Urteil des BVerwG vom 21.01.2015

Altersgrenze, Verordnung, Schutz der Gesundheit, Grundsatz der Gleichbehandlung

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Recht der freien Berufe
Rechtsquelle/n:
Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur
Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung
der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf Art. 2 Abs. 5
GG Art. 3, Art. 12
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs 2 Satz 1
AGG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 3,
§ 7 Abs. 1 Halbs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Satz 1
Hessische Verordnung über Prüfberechtigte und
Prüfsachverständige nach der Hessischen Bauordnung
§ 7 Abs. 1 Nr. 2
Titelzeile:
Höchstaltersgrenze für Prüfsachverständige für technische
Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden
Stichworte:
Diskriminierung wegen des Alters; Höchstaltersgrenze; Sachverständiger;
Prüfsachverständiger für technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden;
Sicherheitsvorbehalt; Bausicherheit; Kohärenz; Normenkontrolle; Antragsfrist.
Leitsatz/-sätze:
Die Gewährleistung der Bausicherheit dient im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der
RL 2000/78/EG dem Erfordernis der öffentlichen Sicherheit. Sie ist ein legitimes
Ziel, das für Prüfsachverständige für technische Anlagen und Einrichtungen in
Gebäuden eine Ungleichbehandlung wegen des Alters durch Festsetzung einer
generellen Höchstaltersgrenze von 70 Jahren rechtfertigen kann.
Urteil des 10. Senats vom 21. Januar 2015 - BVerwG 10 CN 1.14
I. VGH Kassel vom 7. August 2013
Az: VGH 7 C 897/13.N
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 CN 1.14
VGH 7 C 897/13.N
Verkündet
am 21. Januar 2015
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Normenkontrollsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2015
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock
für Recht erkannt:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Revisions-
verfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die für Prüfsachverständige nach der Hes-
sischen Bauordnung geltende Altersgrenze von 70 Jahren, mit deren Erreichen
die Anerkennung als Prüfsachverständiger erlischt.
Der am 24. Oktober 1943 geborene Antragsteller wurde von der Ingenieur-
kammer Hessen mit Bescheiden vom 19. Oktober 2011 als Prüfsachverständi-
ger für technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden in den drei Fach-
richtungen Rauch- und Wärmeabzugsanlagen sowie maschinelle Anlagen zur
Rauchfreihaltung von Rettungswegen, Lüftungsanlagen und CO-Warnanlagen
anerkannt.
Die Hessische Verordnung über Prüfberechtigte und Prüfsachverständige nach
der Hessischen Bauordnung (HPPVO) sah in ihrer ursprünglichen Fassung vom
18. Dezember 2006 in § 7 Abs. 1 Nr. 2 vor, dass die Anerkennung als Prüfsach-
verständiger erlischt, wenn die prüfsachverständige Person das 68. Lebensjahr
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vollendet hat. Durch Art. 3 Nr. 6 Buchst. a Doppelbuchst. aa der Verordnung zur
Änderung bauordnungsrechtlicher Rechtsvorschriften vom 24. November 2010
wurde diese Altersgrenze auf 70 Jahre heraufgesetzt. Die Geltungsdauer der
Verordnung war ursprünglich bis zum 31. Dezember 2012 befristet (§ 45 Satz 2
HPPVO); sie wurde durch Art. 6 Nr. 9 der am 27. November 2012 bekannt ge-
machten Verordnung zur Entfristung, Verlängerung der Geltungsdauer und Än-
derung befristeter Rechtsvorschriften im Geschäftsbereich des Ministeriums für
Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 13. November 2012 bis zum
31. Dezember 2015 verlängert.
Der Antragsteller hat am 2. April 2013 beim Verwaltungsgerichtshof einen Nor-
menkontrollantrag gegen die für Prüfsachverständige nach der Hessischen
Bauordnung geltende Altersgrenze von 70 Jahren eingereicht und beantragt,
§ 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO für unwirksam zu erklären. Zur Begründung hat er gel-
tend gemacht, die Altersgrenze stelle eine unzulässige Benachteiligung wegen
des Alters dar. Sie sei unverhältnismäßig, da mit regelmäßigen ärztlichen Un-
tersuchungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit sowie Prüfun-
gen der Sach- und Fachkunde ein ebenso geeignetes, aber milderes Mittel zur
Verfügung stehe, um den mit der Altersgrenze verfolgten Zweck zu erreichen.
