Urteil des BVerwG vom 29.09.2004

Nichtigkeit, Rechtsgrundlage, Abwasserbeseitigung, Satzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
am 29. September 2004
Jakob
BVerwG 10 C 3.04
Justizangestellte
OVG 5 B 639/02
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2004
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die Richter
am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R u b e l , Prof. Dr. E i c h b e r g e r ,
Dr. N o l t e und D o m g ö r g e n
für Recht erkannt:
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
24. Februar 2003 wird aufgehoben. Die Berufung gegen das
Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 10. Juni 2002 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisi-
onsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger ist Eigentümer eines zweigeschossig bebaubaren sowie eines gewerblich
genutzten Grundstücks, die an einer durch einen anschlussfähigen Niederschlags-
und Abwasserkanal erschlossenen Straße liegen. Mit Bescheiden vom 28. Dezember
1998 zog die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Kläger zur ersten Rate eines Ab-
wasserbeitrages in Höhe von insgesamt 6 946 DM heran. Nach § 1 Abs. 1 der den
Bescheiden als Rechtsgrundlage zugrunde liegenden Abwassersatzung der Beklag-
ten betreibt diese die Beseitigung des in ihrem Gebiet anfallenden Abwassers "als
eine öffentliche Einrichtung". Gemäß § 21 Abs. 3 dieser Satzung unterliegen bereits
an die öffentlichen Abwasseranlagen angeschlossene Grundstücke der erstmaligen
Beitragspflicht, wenn das Abwasser behandelt wird und die Abwasseranlagen den
rechtlichen Anforderungen genügen.
Auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage des Klägers hob
das Verwaltungsgericht die Beitragsbescheide mangels wirksamer Rechtsgrundlage
auf. § 21 Abs. 3 der Abwassersatzung (AbwS) verstoße gegen § 17 Abs. 1 Sächsi-
sches Kommunalabgabengesetz (SächsKAG) sowie gegen den Grundsatz der Ab-
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gabengleichheit, was die Nichtigkeit aller Satzungsbestimmungen zum Gegenstand
der Beitragspflicht zur Folge habe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht das Ur-
teil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Die Nichtberück-
sichtigung der mit Kleinkläranlagen und Kanalableitungen abwasserentsorgten
Grundstücke bei der Bestimmung des Kreises der Beitragspflichtigen durch § 21
Abs. 3 AbwS habe das Verwaltungsgericht zu Recht beanstandet; sie stelle jedoch
keinen zur Nichtigkeit der gesamten Abwassersatzung führenden Verstoß gegen den
Grundsatz der Abgabengleichheit dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts führe die Nichterhebung von Beiträgen gegenüber beitragspflichtigen
Grundstücken nur bei Vorliegen besonderer tatsächlicher Voraussetzungen zu einem
Verstoß gegen den Gleichheitssatz, der dem Gesetzgeber und damit auch dem
Ortsgesetzgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit belasse. Nur die willkürlich
ungleiche Behandlung von im Wesentlichen gleichen Sachverhalten sei hiernach
unzulässig. Die Grundsätze der Typengerechtigkeit und der Verwaltungspraktikabili-
tät könnten eine Ungleichbehandlung erst dann sachlich nicht mehr rechtfertigen,
wenn die durch die Ungleichbehandlung bewirkte Mehrbelastung eine bestimmte
Quantitätsgrenze überschreite, was der Fall sei, wenn die Mehrbelastung deutlich
über dem Richtwert von 10 % liege. Hiervon ausgehend fehle es an einem Verstoß
durch § 21 Abs. 3 AbwS gegen den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit, weil der
Beitragssatz durch diese Vorschrift nicht berührt werde. Denn die Beklagte habe die
von § 21 Abs. 3 AbwS betroffenen Grundstücke in die Flächenseite ihrer Globalbe-
rechnung eingestellt, so dass der vom Kläger zu zahlende Beitrag von der Nichter-
hebung von Beiträgen gegenüber den unter die Regelung des § 21 Abs. 3 AbwS fal-
