Urteil des BVerwG vom 07.07.2011

Genfer Flüchtlingskonvention, Bekämpfung des Terrorismus, Straftat, Organisation

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 C 27.10
OVG 8 A 2632/06.A
Verkündet
am 7. Juli 2011
Werner
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter sowie
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Beck und Fricke
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 27. März 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt Asyl und Flüchtlingsschutz sowie hilfsweise die Feststellung
eines Abschiebungsverbots in Bezug auf die Türkei.
Der 1975 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszu-
gehörigkeit. Ende 2002 reiste er auf dem Luftweg nach Deutschland ein und
beantragte Asyl. Zur Begründung gab er an: Er habe in der Türkei schon als
Schüler mit der Dev Sol (inzwischen: DHKP/C) sympathisiert und von Ende
1993 bis Anfang 1995 in den Bergen den bewaffneten Guerillakampf unter-
stützt. Nach seiner Verhaftung im Februar 1995 sei er schwer körperlich miss-
handelt und unter Folter zu einer Aussage gezwungen worden. Im Dezember
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1995 habe man ihn zu lebenslanger Haft verurteilt. 2001 sei er während der
Haft ein weiteres Mal zu lebenslanger Haft verurteilt worden, nachdem er die
Tötung eines der Spitzeltätigkeit verdächtigten Mitgefangenen auf sich genom-
men habe. Im Herbst 2000 habe er sich an einem Todesfasten beteiligt. Auf-
grund der hierbei erlittenen gesundheitlichen Schäden sei er im Dezember 2002
für sechs Monate aus der Haft entlassen worden. Aus Angst vor erneuter Ver-
haftung habe er das Land verlassen. Inzwischen werde er auch von der
DHKP/C als Verräter angesehen.
Mit Bescheid vom 14. September 2004 lehnte das Bundesamt für die Anerken-
nung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlin-
ge) - Bundesamt - den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab (Ziff. 1) und
stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Flüchtlingsaner-
kennung nach damaligem Recht) offensichtlich nicht vorliegen (Ziff. 2). Zur Be-
gründung wurde darauf hingewiesen, der Kläger sei vom Asyl- und Flüchtlings-
schutz ausgeschlossen, weil schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertig-
ten, dass er vor seiner Aufnahme eine schwere nichtpolitische Straftat began-
gen habe (damals: § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG, später: § 60 Abs. 8 Satz 2
AufenthG, jetzt: § 3 Abs. 2 AsylVfG). Zugleich stellte das Bundesamt fest, dass
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Ziff. 3), und drohte
dem Kläger die Abschiebung in die Türkei an (Ziff. 4).
Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
Mit Urteil vom 13. Juni 2006 hat es die Beklagte unter Aufhebung der Ziff. 1, 2
und 4 des Bescheids des Bundesamts verpflichtet, den Kläger als Asylberech-
tigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60
Abs. 1 AufenthG vorliegen.
Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsge-
richt mit Urteil vom 27. März 2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei als Asylberechtigter und als Flüchtling
anzuerkennen. Er habe vor seiner Ausreise aus der Türkei Verfolgung erlitten.
Die ihm während der Haft gezielt zugefügten Rechtsverletzungen hätten an sei-
ne politischen Überzeugungen und Aktivitäten angeknüpft und seien über eine
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asylrechtlich unerhebliche strafrechtliche Ahndung hinausgegangen. Der
Terrorismusvorbehalt stehe der Asylanerkennung nicht entgegen, da für eine
Fortführung der im Heimatland unternommenen Unterstützung einer gewalttäti-
gen extremistischen Organisation von Deutschland aus keine Anhaltspunkte
vorlägen. Bei einer Rückkehr sei der Kläger vor erneuter Verfolgung nicht hin-
reichend sicher. Trotz der umfassenden Reformbemühungen, insbesondere der
„Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Folter, komme es in der Türkei weiterhin zu
Verfolgungsmaßnahmen asylerheblicher Art und Intensität, die dem türkischen
Staat zurechenbar seien. Da er sich während einer befristeten Haftaussetzung
ins Ausland abgesetzt habe und ausweislich der beiden strafrechtlichen Verur-
teilungen einer linksextremistischen Terrororganisation zugerechnet werde, sei
anzunehmen, dass sich die türkischen Sicherheitskräfte im Falle einer Rück-
kehr für ihn interessierten. Dabei bestehe die Gefahr, dass er befragt werde, um
Erkenntnisse über seine Aktivitäten im Bundesgebiet und etwaige Kontakte zu
Organisationsangehörigen im In- und Ausland zu erlangen, und es hierbei zu
asylerheblichen Übergriffen komme. Die Ausschlussklauseln stünden einer
Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen. Der allein in Betracht kom-
mende Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat sei in Überein-
stimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention bei gemeinschafts- und verfas-
sungskonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass er nicht allein der
Sanktionierung eines in der Vergangenheit begangenen, schweren nichtpoliti-
schen Verbrechens, sondern auch der Gefahrenabwehr diene und eine am
Sinn und Zweck der Vorschrift und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orien-
tierte umfassende Würdigung des Einzelfalls erfordere. Der Ausschlussgrund
könne daher entfallen, wenn von dem Ausländer keine Gefahr mehr ausgehe,
