Urteil des BVerwG vom 11.09.2007

Bundesamt, Abschiebung, Psychologisches Gutachten, Aserbaidschan

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 10 C 8.07
am 11. September 2007
OVG 2 KO 156/03
Röder
Geschäftsstellenverwalterin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
für Recht erkannt:
Das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom
19. Mai 2005 wird aufgehoben, soweit es sich auf den An-
spruch des Klägers zu 1 auf Feststellung eines Abschie-
bungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und auf
die Androhung der Abschiebung des Klägers zu 1 nach
Aserbaidschan bezieht.
Das Verfahren wird insoweit zur anderweitigen Verhand-
lung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht
zurückverwiesen.
Die Revision der Klägerin zu 2 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin zu 2 trägt die Hälfte der Kosten des Revisi-
onsverfahrens.
Hinsichtlich des Klägers zu 1 bleibt die Kostenentschei-
dung der Schlussentscheidung vorbehalten.
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G r ü n d e :
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Die Kläger begehren die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG in Bezug auf Aserbaidschan.
Der 1963 geborene Kläger zu 1 und seine 1967 geborene Ehefrau, die Klägerin
zu 2, sind aserbaidschanische Staatsangehörige. Sie reisten im Januar 2000
mit ihren Kindern in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten Asyl.
Diese Anträge lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - mit
Bescheid vom 19. März 2001 ab. Zugleich stellte es fest, dass die Vorausset-
zungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG
nicht vorliegen, und drohte den Klägern und ihren Kindern die Abschiebung
nach Aserbaidschan an.
Auf deren Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter teilweiser Auf-
hebung des ablehnenden Bescheides zu der Feststellung verpflichtet, dass be-
züglich der Kläger und ihrer Kinder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
vorliegen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kläger unterlägen als Ab-
kömmling einer armenischen Volkszugehörigen bzw. als Ehegatte eines sol-
chen Abkömmlings in Aserbaidschan einer mittelbaren Gruppenverfolgung.
In dem vom Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten - Bundesbeauf-
tragter - betriebenen Berufungsverfahren hat der Prozessbevollmächtigte der
Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2005 eine Bescheini-
gung der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie F. vom 17. Februar
2005 vorgelegt, wonach die von der Klägerin zu 2 gemachten Angaben für das
Vorhandensein einer posttraumatischen Belastungsstörung - im Folgenden:
PTBS - sprächen. Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung hat dieselbe
Fachärztin dem Berufungsgericht unter dem 11. März 2005 ein - ausführliche-
res - Attest übersandt, in dem es bezüglich des Klägers zu 1 nach Schilderung
der Krankheitsvorgeschichte und der Befunderhebung heißt, in diagnostischer
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Hinsicht sei bei den psychischen Problemen des Patienten eindeutig von einer
PTBS auszugehen. Nachdem die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne
weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatten, hat der Prozess-
bevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 13. April 2005 die Einholung
eines psychologischen Gutachtens darüber beantragt, dass der Kläger zu 1 an
einer PTBS leidet und durch diese Erkrankung eine nahe liegende und konkrete
Suizidgefahr für den Kläger zu 1 sowie eine erweiterte Suizidgefahr besteht. Er
hat ferner beantragt, durch Anfrage beim Auswärtigen Amt zu klären, ob in
Aserbaidschan die Therapie einer PTBS für zurückgeführte Asylbewerber zu
„erschwinglichen Preisen“ möglich ist. Das sei nach einer ihm vorliegenden
Auskunft nicht der Fall. Deswegen bestehe für den Kläger zu 1 ein Abschie-
bungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. Mai 2005 die ver-
waltungsgerichtliche Entscheidung abgeändert und die Klage insgesamt abge-
wiesen. Es hat einen Anspruch der Kläger auf Feststellung eines Abschie-
bungsverbots für Flüchtlinge nach dem nunmehr maßgeblichen § 60 Abs. 1
AufenthG ebenso verneint wie den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf
Feststellung eines ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2,
3, 5 und 7 AufenthG. Zu dem von den Klägern beanspruchten Abschie-
bungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG im Hinblick auf die geltend gemachte
PTBS hat es in der Begründung ausgeführt, die vorgetragenen gesundheitli-
chen Probleme ließen eine Gefahr für Leib und Leben im Sinne dieser Vor-
schrift nicht erkennen. Die vorgelegten Bescheinigungen der Fachärztin F. sei-
en nicht geeignet, das Vorliegen der behaupteten gesundheitlichen Störungen
bei den Klägern glaubhaft zu machen. In der Bescheinigung vom 17. Februar
2005 werde zwar eine Erkrankung der Klägerin zu 2 an PTBS behauptet, dem
Schreiben fehle aber jede Konkretisierung des Krankheitsbildes. Die lapidare
Aneinanderreihung der geschilderten Symptome könne nicht Grundlage für die
Feststellung von Abschiebungshindernissen sein. Auch die Bescheinigung vom
11. März 2005 werde den an die ärztliche Diagnose einer PTBS zu stellenden
Anforderungen nicht gerecht. Auf der Basis eines unsubstantiierten und nicht
