 259 f. bzw. Rn. 24 ff. und vom
3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 20).
Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit
i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 1 BGB ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognosti-
schen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be-
und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Be-
amte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten ver-
stoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des An-
sehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhält-
nisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Be-
amtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes
und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (Urteile vom
20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 f. bzw. Rn. 26 f., vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 18
und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 17 ff., insoweit in Buch-
holz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 nicht abgedruckt).
73
74
- 32 -
Bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens ist entgegen dem Vor-
bringen des Beklagten nicht die Höhe der Zahlungen der geschädigten k.
Staatsangehörigen an den „Vermittler“ B. maßgebend. Im Vordergrund steht
der vom Beklagten erweckte Anschein, die Erteilung von Visa, eine für Auslän-
der besonders bedeutsame Amtshandlung eines deutschen Beamten, sei durch
Geldzahlungen zu beeinflussen. Die Bedeutung dieser Diensthandlung be-
schränkte sich nicht nur auf das Bundesgebiet, sondern betraf auch noch ande-
re Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Nach dem zum Tatzeitpunkt gel-
tenden Schengener Durchführungsübereinkommen (Art. 21 SDÜ) können sich
Drittausländer aufgrund eines von einer deutschen Behörde erteilten Visums bis
zu drei Monaten auch in den sonstigen Vertragsstaaten dieses Abkommens
aufhalten.
Verstöße gegen § 70 Satz 1 und § 54 Satz 2 BBG a.F. sind in der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts seit jeher als sehr schwerwiegend ein-
gestuft worden. Die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte
Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbe-
amtentums dar. Es ist Zweck der Vorschriften, bereits den Anschein zu vermei-
den, ein Beamter könne sich bei Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben
aus Eigennutz durch sachwidrige Erwägungen beeinflussen lassen und für
Amtshandlungen allgemein käuflich sein. Es kann im Interesse einer gesetz-
mäßigen Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Vertrauens in ein
rechtsstaatliches Handeln der Verwaltung nicht hingenommen werden, wenn
ein Beamter den Eindruck erweckt, er lasse sich in Bezug auf seine dienstliche
Tätigkeit durch ihm oder Dritten gewährte oder zugesagte Vorteile beeinflussen.
Unerheblich ist, ob es zu der in Aussicht gestellten Amtshandlung gekommen
ist. Im Hinblick hierauf ist bei einem Verstoß gegen § 70 Satz 1 und § 54 Satz 2
BBG a.F. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richt-
schnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn
erhebliche Geldzahlungen in Bezug auf die Diensthandlung geleistet worden
sind. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte keine pflichtwidrigen Amtshandlun-
gen als Gegenleistungen erbracht hat. Das Inaussichtstellen einer konkreten
Diensthandlung im Hinblick auf bereits an den Beamten oder einen Dritten ge-
leistete oder diesen zugesagte Geldzahlungen offenbart ein besonders hohes
75
76
- 33 -
Maß an Pflichtvergessenheit, weil jedem Beamten klar sein muss, dass er
durch ein solches Verhalten die Grenze der Sozialadäquanz eindeutig über-
schreitet und den Anschein der Käuflichkeit erweckt. Die von der Schwere des
Pflichtenverstoßes ausgehende Indizwirkung kann nur entfallen, wenn mildern-
de Umstände von erheblichem Gewicht vorliegen, so dass eine fallbezogene
Gesamtbetrachtung den Schluss rechtfertigt, es sei noch kein endgültiger Ver-
trauensverlust eingetreten (Urteile vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 -
juris Rn. 29 f., insoweit in Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 nicht abgedruckt, und
vom 23. November 2006 a.a.O. Rn. 29 f. m.w.N.).
Danach ist hier von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) als
Richtschnur auszugehen. Der Beklagte hat in dem für die Bundesrepublik
Deutschland, aber auch für andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union
sensiblen Bereich der Erteilung von Visa den Anschein erweckt, diese Dienst-
handlung sei käuflich oder sei zumindest durch Geldzahlungen zu beeinflussen.
In Kenntnis der bereits an den „Vermittler“ B. für die Beschaffung von Visa ge-
leisteten Zahlungen hat er die geschädigten k. Staatsangehörigen durch sein
Auftreten und seine Zusicherung, er habe die Visa bereits genehmigt, in der
Annahme bestärkt, auf diese Weise die begehrten Visa erhalten zu können, und
zu weiteren Zahlungen an den „Vermittler“ B. veranlasst.