Der Antragsgegner ist dem Normenkontrollantrag entgegengetreten und hat
vorgetragen, der Antragsteller habe den Antrag nicht fristgerecht eingereicht.
Die Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung habe die Antragsfrist nicht
erneut in Lauf gesetzt. Der Normenkontrollantrag sei zudem unbegründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag mit Urteil vom
7. August 2013 abgelehnt. Der Antrag sei zwar zulässig, insbesondere sei die
Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gewahrt. Er sei jedoch unbegründet.
Die Altersgrenze von 70 Jahren für Prüfsachverständige nach der Hessischen
Bauordnung verstoße weder gegen nationales Recht noch gegen Unionsrecht.
Sie stelle zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne
von § 3 Abs. 1 Satz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) dar.
Die Benachteiligung sei jedoch durch den allgemeinen Sicherheitsvorbehalt des
Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt. Die Altersgrenze gewähr-
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leiste die Sicherheit von Bauten, der am Bau Beteiligten, der Gebäudenutzer
sowie der Allgemeinheit und verfolge damit Sicherheitszwecke als legitimen
Belang. Sie sei auch verhältnismäßig. Die Altersgrenze sei geeignet, zur Bau-
sicherheit beizutragen; sie schließe wirksam Risiken aus, die darauf beruhten,
dass altersbedingt nicht mehr die volle Leistungsfähigkeit bestehe und deshalb
Fehler bei der Prüftätigkeit unterliefen. Der Gesetzgeber habe eine starre
Altersgrenze auch als erforderlich ansehen dürfen und generalisierend davon
ausgehen können, dass mit zunehmendem Alter die Gefahr einer Beeinträch-
tigung der Leistungsfähigkeit zunehme. Eine Prüfung der individuellen Leis-
tungsfähigkeit in bestimmten zeitlichen Abständen (flexible Altersgrenze) sei
hingegen kein gleich geeignetes Mittel.
Zur Begründung der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision ver-
tieft der Antragsteller sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor: Die
unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1
AGG könne nicht mit dem Sicherheitsvorbehalt nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie
2000/78/EG gerechtfertigt werden. Der Sicherheitsvorbehalt sei eng auszule-
gen. Eine Benachteiligung wegen des Alters lasse sich danach nur rechtferti-
gen, wenn sie notwendig sei. Daran fehle es, weil die individuelle Untersuchung
der Leistungsfähigkeit ein ebenso geeignetes, aber milderes Mittel darstelle.
Der damit verbundene erhöhte Verwaltungsaufwand stehe einer flexiblen Al-
tersgrenze nicht entgegen. Die angegriffene Regelung verstoße zudem gegen
das Kohärenzgebot. Sie sei inkohärent, weil weder die Tätigkeit von Prüfsach-
verständigen aus anderen Ländern noch aus anderen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union in Hessen an eine Altersgrenze geknüpft sei.
Der Antragsteller beantragt,
das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
7. August 2013 zu ändern und festzustellen, dass § 7
Abs. 1 Nr. 2 der Hessischen Verordnung über Prüfberech-
tigte und Prüfsachverständige nach der Hessischen Bau-
ordnung vom 18. Dezember 2006 (GVBl. I S. 745) in der
Fassung von Art. 3 der Hessischen Verordnung zur Ände-
rung bauordnungsrechtlicher Vorschriften vom 24. Novem-
ber 2010 (GVBl. I S. 484) unwirksam ist, soweit Prüfsach-
verständige für Anlagen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der
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Hessischen Verordnung über die Prüfung technischer An-
lagen und Einrichtungen in Gebäuden vom 18. Dezember
2006 (GVBl. I S. 745, 759) betroffen sind.