nachvollziehbar spekulativen Lebenssachverhaltes komme die Fachärztin zu
dem Ergebnis, dass die Kläger an einer PTBS litten und im Falle einer ableh-
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nenden Entscheidung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit sui-
zidalen Handlungen zu rechnen sei. Es fehle an der Darlegung konkreter
Schlüsselerlebnisse im Einzelnen und an einer Untersuchung und Analyse der
Glaubhaftigkeit der Angaben der Kläger. Auch die weitere medizinische Diag-
nose einer PTBS genüge nicht den Forschungskriterien des ICD-10 (Internatio-
nal Classification of Diseases, World Health Organisation 1992), die das Beru-
fungsgericht anschließend im Einzelnen wiedergibt. Weiter führt es aus, mit
Blick auf die erhebliche Gefahr von Simulationen seien an die ärztlichen Fest-
stellungen einer PTBS und insbesondere an die hiermit mitunter einhergehende
Suizidalität erhebliche Anforderungen zu stellen. Über die schlichte Behauptung
hinaus, dass die Kläger im Falle eines Unterliegens im Verfahren mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit versuchen würden, sich das Leben zu
nehmen, würden keine konkreten Anhaltspunkte mitgeteilt, die diesen Ge-
schehenslauf nachvollziehbar als wahrscheinlich erscheinen ließen. Ungeachtet
dessen verknüpfe die Fachärztin die von ihr angenommene Suizidalität der
Kläger allein mit deren Unterliegen im gerichtlichen Verfahren. Eine solche Ge-
fahr sei ersichtlich nicht zielstaatsbezogen. Selbst wenn man das Vorliegen ei-
ner PTBS bei den Klägern annehmen wolle, sei nicht erkennbar, inwieweit dies
zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen
solle. Der Gefährdungsgrad, der tatbestandlich in dieser Vorschrift vorausge-
setzt werde, wäre durch die mit einer PTBS typischerweise einhergehenden
Symptome nicht erreicht. Vor diesem Hintergrund habe der Senat auch man-
gels Erheblichkeit keine Veranlassung, den schriftlichen Beweisanregungen im
Hinblick auf die Erkrankung des Klägers zu 1 weiter nachzugehen. Die erlasse-
ne Abschiebungsandrohung sei ebenfalls rechtmäßig. Die Bezeichnung
Aserbaidschans als Zielstaat einer Abschiebung sei nicht zu beanstanden.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat der 1. Senat des Bundes-
verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 28. März 2006 - BVerwG 1 B 91.05 -
die Revision in Bezug auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60
Abs. 7 AufenthG und die Bezeichnung Aserbaidschans als Zielstaat in der Ab-
schiebungsandrohung für beide Kläger zugelassen.
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Mit ihren Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von Verfahrensrecht.
Sie machen - wie schon mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde - geltend, das
Oberverwaltungsgericht habe es unterlassen, ein psychologisches Gutachten
zu der Frage einzuholen, dass sowohl der Kläger zu 1 als auch die Klägerin
zu 2 an einer posttraumatischen Belastungsstörung litten und durch diese Er-
krankung eine nahe liegende und konkrete Suizidgefahr für den Kläger zu 1
sowie eine erweiterte für die Klägerin zu 2 und ihre Kinder bestehe. Ferner ha-
be es unterlassen, die ebenfalls entscheidungserhebliche Frage der Behandel-
barkeit einer PTBS in Aserbaidschan und in Berg-Karabach durch Anfrage beim
Auswärtigen Amt oder anderen fachlich geeigneten Stellen zu klären. An-
gesichts der von den Klägern vorgelegten fachärztlichen Atteste und des
schriftlichen Beweisantrags hätten sich dem Gericht die genannten Aufklä-
rungsmaßnahmen aufdrängen müssen. Dies gelte umso mehr, als die Kläger
allein aus finanziellen Gründen ein psychologisches Sachverständigengutach-
ten nicht selbst beibringen könnten. Dass die Suizidgefahr bei dem Kläger zu 1
real sei, werde auch dadurch bestätigt, dass dieser im April 2006 tatsächlich
einen Suizidversuch unternommen und sich in diesem Zusammenhang etwa
fünf Wochen in einem psychiatrischen Krankenhaus in stationärer Behandlung
befunden habe. Die gebotene Beweiserhebung hätte ergeben, dass die Kläger
unter PTBS litten, die weder in Aserbaidschan noch in Berg-Karabach fachge-
recht behandelt werden könne. Liege aber ein Abschiebungshindernis wegen
konkreter Gefahr für Leib und Leben nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich
Aserbaidschans vor, sei auch die Androhung der Abschiebung in diesen Staat
gemäß § 59 Abs. 3 AufenthG rechtswidrig und deshalb aufzuheben.
Der Bundesbeauftragte und die Beklagte treten den Revisionen entgegen. Der
Bundesbeauftragte trägt im Wesentlichen vor, die Bezeichnung eines bestimm-
ten Zielstaats (hier: Aserbaidschan) in der Abschiebungsandrohung des Bun-
desamtes werde auch nach der durch das Zuwanderungsgesetz geänderten
Rechtslage nicht dadurch rechtswidrig, dass im gerichtlichen Verfahren festge-
stellt werde, dass dem Betroffenen in diesem Staat Gefahren im Sinne des § 60
Abs. 7 AufenthG drohten. Wenn es in § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG heiße, dass
der Staat zu bezeichnen sei, in den der Ausländer „nicht abgeschoben werden
darf“, nehme diese Formulierung ersichtlich Bezug auf die in § 60 Abs. 1 bis 5
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AufenthG geregelten zwingenden Abschiebungsverbote, nicht aber auf die Soll-
Bestimmung in § 60 Abs. 7 AufenthG.
