Urteil des BVerwG vom 07.07.2011

Genfer Flüchtlingskonvention, Widerruf, Anerkennung, Eugh

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 C 26.10
OVG 8 A 5118/05.A
Verkündet
am 7. Juli 2011
Werner
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 27. März 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Asyl- und Flüchtlingsaner-
kennung.
Der 1968 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszu-
gehörigkeit. Im Mai 2001 reiste er aus dem Iran auf dem Luftweg nach Deutsch-
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land ein und beantragte Asyl. Zur Begründung gab er an: Er befürchte Verfol-
gung sowohl von Seiten des türkischen Staates als auch von Seiten der Kurdi-
schen Arbeiterpartei (PKK). Er sei schon während seines Studiums an der Uni-
versität Istanbul Ende der 80er Jahre wegen seines Eintretens für ein Selbstbe-
stimmungsrecht der Kurden dreimal festgenommen und gefoltert worden. Da-
nach sei er jeweils aus Mangel an Beweisen freigelassen worden. 1990 sei er in
die Berge geflohen, um sich der PKK anzuschließen. Er sei dort Guerillakämp-
fer und hoher Funktionär der PKK gewesen. Ende 1998 habe ihn die PKK in
den Nordirak geschickt. Aufgrund politischer Differenzen mit der Führung der
PKK habe er sich im Mai 2000 von dieser getrennt und werde seitdem als Ab-
trünniger von Seiten der PKK bedroht. Er habe sich noch ungefähr ein Jahr im
Nordirak aufgehalten, sei aber auch dort nicht sicher gewesen. Deshalb sei er
im Mai 2001 über den Iran nach Deutschland geflohen.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - erkannte den Kläger daraufhin
im Mai 2001 als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen (Flüchtlingsanerken-
nung nach damaligem Recht).
Im Januar 2002 führte der deutsche Gesetzgeber mit dem Terrorismusbekämp-
fungsgesetz neue Ausschlussgründe für die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung
ein, die sich an den in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention
(GFK) geregelten Ausschlussgründen orientierten. Mit Blick auf diese Geset-
zesänderung regte das Bundeskriminalamt beim Bundesamt die Einleitung ei-
nes Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens gegen den Kläger an. Nach den
dortigen Erkenntnissen treffe es zu, dass der Kläger sich 1990 der PKK ange-
schlossen habe und Guerillakämpfer und hoher Funktionär der PKK, ein sog.
„Kader“, gewesen sei. Er habe mindestens ab Februar 1999, möglicherweise
schon ab 1995, dem 41 Personen zählenden Führungsgremium angehört und
trage damit eine umfassende Mitverantwortung für die terroristischen Aktivitäten
der PKK. Im August 2000 habe Interpol Ankara den Kläger aufgrund des Haft-
befehls eines Staatssicherheitsgerichts zur internationalen Fahndung ausge-
schrieben. Gegenstand des Fahndungsersuchens seien insbesondere An-
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schläge, bei denen 126 Personen getötet worden seien, sowie die Beteiligung
an der Ermordung von zwei PKK-Guerillakämpfern, die aufgrund des eigenen
Strafsystems der PKK erfolgt sein soll. Der Tatzeitraum liege zwischen 1993
und 1998.
Das Bundesamt widerrief daraufhin mit Bescheid vom 6. Mai 2004 die Asyl- und
die Flüchtlingsanerkennung des Klägers. Der Widerruf sei nach § 73 Abs. 1
AsylVfG geboten, weil die Voraussetzungen für die Anerkennungen nicht mehr
vorlägen. Mit Einführung der Ausschlussgründe sei eine nachträgliche Rechts-
änderung eingetreten, die zur Folge habe, dass der Kläger nunmehr vom Asyl-
und Flüchtlingsschutz ausgeschlossen sei. Er erfülle die 2. und 3. Alternative
der Ausschlussvorschrift (damals: § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG, später: § 60 Abs. 8
Satz 2 AufenthG, jetzt: § 3 Abs. 2 AsylVfG). Denn er sei hinreichend verdächtig,
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außer-
halb der Bundesrepublik Deutschland begangen und den Zielen und Grundsät-
zen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt zu haben. Der Kläger habe
durch seine Einbindung als Guerillakämpfer und aufgrund seiner Position in der
Führungsebene der PKK Unterstützungshandlungen für deren terroristische
Aktivitäten geleistet und sei somit strafrechtlich für die Begehung schwerster
Verbrechen verantwortlich. Darüber hinaus sei er aufgrund des türkischen Haft-
befehls und seiner eigenen Einlassung im Asylverfahren hinreichend verdäch-
tig, durch eigene Gewaltbeiträge bis hin zur Tötung zahlreicher Menschen die
PKK unterstützt zu haben. Damit habe er die beiden genannten Ausschlusstat-
bestände erfüllt.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 29. November 2005 den Widerrufs-
bescheid aufgehoben.
Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsge-
richt mit Urteil vom 27. März 2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt: Der Widerruf sei rechtswidrig. Er könne weder auf
eine Änderung der Sachlage noch auf eine Änderung der Rechtslage gestützt
werden. Die für die Anerkennung des Klägers maßgeblichen Verhältnisse in der
Türkei hätten sich entgegen dem Vorbringen der Beklagten im Berufungsver-
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fahren nicht entscheidend geändert. Der vorverfolgt ausgereiste Kläger sei auch
jetzt vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher. Trotz der umfassenden
Reformbemühungen, insbesondere der „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Fol-
ter, komme es in der Türkei weiterhin zu Verfolgungsmaßnahmen asylerhebli-
cher Art und Intensität, die dem türkischen Staat zurechenbar seien. Aufgrund
des gegen den Kläger vorliegenden Haftbefehls sei anzunehmen, dass er im
Falle seiner Rückkehr festgenommen und zu den ihm vorgeworfenen Straftaten
sowie zu den Aktivitäten im Bundesgebiet und etwaigen Kontakten zu Organi-
sationsangehörigen im In- und Ausland befragt werde. Dabei bestehe die Ge-
fahr, dass es zu asylerheblichen Übergriffen komme. Der Widerruf sei auch
nicht aufgrund einer nachträglichen Änderung der Rechtslage gerechtfertigt.
Denn die Voraussetzungen der Ausschlussklauseln seien im Falle des Klägers
nicht erfüllt. In Betracht komme allein die 2. Alternative der in § 60 Abs. 8 Satz 2
AufenthG geregelten Ausschlussgründe. Auch wenn Erhebliches dafür spreche,
dass der Kläger während seiner langjährigen Einbindung in die PKK als Kämp-
fer und - zeitweise - als Funktionär in hervorgehobener Position an terroristi-
schen Aktionen der PKK beteiligt gewesen sei und damit Taten verübt habe, die
nach Art und Schwere als schweres nichtpolitisches Verbrechen zu beurteilen
seien, greife der Ausschlussgrund nicht ein. Denn dieser sei in Übereinstim-
mung mit der Genfer Flüchtlingskonvention bei gemeinschaftsrechts- und ver-
fassungskonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass er nicht allein der
Sanktionierung eines in der Vergangenheit begangenen, schweren nichtpoliti-
schen Verbrechens, sondern auch der Gefahrenabwehr diene und eine am
Sinn und Zweck der Vorschrift und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orien-
tierte umfassende Würdigung des Einzelfalls erfordere. Der Ausschlussgrund
könne daher entfallen, wenn von dem Ausländer keine Gefahr mehr ausgehe,
etwa weil feststehe, dass er sich von allen früheren terroristischen Aktivitäten
losgesagt habe. Das sei bei dem Kläger der Fall.
Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage. Sie macht gel-
tend: Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sei rechtmäßig. Die
tatbestandlichen Voraussetzungen der in dem angefochtenen Bescheid ge-
nannten Ausschlussgründe lägen vor. Entgegen der Auffassung des Beru-
fungsgerichts setzten beide Ausschlussgründe weder eine fortbestehende Ge-
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fährlichkeit des Ausländers noch eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeits-
prüfung voraus.
Mit Beschluss vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 46.07 - hat der Senat
das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union ver-
schiedene Fragen zur Auslegung der inzwischen unionsrechtlich geregelten
Ausschlussgründe in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c und zu Art. 3 der Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - zur
Vorabentscheidung vorgelegt. Der Gerichtshof hat die Vorlagefragen mit Urteil
vom 9. November 2010 (Rs. C-57/09 und C-101/09 - NVwZ 2011, 285) beant-
wortet.
Die Beklagte sieht sich in ihrer Auffassung durch das Urteil des Gerichtshofs
bestätigt. Dem schließt sich auch der Vertreter des Bundesinteresses beim
Bundesverwaltungsgericht an.
Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil und hält den Widerruf auch deshalb
für unzulässig, weil der Beklagten seine Aktivitäten und Stellung in der PKK
schon aufgrund seiner Angaben im Anerkennungsverfahren bekannt gewesen
seien und sich seitdem nichts geändert habe. Schließlich fehle es auch an der
Feststellung seiner persönlichen Verantwortung für konkrete terroristische Akti-
onen der PKK.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Berufungsentschei-
dung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Das Berufungsgericht hat das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3
Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (früher: § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 51 Abs. 3 Satz 2
AuslG 1990) und damit auch die Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Flüchtlings-
anerkennung des Klägers mit einer Begründung verneint, die mit Bundesrecht
nicht vereinbar ist. Es hat zu Unrecht angenommen, dass ein Ausschluss nach
§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG voraussetzt, dass von dem Betreffenden
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auch noch gegenwärtig die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten oder
Handlungen im Sinne dieser Bestimmungen ausgeht (1.). Dieses fehlerhafte
Verständnis der Ausschlussgründe durch das Berufungsgericht wirkt sich auch
auf die rechtliche Beurteilung des Widerrufs der Asylanerkennung aus (2.).
Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat
nicht selbst abschließend entscheiden, ob der Kläger durch seine Aktivitäten in
der PKK einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 3 AsylVfG
verwirklicht hat (3.). Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 VwGO).
1. a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass
der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung im Bescheid vom 6. Mai 2004 in for-
meller Hinsicht nicht zu beanstanden ist (vgl. im Einzelnen den Beschluss des
Senats vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 46.07 - Buchholz 451.902
Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 24 = NVwZ 2009, 592 Rn. 15).
b) Maßgeblich für die materiellrechtliche Beurteilung des Widerrufs der Flücht-
lingsanerkennung ist die neue, seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umset-
zung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom
19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsge-
setz - am 28. August 2007 geltende Rechtslage. Denn nach ständiger Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach
der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen,
sofern sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte
(vgl. Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251
Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit
handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf
die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung
oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die
aktuelle Rechtslage zugrunde legen (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom
24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - zur Veröffentlichung in der Entschei-
dungssammlung BVerwGE vorgesehen, juris Rn. 7 m.w.N.).
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c) Rechtsgrundlage für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ist § 73 Abs. 1
AsylVfG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist die Zuerkennung der Flüchtlingsei-
genschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht
mehr vorliegen. Die Anerkennungsvoraussetzungen müssen danach nachträg-
lich - also in der Regel nach Ausspruch der Anerkennung - entfallen sein.
aa) Einen Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen aufgrund einer nachträg-
lichen Änderung der Sachlage hat das Berufungsgericht vorliegend im Ergebnis
zu Recht verneint. Nach den das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen
Feststellungen des Berufungsgericht (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist eine wesentliche
Änderung der Verfolgungslage in der Türkei, die einen Widerruf der Flüchtlings-
anerkennung für den vorverfolgt ausgereisten Kläger rechtfertigen würde, nicht
eingetreten.
Allerdings hat das Berufungsgericht bei seiner Prüfung, ob sich die für die Beur-
teilung der Verfolgungsgefahr maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei nach-
träglich erheblich geändert haben, mit Blick auf die Vorverfolgung des Klägers
auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicher-
heit vor Verfolgung abgestellt (UA S. 12), wie er in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht
für Fälle der Vorverfolgung entwickelt und dann auf den Flüchtlingsschutz über-
tragen worden ist. Dieses materiellrechtliche Konzept unterschiedlicher Wahr-
scheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose ist der Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Aner-
kennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen
und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom
30. September 2004 S. 12, berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005
S. 24) fremd. Sie geht vielmehr von einem einheitlichen Prognosemaßstab aus,
der dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nach bisheriger deutscher Rechts-
lage entspricht, und verfolgt einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der
Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 und der tatsächlichen
Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck kommt.
Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 hat der deutsche
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Gesetzgeber deshalb bei der Flüchtlingsanerkennung die bisherigen unter-
schiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe des nationalen Rechts aufgegeben
und sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen gemacht (vgl.
zum Vorstehenden im Einzelnen Urteil des Senats vom 1. Juni 2011 - BVerwG
10 C 25.10 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE
vorgesehen, m.w.N.).
Gleichwohl ist die Berufungsentscheidung in diesem Punkt im Ergebnis revisi-
onsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn die einzelnen tatsächlichen Feststel-
lungen des Berufungsgerichts (UA S. 13 ff.) tragen den Schluss, dass auch bei
Zugrundelegung des nunmehr maßgeblichen einheitlichen Prognosemaßstabs
nach den unionsrechtlichen Vorgaben die Veränderung der Umstände in der
Türkei nicht so erheblich und dauerhaft ist, dass die Furcht des vorverfolgten
Klägers vor Verfolgung aus den gleichen Gründen nicht länger als begründet
angesehen werden kann (vgl. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG sowie
hierzu Urteil des Senats vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 17, 19, zur Veröffent-
lichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, im Anschluss an
EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - InfAuslR
2010, 188). So führt das Berufungsgericht u.a. aus, aufgrund des gegen den
Kläger vorliegenden Haftbefehls sei anzunehmen, dass er im Falle seiner
Rückkehr festgenommen und zu den ihm vorgeworfenen Straftaten sowie zu
seinen Aktivitäten im Bundesgebiet und etwaigen Kontakten zu Organisations-
angehörigen im In- und Ausland befragt werde und dabei die Gefahr bestehe,
dass die Befragung mit asylrechtlich relevanten Übergriffen einhergehe (UA
S. 17). Damit ist gerade nicht - wie für einen Widerruf gemäß Art. 11 Abs. 2 der
Richtlinie 2004/83/EG erforderlich - festgestellt, dass die Faktoren, die die
Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerken-
nung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen
werden kann.