Der Antragsgegner beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält den Normenkontrollantrag für unzulässig, weil er nicht fristgerecht ge-
stellt worden sei. Im Übrigen verteidigt er das angefochtene Urteil und führt er-
gänzend aus: Die Tätigkeit des Prüfsachverständigen sei an die Stelle der
früheren bauaufsichtlichen Prüfung getreten. Die Aufgaben des Prüfsachver-
ständigen für technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden erstrecke
sich vornehmlich auf die Beurteilung sicherheitstechnisch bedeutsamer Anlagen
und Einrichtungen in Sonderbauten, wie Hochhäuser, Verkaufsstätten, Kran-
kenhäuser und Schulen. Dort hielten sich typischerweise besonders schutzbe-
dürftige Personen auf. Die Festlegung der Altersgrenze diene der Gebäudesi-
cherheit, dem Schutz von Leben und Gesundheit der Gebäudenutzer und der
Allgemeinheit und betreffe damit wichtige Gemeinwohlbelange.
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das angegriffene Urteil verletzt kein
Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat den
Normenkontrollantrag zutreffend als zulässig (1.), aber unbegründet (2.) ange-
sehen.
1. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag zu Recht für zu-
lässig gehalten. Die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt. Danach ist
ein Antrag über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden
Rechtsvorschriften innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechts-
vorschrift zu stellen. Der Lauf der Antragsfrist beginnt zwar regelmäßig mit der
erstmaligen Bekanntmachung der zur Prüfung gestellten Rechtsnorm. Wird das
Regelwerk geändert, löst das den Fristenlauf für seine nicht geänderten Teile
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nicht erneut aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2004 - 8 CN 1.02 -
BVerwGE 120, 82 <84>). Anderes gilt indes, wenn die unverändert gebliebene
Rechtsnorm eine neue zusätzliche Beschwer enthält. Das kommt auch dann in
Betracht, wenn die Belastungswirkung einer Vorschrift durch Verlängerung ihrer
Geltungsdauer ausgeweitet wird. So liegt es hier.
Die zur Kontrolle gestellte Altersgrenze von 70 Jahren in § 7 Abs. 1 Nr. 2 der
Hessischen Verordnung über Prüfberechtigte und Prüfsachverständige nach
der Hessischen Bauordnung (Hessische Prüfberechtigten- und Prüfsachver-
ständigenverordnung - HPPVO) vom 18. Dezember 2006 (GVBl. I S. 745) i.d.F.
des Art. 3 der Hessischen Verordnung zur Änderung bauordnungsrechtlicher
Vorschriften vom 24. November 2010 (GVBl. I S. 484) wurde zwar bereits am
10. Dezember 2010 bekannt gemacht. Ihre Geltungsdauer war jedoch gemäß
§ 45 Satz 2 HPPVO bis zum 31. Dezember 2012 befristet. Durch die Verlänge-
rung der Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 2015 durch Art. 6 Nr. 9 der Ver-
ordnung zur Entfristung, Verlängerung der Geltungsdauer und Änderung befris-
teter Rechtsvorschriften im Geschäftsbereich des Ministeriums für Wirtschaft,
Verkehr und Landesentwicklung vom 13. November 2012 (GVBl. I S. 423) wur-
de die Belastungswirkung der Altersgrenze des § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO auf
einen Personenkreis erstreckt, der bis zu dieser Verlängerung noch nicht von
der Höchstaltersgrenze für Prüfsachverständige betroffen war. Sie erfasst nun-
mehr auch diejenigen Prüfsachverständigen, die in den Jahren 2013 bis 2015
das 70. Lebensjahr vollenden. Der Antragsteller, der im Oktober 2013 das
70. Lebensjahr vollendet hat, zählt zu diesem Personenkreis. Infolgedessen
begann der Lauf der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erst mit der Be-
kanntmachung der Verordnung vom 13. November 2012, die am 27. November
2012 erfolgte. Der am 2. April 2013 eingereichte Normenkontrollantrag war mit-
hin fristgerecht.
2. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, der Normenkontrollantrag sei
unbegründet, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Urteil
der Vorinstanz verletzt weder Bundesrecht noch das Recht der Europäischen
Union. Die in § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO festgelegte Altersgrenze stellt zwar eine
unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne des Allgemeinen
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Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897),
zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610), dar. Sie ist
jedoch durch den Sicherheitsvorbehalt des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie
2000/78/EG des Europäischen Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung
eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in
Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 S. 16) - im Folgenden RL 2000/78/EG -
gerechtfertigt.
a) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist auf Prüfsachverständige für
technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden nach der Hessischen Bau-
ordnung anwendbar. Die in § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO festgelegte Altersgrenze
stellt im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG eine Bedingung für den Zugang zu
einer selbstständigen Erwerbstätigkeit dar. Das Allgemeine Gleichbehand-
lungsgesetz, das der Umsetzung der RL 2000/78/EG dient, ist im Lichte dieser
unionsrechtlichen Regelung auszulegen. Danach wird der Zugang zu einer
selbstständigen Erwerbstätigkeit bereits dann beschränkt, wenn die Altersgren-
ze geeignet ist, die Nachfrage nach der vom Antragsteller angebotenen Dienst-
leistung tatsächlich zu beschränken (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012
- 8 C 24.11 - BVerwGE 141, 385 Rn. 12; EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010
- Rs. C-341/08, Domenica Petersen - Slg. 2010, I-47 Rn. 33). Diese Vorausset-
zungen liegen hier vor.
Die Tätigkeit des Prüfsachverständigen für technische Anlagen und Einrichtun-
gen in Gebäuden stellt eine selbstständige Erwerbstätigkeit dar. Prüfsachver-
ständige sind im Rahmen der ihnen obliegenden Pflichten unabhängig und an
Weisungen der Auftraggeberin oder des Auftraggebers nicht gebunden (§ 2
Abs. 2 Satz 2 HPPVO); sie sind eigenverantwortlich und unabhängig tätig (§ 4
Satz 1 Nr. 3 HPPVO). Ihre Aufgabe ist es, nach selbst durchgeführter Prüfung
die Übereinstimmung der zu prüfenden technischen Anlagen und Einrichtungen
mit den bauordnungsrechtlichen Anforderungen zu bescheinigen (§ 22 Abs. 1
Satz 1 HPPVO). Die Altersgrenze stellt eine Bedingung für den Zugang zu die-
ser Tätigkeit dar. Das Erlöschen der Anerkennung als Prüfsachverständiger mit
Vollendung des 70. Lebensjahres beendet die Möglichkeit des Antragstellers,
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die in der Hessischen Bauordnung für Prüfsachverständige für technische An-
lagen und Einrichtungen in Gebäuden vorgesehenen Aufgaben wahrzunehmen.
b) In der Altersgrenze des § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO liegt eine unmittelbare Be-
nachteiligung wegen des Alters im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Diese
Benachteiligung ist nach § 6 Abs. 3, § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG grundsätzlich un-
zulässig. Sie wird nicht durch § 8 Abs. 1 AGG legitimiert, weil an die Tätigkeit
des Prüfsachverständigen keine Anforderungen gestellt sind, die für diese Tä-
tigkeit nach ihrer Art wesentlich und entscheidend sind und die im Zusammen-
hang mit dem Lebensalter stehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012
- 8 C 24.11 - BVerwGE 141, 385 Rn. 19). Ebenso wenig vermag § 10 Satz 1
AGG die Benachteiligung wegen des Alters zu rechtfertigen. Denn die angegrif-
fene Regelung dient keinem sozialpolitischen Ziel, das die Ungleichbehandlung
legitimieren könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012 - 8 C 24.11 -
BVerwGE 141, 385 Rn. 16).
c) Der Verwaltungsgerichtshof ist aber zu Recht zu dem Schluss gelangt, dass
die in Rede stehende generelle Höchstaltersgrenze für Prüfsachverständige für
technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden in den vom Antragsteller
ausgeübten Fachrichtungen durch den Sicherheitsvorbehalt des Art. 2 Abs. 5
RL 2000/78/EG gerechtfertigt ist. Hiernach berührt diese Richtlinie nicht die im
einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokrati-
schen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Ver-
teidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Ge-
sundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.