Die Beklagte hält die Verfahrensrügen der Kläger für unbegründet, da die von
ihnen vorgelegten fachärztlichen Bescheinigungen für die Darlegung einer
PTBS nicht ausreichten. Hinsichtlich der Auswirkungen einer positiven gerichtli-
chen Entscheidung zu § 60 Abs. 7 AufenthG auf die Zielstaatsbezeichnung in
der Abschiebungsandrohung hält sie die Rechtslage nach Inkrafttreten des Zu-
wanderungsgesetzes für unklar. Sie verweist allerdings darauf, dass das Bun-
desamt im Hinblick auf § 25 Abs. 3 AufenthG in der Praxis vom Erlass einer
Abschiebungsandrohung absehe, wenn ein Zielstaat, in dem keine § 60 Abs. 2
bis 7 AufenthG entsprechenden Gefahren drohten, nicht benannt werden kön-
ne.
II
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Beteiligten in der mündlichen Verhand-
lung über die Revisionen verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung dar-
auf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Revision des Klägers zu 1 ist mit der Rüge eines Verfahrens-
mangels begründet (1.). Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von
Bundesrecht, soweit es einen Anspruch des Klägers zu 1 auf Feststellung eines
Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich
Aserbaidschans verneint und die Androhung der Abschiebung des Klägers zu 1
nach Aserbaidschan als rechtmäßig bestätigt hat (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der
Sache selbst nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren insoweit
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsge-
richt zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Die Revision der
Klägerin zu 2 hat dagegen keinen Erfolg, weil die von ihr erhobene Verfahrens-
rüge nicht durchgreift (2.).
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1. Der Kläger zu 1 beanstandet mit seiner allein auf Verfahrensrügen gestützten
Revision der Sache nach zu Recht, dass die Ablehnung seines schriftsätzlichen
Beweisantrags vom 13. April 2005 durch das Berufungsgericht im Prozessrecht
keine Stütze findet und deshalb seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen
Gehörs verletzt (§ 108 Abs. 2 VwGO, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG).
Zugleich liegt, wie der Kläger zu 1 zu Recht rügt, in der Unterlassung der
Beweiserhebung auch eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86
Abs. 1 VwGO). Auf diesen Verfahrensmängeln kann die Entscheidung des
Berufungsgerichts zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Klägers zu 1
beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Beweiserhebung zu
einem für ihn günstigeren Ergebnis geführt hätte (a). Die Verfahrensmängel
wirken sich auch auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Bezeichnung
Aserbaidschans als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung gegenüber dem
Kläger zu 1 aus. Denn falls dieser einen Anspruch auf eine positive Feststellung
zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Aserbaidschans hätte, wäre nach
§ 59 Abs. 3 AufenthG die Bezeichnung dieses Staats als Zielstaat in der
Abschiebungsandrohung rechtswidrig (b).
a) Wie der seinerzeit zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in
seinem Zulassungsbeschluss vom 28. März 2006 - BVerwG 1 B 91.05 -
(NVwZ 2007, 346) bereits ausgeführt hat, durfte das Berufungsgericht den nach
Übergang in das schriftliche Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 VwGO gestellten
Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erkrankung
des Klägers zu 1 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nicht
mit der Begründung ablehnen, dass der Kläger zu 1 diese Erkrankung „nicht
glaubhaft gemacht“ habe. Denn eine Pflicht zur Glaubhaftmachung, etwa im
Sinne von § 294 ZPO, besteht für die Beteiligten in dem vom Untersu-
chungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess regelmäßig ebenso wenig
wie eine Beweisführungspflicht (vgl. Beschlüsse vom 29. April 2005 - BVerwG
1 B 119.04 - und vom 19. Oktober 2001 - BVerwG 1 B 24.01 - Buchholz 310
§ 86 Abs. 1 VwGO Nr. 342 und 317, jeweils unter Hinweis auf das Urteil vom
29. Juni 1999 - BVerwG 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174).
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Auch wenn man die Ausführungen des Berufungsgerichts zur mangelnden
„Glaubhaftmachung“ der behaupteten psychischen Erkrankung bei dem Kläger
zu 1 in dem Sinne verstehen wollte, dass das Berufungsgericht den Beweisan-
trag als einen aufs Geradewohl oder ins Blaue hinein gestellten oder nicht hin-
reichend substantiierten Beweisantrag angesehen hat, würde dies die Ableh-
nung der Beweiserhebung nicht tragen. Dass die Behauptung der Erkrankung
des Klägers zu 1 an einer PTBS mit einhergehender Suizidgefahr ohne greifba-
re Anhaltspunkte willkürlich aufgestellt oder aus der Luft gegriffen wäre (vgl.
etwa Beschluss vom 5. März 2002 - BVerwG 1 B 194.01 - Buchholz 310 § 86
Abs. 1 VwGO Nr. 320 und Beschluss vom 30. Januar 2002 - BVerwG 1 B
326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69), kann angesichts des vorgelegten
fachärztlichen Attests vom 11. März 2005 nicht angenommen werden. Der Be-
weisantrag kann angesichts dieses Attests auch nicht als unsubstantiiert ange-
sehen werden.