Der Gesamtbetrag von 12 Mio. COP (ungefähr 3 800 €), den Q. und R. an
Herrn B. für die Vermittlung der Visa im Hinblick auf dessen Versicherung, Kon-
taktperson des bei der Deutschen Botschaft für die Genehmigung der Visa zu-
ständigen Vizekonsuls zu sein, und den Äußerungen des Beklagten anlässlich
des Zusammentreffens vom 23. März 2005 gezahlt haben, kann nicht als „Ba-
gatellsumme“ (100 DM/50 €; vgl. dazu Urteile vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 D
31.01 - BVerwGE 116, 308 <310 f.> = Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 28
S. 26 und vom 14. November 2007 - BVerwG 1 D 6.06 - Rn. 48, insoweit nicht
in Buchholz 235 § 4 BDO Nr. 3 abgedruckt) eingestuft werden, die von vornhe-
rein eine mildere Einstufung des Fehlverhaltens zulassen würde.
Der Vortrag des Vertreters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zur
Bemessungsentscheidung gibt Anlass zu dem Hinweis, dass sich die vom Ge-
77
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79
- 34 -
richt nach § 13 BDG zu treffende Bemessungsentscheidung nicht daran auszu-
richten hat, das Ansehen des BND im Verhältnis zu anderen Behörden, wie
insbesondere dem Auswärtigen Amt, zu wahren. Unerheblich ist insoweit auch
die Vorliebe eines Beamten für teure Autos, Schmuck oder wertvolle Uhren. Ein
im Verhältnis zur tatsächlich gezahlten Besoldung gehobener Lebensstil eines
Beamten ist kein Anlass für Zweifel an der „Korrektheit seiner Grundeinstellung“
und ist nicht im Rahmen des § 13 BDG zu dessen Nachteil zu werten.
Milderungsgründe von Gewicht, die es rechtfertigen könnten, von der durch die
Schwere des Dienstvergehens indizierten Höchstmaßnahme abzusehen, liegen
nicht vor. Unter Geltung der Bemessungsvorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4
BDG sind entlastende Umstände nicht auf den in der Rechtsprechung entwi-
ckelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (Urteile vom
20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 ff. bzw. Rn. 26 ff. und vom 29. Mai 2008
- BVerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 23 m.w.N., insoweit in Buchholz 235.1 § 70 BDG
Nr. 3 nicht abgedruckt).
Auf eine existenzielle wirtschaftliche Notlage oder eine körperliche oder psychi-
sche Ausnahmesituation, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes
Verhalten nicht mehr erwartet und deshalb nicht mehr vorausgesetzt werden
kann, hat sich der Beklagte trotz des Hinweises des Senats, bei der Bemes-
sungsentscheidung seien sämtliche entlastenden Umstände zu berücksichtigen
und es sei auch Sache des betroffenen Beamten, entsprechende tatsächliche
Anhaltspunkte vorzutragen, nicht berufen.
Dass der Beklagte bis zum Jahr 2005 straf- und disziplinarrechtlich nicht in Er-
scheinung getreten war, über lange Zeit sehr gute dienstliche Leistungen er-
bracht und bei der Dienstausübung großes Engagement gezeigt hat, fällt ange-
sichts der Schwere der Verfehlung nicht ausschlaggebend ins Gewicht. Jeder
Beamte ist verpflichtet, bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz seiner Ar-
beitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes ach-
tungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 54 Satz 1 und 3 BBG a.F.).
80
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82
- 35 -
Der Umstand, dass der Beklagte nach der Aufdeckung der Verfehlung weiter-
beschäftigt worden ist, an einem Sprachkurs teilgenommen und sich in seinem
derzeitigen Tätigkeitsbereich bewährt hat, ist nicht geeignet, eine mildere Diszi-
plinarmaßnahme zu rechtfertigen. Die Entscheidung über die Fortsetzung des
Beamtenverhältnisses obliegt den Verwaltungsgerichten unter Beachtung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung. Sie haben ohne Bindung an die Auffas-
sung des Dienstherrn zu beurteilen, ob ein endgültiger Vertrauensverlust einge-
treten ist. Ist dies der Fall, so vermag daran auch eine vorübergehende Weiter-
beschäftigung auf einem anderen Dienstposten während des Disziplinarverfah-
rens nichts zu ändern. Denn das Vertrauen bezieht sich auf das Amt im status-
rechtlichen Sinne (Urteile vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 D 33.02 - BVerwGE
120, 33 <53> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 35 S. 79 und vom 8. Juni
2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 26 sowie Beschluss vom 1. März 2012
- BVerwG 2 B 140.11 - juris Rn. 7, stRspr). Zudem kann die Weiterbeschäfti-
gung auf finanziellen Gesichtspunkten beruhen, die für die Disziplinarentschei-
dung ohne Bedeutung sind. Schließlich entspricht die Weiterbeschäftigung des
Beklagten der zwischen dem Präsidenten des BND und dem Personalrat getrof-
fenen Vereinbarung.