lenden Eigentümern unbeeinflusst sei. Fehlerhaft sei auch die Regelung des § 1
Abs. 1 AbwS, wonach die Beklagte die Beseitigung des Abwassers als eine öffentli-
che Einrichtung betreibt. Denn die Beklagte nehme die Aufgabe der Abwasserbesei-
tigung in ihrem Satzungsgebiet in unterschiedlichem Umfang wahr, indem sie einen
Teil der Grundstücke schmutz- und niederschlagswasserentsorge und einen anderen
Teil der Grundstücke nur schmutzwasserentsorge. Aus der Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts zum Einrichtungsbegriff, an der festgehalten werde, folge
jedoch, dass der Satzungsgeber unterschiedliche öffentliche Einrichtungen der Ab-
wasserbeseitigung bilden müsse, wenn er im Satzungsgebiet in unterschiedlichem
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Umfang die Abwasserbeseitigung wahrnimmt. Auch dieser Mangel führe jedoch nicht
zur Nichtigkeit der Satzung und stelle ihre Eignung als Rechtsgrundlage für die Ab-
gabenerhebung im Ergebnis nicht in Frage, weil die zugrunde liegende Globalbe-
rechnung den Schluss zulasse, dass die Beiträge der lediglich teilentsorgten
Grundstücke in Höhe von deutlich unter dem Richtwert von 10 % liegendem Umfang
infolge der unterbliebenen Bildung einer eigenen Einrichtung überhöht seien.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger, dass das Oberverwal-
tungsgericht die festgestellten Satzungsmängel als unbeachtlich angesehen hat. Die
höchstrichterliche Rechtsprechung zur Pauschalierung und Typengerechtigkeit dürfe
nur den Zweck haben, die Verwaltungsarbeit bei arbeitsaufwendigen Massenverfah-
ren zu erleichtern. Zu einer generellen Rechtfertigung von Gesetzesverstößen dürfe
dies aber nicht führen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2003
dahingehend zu ändern, dass unter Zurückweisung der Berufung die Bescheide
der Gemeinde Luppa vom 28. Dezember 1998 in Gestalt der Widerspruchs-
bescheide des Landkreises Torgau/Oschatz vom 2. September 1999 aufgeho-
ben werden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Das Oberverwaltungsgericht habe zu Recht
unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts festgestellt,
dass die Abwassersatzung nicht gegen den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit
verstoße, weil die durch die Ungleichbehandlung von Grundstücken verursachte
Mehrbelastung sich noch im Bereich von bis zu 10 % bewege. Aus den landesrecht-
lichen Vorgaben folge, dass eine pfenniggenaue Abrechnung der Aufwendungen für
die Herstellung von Abwasserbeseitigungsanlagen nicht zu erfolgen habe und die
Beitragssätze nicht nach den tatsächlichen Vorteilen im Sinne eines Wirklichkeits-
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maßstabes zu ermitteln seien. Die sich hieraus ergebenden Unwägbarkeiten seien
durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts zum Einrichtungsbegriff
noch verstärkt worden, weil die Zuordnung von Kosten und Flächen zu der jeweiligen
Einrichtung zusätzliches "Fehlerpotential" enthalte. Vergleichbare Unwägbarkeiten
habe das Bundesverwaltungsgericht aufgegriffen, als es zur Rechtfertigung einer bis
zu zehnprozentigen Ungleichbelastung die Grundsätze der Verwaltungspraktikabilität
und Typengerechtigkeit herangezogen habe. Diesen Grundsätzen habe es hier ent-
sprochen, auf die Bildung zweier oder mehrerer Einrichtungen der Abwasserbeseiti-
gung zu verzichten, weil damit zeit- und kostenintensive Sachverhaltsermittlungen
und Zuordnungsentscheidungen vermieden würden. In gleicher Weise stelle auch die
Nichtberücksichtigung an sich nach Landesrecht bei der Beitragserhebung zu
berücksichtigender Grundstücke keine willkürliche Ungleichbehandlung dar. Der
"Nachteil" der schon jetzt herangezogenen Beitragspflichtigen liege nur darin, dass
einzelne Grundstückseigentümer in Anwendung des § 21 Abs. 3 AbwS ihren Beitrag
erst später zu entrichten hätten.
II.
Die zulässige Revision ist begründet.