Allerdings gehört zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags,
der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen PTBS zum Gegenstand hat,
angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen
Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen ge-
nügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar erge-
ben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie
sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben
darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung be-
funden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobe-
nen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über
die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisheri-
gen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen
einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden
die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland
vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, wa-
rum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforde-
rungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an
der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2
VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre
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des Beteiligten fallen (vgl. Beschluss vom 16. Februar 1995 - BVerwG 1 B
205.93 - Buchholz 451.20 § 14 GewO Nr. 6).
Das vom Kläger zu 1 vorgelegte ärztliche Attest vom 11. März 2005, das sich
trotz der Erwähnung der Klägerin zu 2 im Betreff erkennbar auf den Kläger zu 1
bezieht, genügt diesen Anforderungen. Es enthält neben einer Darstellung der
Krankheitsvorgeschichte auf der Grundlage der Angaben des Klägers zu 1 eine
- wenn auch knappe - Schilderung der eigenen Befunderhebung und eine ein-
deutige Diagnose einer PTBS durch die Fachärztin sowie Angaben zur derzeiti-
gen medikamentösen Behandlung. Bei der Krankheitsgeschichte wird auch auf
die Gründe eingegangen, warum der Kläger zu 1 sich erst vier Jahre nach der
Flucht aus seiner Heimat in fachärztliche Behandlung begeben hat. Damit erfüllt
dieses Attest unter den hier gegebenen sonstigen Umständen des Falles
- anders als das für die Klägerin zu 2 ausgestellte Attest derselben Fachärztin
(vgl. unten 2.) - die an die Substantiierung eines solchen Beweisantrags zu stel-
lenden Anforderungen. Die Beibringung einer detaillierteren, an den For-
schungskriterien F 43.1 des ICD-10 (International Classification of Diseases,
World Health Organisation 1992) orientierten gutachtlichen fachärztlichen Stel-
lungnahme, wie sie das Berufungsgericht der Sache nach verlangt, mag zwar
für die Überzeugungsbildung des Gerichts hilfreich sein, ist aber nicht Voraus-
setzung für einen substantiierten Beweisantrag. Denn damit würden die Anfor-
derungen an die Darlegungspflicht der Beteiligten überspannt. Wenn das Beru-
fungsgericht die Einholung einer derart ausführlichen gutachtlichen Stellung-
nahme des behandelnden Arztes für erforderlich hält, ist der Beteiligte zwar
gehalten, den Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden und sich gegebe-
nenfalls weiterer Untersuchungen zu unterziehen, er ist aber nicht gehalten, von
sich aus und auf seine Kosten eine solche gutachtliche Stellungnahme vor-
zulegen. Dies würde im Ergebnis auf eine Art Beweisführungspflicht hinauslau-
fen, die in der Regel mit den verwaltungsprozessualen Grundsätzen nicht ver-
einbar ist (vgl. aber zu einer gesetzlich vorgesehenen Ausnahme Beschluss
vom 2. November 1999 - BVerwG 8 B 213.99 - Buchholz 428 § 18 VermG
Nr. 9).
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Die vom Berufungsgericht angeführte weitere Begründung für die Ablehnung
des Beweisantrags ist - wie bereits im Beschluss vom 28. März 2006 - BVerwG
1 B 91.05 - ausgeführt, ebenfalls nicht tragfähig. Wenn das Gericht den Be-
weisantrag nicht für erheblich hält, weil auch bei Unterstellung der behaupteten
Erkrankung die damit einhergehenden Symptome nicht den Gefährdungsgrad
erreichten, der tatbestandlich in § 60 Abs. 7 AufenthG vorausgesetzt sei, nimmt
es im Ergebnis eine eigene medizinische Bewertung von Schwere und Ausmaß
der Erkrankung vor, ohne die hierfür erforderliche eigene Sachkunde zu besit-
zen und darzulegen (vgl. Beschluss vom 25. Juni 2004 - BVerwG 1 B 234.03 -
Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 283 m.w.N.). Das Berufungsgericht konnte
mangels eigener Sachkunde die Gefahr der möglichen Verschlimmerung einer
Erkrankung des Klägers zu 1 bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan, insbe-
sondere auch die in dem Attest ebenfalls angeführte Suizidgefahr, nicht ohne
weitere Aufklärung durch Einholung fachärztlicher Stellungnahmen oder Gut-
achten beurteilen und verneinen.
b) Die festgestellten Verfahrensmängel bei der Prüfung eines Abschiebungs-
verbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers zu 1 im Hin-
blick auf Aserbaidschan führten auch zur Aufhebung der Entscheidung des Be-
rufungsgerichts und Zurückverweisung des Verfahrens hinsichtlich der Be-
zeichnung Aserbaidschans als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung gegen-
über dem Kläger zu 1. Sofern nämlich das Berufungsgericht nach der erforder-
lichen weiteren Aufklärung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG bei dem Kläger zu 1 bejahen sollte, wäre auch die in der Abschie-
bungsandrohung enthaltene Zielstaatsbezeichnung nach § 59 Abs. 3 AufenthG
rechtswidrig und deshalb aufzuheben.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Abschiebungsandrohung ist die
neue, seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und
asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007
(BGBl I 2007, 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. Au-
gust 2007 geltende Rechtslage. Denn nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungs-
entscheidung eintreten, vom Revisionsgericht dann zu berücksichtigen, wenn
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sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte. Da es
sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der
das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entschei-
dung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtsla-
ge zugrunde legen.
Nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, der durch das
Richtlinienumsetzungsgesetz selbst nicht geändert worden ist, ist in der Ab-
schiebungsandrohung des Bundesamtes der Staat zu bezeichnen, in den der
Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Daraus folgt, dass in diesen Fällen
auch die (positive) Bezeichnung des fraglichen Staates als Zielstaat in der Ab-
schiebungsandrohung rechtswidrig ist, und zwar, wie Satz 3 der Vorschrift zeigt,
auch dann, „wenn das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungs-
verbots feststellt“. Dann bleibt zwar die Abschiebungsandrohung nach Satz 3
der Vorschrift im Übrigen unberührt, die Zielstaatsbezeichnung ist aber als
rechtswidrig aufzuheben. Wann ein Ausländer im Sinne von § 59 Abs. 3 Satz 2
AufenthG nicht in einen bestimmten Zielstaat abgeschoben werden darf, ist den
Bestimmungen über die zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote in § 60
Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG zu entnehmen. Bei Asylbewerbern ist die Auslän-
derbehörde insoweit an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwal-
tungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5
oder Abs. 7 AufenthG gebunden (§ 42 Satz 1 AsylVfG). Bei den sogenannten
zwingenden Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 und dem neuen
Absatz 7 Satz 2 AufenthG führt eine positive Entscheidung über das Vorliegen
der gesetzlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots hinsichtlich ei-
nes Staates unproblematisch zur Rechtwidrigkeit der Bezeichnung dieses Staa-
tes als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung, weil bei Vorliegen der gesetzli-
chen Voraussetzungen eine Abschiebung in den betreffenden Staat ausnahms-
los ausgeschlossen ist. Bei dem hier streitigen Abschiebungsverbot nach § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt dies nicht ohne weiteres auf der Hand, weil nach
der gesetzlichen Konzeption die Abschiebung nicht immer schon dann zwin-
gend ausgeschlossen ist, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind,
sondern gemäß der Soll-Regelung in dieser Vorschrift hierfür zusätzlich eine
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- wenn auch auf atypische Fälle beschränkte - Ermessensentscheidung über
das Absehen von der Abschiebung erforderlich ist.
Nach der alten, vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes geltenden Rechts-
lage war für diese Ermessensentscheidung auch bei Asylbewerbern nicht das
Bundesamt, sondern die Ausländerbehörde zuständig. Dies ergab sich insbe-
sondere aus § 41 AsylVfG a.F., wonach die Abschiebung in den Fällen, in de-
nen das Bundesamt oder das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschie-
bungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG (Vorgängervorschrift zu § 60 Abs. 7
AufenthG) festgestellt hatte, gesetzlich für drei Monate ausgesetzt war und die
Ausländerbehörde über den Widerruf der Aussetzung oder über die Erteilung
einer Duldung nach Ablauf der drei Monate zu entscheiden hatte. Das Bundes-
amt hatte danach im Rahmen der ihm durch das Asylverfahrensgesetz übertra-
genen Zuständigkeit für ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen
(§ 5 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 24 Abs. 2 AsylVfG a.F.) nur über das Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG zu entscheiden, wäh-
rend die Ausübung des Ermessens nach dieser Vorschrift („von der Abschie-
bung kann abgesehen werden“) der Ausländerbehörde oblag (so auch Begrün-
dung des Gesetzentwurfs zu § 41 AsylVfG, BTDrucks 12/2062 S. 34). Daraus
ergab sich die Notwendigkeit, für den Fall einer Ermessensausübung der Aus-
länderbehörde zugunsten einer Abschiebung des Ausländers vorsorglich die
Abschiebungsandrohung des Bundesamtes in Bezug auf den betreffenden Ziel-
staat aufrechtzuerhalten, auch wenn das Bundesamt oder das Verwaltungsge-
richt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bejaht
hatte. Dementsprechend war nach ständiger Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts die auf asylverfahrensrechtlicher Grundlage verfügte Abschie-
bungsandrohung in einen bestimmten Zielstaat nach § 34 AsylVfG i.V.m. § 50
AuslG (jetzt § 59 AufenthG) nicht deshalb rechtswidrig, weil das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG vom Bundesamt oder im anschlie-
ßenden gerichtlichen Verfahren festgestellt worden war (vgl. Urteile vom
15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260 <265> und vom
5. Februar 2004 - BVerwG 1 C 7.03 - Buchholz 402.240 § 50 AuslG Nr. 15
= NVwZ-RR 2004, 534). Folgerichtig war auch das Klagebegehren auf Ver-
pflichtung des Bundesamtes zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53
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Abs. 6 AuslG bei der typischen Asylklage regelmäßig als letztes, nur hilfsweise
- für den Fall der Erfolglosigkeit der vorrangigen Schutzbegehren - geltend ge-
machtes Begehren zu verstehen, da es bei sachdienlicher Auslegung nicht wie
im Fall der zwingenden Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG
auch auf die Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandro-
hung gerichtet war (stRspr, grundlegend Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG
9 C 19.96 - a.a.O.).
Ob sich an dieser Beurteilung durch die ab 1. Januar 2005 geltenden Neurege-
lungen im Zuwanderungsgesetz etwas geändert hat, kann hier offen bleiben.