etwa weil feststehe, dass er sich von allen früheren terroristischen Aktivitäten
losgesagt habe. Ob der Kläger ein schweres nichtpolitisches Verbrechen be-
gangen habe, könne offenbleiben, da die Einzelfallwürdigung zu seinen Guns-
ten ausfalle. Er habe als Heranwachsender fast acht Jahre in der Türkei in Haft
verbracht. Angesichts der damaligen Haftbedingungen sei der Strafzweck zu
einem erheblichen Teil erreicht. In die Abwägung seien auch die gesundheitli-
chen Folgen der Haft einzustellen. Die Erlebnisse während der Haft, deretwe-
gen er noch heute psychotherapeutischer Behandlung bedürfe, stellten eine
Zäsur dar, die eine Neuorientierung plausibel erscheinen lasse. Vom Kläger
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gehe keine Gefahr mehr aus. Aufgrund eines glaubhaften Sinneswandels habe
er jeden Kontakt zur DHKP/C abgebrochen und distanziere sich von deren Zie-
len.
Die Beklagte erstrebt mit der Revision die Abweisung der Klage. Der Kläger sei
nach § 60 Abs. 8 Satz 2 Alt. 2 und 3 AufenthG a.F. (inzwischen: § 3 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG) sowohl vom Asyl als auch vom Flüchtlingsschutz
ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzten die
Ausschlussgründe weder eine fortbestehende Gefährlichkeit des Ausländers
noch eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus.
Mit Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - hat der Senat das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union verschie-
dene Fragen zur Auslegung der inzwischen unionsrechtlich geregelten Aus-
schlussgründe in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c und zu Art. 3 der Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - zur
Vorabentscheidung vorgelegt. Der Gerichtshof hat die Vorlagefragen mit Urteil
vom 9. November 2010 (Rs. C-57/09 und C-101/09 - NVwZ 2011, 285) beant-
wortet.
Die Beklagte sieht sich in ihrer Auffassung durch das Urteil des Gerichtshofs
bestätigt. Dem schließt sich der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundes-
verwaltungsgericht an.
Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil. Seiner Auffassung nach fehlt es an
der Feststellung seiner persönlichen Verantwortung für konkrete terroristische
Aktionen der DHKP/C.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Berufungsentschei-
dung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht
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zu vereinbaren ist (1.). Zwar hat es im Ergebnis zu Recht die positiven Voraus-
setzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1
AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG bejaht (1.1). Es hat aber das Vorliegen
von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG (früher: § 60 Abs. 8 Satz 2
AufenthG/§ 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 1990) mit einer Begründung verneint, die
mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. Es hat zu Unrecht angenommen, dass ein
Ausschluss nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG voraussetzt, dass von
dem Betreffenden auch noch gegenwärtig die Gefahr der erneuten Begehung
von Straftaten oder Handlungen im Sinne dieser Bestimmungen ausgeht (1.2).
Dieses fehlerhafte Verständnis der Ausschlussgründe durch das Berufungsge-
richt erfasst über § 30 Abs. 4 AsylVfG auch die Entscheidung des Berufungsge-
richts zur Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter (2.). Mangels ausrei-
chender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst
abschließend entscheiden, ob der Kläger durch seine Aktivitäten für die
DHKP/C einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 3 AsylVfG
verwirklicht hat (3.). Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 VwGO).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Zu-
erkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigter ist
die neue, seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und
asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007
(BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August
2007 geltende Rechtslage. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentschei-
dung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Beru-
fungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom
11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es
sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der
das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entschei-
dung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtsla-
ge zugrunde legen (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 24. Februar 2011
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- BVerwG 10 C 3.10 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung
BVerwGE vorgesehen, juris Rn. 7 m.w.N.).
1. Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3
AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im
Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flücht-
lingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er
besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte,
den Bedrohungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Dies gilt allerdings
(u.a.) dann nicht, wenn er einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG
verwirklicht hat.
1.1 Das Berufungsgericht ist vorliegend im Ergebnis zu Recht davon ausge-
gangen, dass der Kläger die positiven Voraussetzungen für die Zuerkennung
der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG
erfüllt.