Weder die lange Dauer des Verfahrens noch das lange Zurückliegen des
Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenver-
hältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Zwar kann eine pflich-
tenmahnende Disziplinarmaßnahme (z.B. Zurückstufung nach § 9 BDG) in die-
sen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei
Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen
ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die
mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen
Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstige-
re Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der
Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwer-
wiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst
untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust (§ 13 Abs. 2
Satz 1 BDG), den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine
lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens
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84
- 36 -
nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wieder-
hergestellt werden (BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 -
BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR
1003/05 - DVBl 2006, 1372 >1373>; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005
- BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80, vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris
Rn. 27 und vom 7. Februar 2008 - BVerwG 1 D 4.07 - juris Rn. 29, insoweit in
Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 13 nicht abgedruckt; Beschlüsse vom 13. Oktober
2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8 und vom
26. August 2009 - BVerwG 2 B 66.09 - juris Rn. 11). Diesen Unterschied hat der
Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 BDG die Entfer-
nung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinar-
maßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat.
Auch die Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Ge-
richtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November
2011 (BGBl I S. 2302) haben hieran nichts geändert. Der Verweis in § 3 BDG
auf die Verwaltungsgerichtsordnung erfasst auch § 173 Satz 2 VwGO in der
Fassung dieses Gesetzes, der wiederum die Vorschriften des Siebzehnten Ti-
tels des Gerichtsverfassungsgesetzes (§§ 198 ff.) mit Maßgaben für anwendbar
erklärt. Der Gesetzgeber hat dem betroffenen Verfahrensbeteiligten in den
§§ 198 ff. GVG für den Fall der gerügten unangemessenen Dauer eines Ge-
richtsverfahrens für dadurch verursachte Vermögensnachteile und immaterielle
Folgen grundsätzlich einen Anspruch auf angemessene Entschädigung einge-
räumt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 GVG geht die Wiedergutmachung
des Verstoßes gegen das Gebot des gerichtlichen Rechtsschutzes in ange-
messener Zeit auf andere Weise dem Entschädigungsanspruch vor, der die
durch die verzögerte gerichtliche Entscheidung bestimmte Rechtslage unbe-
rührt lässt. Der Gesetzgeber hat aber davon abgesehen, in den §§ 198 ff. GVG
die Formen einer solchen Wiedergutmachung abschließend festzulegen
(BTDrucks 17/3802, S. 16 und 19). Er hat aber auch nicht vorgesehen, dass die
Wiedergutmachung in der Weise zu erfolgen hat, dass dem Betroffenen als
Ausgleich für die Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens die den Gegen-
stand des Rechtsstreits bildende Rechtsposition einzuräumen ist, deren mate-
riell-rechtliche Voraussetzungen der Betroffene nicht erfüllt. Für andere als
85
- 37 -
strafgerichtliche Verfahren (§ 199 Abs. 3 GVG) hat der Gesetzgeber in den
§§ 198 ff. GVG als Form der Wiedergutmachung auf andere Weise lediglich die
Möglichkeit einer Feststellung der überlangen Verfahrensdauer durch das Ent-
schädigungsgericht bei gleichzeitiger Freistellung des Klägers von den Kosten
des Entschädigungsrechtsstreits geregelt (BTDrucks 17/3802, S. 16). Ob im
Übrigen eine dem Entschädigungsanspruch vorgehende Wiedergutmachung
auf andere Weise möglich ist, richtet sich nach den jeweiligen formellen und
materiell-rechtlichen Bestimmungen. Die für die Bemessung der Disziplinar-
maßnahme maßgeblichen Vorschriften schließen aber, wie dargelegt, die Wie-
derherstellung des verlorenen Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemein-
heit allein durch eine unangemessene Dauer des Disziplinarverfahrens aus.
Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 6 EMRK. Art. 6 Abs. 1 EMRK gewähr-
leistet das Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere auf eine Entscheidung
innerhalb angemessener Zeit. Zwar geht der Europäische Gerichtshof für Men-
schenrechte davon aus, dass Art. 6 EMRK in seiner zivilrechtlichen Bedeutung
auf ein Disziplinarverfahren, in dem der Beamte wegen eines Dienstvergehens
aus dem Dienst entfernt worden ist, anwendbar ist (EGMR, Urteil vom 16. Juli
2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 Rn. 39 m.w.N.). Haben Gerichte gegen
Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen - bei einem Disziplinarverfahren ist die Zeitspan-
ne zwischen der Entscheidung über seine Einleitung bis zur letzten gerichtli-
chen Entscheidung maßgeblich -, so hat das entsprechende Urteil des Ge-
richtshofs, wie sich aus Art. 41 EMRK ergibt, lediglich Feststellungswirkung.