Allerdings ist durch das Zuwanderungsgesetz § 41 AsylVfG a.F. ersatzlos ge-
strichen worden, weil im Hinblick auf die jetzt im Falle der Aussetzung der Ab-
schiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mögliche Erteilung einer Aufent-
haltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG die bisher in § 41 AsylVfG getroffene
Verfahrensregelung entbehrlich sei (BTDrucks 15/420 S. 110); ferner ist die
„Kann-Regelung“ des § 53 Abs. 6 AuslG durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in
eine „Soll-Regelung“ umgewandelt worden. Außerdem ist in der Nachfolgevor-
schrift zu § 50 Abs. 3 AuslG, dem jetzigen § 59 Abs. 3 AufenthG, das Abschie-
bungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei der Regelung der Ziel-
staatsbezeichnung nicht mehr ausdrücklich ausgespart. Andererseits enthält
auch der neue § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kein zwingendes Abschiebungs-
verbot, da er nach wie vor ein - wenn auch auf atypische Fälle beschränktes -
behördliches Ermessen eröffnet, den Ausländer trotz Vorliegens der tat-
bestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift in den betreffenden Staat abzu-
schieben. Auch an der nur auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60
Abs. 2 bis 7 AufenthG bezogenen Zuständigkeit des Bundesamtes (§ 24 Abs. 2
AsylVfG) und demzufolge an der Zuständigkeit der Ausländerbehörde für die
verbleibende Ermessensentscheidung hat das Zuwanderungsgesetz nichts ge-
ändert (vgl. Urteil vom 22. November 2005 - BVerwG 1 C 18.04 - BVerwGE
124, 326 Rn.12, ebenso Beschluss vom 21. Dezember 2005 - BVerwG 1 B
9.05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2ff AufenthG Nr. 5). Die in der Rechtspre-
chung und im Schrifttum umstrittene Frage, ob gleichwohl aus den Neurege-
lungen im Zuwanderungsgesetz geschlossen werden konnte, dass allgemein
oder jedenfalls unter bestimmten Umständen die Feststellung des Vorliegens
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der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Bundesamt
oder die entsprechende Verpflichtung durch gerichtliche Entscheidung zur
Rechtswidrigkeit der Bezeichnung des betreffenden Staates als Zielstaat in der
Abschiebungsandrohung führt, braucht hier indes nicht abschließend geklärt zu
werden (vgl. zu dieser Frage etwa VG Freiburg, Urteil vom 15. Juni 2005 - A 1
K 11832.03 - juris Rn. 43 ff., Hailbronner, AuslR, Stand April 2006, § 59
AufenthG Rn. 26; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 34 Rn. 90).
Jedenfalls nach dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am
28. August 2007 ist nämlich davon auszugehen, dass nunmehr bei Asylbewer-
bern das Bundesamt auch für die ausländerrechtliche Ermessensentscheidung
zuständig ist, ob nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen der gesetzli-
chen Voraussetzungen der Vorschrift von der Abschiebung abgesehen werden
soll. Dies folgt vor allem aus der Neufassung des § 24 Abs. 2 AsylVfG, der die
ausnahmsweise Zuständigkeit des Bundesamtes für ausländerrechtliche Ent-
scheidungen nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG regelt (vgl. § 5 Abs. 1
Satz 2 AsylVfG). Nach der Neufassung obliegt dem Bundesamt nach Stellung
eines Asylantrags die Entscheidung, „ob ein Abschiebungsverbot nach § 60
Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt“. Diese Formulierung
ist an die Stelle des bisherigen Halbsatzes, „ob die Voraussetzungen für die
Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes
vorliegen“, getreten (vgl. auch die entsprechenden Änderungen in § 32 Satz 1
AsylVfG und § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Auch wenn die Neufassung in der
Begründung des Gesetzentwurfs nur als redaktionelle Änderung bezeichnet
wird (BTDrucks 16/5065 S. 216 Zu Nummer 16 Zu Buchstabe b) und es an an-
deren Stellen des Gesetzes noch bei den alten Formulierungen geblieben ist
(etwa in § 31 Abs. 3 Satz 1, § 39 Abs. 2, § 40 Abs. 1 Satz 2, § 42 Satz 1
AsylVfG), ist sie in Verbindung mit den oben erwähnten, bereits durch das Zu-
wanderungsgesetz eingeführten Änderungen als Ausdruck des gesetzgeberi-
schen Willens zu werten, dem Bundesamt die Zuständigkeit zur abschließenden
Entscheidung über das vollständige Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG zuzuweisen (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., der allerdings eine sol-
che Zuständigkeitsverlagerung schon ab 1. Januar 2005 annimmt).