Auf der Grundlage der das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststel-
lungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat der Kläger sein Hei-
matland verlassen, nachdem er dort wegen seiner politischen Überzeugung
verfolgt worden ist. Die gegen ihn in der Haft ergriffenen Maßnahmen be-
schränkten sich nicht auf die strafrechtliche Ahndung des in der Durchsetzung
politischer Ziele mit gewaltsamen Mitteln liegenden kriminellen Unrechts, son-
dern gingen in Anknüpfung an politische Überzeugungen und Aktivitäten im
Sinne eines Politmalus darüber hinaus (UA S. 19).
Allerdings hat das Berufungsgericht bei seiner Prüfung, ob dem Kläger bei einer
Rückkehr in die Türkei (erneut) Verfolgung droht, mit Blick auf dessen Vorver-
folgung auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden
Sicherheit vor Verfolgung abgestellt (UA S. 11), wie er in der Rechtsprechung
des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrund-
recht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt und dann auf den Flüchtlingsschutz
übertragen worden ist. Dieses materiellrechtliche Konzept unterschiedlicher
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose ist der Richtlinie
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2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Aner-
kennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benöti-
gen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom
30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005
S. 24) fremd. Sie geht vielmehr von einem einheitlichen Prognosemaßstab aus,
der dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nach bisheriger deutscher Rechts-
lage entspricht, und verfolgt einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er etwa bei
der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum
Ausdruck kommt. Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007
hat der deutsche Gesetzgeber deshalb bei der Flüchtlingsanerkennung die bis-
herigen unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe des nationalen Rechts
aufgegeben und sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen ge-
macht (vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen Urteil des Senats vom 1. Juni 2011
- BVerwG 10 C 25.10 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung
BVerwGE vorgesehen, m.w.N.).
Gleichwohl ist die Berufungsentscheidung in diesem Punkt im Ergebnis revisi-
onsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn die einzelnen tatsächlichen Feststel-
lungen des Berufungsgerichts tragen den Schluss, dass die Furcht des Klägers
vor (erneuter) Verfolgung auch bei Zugrundelegung des nunmehr maßgebli-
chen einheitlichen Prognosemaßstabs nach den unionsrechtlichen Vorgaben
begründet ist. Die Tatsache, dass der Kläger bereits verfolgt wurde, ist nach
Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor
Verfolgung begründet ist. Den - revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden -
tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (UA S. 22 ff.) kann auch
nicht entnommen werden, dass stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfol-
gung sprechen. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats im Vorlagebe-
schluss vom 14. Oktober 2008 (- BVerwG 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79
Rn. 14 f.) verwiesen.
1.2 Erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60
Abs. 1 AufenthG, kommt es entscheidend darauf an, ob er durch die ihm zur
Last gelegten Aktivitäten für die DHKP/C vor seiner Ausreise einen Aus-
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schlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllt hat. Mit dieser Regelung hat der
Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 12 Abs. 2 und 3 der
Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt, die sich ihrerseits an den in Art. 1 F GFK auf-
geführten Ausschlussgründen orientieren (BTDrucks 16/5065 S. 214). Die Aus-
führungen des Berufungsgerichts, mit denen es das Vorliegen eines Aus-
schlussgrundes bei dem Kläger verneint hat, sind mit revisiblem Recht nicht
vereinbar.
a) Das Berufungsgericht hat allein den jetzt in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG
(früher in § 60 Abs. 8 Satz 2 Alt. 2 AufenthG) geregelten Ausschlussgrund einer
schweren nichtpolitischen Straftat in Betracht gezogen, der dem Ausschluss-
grund nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG sowie nach
Art. 1 F Buchst. b GFK entspricht. Nach dieser Bestimmung ist ein Ausländer
nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfer-
tigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische
Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grau-
same Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden.
Die Regelung gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straf-
taten angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2
Satz 2 AsylVfG in Umsetzung von Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG).
Das Berufungsgericht hat die Vorschrift dahingehend ausgelegt, dass der Aus-
schlussgrund nicht allein der Sanktionierung eines in der Vergangenheit von
dem Ausländer begangenen schweren nichtpolitischen Verbrechens, sondern
daneben auch der Gefahrenabwehr diene und eine am Sinn und Zweck der
Vorschrift sowie am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende
Würdigung des Einzelfalls erfordere. Der Ausschlussgrund könne daher entfal-
len, wenn von dem Ausländer unter keiner Betrachtungsweise mehr eine Ge-
fahr ausgehe, etwa weil feststehe, dass er sich von allen früheren terroristi-
schen Aktivitäten losgesagt habe (UA S. 28). Hiervon ausgehend hat es das
Eingreifen des Ausschlussgrundes im Falle des Klägers verneint. Dabei hat es
offengelassen, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass
der Kläger die ihm ausweislich der türkischen Strafurteile zur Last gelegten, von
ihm aber - zumindest teilweise - bestrittenen Taten begangen hat und ob die
von ihm eingeräumten Aktivitäten während seiner mehr als einjährigen Zugehö-
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rigkeit zur Guerilla bereits für sich genommen ein schweres nichtpolitisches
Verbrechen darstellen. Denn auch wenn der Kläger ein schweres nichtpoliti-
sches Verbrechen begangen haben sollte, finde die Ausschlussklausel auf ihn
keine Anwendung, da die Einzelfallwürdigung zu seinen Gunsten ausfalle. In
diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht insbesondere auf die vom
Kläger in der Türkei wegen der ihm zur Last gelegten Taten verbüßte Strafhaft,
die dabei erlittenen gesundheitlichen Folgen und den Umstand, dass von ihm
aufgrund eines glaubhaften Sinneswandels keine Gefahr mehr ausgehe, abge-
stellt (UA S. 52 f.). Diesem rechtlichen Ausgangspunkt ist nach Einholung der
Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union durch den Senat
im vorliegenden Verfahren nicht zu folgen (vgl. hierzu auch Urteil des Senats
vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 10 C 26.10, zur Veröffentlichung in der
Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).
Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. November
2010 (a.a.O. Rn. 104 f.) setzt der Ausschluss von der Anerkennung als Flücht-
ling nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie nicht voraus, dass von dem
Ausländer eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmestaat ausgeht. Den Aus-
führungen des Gerichtshofs zufolge, die sich gleichermaßen auf den Aus-
schlussgrund des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Verein-
ten Nationen (Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie, § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
AsylVfG) beziehen, wurden die Ausschlussgründe mit dem Ziel geschaffen, von
der Flüchtlingsanerkennung Personen auszuschließen, die hinsichtlich des
Schutzes, der sich aus der Anerkennung ergibt, als unwürdig angesehen wer-
den, und zu verhindern, dass die Anerkennung den Urhebern bestimmter
schwerer Straftaten ermöglicht, sich ihrer strafrechtlichen Verantwortung zu
entziehen. Nach der Systematik der Richtlinie 2004/83/EG ist eine möglicher-
weise von einem Flüchtling für den betreffenden Mitgliedstaat ausgehende ge-
genwärtige Gefahr nicht im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zu berück-
sichtigen, sondern im Rahmen des Art. 14 Abs. 4 bzw. des Art. 21 Abs. 2 der
Richtlinie (vgl. § 3 Abs. 4 und § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG jeweils i.V.m. § 60
Abs. 8 Satz 1 AufenthG). Mit den Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2
Buchst. b und c der Richtlinie sollen hingegen nach ihrem Wortlaut Handlungen
geahndet werden, die in der Vergangenheit begangen wurden (EuGH, Urteil
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vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 101 ff.). Auf eine fortbestehende von dem
Betreffenden ausgehende aktuelle Gefahr kommt es daher nicht an.
Für diese Ausschlussgründe bedarf es nach dem Urteil des Gerichtshofs auch
keiner (nachgelagerten) auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprü-
fung. Erfüllt eine Person die in den Ausschlussgründen festgelegten Vorausset-
zungen, ist sie zwingend und ohne Ausnahme von der Anerkennung als Flücht-
ling ausgeschlossen. Der Ausschluss nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der
Richtlinie hängt mit der Schwere der begangenen Handlungen zusammen, die
von einem solchen Grad sein muss, dass die betreffende Person nicht in be-
rechtigter Weise Anspruch auf den Schutz als Flüchtling im Sinne der Richtlinie
erheben kann. Da bereits im Rahmen der Beurteilung der Schwere der began-
genen Handlungen und der individuellen Verantwortung des Betreffenden alle
Umstände berücksichtigt werden, die für diese Handlungen und für die Lage
des Betreffenden kennzeichnend sind, ist eine zusätzliche weitere Verhältnis-
mäßigkeitsprüfung nicht mehr geboten (EuGH, Urteil vom 9. November 2010
a.a.O. Rn. 107 ff.).
b) Das Berufungsurteil hält auch hinsichtlich des Ausschlussgrundes des Zuwi-
derhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, der nun-
mehr als Umsetzung von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG in
§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG geregelt ist, einer revisionsgerichtlichen Prü-
fung nicht stand. Das Berufungsgericht hat diesen Ausschlussgrund im Fall des
Klägers nicht näher in Betracht gezogen, weil es sich der Auffassung des
UNHCR zur Auslegung des entsprechenden Ausschlussgrundes in Art. 1 F
Buchst. c GFK angeschlossen hat, wonach solche Zuwiderhandlungen nur von
Personen begangen werden können, die eine gewisse Machtposition in einem
Mitgliedstaat der Vereinten Nationen besessen und zu einer Verletzung der Zie-
le und Grundsätze der Vereinten Nationen durch ihren Staat direkt beigetragen
haben (UA S. 37 f., 43 unter Hinweis auf UNHCR, Handbuch über Verfahren
und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf, September
1979 Nr. 163). Dieser restriktiven Auslegung kann, jedenfalls soweit es um
Handlungen des internationalen Terrorismus geht, nach dem Urteil der Ge-
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richtshofs der Europäischen Union vom 9. November 2010 (a.a.O. Rn. 82 ff.)
nicht mehr gefolgt werden.