Da der Kläger auch nicht durch eigenes Verhalten nach der Anerkennung einen
Grund für den Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen, etwa durch nach-
trägliche Verwirklichung eines Ausschlusstatbestandes, geschaffen hat, schei-
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det ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung wegen Änderung der Sachlage
aus.
bb) In Betracht kommt allerdings ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung we-
gen nachträglicher Änderung der Rechtslage durch Einführung der nach Inkraft-
treten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr in § 3 Abs. 2 AsylVfG ge-
regelten Ausschlussgründe. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die uni-
onsrechtlichen Vorgaben aus Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG
umgesetzt, die sich ihrerseits an den in Art. 1 F GFK aufgeführten Ausschluss-
gründen orientieren (BTDrucks 16/5065 S. 214). Sollte der Kläger durch seine
Aktivitäten in der PKK einen dieser Ausschlussgründe verwirklicht haben, wäre
ein Widerruf wegen dieser nach der Anerkennung eingetretenen Änderung der
Rechtslage nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zulässig und geboten.
Jedenfalls nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG durch das Richtlinienum-
setzungsgesetz ist die Vorschrift mit Blick auf Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richt-
linie unionsrechtskonform so auszulegen, dass bei Vorliegen von Ausschluss-
gründen Altanerkennungen, die vor Einführung dieser Ausschlussgründe aus-
gesprochen wurden, wegen der unionsrechtlich nunmehr zwingend gebotenen
Beachtung dieser Ausschlussgründe zu widerrufen sind. Nach Art. 14 Abs. 3
Buchst. a der Richtlinie erkennen die Mitgliedstaaten die Flüchtlingseigenschaft
ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, falls der betreffende Mit-
gliedstaat nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft feststellt, dass die Per-
son gemäß Art. 12 der Richtlinie von der Zuerkennung der Flüchtlingseigen-
schaft hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist. Diese
Regelung ist - anders als Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie - zwingend ausgestaltet
und verpflichtet nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union
mangels einer Übergangsregelung auch zur Aberkennung der Flüchtlingseigen-
schaft in Fällen, in denen vor Inkrafttreten der Richtlinie Anträge gestellt oder
Entscheidungen erlassen wurden (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O.
Rn. 73 f.). Da eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft bei ursprünglich
rechtmäßiger Anerkennung nach nationalem Recht nur im Wege des Widerrufs
erfolgen kann, ist § 73 Abs. 1 AsylVfG, der in seinem Wortlaut insoweit offen ist,
unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass er, jedenfalls soweit zwin-
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gende Regelungen der Richtlinie 2004/83/EG - wie hier Art. 14 Abs. 3 der Richt-
linie - es erfordern, einen Widerruf aufgrund dieser Änderung der Rechtslage
zulässt und gebietet.
Diese vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgegebene Auslegung steht
auch nicht im Widerspruch zu dem insoweit als Maßstab heranzuziehenden
unionsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Dieser Grundsatz kommt
nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor allem
dann zum Tragen, wenn Vorschriften des materiellen Unionsrechts für vor ih-
rem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte gelten sollen. Der Anwen-
dungsbereich dieses Grundsatzes darf aber nicht so weit erstreckt werden,
dass die Anwendung einer neuen Regelung auf die künftigen Auswirkungen
von unter der Geltung früherer Regelungen entstandenen Sachverhalten
schlechthin ausgeschlossen ist (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 14. Januar 2010
- Rs. C-226/08, Stadt Papenburg - NVwZ 2010, 310 Rn. 46 m.w.N.). Da der
Widerruf von Flüchtlingsanerkennungen, die vor Umsetzung von Art. 14 Abs. 3
der Richtlinie 2004/83/EG ausgesprochen worden sind, nicht zu einem Entzug
des Flüchtlingsstatus in der Vergangenheit führt, sondern lediglich den Fortbe-
stand der Flüchtlingsanerkennung in der Zukunft entfallen lässt, beinhaltet die
Regelung nicht eine rückwirkende Neubewertung abgeschlossener Sachverhal-
te. Sie betrifft vielmehr nur die künftigen Auswirkungen von unter Geltung der
früheren Regelung entstandenen Sachverhalten. Vor diesem Hintergrund ist
das Vertrauen des Betroffenen, trotz Verwirklichung von Ausschlussgründen im
Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention auch künftig im Besitz der Flüchtlings-
anerkennung zu bleiben, nicht schutzwürdig. Im Übrigen sind die aus der uni-
onsrechtskonformen Auslegung von § 73 Abs. 1 AsylVfG folgenden nachteili-
gen Auswirkungen für den Betroffenen auch deshalb begrenzt, weil mit der Be-
endigung der Flüchtlingseigenschaft keine Entscheidung über die Abschiebung
in den Verfolgerstaat verbunden ist, sondern im Falle einer dort drohenden ge-
gen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung jedenfalls nach den von den Mit-
gliedstaaten zu beachtenden völkerrechtlichen Verpflichtungen ein Abschie-
bungsverbot besteht.
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cc) Ist demnach im Falle der Verwirklichung eines Ausschlussgrundes nach § 3
Abs. 2 AsylVfG durch den Kläger der Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung
geboten, kommt es entscheidend darauf an, ob der Kläger durch die ihm zur
Last gelegten Aktivitäten in der PKK vor seiner Ausreise einen Ausschlussgrund
nach § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllt hat. Die Ausführungen des Berufungsgerichts,
mit denen es das Vorliegen eines solchen Ausschlussgrundes bei dem Kläger
verneint hat, sind mit revisiblem Recht nicht vereinbar.