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Gegen diese Übertragung einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung
auf eine Bundesoberbehörde durch Bundesgesetz bestehen im Hinblick auf die
kompetenzrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes auch keine verfas-
sungsrechtlichen Bedenken. Da der Bund das Gesetzgebungsrecht auf dem
Gebiet des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts der Ausländer (Art. 74
Abs. 1 Nr. 4 GG) hat, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebens-
verhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschafts-
einheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erfor-
derlich macht“ (Art. 72 Abs. 2 GG), und ihm ferner das Gesetzgebungsrecht auf
dem Gebiet der Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen (Art. 74
Abs. 1 Nr. 6 GG) - uneingeschränkt - zusteht, ist er insoweit nach Art. 87 Abs. 3
GG u.a. zur Errichtung von Bundesoberbehörden und damit auch zur Begrün-
dung von Verwaltungsbefugnissen für bestehende Bundesoberbehörden er-
mächtigt.
Umfasst danach die Feststellung des Bundesamtes zum Vorliegen eines Ab-
schiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht nur die tatbestand-
lichen Voraussetzungen, sondern nunmehr auch die durch die Soll-Regelung
beschränkte Ermessensentscheidung über die Rechtsfolge, so ergibt sich dar-
aus zwangsläufig, dass der Ausländer in den betreffenden Staat, auf den sich
die Feststellung bezieht, nicht abgeschoben werden darf. Die Bezeichnung die-
ses Staates als Zielstaat der Abschiebung ist damit nach § 59 Abs. 3 AufenthG
rechtswidrig. An der vom Verwaltungsgericht vertretenen anderslautenden Auf-
fassung zur alten Rechtslage (vgl. die oben unter Rn. 21 zitierten Urteile) kann
unter Geltung der neuen Rechtslage daher nicht mehr festgehalten werden.
Im Übrigen führt die Zuständigkeitsverlagerung von der Ausländerbehörde auf
das Bundesamt in der Regel nicht zu einer wesentlichen Änderung des Prü-
fungsumfangs im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn bei Vorlie-
gen der gesetzlichen Voraussetzungen des Abschiebungsverbots nach § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist wegen der Soll-Bestimmung regelmäßig ein Abse-
hen von der Abschiebung in den betreffenden Staat geboten. Nur wenn aus-
nahmsweise Anhaltspunkte für das Vorliegen eines atypischen Falles bestehen,
werden die Gerichte zu prüfen haben, ob dieser tatsächlich vorliegt und werden
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gegebenenfalls das Bundesamt - wenn dessen Ermessen nicht auf Null
reduziert ist - nur zur Neubescheidung verpflichten können.
2. Die von der Klägerin zu 2 mit ihrer Revision erhobene Verfahrensrüge hat
dagegen keinen Erfolg. Der von ihr allein geltend gemachte Verstoß gegen die
gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) liegt nicht vor. Insoweit hält
der Senat an der im Zulassungsbeschluss vom 28. März 2006 - BVerwG 1 B
91.05 (a.a.O.) - vertretenen Auffassung nach erneuter Überprüfung der Rüge im
Revisionsverfahren nicht mehr fest.
Die Klägerin zu 2 sieht einen Aufklärungsmangel darin, dass das Berufungsge-
richt es in ihrem Fall - ebenso wie bei dem Kläger zu 1 - unterlassen habe, ein
psychologisches Gutachten über das Vorliegen einer PTBS einzuholen und die
Frage der Behandlungsmöglichkeiten ihrer Erkrankung in Aserbaidschan oder
Berg-Karabach durch Anfrage beim Auswärtigen Amt oder anderen fachlich
geeigneten Stellen zu klären. Sie macht geltend, diese Aufklärung hätte sich
dem Berufungsgericht angesichts der vorgelegten aussagefähigen ärztlichen
Berichte der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie F., der Erörterung
der Erkrankung in der Berufungsverhandlung und des Beweisantrags in dem
Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2005 aufdrängen müs-
sen.
Dieses Vorbringen der Klägerin zu 2 ist ausweislich der Akten zum Teil schon in
tatsächlicher Hinsicht nicht zutreffend. Denn entgegen ihrer Darstellung bezieht
sich der Beweisantrag in dem Schriftsatz vom 13. April 2005 erkennbar nur auf
die Erkrankung des Klägers zu 1. Aus welchen Gründen sich dem Berufungs-
gericht die vermisste Beweiserhebung bezüglich der Klägerin zu 2 hätte auf-
drängen müssen, obwohl sie - anwaltlich durch denselben Prozessbevollmäch-
tigten wie der Kläger zu 1 vertreten - weder in der mündlichen Verhandlung am
23. Februar 2005 noch in dem sich anschließenden schriftlichen Verfahren ei-
nen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, lässt sich weder dem Vorbrin-
gen der Klägerin zu 2 entnehmen noch ist es sonst ersichtlich.