Die für einen Ausschluss nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG maßgeblichen
Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen sind in der Präambel und in den
Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt und u.a. in den Reso-
lutionen des UN-Sicherheitsrats zu den Antiterrormaßnahmen verankert, in de-
nen erklärt wird, „dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terroris-
mus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen
stehen“ und „dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer
Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen
und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“ (vgl. Erwägungsgrund 22 zur
Richtlinie 2004/83/EG). Wie sich aus den UN-Resolutionen 1373 (2001) und
1377 (2001) ergibt, geht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von dem
Grundsatz aus, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer all-
gemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen
und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Daraus folgert der Ge-
richtshof, dass dieser Ausschlussgrund auch auf Personen Anwendung finden
kann, die im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer in der Liste im Anhang des
Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristi-
schen Handlungen beteiligt waren, die eine internationale Dimension aufweisen
(EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82 bis 84). Danach können
Zuwiderhandlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG jedenfalls bei
Aktivitäten des internationalen Terrorismus auch von Personen begangen wer-
den, die keine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben. Bei diesem
Ausschlussgrund bedarf es ebenfalls weder einer gegenwärtigen Gefahr noch
einer (nachgelagerten) Verhältnismäßigkeitsprüfung (EuGH, Urteil vom 9. No-
vember 2010 a.a.O. Rn. 105 und 111).
2. Hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG beruht
das Berufungsurteil ebenfalls auf der Verletzung von Bundesrecht. Wenn der
Kläger durch seine Aktivitäten für die DHKP/C einen Ausschlussgrund im Sinne
des § 3 Abs. 2 AsylVfG verwirklicht haben sollte, wäre er nicht nur von der Zu-
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erkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern über § 30 Abs. 4 AsylVfG auch
von der Anerkennung als Asylberechtigter ausgeschlossen. Danach ist ein Asyl-
antrag (u.a.) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Vorausset-
zungen des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Das Vorliegen eines Ausschluss-
grundes stünde mithin auch einer Asylanerkennung zwingend entgegen.
Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Ter-
rorismus vom 9. Januar 2002 (BGBl I S. 361) - Terrorismusbekämpfungsge-
setz - mit Wirkung zum 1. Januar 2002 die Ausschlussgründe der Genfer
Flüchtlingskonvention beim Flüchtlingsschutz eingeführt (vgl. § 51 Abs. 3 Satz 2
AuslG 1990) und über § 30 Abs. 4 AsylVfG auf die Asylanerkennung übertra-
gen. Offenbleiben kann, ob er hierdurch die verfassungsimmanenten Grenzen
des Asylgrundrechts zutreffend und in hinreichend bestimmter Weise nachge-
zeichnet hat (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -
juris Rn. 23 f.) oder ob diese Grenzen anders zu bestimmen sind als nach der
Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. hierzu Beschluss vom 14. Oktober 2008
a.a.O. Rn. 36 ff. sowie Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C 2.10 - zur Ver-
öffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, juris
Rn. 45 ff.). Dies bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die einfachgesetzli-
che Erstreckung der Ausschlussgründe auf die Asylanerkennung - wie der Se-
nat bereits mit Urteil vom 31. März 2011 entschieden hat - jedenfalls mit Blick
auf die zwingenden Vorgaben der Richtlinie 2004/83EG und die sich daraus
ergebende Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung und Anwendung
des nationalen Rechts nicht zu beanstanden ist (Urteil vom 31. März 2011
a.a.O. Rn. 50 ff.).
Zwar wird das durch Art. 16a GG gewährleistete verfassungsrechtliche Asyl-
grundrecht nicht unmittelbar von der Richtlinie 2004/83/EG erfasst. Wie sich
aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. November 2010 (a.a.O.
Rn. 113 ff.) ergibt, wirkt sich die Richtlinie aber insofern auf das nationale Asyl-
grundrecht aus, als es dem in Art. 3 der Richtlinie niedergelegten Vorbehalt zu-
widerläuft, wenn ein Mitgliedstaat Bestimmungen erlässt oder beibehält, die die
Rechtsstellung eines Flüchtlings einer Person gewähren, die hiervon nach
Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen ist (a.a.O. Rn. 115). Die Mitglied-
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staaten dürfen zwar Schutz aus anderen Gründen gewähren als denjenigen,
auf denen der internationale Schutz beruht. In Betracht kommt etwa eine
Schutzgewährung aus familiären oder humanitären Gründen (a.a.O. Rn. 118).