Das Berufungsgericht hat allein den jetzt in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG
(früher in § 60 Abs. 8 Satz 2 Alt. 2 AufenthG) geregelten Ausschlussgrund einer
schweren nichtpolitischen Straftat in Betracht gezogen, der dem Ausschluss-
grund nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG sowie nach
Art. 1 F Buchst. b GFK entspricht. Nach dieser Bestimmung ist ein Ausländer
nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfer-
tigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische
Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grau-
same Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden.
Die Regelung gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straf-
taten angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2
Satz 2 AsylVfG in Umsetzung von Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG).
Das Berufungsgericht hat die Vorschrift dahingehend ausgelegt, dass der Aus-
schlussgrund nicht allein der Sanktionierung eines in der Vergangenheit von
dem Ausländer begangenen schweren nichtpolitischen Verbrechens, sondern
daneben auch der Gefahrenabwehr diene und eine am Sinn und Zweck der
Vorschrift sowie am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende
Würdigung des Einzelfalls erfordere. Der Ausschlussgrund könne daher entfal-
len, wenn von dem Ausländer unter keiner Betrachtungsweise mehr eine Ge-
fahr ausgehe, etwa weil feststehe, dass er sich von allen früheren terroristi-
schen Aktivitäten losgesagt habe oder aus gesundheitlichen Gründen zu politi-
schen Aktivitäten nicht mehr in der Lage sei (UA S. 19 f.). Hiervon ausgehend
hat es das Eingreifen des Ausschlussgrundes im Falle des Klägers verneint.
Auch wenn er durch seine Beteiligung an terroristischen Aktionen der PKK
schwere nichtpolitische Verbrechen begangen haben sollte, bestünden derzeit
keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass er sich nochmals an vergleichbaren
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Taten beteiligen werde (UA S. 44). Diesem rechtlichen Ausgangspunkt ist nach
Einholung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union
durch den Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu folgen.
Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. November
2010 (a.a.O. Rn. 104 f.) setzt der Ausschluss von der Anerkennung als Flücht-
ling nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie nicht voraus, dass von dem
Ausländer eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmestaat ausgeht. Den Aus-
führungen des Gerichtshofs zufolge, die sich gleichermaßen auf den Aus-
schlussgrund des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Verein-
ten Nationen (Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie, § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
AsylVfG) beziehen, wurden die Ausschlussgründe mit dem Ziel geschaffen, von
der Flüchtlingsanerkennung Personen auszuschließen, die hinsichtlich des
Schutzes, der sich aus der Anerkennung ergibt, als unwürdig angesehen wer-
den, und zu verhindern, dass die Anerkennung den Urhebern bestimmter
schwerer Straftaten ermöglicht, sich ihrer strafrechtlichen Verantwortung zu
entziehen. Nach der Systematik der Richtlinie 2004/83/EG ist eine möglicher-
weise von einem Flüchtling für den betreffenden Mitgliedstaat ausgehende ge-
genwärtige Gefahr nicht im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zu berück-
sichtigen, sondern im Rahmen des Art. 14 Abs. 4 bzw. des Art. 21 Abs. 2 der
Richtlinie (vgl. § 3 Abs. 4 und § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG jeweils i.V.m. § 60
Abs. 8 Satz 1 AufenthG). Mit den Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2
Buchst. b und c der Richtlinie sollen hingegen nach ihrem Wortlaut Handlungen
geahndet werden, die in der Vergangenheit begangen wurden (EuGH, Urteil
vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 101 ff.). Auf eine fortbestehende von dem
Betreffenden ausgehende aktuelle Gefahr kommt es daher nicht an.
Für diese Ausschlussgründe bedarf es nach dem Urteil des Gerichtshofs auch
keiner (nachgelagerten) auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprü-
fung. Erfüllt eine Person die in den Ausschlussgründen festgelegten Vorausset-
zungen, ist sie zwingend und ohne Ausnahme von der Anerkennung als Flücht-
ling ausgeschlossen. Der Ausschluss nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der
Richtlinie hängt mit der Schwere der begangenen Handlungen zusammen, die
von einem solchen Grad sein muss, dass die betreffende Person nicht in be-
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rechtigter Weise Anspruch auf den Schutz als Flüchtling im Sinne der Richtlinie
erheben kann. Da bereits im Rahmen der Beurteilung der Schwere der began-
genen Handlungen und der individuellen Verantwortung des Betreffenden alle
Umstände berücksichtigt werden, die für diese Handlungen und für die Lage
des Betreffenden kennzeichnend sind, ist eine zusätzliche weitere Verhältnis-
mäßigkeitsprüfung nicht mehr geboten (EuGH, Urteil vom 9. November 2010
a.a.O. Rn. 107 ff.).