Die das Urteil des Oberverwaltungsgericht tragende Erwägung, die Fehlerhaftigkeit
von § 1 Abs. 1 AbwS sei mangels Verstoßes gegen den Grundsatz der Abgaben-
gleichheit unbeachtlich und wirke sich deswegen nicht auf die Eignung der Abwas-
sersatzung der Beklagten als Rechtsgrundlage für die Abgabenerhebung aus, ver-
stößt gegen Bundesrecht. Der Satzungsmangel führt vielmehr zur Gesamtnichtigkeit
der Satzung und mithin zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide. Deswe-
gen ist gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO unter Aufhebung des Urteils des
Oberverwaltungsgerichts und unter Zurückweisung der Berufung das der Klage
stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts wiederherzustellen.
1. Der Senat hat zunächst erwogen, ob das Oberverwaltungsgericht tatsächlich da-
hingehend zu verstehen ist, dass § 1 Abs. 1 AbwS als fehlerhaft anzusehen ist. Auf
der Grundlage der Überlegungen des Oberverwaltungsgerichts, die (Gesamtnichtig-
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keits-)Folgen seines Verständnisses des Begriffs der "öffentlichen Einrichtung" in § 9
Abs. 2 (a.F.), § 17 Abs. 1 und Abs. 4 SächsKAG zu begrenzen, hätte es nahe liegen
können, die satzungsmäßige Festlegung einer einheitlichen Abwassereinrichtung für
zulässig anzusehen, wenn bei getrennten Einrichtungen für Vollentsorgung
(Schmutz- und Niederschlagswasser) und Teilentsorgung (Schmutzwasser) keine
wesentlichen Beitragsunterschiede zu erwarten sind. Einer solchen Neubestimmung
des landesrechtlichen Einrichtungsbegriffes, die dem Satzungsgeber bei der Festle-
gung der öffentlichen Einrichtungen von vornherein einen gewissen Spielraum ein-
räumt, wäre bei Beachtung des Gebots der Abgabengerechtigkeit und des Äquiva-
lenzprinzips bundesrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerwG, Beschluss vom
3. Juli 1978 - BVerwG 7 B 118 bis 124.78 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren
Nr. 40 S. 46 f.).
Diesen Weg hat das Oberverwaltungsgericht jedoch ersichtlich nicht beschritten. Es
hat § 1 Abs. 1 AbwS vielmehr ausdrücklich als "fehlerhaft" bezeichnet und festge-
stellt, dass diese Regelung tatbestandlich gegen Vorschriften des Kommunalabga-
bengesetzes "verstößt". Nur auf dieser Grundlage konnte sich auf der Rechtsfolgen-
seite die vom Oberverwaltungsgericht bejahte Frage stellen, ob der Fehler "unbe-
achtlich" ist.
2. Dass das Oberverwaltungsgericht von der Fehlerhaftigkeit der Vorschrift des § 1
Abs. 1 AbwS im Hinblick auf den in § 9 Abs. 2 Satz 1 a.F., § 17 Abs. 1 und Abs. 4
SächsKAG enthaltenen "Einrichtungsbegriff" ausgegangen ist, hat der Senat als
Auslegung irrevisiblen Landesrechts seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 560
ZPO i.V.m. § 173 VwGO). Einen Verstoß gegen Bundesrecht, der die insoweit be-
stehende Bindung aufheben würde, vermag der Senat nicht zu erkennen. Er wird
auch weder vom Beklagten noch von den gegenüber dieser Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts kritischen Stimmen in der Literatur (vgl. etwa Birk in:
Driehaus, KAG, § 8 Rn. 1101 a ff.) geltend gemacht.
Auch die zwischenzeitlich durch Art. 38 des Sächsischen Verwaltungsmodernisie-
rungsgesetzes (SächsVwModG) vom 5. Mai 2004 (GVBl S. 148, 160 ff.) erfolgte Än-
derung der Vorschrift des § 9 Abs. 2 SächsKAG führt zu keinem anderen Ergebnis.