Diese andere Form des Schutzes, zu deren Gewährung die Mitgliedstaaten be-
fugt sind, darf indessen nicht mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne
der Richtlinie verwechselbar sein (a.a.O. Rn. 119). Nur soweit die nationalen
Rechtsvorschriften, die von der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie
ausgeschlossenen Personen ein Asylrecht gewähren, eine klare Unterschei-
dung des nationalen Schutzes von dem Schutz gemäß der Richtlinie erlauben,
beeinträchtigen sie daher das von der Richtlinie geschaffene System nicht
(a.a.O. Rn. 120).
Bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Asylberechtigung nach Art. 16a
handelt es sich um einen nationalen Schutzstatus, der der Rechtsstellung eines
Flüchtlings im Sinne der Richtlinie weitgehend entspricht und damit eine Ver-
wechslungsgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs begründet.
Bei der Asylberechtigung nach Art. 16a GG handelt es sich nicht um einen ge-
genüber der Flüchtlingsanerkennung andersartigen Schutzstatus - gegründet
etwa auf familiäre oder humanitäre Motive. Vielmehr genießt ein Asylberechtig-
ter nach § 2 Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines Flücht-
lings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Seine Rechtsposition ent-
spricht innerstaatlich auch der unionsrechtlichen Stellung von Flüchtlingen, wie
sie durch die Richtlinie 2004/83/EG ausgestaltet ist (vgl. Hailbronner, ZAR
2009, 369 <371 ff.>). Damit liefe es aber dem Vorbehalt in Art. 3 der Richtlinie
zuwider, wenn Deutschland Personen eine dem Flüchtlingsstatus weitgehend
entsprechende Rechtsstellung gewährte, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der
Richtlinie ausgeschlossen sind. Die Vorgaben des Unionsrechts verlangen so-
mit, dass die Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie auch auf Asyl-
berechtigte anzuwenden sind (Urteil vom 31. März 2011 a.a.O. Rn. 53).
Folglich ist die einfachgesetzliche Erstreckung der Ausschlussklauseln auf den
Asylanspruch nach Art. 16a GG schon deshalb verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, weil der deutsche Gesetzgeber hierdurch seiner Verpflichtung zur
innerstaatlichen Umsetzung des Unionsrechts nachgekommen ist. Die Bindung
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27
- 15 -
an zwingende Vorgaben einer Richtlinie nach Art. 288 Abs. 3 AEUV befindet
sich in Übereinstimmung mit den in Art. 23 Abs. 1 GG genannten Rechts-
grundsätzen, solange die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt
der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unab-
dingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - BVerfGE 118, 79
<95 ff.>). Dass dieser unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz auf unions-
rechtlicher Ebene in Bezug auf das Asylrecht generell nicht gewährleistet wäre,
kann angesichts des in Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union verbürgten Rechts auf Asyl und der dem Schutzstandard der Genfer
Flüchtlingskonvention verpflichteten Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG
(vgl. etwa Erwägungsgründe 3 und 17 der Richtlinie) nicht angenommen wer-
den. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts hat zwar nicht die Nichtigkeit
entgegenstehenden nationalen Rechts zur Folge. Im Anwendungsbereich des
Unionsrechts ist entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht aber grundsätz-
lich unanwendbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 -
NJW 2010, 3422). Der Anwendungsvorrang gilt in Deutschland allerdings nur
kraft des durch Zustimmungsgesetz zu den Verträgen erteilten Rechtsanwen-
dungsbefehls. Er reicht für in Deutschland ausgeübte Hoheitsgewalt daher nur
so weit, wie die Bundesrepublik Deutschland dieser Kollisionsregel zugestimmt
hat und zustimmen durfte (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08
u.a. - BVerfGE 123, 267 <343>). Innerhalb dieser Grenzen ist das Unionsrecht
aber auch bei der Auslegung des Grundgesetzes zu beachten. Dies hat hier zur
Folge, dass mit der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG das Grundrecht auf
Asyl richtlinienkonform auszulegen ist und die Ausschlussklauseln selbst im
Falle einer nicht durch richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung
dieses Grundrechts behebbaren Kollision jedenfalls über den Anwendungsvor-
rang des vom nationalen Gesetzgeber in einfaches Gesetzesrecht umgesetzten
Unionsrechts beachtlich sind (Urteil vom 31. März 2011 a.a.O. Rn. 54).
3. Auch wenn das Berufungsurteil danach sowohl hinsichtlich der Flüchtlings-
als auch hinsichtlich der Asylanerkennung auf der Verletzung von Bundesrecht
beruht, kann der Senat hierüber nicht selbst entscheiden. Denn aufgrund der
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- 16 -
bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich nicht
abschließend beurteilen, ob der Kläger einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 oder 3 AsylVfG verwirklicht hat.