Das Berufungsurteil hält auch hinsichtlich des Ausschlussgrundes des Zuwider-
handelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, der nunmehr
als Umsetzung von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG in § 3
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG geregelt ist, einer revisionsgerichtlichen Prüfung
nicht stand. Das Berufungsgericht hat diesen Ausschlussgrund im Fall des Klä-
gers nicht näher in Betracht gezogen, weil es sich der Auffassung des UNHCR
zur Auslegung des entsprechenden Ausschlussgrundes in Art. 1 F Buchst. c
GFK angeschlossen hat, wonach solche Zuwiderhandlungen nur von Personen
begangen werden können, die eine gewisse Machtposition in einem Mitglied-
staat der Vereinten Nationen besessen und zu einer Verletzung der Ziele und
Grundsätze der Vereinten Nationen durch ihren Staat direkt beigetragen haben
(UA S. 29, 34 f. unter Hinweis auf UNHCR, Handbuch über Verfahren und Krite-
rien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf, September 1979
Nr. 163). Dieser restriktiven Auslegung kann, jedenfalls soweit es um Handlun-
gen des internationalen Terrorismus geht, nach dem Urteil der Gerichtshofs der
Europäischen Union vom 9. November 2010 (a.a.O. Rn. 82 ff.) nicht mehr ge-
folgt werden.
Die für einen Ausschluss nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG maßgeblichen
Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen sind in der Präambel und in den
Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt und u.a. in den Reso-
lutionen des UN-Sicherheitsrats zu den Antiterrormaßnahmen verankert, in de-
nen erklärt wird, „dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terroris-
mus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen
stehen“ und „dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer
Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen
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28
- 15 -
und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“ (vgl. Erwägungsgrund 22 zur
Richtlinie 2004/83/EG). Wie sich aus den UN-Resolutionen 1373 (2001) und
1377 (2001) ergibt, geht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von dem
Grundsatz aus, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer all-
gemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen
und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Daraus folgert der Ge-
richtshof, dass dieser Ausschlussgrund auch auf Personen Anwendung finden
kann, die im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer in der Liste im Anhang des
Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristi-
schen Handlungen beteiligt waren, die eine internationale Dimension aufweisen
(EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82 bis 84). Danach können
Zuwiderhandlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG jedenfalls bei
Aktivitäten des internationalen Terrorismus auch von Personen begangen wer-
den, die keine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben. Bei diesem
Ausschlussgrund bedarf es ebenfalls weder einer gegenwärtigen Gefahr noch
einer (nachgelagerten) Verhältnismäßigkeitsprüfung (EuGH, Urteil vom 9. No-
vember 2010 a.a.O. Rn. 105 und 111).
2. Hinsichtlich des Widerrufs der Asylanerkennung des Klägers beruht das Be-
rufungsurteil ebenfalls auf der Verletzung von Bundesrecht. Wenn der Kläger
durch seine Aktivitäten in der PKK einen Ausschlussgrund im Sinne des § 3
Abs. 2 AsylVfG verwirklicht haben sollte, wäre nicht nur der Widerruf der Flücht-
lingsanerkennung, sondern auch der Widerruf der Anerkennung als Asylberech-
tigter nach Art. 16a GG gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für den Widerruf der Asylanerkennung des Klägers ist
ebenso wie für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung § 73 Abs. 1 Satz 1
AsylVfG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes. Auch im Fall der
Asylanerkennung ist die Vorschrift unionsrechtskonform dahingehend auszule-
gen, dass sie bei Altanerkennungen, die noch vor Einführung der Ausschluss-
gründe ausgesprochen wurden, mit Blick auf die unionsrechtlich zwingend ge-
botene Beachtung der Ausschlussgründe einen Widerruf auch allein aufgrund
dieser Rechtsänderung zulässt und gebietet.
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30
- 16 -
Zwar wird das durch Art. 16a GG gewährleistete verfassungsrechtliche Asyl-
grundrecht nicht unmittelbar von der Richtlinie 2004/83/EG erfasst. Wie sich
aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. November 2010 (a.a.O.
Rn. 113 ff.) ergibt, wirkt sich die Richtlinie aber insofern auf das nationale Asyl-
grundrecht aus, als es dem in Art. 3 der Richtlinie niedergelegten Vorbehalt zu-
widerläuft, wenn ein Mitgliedstaat Bestimmungen erlässt oder beibehält, die die
Rechtsstellung eines Flüchtlings einer Person gewähren, die hiervon nach
Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen ist (a.a.O. Rn. 115). Die Mitglied-
staaten dürfen zwar Schutz aus anderen Gründen gewähren als denjenigen,
auf denen der internationale Schutz beruht. In Betracht kommt etwa eine
Schutzgewährung aus familiären oder humanitären Gründen (a.a.O. Rn. 118).