Zwar hat der sächsische Gesetzgeber hierdurch das nach der Rechtsprechung des
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Oberverwaltungsgerichts gebotene Verständnis des Begriffes der öffentlichen Ein-
richtung ausdrücklich aufgegeben; es ist deswegen nicht mehr erforderlich, bei der
Abwasserbeseitigung, die - wie hier - für Teilgebiete der Gemeinde nur eine
Schmutzwasserentsorgung und für die restlichen Gebiete die Vollentsorgung anbie-
tet, von zwei getrennten Einrichtungen im Rechtssinne auszugehen (vgl. Begründung
des Regierungsentwurfs, LTDrucks 3/9110 S. 83 f. zu Nr. 9 a). Das Bundes-
verwaltungsgericht ist auch nicht gehindert, während des Revisionsverfahrens einge-
tretene Rechtsänderungen, auch soweit sie - wie hier - das irrevisible Recht betref-
fen, zu berücksichtigen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 3. November 1994 - BVerwG
3 C 30.93 - Buchholz 418.15 Rettungswesen Nr. 2 S. 16 f. m.w.N.). Die erfolgte Än-
derung von § 9 Abs. 2 SächsKAG wirkt sich auf das vorliegende Verfahren jedoch
nicht aus. Wie sich aus § 39 a SächsKAG ergibt, hat der Landesgesetzgeber dieser
Änderung keine Rückwirkung beigemessen und die das Revisionsgericht bindende
Auslegung des Oberverwaltungsgerichts somit nicht beseitigt. Sie gilt - anders als
die § 2 Abs. 2 SächsKAG betreffende Änderung - nicht auch für Satzungen, die nach
bisherigem Recht erlassen worden sind und konnte erst mit In-Kraft-Treten der
Neufassung des § 9 Abs. 2 SächsKAG zum 23. Mai 2004 (Art. 48 Abs. 1
SächsVwModG) und mithin nach Erlass der angefochtenen Bescheide wirksam wer-
den.
3. Zu Unrecht meint das Oberverwaltungsgericht, die danach irrevisibel festgestellte
Fehlerhaftigkeit der Regelung des § 1 Abs. 1 AbwS führe mangels Verstoßes gegen
den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit nicht zur Nichtigkeit der Satzung und stelle
ihre Eignung als Rechtsgrundlage für die Abgabenerhebung im Ergebnis nicht in
Frage. Mit dieser Auffassung verkennt das Oberverwaltungsgericht Funktion und
Anwendungsbereich des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit und verkürzt da-
durch die sich aus § 113 VwGO und Art. 19 Abs. 4 GG ergebende Rechtsschutzga-
rantie.
Als Ausprägung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt der Grundsatz
der Abgabengerechtigkeit vom Normgeber die Gleichbehandlung der Abgabenpflich-
tigen und fordert für Differenzierungen wesentlich gleicher oder die Gleichbehand-
lung wesentlich ungleicher Sachverhalte einen sachlich einleuchtenden und hinrei-
chend gewichtigen Grund (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 28. März 1995
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- BVerwG 8 N 3.93 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 75 S. 36 m.w.N.).
Dabei ist für das Abgabenrecht anerkannt, dass Typisierungen und Pauschalierun-
gen - insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen - durch Erwägun-
gen der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt sein
können (BVerwG, Beschluss vom 28. März 1995 - a.a.O.).
Von diesem inhaltlichen Verständnis des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit ist
das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Es hat diesen Grundsatz al-
lerdings nicht lediglich als - weiteren - Rechtmäßigkeitsmaßstab von Satzungsvor-
schriften herangezogen, sondern - zumindest bei der Prüfung von § 1 Abs. 1 AbwS -
vielmehr als Rechtfertigungsgrund für einen bereits festgestellten Satzungsverstoß.