Das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG
setzt voraus, dass schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass
der Betreffende vor seiner Einreise in das Bundesgebiet eine schwere nichtpoli-
tische Straftat begangen, zu einer solchen Tat angestiftet oder sich in sonstiger
Weise daran beteiligt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Als schwere Straftaten in
diesem Sinne sind, wie der Gerichtshof der Europäischen Union betont hat
(EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 81), u.a. terroristische Hand-
lungen anzusehen, die durch ihre Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung ge-
kennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt
werden. Allerdings rechtfertigt allein der Umstand, dass eine Person einer Or-
ganisation angehört hat, die - wie hier die DHKP/C - wegen ihrer Beteiligung an
terroristischen Handlungen in der sog. EU-Terrorliste (Anhang zum Gemeinsa-
men Standpunkt des Rates vom 17. Juni 2002 betreffend die Aktualisierung des
Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer
Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Ge-
meinsamen Standpunkts 2002/340/GASP - 2002/462/GSAP - ABl EG Nr. L 160
vom 18. Juni 2002 S. 32) aufgeführt ist, und sie den von dieser Organisation
geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch die An-
nahme eines Ausschlussgrundes nach dieser Vorschrift. Es bedarf vielmehr in
jedem Einzelfall einer Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, um zu
ermitteln, ob die von der Organisation begangenen Handlungen schwere nicht-
politische Straftaten im Sinne des Ausschlussgrundes sind und ob der betref-
fenden Person eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser
Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in der Vorschrift verlangten
Beweisniveau Rechnung zu tragen ist (EuGH, Urteil vom 9. November 2010
a.a.O. Rn. 99). Entsprechendes gilt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs
für den vom Berufungsgericht nicht näher geprüften Ausschlussgrund des Zu-
widerhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen nach
§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, der Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie
2004/83/EG entspricht (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 99).
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Daran gemessen genügen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts
auch unter Berücksichtigung des anzulegenden (abgesenkten) Beweismaßes
nicht, um über das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 oder Nr. 3 AsylVfG abschließend zu entscheiden. Das Berufungsgericht
hat ausdrücklich offengelassen, ob schwerwiegende Gründe die Annahme
rechtfertigen, dass der Kläger die ihm ausweislich der türkischen Strafurteile zur
Last gelegten, von ihm aber - weitgehend - bestrittenen Taten begangen hat
und ob die von ihm eingeräumten Aktivitäten während seiner mehr als einjähri-
gen Zugehörigkeit zur Guerilla bereits für sich genommen ein schweres nichtpo-
litisches Verbrechen darstellen (UA S. 52). Zwar kann nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts davon ausgegangen werden, dass die DHKP/C aufgrund
der Aufnahme in die EU-Terrorliste im Jahr 2002 und der von ihr angewandten
Methoden (UA S. 20) eine terroristische Organisation ist. Den Feststellungen ist
weiter zu entnehmen, dass der Kläger - zwischen 1993 und 1995 - in der Türkei
den bewaffneten Kampf dieser Organisation unterstützt hat, indem er nach ei-
genen Angaben zwar nicht selbst an bewaffneten Auseinandersetzungen betei-
ligt war, die Kampftruppen aber in vielfältiger Weise unterstützt, Wege ausge-
kundschaftet und Nachschub besorgt hat und hierbei bewaffnet war, was nach
den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls auf die Bereitschaft
schließen lässt, die Waffen notfalls auch einzusetzen (UA S. 18). Dies allein
rechtfertigt aber noch nicht automatisch die Annahme einer dem Kläger zuzu-
rechnenden schweren nichtpolitischen Straftat bzw. Zuwiderhandlung gegen die
Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen. Das Berufungsgericht hat - von
seinem Rechtsstandpunkt her folgerichtig - keine weiteren Feststellungen zur
eigenen Begehung bzw. individuellen Verantwortung des Klägers für von der
DHKP/C begangene terroristische Handlungen getroffen. Ob diese Organisati-
on auch schon während der Zugehörigkeit des Klägers terroristische Methoden
angewandt hat und ob und in welchem Umfang der Kläger selbst terroristische
Handlungen begangen hat bzw. ihm die Verantwortung für solche Handlungen
der Organisation zumindest über § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG i.V.m. Art. 12
Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG zuzurechnen ist, kann ohne weitere tatrichter-
liche Feststellungen daher nicht abschließend beurteilt werden.
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Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht den Sachverhalt mit Blick so-
wohl auf den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat als auch
den des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Natio-
nen aufzuklären haben und dabei für die Beurteilung der Schwere der began-
genen Handlungen und der individuellen Verantwortung des Klägers alle Um-
stände zu ermitteln und zu berücksichtigen haben, die für diese Handlungen
und für die Lage des Klägers kennzeichnend sind.