Diese andere Form des Schutzes, zu deren Gewährung die Mitgliedstaaten be-
fugt sind, darf indessen nicht mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne
der Richtlinie verwechselbar sein (a.a.O. Rn. 119). Nur soweit die nationalen
Rechtsvorschriften, die von der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie
ausgeschlossenen Personen ein Asylrecht gewähren, eine klare Unterschei-
dung des nationalen Schutzes von dem Schutz gemäß der Richtlinie erlauben,
beeinträchtigen sie daher das von der Richtlinie geschaffene System nicht
(a.a.O. Rn. 120).
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C
2.10 - (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgese-
hen, juris Leitsatz 3 und Rn. 53) ausgeführt hat, handelt es sich bei der einfach-
gesetzlichen Ausgestaltung der Asylberechtigung nach Art. 16a GG um einen
nationalen Schutzstatus, der der Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der
Richtlinie weitgehend entspricht und damit eine Verwechslungsgefahr im Sinne
der Rechtsprechung des Gerichtshofs begründet. Bei der Asylberechtigung
nach Art. 16a GG handelt es sich nicht um einen gegenüber der Flüchtlingsan-
erkennung andersartigen Schutzstatus - gegründet etwa auf familiäre oder hu-
manitäre Motive. Vielmehr genießt ein Asylberechtigter nach § 2 Abs. 1 AsylVfG
im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der Genfer
Flüchtlingskonvention; entgegen der Rechtsauffassung des Klägers könnte die
Asylberechtigung gemäß Art. 16a GG auch durch Änderung der Voraussetzun-
31
32
- 17 -
gen und Rechtsfolgen des § 2 Abs. 1 AsylVfG nicht so weit von der Flüchtlings-
eigenschaft abgehoben werden, dass keine Verwechselungsgefahr mehr be-
stünde. Jedenfalls de lege lata entspricht die Rechtsposition des Asylberechtig-
ten innerstaatlich auch der unionsrechtlichen Stellung von Flüchtlingen, wie sie
durch die Richtlinie 2004/83/EG ausgestaltet ist (vgl. Hailbronner, ZAR 2009,
369 <371 ff.>). Damit liefe es aber dem Vorbehalt in Art. 3 der Richtlinie zuwi-
der, wenn Deutschland Personen eine dem Flüchtlingsstatus weitgehend ent-
sprechende Rechtsstellung gewährte oder erhielte, die hiervon nach Art. 12
Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen sind. Die Vorgaben des Unionsrechts ver-
langen somit, dass die Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie auch
auf Asylberechtigte anzuwenden sind und ihre Anerkennung bei nachträglicher
Verwirklichung von Ausschlussgründen nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richt-
linie zu widerrufen ist (Urteil vom 31. März 2011 a.a.O.). Sie verlangen darüber
hinaus, dass auch Altanerkennungen, die noch vor Einführung dieser Aus-
schlussgründe ausgesprochen wurden, nicht mehr aufrechterhalten bleiben,
wenn vor der Anerkennung Ausschlussgründe verwirklicht worden sind. Dem ist
nach Umsetzung der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber durch die
entsprechende unionsrechtskonforme Auslegung von § 73 Abs. 1 Satz 1
AsylVfG Rechnung zu tragen.
b) Hieraus folgt zugleich, dass bei Vorliegen von zwingenden Ausschlussgrün-
den für die Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG
auch die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter nach
Art. 16a GG nicht mehr vorliegen. Dabei kann offenbleiben, ob der deutsche
Gesetzgeber mit der einfachgesetzlichen Übertragung dieser flüchtlingsrechtli-
chen Ausschlussgründe auf den Asylanspruch nach Art. 16a GG in § 30 Abs. 4
und § 73 Abs. 2a Satz 4 letzter Halbsatz AsylVfG die verfassungsimmanenten
Grenzen des Asylgrundrechts zutreffend und in hinreichend bestimmter Weise
nachgezeichnet hat (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR
378/05 - juris Rn. 23 f.) oder ob diese Grenzen anders zu bestimmen sind als
nach der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. hierzu Beschluss vom 14. Oktober
2008 - BVerwG 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 Rn. 36 ff. sowie Urteil vom 31.