Eine solche Funktion kommt dem Grundsatz der Abgabengerechtigkeit jedoch nicht
zu. Er begrenzt die einem Satzungsgeber zustehende Gestaltungsfreiheit, vermag
sie aber nicht zu erweitern. Insbesondere kann er nicht dazu herangezogen werden,
Überschreitungen der Gestaltungsfreiheit des Normgebers zu rechtfertigen, die sich
aus dem Verstoß gegen andere Rechtsnormen ergeben. Die Einhaltung des Grund-
satzes der Abgabengerechtigkeit ist notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedin-
gung für die Rechtmäßigkeit von Abgabensatzungen. Andernfalls geriete der Grund-
satz der Abgabengerechtigkeit zu einer undifferenzierten Vorrangnorm, an der Ver-
stöße gegen Rechtsnormen im Hinblick auf etwaige Rechtsfolgen allein zu messen
wären. Es ist aber allenfalls Sache des Gesetzgebers, die Unbeachtlichkeit von
Rechtsverstößen ggf. gesetzlich anzuordnen und hierdurch Ausnahmen von dem
Grundsatz, dass Rechtsfehler die Nichtigkeit einer Satzungsvorschrift zur Folge ha-
ben, vorzusehen. Ansonsten ist es den Verwaltungsgerichten verwehrt, von der (in-
zidenten) Feststellung der Unwirksamkeit einer als rechtswidrig erkannten Satzungs-
vorschrift oder einer daraus resultierenden Aufhebung von auf ihr beruhenden Ver-
waltungsakten abzusehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2000 - BVerwG
11 B 54.99 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 9 m.w.N.). Dass unabhängig
hiervon der vom Oberverwaltungsgericht hervorgehobene Gesichtspunkt der Verwal-
tungspraktikabilität im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG geeignet sein könnte, Rechts-
fehler als unbeachtlich zu behandeln, ist ohnehin nicht erkennbar.
Nichts anderes ergibt sich aus der vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. In seinem Urteil vom 16. Septem-
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ber 1981 (BVerwG 8 C 48.81 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 45) hat
das Bundesverwaltungsgericht einen Verstoß gegen den Grundsatz der Abgabenge-
rechtigkeit verneint, wenn sich der Satzungsgeber bei der landesrechtlich nicht weiter
eingeschränkten Wahl zwischen Beitrags- oder Gebührenfinanzierung einer öf-
fentlichen Einrichtung für eine (reine) Gebührenfinanzierung entscheidet, bei der die
durch eine Ungleichbehandlung bedingte Gebührenmehrbelastung eine bestimmte
Quantitätsgrenze nicht überschreitet. Die Ungleichbehandlung bestand darin, dass
Eigentümer nicht angeschlossener unbebauter, aber bebaubarer und mithin bei-
tragspflichtiger Grundstücke bei einer Gebührenfinanzierung nicht herangezogen
wurden. Die Quantitätsgrenze sah das Bundesverwaltungsgericht als überschritten
an, wenn der Anteil dieser Grundstücke mehr als 20 % beträgt und zu einer Gebüh-
renmehrbelastung von mehr als 10 % führen würde.
Aus dieser Entscheidung kann entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsge-
richts nicht der Schluss gezogen werden, Satzungsverstöße wie im Fall des § 1
Abs. 1 AbwS seien unbeachtlich, wenn die Beitragsmehrbelastung nicht mehr als
10 % beträgt. Denn die Entscheidung hat allein die Begrenzung des dem Satzungs-
geber grundsätzlich zustehenden Gestaltungsfreiraums zum Gegenstand. Hieraus
lässt sich für die Frage der Unbeachtlichkeit von Satzungsverstößen, aufgrund derer
der Satzungsgeber die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit bereits überschritten hat,
nichts herleiten. Deswegen kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht
die Rede davon sein, das Urteil vom 16. September 1981 greife "vergleichbare Un-
wägbarkeiten" auf, wie sie sich aufgrund der Rechtsprechung des Oberverwaltungs-
gerichts zum Einrichtungsbegriff ergeben.
Die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts kann schließlich auch nicht auf
das Urteil des Senats vom 17. April 2002 (BVerwG 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188)
gestützt werden. Zwar hat es der Senat dort bundesrechtlich beanstandet, Gebüh-
renregelungen insgesamt für nichtig zu erklären, ohne zu prüfen, ob und in welchem
Umfang sich festgestellte Mängel im Ergebnis auf die Gebührenhöhe ausgewirkt ha-
ben. Dieses Erfordernis einer Ergebniskontrolle bezieht sich aber ausschließlich auf
Mängel in der Kostenkalkulation. Der Senat hat insoweit klargestellt, dass eine unzu-
treffende Kalkulation nicht dazu führt, dass die auf ihrer Grundlage getroffene Fest-
setzung der Gebühr durch den Satzungsgeber "ermessensfehlerhaft" wird. Vielmehr
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ist die Gebührenfestsetzung erst dann rechtlich zu beanstanden, wenn sie die hierfür
geltenden (landes-)rechtlichen Obergrenzen (Verbot der Kostenüberdeckung und der
unangemessenen Gewinnerzielung) überschreitet (Urteil vom 17. April 2002, a.a.O.