Bei der Prüfung des Ausschlussgrunds des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ist
zu berücksichtigen, dass die vom Gerichtshof geforderte individuelle Verant-
wortlichkeit eine Verantwortlichkeit im strafrechtlichen Sinne erfordert, wobei
allerdings auch hier das im Vergleich zum Strafrecht abgesenkte Beweismaß
(„wenn aus schwerwiegenden Gründe die Annahme gerechtfertigt ist“) zu be-
achten ist (zu diesem Beweismaßstab vgl. Urteil vom 31. März 2011 a.a.O.
Rn. 26). Dabei liegt mangels einheitlicher internationaler Kriterien (vgl. die Län-
derberichte in: Sieber/Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender
Darstellung, Teilband 4 Tatbeteiligung, Berlin 2010) grundsätzlich zunächst eine
Orientierung an den Regeln des nationalen Strafrechts zur Täterschaft und Teil-
nahme nahe. Erfasst wird mithin sowohl der Täter als auch der Anstifter einer
schweren nichtpolitischen Straftat. Auch der in sonstiger Weise Beteiligte ist für
eine schwere nichtpolitische Straftat verantwortlich, wenn er eine strafrechtlich
relevante Beihilfe begangen hat. Allerdings muss auch im Fall der Beihilfe der
Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat
im Sinne dieser Vorschrift entsprechen. Denn durch die Regelung über die An-
stiftung und Beteiligung in sonstiger Weise in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie
2004/83/EG und § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG sollte der Ausschlussgrund des
Art. 1 F GFK, der eine solche Regelung nicht enthält, nicht erweitert, sondern
mit Rücksicht auf das unterschiedliche Verständnis von Täterschaft, Anstiftung
und sonstigen Beteiligungsformen in den Strafrechtsordnungen der Mitglied-
staaten lediglich präzisiert werden (ebenso UK Supreme Court, Urteil vom
17. März 2010, [2010] UKSC 15, Rn. 33). Das Berufungsgericht wird daher prü-
fen müssen, ob vorliegend schwerwiegende Gründe für die Annahme sprechen,
dass der Kläger während seiner Zugehörigkeit zur DHKP/C in der Türkei als
Täter oder Teilnehmer eine schwere nichtpolitische Straftat begangen hat, etwa
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im Zusammenhang mit der Ermordung des Mitgefangenen oder Terroranschlä-
gen der DHKP/C vor seiner Inhaftierung. In diesem Zusammenhang ist zu be-
rücksichtigen, dass der Kläger in der Türkei wegen der ihm zur Last gelegten
Straftaten rechtskräftig verurteilt worden ist. Hierbei sind aber auch die Ausfüh-
rungen des Klägers zum Zustandekommen der den Verurteilungen zugrunde
liegenden Geständnisse zu würdigen.
Beim Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, der jedenfalls bei
Handlungen des Terrorismus mit internationaler Dimension auch von Personen
verwirklicht werden kann, die keine Machtposition in einem Staat oder einer
staatsähnlichen Organisation haben (vgl. oben Rn. 22), setzt der Tatbestand
nicht notwendig die Begehung einer strafbaren Handlung voraus (ebenso zu
Art. 1 F Buchst. c GFK: UK Court of Appeal, Urteil vom 24. März 2009, [2009]
EWCA Civ 226, Rn. 30). In den hier einschlägigen UN-Resolutionen zu Antiter-
rormaßnahmen (vgl. Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/83/EG) wird in
Bekräftigung dessen, dass jede Handlung des internationalen Terrorismus eine
Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt, aus-
drücklich erklärt, „dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terroris-
mus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen
stehen und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer
Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen
und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“ (Resolution 1373 [2001] des
Sicherheitsrats vom 28. September 2001, Nr. 5). Daraus ergibt sich, dass
Handlungen des internationalen Terrorismus allgemein und unabhängig von
ihrer strafrechtlichen Relevanz im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen
der Vereinten Nationen stehen. Von diesem Ausschlussgrund können auch
Personen erfasst werden, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten
solcher terroristischen Aktivitäten vornehmen. Zusätzlich wird allerdings - um
der Funktion des Ausschlussgrundes gerecht zu werden - in jedem Fall zu prü-
fen sein, ob der individuelle Beitrag ein Gewicht erreicht, das dem der Aus-
schlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG entspricht.
Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass einer Anerken-
nung des Klägers als Flüchtling und als Asylberechtigter ein Ausschlussgrund
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- 20 -
nach § 3 Abs. 2 AsylVfG entgegensteht, wird es schließlich den vom Kläger
hilfsweise gestellten Anträgen auf Feststellung eines Abschiebungsverbots
nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nachzugehen haben. In diesem Zusammen-
hang ist insbesondere zu prüfen, ob der Kläger sich mit Blick auf die ihm dro-
hende Behandlung bei einer Rückkehr nicht zumindest auf das - keinem Aus-
schluss unterliegende - Abschiebungsverbot des Art. 3 EMRK berufen kann.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert er-
gibt sich aus § 30 RVG.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Richter
Beck
Fricke
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