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Insbesondere musste sich dem Berufungsgericht unter diesen Umständen nicht
bereits wegen des in der Berufungsverhandlung überreichten fachärztlichen
Attests vom 17. Februar 2005 die Einholung eines medizinischen Sachverstän-
digengutachtens zum Vorliegen einer PTBS bei der Klägerin zu 2 von Amts
wegen aufdrängen. Denn der Inhalt dieses an den damaligen Prozessbevoll-
mächtigten der Kläger gerichteten Schreibens der Fachärztin genügte nicht den
Anforderungen, die an die substantiierte Darlegung einer solchen Erkrankung
zu stellen sind. Es bot daher auch keinen Anlass zu einer gerichtlichen Beweis-
erhebung.
Wie bereits zur Revision des Klägers zu 1 im Rahmen der Anforderungen an
einen substantiierten Beweisantrag ausgeführt (vgl. oben Rn. 15), ist es ange-
sichts der Unschärfen des Krankheitsbildes dieser psychischen Erkrankung zur
Substantiierung eines entsprechenden Vorbringens regelmäßig erforderlich,
dass der Betroffene ein gewissen Mindestanforderungen genügendes fachärzt-
lichen Attest vorlegt. Dieses muss zwar nicht eine an den Forschungskriterien
F 43.1 des ICD-10 orientierte umfangreiche gutachtliche Stellungnahme sein,
wie sie das Berufungsgericht verlangt; aus dem Attest muss sich aber nachvoll-
ziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt
hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. (vgl. wiederum oben
Rn. 15).
Das Attest vom 17. Februar 2005 - weitere Atteste hat die Klägerin zu 2 für ihre
Person bis heute nicht vorgelegt - ist schon deshalb insoweit nicht ausreichend,
weil es weder Angaben über eine eigene ärztliche Exploration und Befunderhe-
bung enthält noch eine nachvollziehbar begründete eigene Diagnose stellt. Es
beschränkt sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe der - offenbar nicht weiter
überprüften - Angaben der Klägerin zu 2, die diese in der bisher einmaligen
Vorstellung bei der Fachärztin am 26. Januar 2005 gemacht hat, und beschei-
nigt ohne nähere Erläuterung, dass „die von ihr gemachten Angaben“ „für das
Vorhandensein einer posttraumatischen Belastungsstörung“ sprächen. Auf den
zeitlichen Abstand zwischen den von der Klägerin zu 2 behaupteten „aggressi-
ven Erfahrungen“ im Kriegsgebiet und den erst 2005 geltend gemachten
Symptomen geht das Attest überhaupt nicht ein. Ein Vergleich mit dem vom
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Kläger zu 1 vorgelegten Attest der gleichen Fachärztin vom 11. März 2005 zeigt
insgesamt eine deutliche Distanzierung der Fachärztin von den „auf Wunsch
der … Patientin“ mitgeteilten „Diagnosen“ im Fall der Klägerin zu 2. Angesichts
der Tatsache, dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger im weiteren Verlauf
des Verfahrens weder auf die Erkrankung der Klägerin zu 2 noch auf das fragli-
che Attest eingegangen ist, sich aber ausführlich und unter Beweisantritt zur
PTBS des Klägers zu 1 und einem daraus folgenden Abschiebungsverbot ge-
äußert hat, musste sich dem Berufungsgericht eine Beweiserhebung zum Vor-
liegen einer PTBS bei der Klägerin zu 2 nicht aufdrängen.
Sonstige Verfahrensrügen sind von der Klägerin zu 2 nicht erhoben worden.
Ihre Revision bleibt deshalb erfolglos.
Die Kostenentscheidung betreffend die Klägerin zu 2 folgt aus § 154 Abs. 2
VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Ge-
genstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
VRiBVerwG Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig Beck
ist wegen Erkrankung verhin-
dert zu unterschreiben.
Prof. Dr. Dörig
Prof. Dr. Kraft Fricke
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Asylrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
AsylVfG
§ 24 Abs. 2, § 34 Abs. 1
AufenthG
§ 59 Abs. 3, § 60 Abs. 7 Satz 1
AuslG
§ 50 Abs. 3, § 53 Abs. 6
VwGO
§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3
Stichworte:
Abschiebungsverbot; Erkrankung; posttraumatische Belastungsstörung; rechtli-
ches Gehör; substantiierter Beweisantrag; Aufklärungspflicht; Mitwirkungs-
pflicht; Verfahrensmangel; Abschiebungsandrohung; Zielstaatsbezeichnung.
Leitsätze:
1. Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorlie-
gen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum
Gegenstand hat, gehört regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanfor-
derungen genügenden fachärztlichen Attests, aus dem sich nachvollziehbar
ergeben muss, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist
und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt.
2. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asyl-
rechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I
2007, 1970) ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei Asylbewerbern
auch für die ausländerrechtliche Ermessensentscheidung zuständig, ob nach
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen
der Vorschrift von der Abschiebung abgesehen werden soll.
3. Verpflichtet das Verwaltungsgericht das Bundesamt zur Feststellung eines
Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich eines be-
stimmten Staates, so ist auch die Bezeichnung des betreffenden Staates als
Zielstaat in der Abschiebungsandrohung rechtswidrig.
Urteil des 10. Senats vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07
I. VG Meiningen vom 25.07.2001 - Az.: VG 2 K 20292.01.Me -
II. OVG Weimar
vom 19.05.2005 - Az.: OVG 2 KO 156.03 -