Mit diesem Sicherheitsvorbehalt wollte der Unionsgesetzgeber auf dem Gebiet
von Beschäftigung und Beruf dem Entstehen eines Spannungsfeldes zwischen
dem Grundsatz der Gleichbehandlung zum einen und der notwendigen Ge-
währleistung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, der Verhü-
tung von Rechtsverstößen sowie dem Schutz der individuellen Rechte und
Freiheiten, die für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft uner-
lässlich sind, zum anderen vorbeugen und vermittelnd eingreifen (EuGH, Urteil
vom 13. September 2011 - Rs. C-447/09, Prigge - Slg. 2011, I-8003 Rn. 55;
BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012 - 8 C 24.11 - BVerwGE 141, 385 Rn. 23).
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Der Sicherheitsvorbehalt ist eng auszulegen, weil er eine Abweichung vom
Grundsatz des Diskriminierungsverbots begründet (EuGH, Urteile vom
12. Januar 2010 - Rs. C-341/08, Domenica Petersen - Slg. 2010, I-47 Rn. 60
und vom 13. September 2011 - Rs. C-447/09, Prigge - Slg. 2011, I-8003 Rn. 56;
BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012 - 8 C 24.11 - BVerwGE 141, 385 Rn. 23).
Der Bundesgesetzgeber hat den Sicherheitsvorbehalt zwar nicht ausdrücklich in
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen, auf ihn aber auch
nicht bewusst verzichtet, so dass das Schweigen des Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetzes anderweitigen Regelungen des innerstaatlichen Rechts
außerhalb dieses Gesetzes nicht entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteil vom
1. Februar 2012 - 8 C 24.11 - BVerwGE 141, 385 Rn. 24 f.).
aa) Die zur Kontrolle gestellte Höchstaltersgrenze dient Sicherheitsbelangen im
Sinne von Art. 2 Abs. 5 der RL 2000/78/EG. Zwar lässt sich weder dem Text
der angegriffenen Regelung noch ihrer Begründung das mit der Höchstalters-
grenze verfolgte Ziel hinreichend deutlich entnehmen. Der allgemeine Kontext
der Regelung sowie das Vorbringen des Antragsgegners im gerichtlichen Ver-
fahren ermöglichen jedoch die Feststellung des mit der Maßnahme verfolgten
Zieles; darauf kann bei der Anwendung der Richtlinie zurückgegriffen werden
(vgl. EuGH, Urteile vom 12. Januar 2010 - Rs. C-341/08, Domenica Petersen -
Slg. 2010, I-47 Rn. 40, vom 21. Juli 2011 - Rs. C-159/10 und C-160/10, Fuchs
und Köhler - Slg. 2011; I-6919 Rn. 39). Nach dem Vorbringen des Antrags-
gegners sowie dem bauordnungsrechtlichen Kontext der Regelung dient die
generelle Höchstaltersgrenze für Prüfsachverständige für technische Anlagen
und Einrichtungen in Gebäuden der Gebäudesicherheit dem Schutz von Leben
und Gesundheit der Gebäudenutzer und der Allgemeinheit (Bausicherheit). Mit
der Einführung von Prüfsachverständigen in das hessische Bauordnungsrecht
tritt deren privatrechtliche Tätigkeit in den ihnen zugewiesenen Bereichen an
die Stelle der herkömmlichen Aufgabenerfüllung durch die Bauaufsichtsbehör-
de. Die Bausicherheit als Bestandteil der öffentlichen Sicherheit ist ein legitimes
Ziel im Sinne des Sicherheitsvorbehalts des Art. 2 Abs. 5 der RL 2000/78/EG.