Auch Art. 46 Abs. 1 EMRK, wonach der Vertragsstaat verpflichtet ist, das end-
gültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, führt nicht dazu, dass der Vertrags-
staat dem Betroffenen allein wegen der überlangen Dauer des Verfahrens eine
Rechtsstellung einräumen muss, die diesem nach dem maßgeblichen inner-
staatlichen materiellen Recht nicht zusteht; der Gerichtshof spricht vielmehr
eine gerechte Entschädigung als Ersatz für immaterielle Schäden zu (Meyer-
Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 41 Rn. 21). Die vom Gerichtshof der verletzten
Person nach Art. 41 EMRK zuzusprechende gerechte Entschädigung, die den
materiellen wie auch den immateriellen Schaden erfassen kann (EGMR, Urteil
vom 16. Juli 2009 a.a.O. Rn. 59 ff.), lässt die sich nach dem innerstaatlichen
Recht bestimmende materiell-rechtliche Rechtslage unberührt.
86
- 38 -
VIII
Aufgrund der vorliegenden Akten und der Erklärungen des Beklagten im ge-
richtlichen Verfahren besteht keine Veranlassung, von der gesetzlichen Rege-
lung für den Unterhaltsbeitrag (§ 10 Abs. 3 BDG) abzuweichen.
IX
Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 1 VwGO.
Einer Festsetzung des Streitwerts für das gerichtliche Verfahren bedarf es nach
§ 78 Satz 1 BDG nicht, weil Gerichtsgebühren für das nach dem 31. Dezember
2009 anhängig gewordene gerichtliche Verfahren nach dem Gebührenver-
zeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden (§ 85 Abs. 12 BDG). Hierbei
ist von einer Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst aus-
zugehen.
VRiBVerwG Herbert
Dr. von der Weiden Thomsen
ist wegen Eintritts in den
Ruhestand verhindert
zu unterschreiben.
Dr. von der Weiden
Dr. Maidowski Dr. Hartung
87
88
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BDG
§§ 10, 13, 17 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 1, §§ 52, 55, 56,
57 Abs. 1 und 2 und § 60 Abs. 2
BBG a.F.
§ 54 Satz 2 und 3, § 55 Satz 1, § 70 Satz 1 und § 77 Abs. 1
BBG
§ 61 Abs. 1 und § 71 Abs. 1 Satz 1
StPO
§ 244 Abs. 5 Satz 2 und § 410 Abs. 2 und 3
KonsG
§§ 4 und 15
EMRK
Art. 6, 41 und 46
VwGO
§ 173 Satz 2
GVG
§ 198
Stichworte:
Mangel des Disziplinarverfahrens; Wesentlichkeit des Mangels; Verwaltungs-
ermittlungen; Einleitung des Disziplinarverfahrens; Darstellung von Tatsachen
und Beweismitteln; Ausscheiden von Handlungen; Strafbefehl; Bindungswir-
kung; konsularische Vernehmung; Auslandszeuge; Wahllichtbildvorlage;
Rechtshilfeersuchen; Visum; Beweisantrag; Ablehnung; Amtsaufklärung; Be-
weisantizipation; Glaubwürdigkeit; Zeuge vom Hörensagen; unmittelbarer Zeu-
ge; Amtsbezug; Anschein der Käuflichkeit; Disziplinarbefugnis der Gerichte;
Bemessungsentscheidung; Schwere des Dienstvergehens; endgültiger Ver-
trauensverlust; Entfernung aus dem Beamtenverhältnis; Milderungsgründe;
Dauer des Disziplinarverfahrens.
Leitsatz:
Der Dienstvorgesetzte hat nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG ein Disziplinarverfah-
ren einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die
den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen.
Tatsächlichen Feststellungen eines rechtkräftigen Strafbefehls kommt für das
Disziplinarverfahren keine Bindungswirkung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG zu.
Die Entscheidung über einen Beweisantrag, der auf die Vernehmung eines
Auslandszeugen gerichtet ist, richtet sich auch im gerichtlichen Disziplinarver-
fahren danach, ob die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts die Vernehmung
des Zeugen gebietet.
Ist die Entfernung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis geboten, so füh-
ren bei einem unangemessen langen Disziplinarverfahren weder Art. 6 Abs. 1
EMRK noch §§ 198 ff. GVG dazu, dass wegen der Verfahrensdauer eine milde-
re Disziplinarmaßnahme auszusprechen ist.
Urteil des 2. Senat vom 29. März 2012 - BVerwG 2 A 11.10