S. 193). Diese Rechtsprechung lässt sich zwar auf die Festsetzung von Beiträgen,
deren höchstzulässige Sätze aufgrund einer Globalberechnung zu ermitteln sind (vgl.
§ 18 Abs. 2 Satz 1 SächsKAG), ohne weiteres übertragen. Um Kalkulations- bzw.
Globalberechnungsmängel und deren Auswirkung, auf die sich das Gebot der Er-
gebniskontrolle allein bezieht, geht es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht.
Das Oberverwaltungsgericht versteht die Bestimmung der öffentlichen Einrichtung
nicht als Teil der Globalberechnung. Es hat in der angefochtenen Entscheidung
vielmehr an seiner Rechtsprechung zum Einrichtungsbegriff festgehalten. In den in
Bezug genommenen Entscheidungen (SächsVBl 2001, 186 und 189) wird ausdrück-
lich zwischen Mängeln in der Globalberechnung und der fehlerhaften Festlegung der
öffentlichen Einrichtung durch Satzungsvorschrift differenziert. Auf Satzungsmängel
und die Frage ihrer Rechtsfolge beziehen sich die dargelegten Ausführungen des
Senats im Urteil vom 17. April 2002 jedoch nicht.
4. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen
Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Ein anderer Grund für die Unbeachtlichkeit
des vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Rechtsfehlers in § 1 Abs. 1 AbwS ist
nicht ersichtlich. Die somit gegebene Nichtigkeit dieser Satzungsnorm führt zur Ge-
samtnichtigkeit der Satzung, weil ohne die Bestimmung der Einrichtung der zwin-
gende Inhalt der Abgabensatzung (§ 2 Satz 2 SächsKAG), zu dem der die Abgabe
begründende Tatbestand und mithin auch die Bestimmung der Einrichtung gehört,
die die beitragspflichtige Möglichkeit des Anschlusses bietet (§ 17 Abs. 1
SächsKAG), keine mit höherem Recht vereinbare sinnvolle (Rest-)Regelung des
Sachverhalts belässt (vgl. zu diesem Kriterium BVerwG, Beschluss vom 30. Januar
1997 - BVerwG 8 NB 2.96 - NJW 1998, 469). Dadurch fehlt es den angefochtenen
Bescheiden an einer wirksamen Rechtsgrundlage.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Hien Prof. Dr. Rubel Prof. Dr. Eichberger
Dr. Nolte Domgörgen
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 3 551 € (ent-
spricht 6 946 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1 GKG a.F. i.V.m. § 72 GKG
n.F.).
Hien Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Abgabenrecht
Fachpresse: ja
Kommunales Beitragsrecht
Rechtsquellen:
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
Sächsisches KAG § 9 Abs. 1, Abs. 2, § 17 Abs. 1, Abs. 4, § 39 a
Stichworte:
Satzungsfehler; Unbeachtlichkeit; Nichtigkeit; Gesamtnichtigkeit; Abgabengerechtig-
keit; öffentliche Einrichtung; Einrichtungsbegriff; Typisierung; Pauschalierung; Ver-
waltungspraktikabilität; Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers; Ergebniskontrolle.
Leitsatz:
Verstöße einer Beitragssatzung gegen höherrangiges Recht können nicht unter Be-
rufung auf den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit deswegen als unbeachtlich be-
handelt werden, weil die Beitragsmehrbelastung bei rechtmäßiger Satzungsvorschrift
nur unwesentlich höher ausfiele.
Urteil des 10. Senats vom 29. September 2004 - BVerwG 10 C 3.04
I. OVG Bautzen vom 24.02.2003 - Az.: OVG 5 B 639/02 -
II. VG Leipzig vom 10.06.2002 - Az.: VG 6 K 1563/99 -