bb) Die Altersgrenze für Prüfsachverständige ist zur Gewährleistung der öffent-
lichen Sicherheit im Sinne des Art. 2 Abs. 5 RL 2000/78/EG notwendig. Der
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vom Antragsteller angeregten Einholung einer Vorabentscheidung durch den
Europäischen Gerichtshof zu der Frage, ob eine starre Altersgrenze als not-
wendige Maßnahme im Rahmen von Art. 2 Abs. 5 der RL 2000/78/EG gelten
könne, bedurfte es nicht. Die Vorlagepflicht eines letztinstanzlich entscheiden-
den nationalen Gerichts nach Art. 267 Abs. 3 AEUV greift nicht ein, wenn eine
Auslegungsfrage des Unionsrechts nicht entscheidungserheblich ist, bereits
Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder wenn die richtige
Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen
vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982
- Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T. - Slg. 1982, I-3415 Rn. 21). Danach ist eine Vorlage
gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV hier nicht geboten. In der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs ist anerkannt, dass ein Mitgliedstaat unter Berück-
sichtigung des ihm zustehenden Wertungsspielraums im Rahmen von Art. 2
Abs. 5 der RL 2000/78/EG die Festlegung einer Altersgrenze für erforderlich
halten darf (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - Rs. C-341/08, Domenica
Petersen - Slg. 2010, I-47 Rn. 52). Abgesehen davon betrifft die hier zu beurtei-
lende Frage, ob die in § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO für Prüfsachverständige festge-
legte Altersgrenze eine notwendige Maßnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der
RL 2000/78/EG darstellt, nicht die Auslegung des Unionsrechts, sondern seine
Anwendung im konkreten Einzelfall.
Eine Maßnahme ist im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der RL 2000/78/EG notwendig,
wenn sie zur Verfolgung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich und an-
gemessen ist und mit dem Kohärenzgebot in Einklang steht. Das ist hier der
Fall. Die Höchstaltersgrenze für Prüfsachverständige ist geeignet, zur Bau-
sicherheit beizutragen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht ausgeführt
hat, werden durch eine Altersgrenze wirksam Risiken ausgeschlossen, die
darauf beruhen, dass einem bestimmten Personenkreis altersbedingt nicht
mehr voll leistungsfähiger Prüfsachverständiger Fehler bei der Ausübung der
Prüftätigkeit unterlaufen. Die Höchstaltersgrenze ist zur Förderung der Bau-
sicherheit auch erforderlich. Die vom Antragsteller angeführte individuelle Über-
prüfung der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Prüfsachverständigen wäre zwar
ein milderes Mittel, das dem individuellen Leistungsvermögen des Betroffenen
Rechnung tragen könnte. Der Antragsteller weist auch zu Recht darauf hin,
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dass der mit einer Einzelfallprüfung verbundene erhöhte Verwaltungsaufwand
die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nicht rechtfertigen könnte
(BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012 - 8 C 24.11 - BVerwGE 141, 385 Rn. 22).
Die individuelle Überprüfung der Leistungsfähigkeit wäre allerdings nicht gleich-
ermaßen wie eine Höchstaltersgrenze geeignet, zur Bausicherheit beizutragen,
weil sie zu spät käme. Eine altersbedingt nicht mehr ausreichende Leistungsfä-
higkeit würde erst festgestellt werden, wenn sie bereits eingeschränkt ist. Die
Anerkennung als Prüfsachverständiger bestünde fort, bis bei der nächsten
Überprüfung etwaige Mängel offenbar würden (vgl. BVerwG, Urteil vom
26. Januar 2011 - 8 C 46.09 - BVerwGE 139, 1 Rn. 37). Die Höchstaltersgrenze
von 70 Jahren ist zur Verfolgung des Zieles der Bausicherheit schließlich auch
nicht unangemessen. Die Bausicherheit dient dem Schutz wichtiger Rechts-
güter wie Leben und Gesundheit. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Norm-
geber diesem Schutzziel Vorrang vor dem Interesse an einer weiteren Tätigkeit
von Prüfsachverständigen jenseits der Altersgrenze eingeräumt hat. Die Alters-
grenze von 70 Jahren ist ohnehin höher als die meisten für andere berufliche
Tätigkeiten sonst geltenden Altersgrenzen. Sie liegt sogar höher als die Alters-
grenze für Prüfsachverständige in anderen Ländern sowie für Personen, die
vergleichbare Aufgaben etwa in staatlichen Prüfbehörden wahrnehmen.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers verstößt § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO
nicht gegen das Kohärenzgebot. Nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs ist eine Regelung nur dann geeignet, die Verwirklichung des gel-
tend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen ge-
recht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu verwirklichen (vgl.
EuGH, Urteile vom 12. Januar 2010 - Rs. C-341/08, Domenica Petersen -
Slg. 2010, I-47 Rn. 53, vom 21. Juli 2011 - Rs. C-159/10 und C-160/10, Fuchs
und Köhler - Slg. 2011, I-6919 Rn. 85; BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2011
- 8 C 46.09 - BVerwGE 139, 1 Rn. 35). Die angegriffene Regelung genügt die-
sen Anforderungen. Das mit der Höchstaltersgrenze verfolgte Ziel der Bau-
sicherheit wird durch die in § 9 Abs. 2 und 3 HPPVO getroffene Regelung nicht
beeinträchtigt. Danach können Personen aus anderen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union bei Gleichwertigkeit ihrer Berechtigung unter näher be-
zeichneten Voraussetzungen auch in Hessen als Prüfsachverständige tätig
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sein, ohne dass die Hessische Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenver-
ordnung eine ausdrückliche Altersgrenze für diesen Personenkreis vorsieht. Es
ist jedoch in der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ge-
klärt, dass § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO auch diesem Personenkreis eine Tätigkeit
als Prüfsachverständiger nach Vollendung des 70. Lebensjahres verwehrt
(VGH Kassel, Beschluss vom 26. Februar 2013 - 7 A 1644/12.Z - GewArch
2013, 251 Rn. 42). Ebenso wenig läuft § 9 Abs. 1 Satz 2 HPPVO dem mit der
Höchstaltersgrenze verfolgten Ziel der Bausicherheit zuwider. Danach gelten
Anerkennungen von natürlichen Personen in anderen Ländern auch in Hessen.
Der Antragsgegner hat zutreffend darauf hingewiesen, dass in keinem der an-
deren Länder, die bauaufsichtliche Aufgaben auf Prüfsachverständige übertra-
gen haben, eine höhere Altersgrenze als das 70. Lebensjahr vorgesehen ist;
vielmehr erlischt die Anerkennung als Prüfsachverständiger in allen anderen
Ländern bereits mit der Vollendung des 68. Lebensjahres. Das gilt seit dem
1. Dezember 2014 auch im Land Sachsen-Anhalt, das die früher dort geltende
Höchstaltersgrenze von 70 Jahren ebenfalls auf 68 Jahre herabgesetzt hat
(§ 7 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über Prüfingenieure und Prüfsachverständige
vom 25. November 2014, GVBl. LSA S. 476).
d) Die Höchstaltersgrenze stellt keine unzulässige Beeinträchtigung der Berufs-
freiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG dar. Sie findet ihre gesetzliche Grundlage in
§ 80 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 Nr. 8 der Hessischen
Bauordnung i.d.F. vom 18. Juni 2002 (GVBl. I S. 274), geändert durch Gesetz
vom 28. September 2005 (GVBl. I S. 662). Der in der Altersgrenze liegende
Eingriff in die Berufsfreiheit ist aus denselben Erwägungen gerechtfertigt, die
die Ungleichbehandlung wegen des Alters im Rahmen von Art. 2 Abs. 5 der
RL 2000/78/EG legitimieren.
Die Höchstaltersgrenze für Prüfsachverständige verstößt auch nicht gegen den
allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Ungleich-
behandlung wegen des Alters ist aus den dargelegten Gründen sachlich ge-
rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof ist ohne Verstoß gegen Bundesrecht
davon ausgegangen, dass der Normgeber in zulässiger Weise das Ausmaß des
jeweiligen Gefahrenpotenzials von älteren Prüfsachverständigen gegenüber
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Prüfsachverständigen, die die Altersgrenze noch nicht erreicht haben, generali-
sierend unterschiedlich bewerten durfte.
Das in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
(GRC) verankerte Verbot der Altersdiskriminierung ist ebenfalls nicht verletzt.
Es wird durch die RL 2000/78/EG konkretisiert (EuGH, Urteil vom 26. Septem-
ber 2013 - Rs. C-476/11, EuZW 2013, 951 Rn. 31). Die Legitimierung der Un-
gleichbehandlung wegen des Alters gemäß Art. 21 Abs. 1 GRC stellt deshalb
keine anderen Anforderungen als diejenigen, die auch im Rahmen von Art. 2
Abs. 5 der RL 2000/78/EG zu berücksichtigen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Held-Daab
Dr. Häußler
Hoock
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird auf 15 000 €
festgesetzt.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Held-Daab
Dr. Häußler
Hoock
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