März 2011 a.a.O. Rn. 45 ff.). Denn die einfachgesetzliche Erstreckung der Aus-
schlussklauseln auf den Asylanspruch nach Art. 16a GG ist verfassungsrecht-
33
- 18 -
lich schon deshalb nicht zu beanstanden, weil der deutsche Gesetzgeber hier-
durch seiner Verpflichtung zur innerstaatlichen Umsetzung des Unionsrechts
nachgekommen ist. Die Bindung an zwingende Vorgaben einer Richtlinie nach
Art. 288 Abs. 3 AEUV befindet sich in Übereinstimmung mit den in Art. 23
Abs. 1 GG genannten Rechtsgrundsätzen, solange die Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte
gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom
Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesent-
lichen gleich zu achten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvF
1/05 - BVerfGE 118, 79 <95 ff.>). Dass dieser unabdingbar gebotene Grund-
rechtsschutz auf unionsrechtlicher Ebene in Bezug auf das Asylrecht generell
nicht gewährleistet wäre, kann angesichts des in Art. 18 der Charta der Grund-
rechte der Europäischen Union verbürgten Rechts auf Asyl und der dem
Schutzstandard der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichteten Bestimmungen
der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. etwa Erwägungsgründe 3 und 17 der Richtlinie)
nicht angenommen werden. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts hat
zwar nicht die Nichtigkeit entgegenstehenden nationalen Rechts zur Folge. Im
Anwendungsbereich des Unionsrechts ist entgegenstehendes mitgliedstaatli-
ches Recht aber grundsätzlich unanwendbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom
6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 - NJW 2010, 3422). Der Anwendungsvorrang gilt
in Deutschland allerdings nur kraft des durch Zustimmungsgesetz zu den Ver-
trägen erteilten Rechtsanwendungsbefehls. Er reicht für in Deutschland ausge-
übte Hoheitsgewalt daher nur so weit, wie die Bundesrepublik Deutschland die-
ser Kollisionsregel zugestimmt hat und zustimmen durfte (vgl. BVerfG, Urteil
vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u.a. - BVerfGE 123, 267 <343>). Innerhalb die-
ser Grenzen ist das Unionsrecht aber auch bei der Auslegung des Grundgeset-
zes zu beachten. Dies hat hier zur Folge, dass mit der Umsetzung der Richtlinie
2004/83/EG das Grundrecht auf Asyl richtlinienkonform auszulegen ist und die
Ausschlussklauseln selbst im Falle einer nicht durch richtlinienkonforme Ausle-
gung oder Rechtsfortbildung dieses Grundrechts behebbaren Kollision jeden-
falls über den Anwendungsvorrang des vom nationalen Gesetzgeber in einfa-
ches Gesetzesrecht umgesetzten Unionsrechts beachtlich sind (Urteil vom 31.
März 2011 a.a.O. Rn. 54).
- 19 -
3. Auch wenn das Berufungsurteil danach auf der Verletzung von Bundesrecht
beruht, kann der Senat nicht selbst über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs der
Flüchtlings- und der Asylanerkennung entscheiden. Denn aufgrund der bisheri-
gen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich nicht ab-
schließend beurteilen, ob der Kläger einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 oder 3 AsylVfG verwirklicht hat.
Das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG
setzt voraus, dass schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass
der Betreffende vor seiner Einreise in das Bundesgebiet eine schwere nichtpoli-
tische Straftat begangen, zu einer solchen Tat angestiftet oder sich in sonstiger
Weise daran beteiligt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Als schwere Straftaten in
diesem Sinne sind, wie der Gerichtshof der Europäischen Union betont hat
(EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 81), u.a. terroristische Hand-
lungen anzusehen, die durch ihre Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung ge-
kennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt
werden. Allerdings rechtfertigt allein der Umstand, dass eine Person einer Or-
ganisation angehört hat, die - wie hier die PKK - wegen ihrer Beteiligung an ter-
roristischen Handlungen in der sog. EU-Terrorliste (Anhang zum Gemeinsamen
Standpunkt des Rates vom 17. Juni 2002 betreffend die Aktualisierung des
Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer
Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Ge-
meinsamen Standpunkts 2002/340/GASP - 2002/462/GSAP - ABl EG Nr. L 160
vom 18. Juni 2002 S. 32) aufgeführt ist, und sie den von dieser Organisation
geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch die An-
nahme eines Ausschlussgrundes nach dieser Vorschrift. Es bedarf vielmehr in
jedem Einzelfall einer Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, um zu
ermitteln, ob die von der Organisation begangenen Handlungen schwere nicht-
politische Straftaten im Sinne des Ausschlussgrundes sind und ob der betref-
fenden Person eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser
Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in der Vorschrift verlangten
Beweisniveau Rechnung zu tragen ist (EuGH, Urteil vom 9. November 2010
a.a.O. Rn. 99). Dies gilt auch dann, wenn die betreffende Person - wie hier der
Kläger - eine hervorgehobene Position innerhalb einer sich terroristischer Me-
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35
- 20 -
thoden bedienender Organisation innehatte. Daraus kann nach Ansicht des Ge-
richtshofs zwar eine Vermutung hergeleitet werden, dass diese Person eine
individuelle Verantwortung für von dieser Organisation im relevanten Zeitraum
begangene Handlungen trägt, nichtsdestoweniger bedarf es aber auch dann
der Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände im Einzelfall, um die Person von
der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen (EuGH, Urteil vom 9. November
2010 a.a.O. Rn. 98). Entsprechendes gilt nach der Rechtsprechung des Ge-
richtshofs für den vom Berufungsgericht nicht näher geprüften Ausschlussgrund
des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen
nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtli-
nie 2004/83/EG (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 99).
Daran gemessen genügen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts
auch unter Berücksichtigung des anzulegenden (abgesenkten) Beweismaßes
nicht, um das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
oder Nr. 3 AsylVfG bei dem Kläger zu bejahen. Ob der strafrechtliche Vorwurf,
der dem Fahndungsersuchen der türkischen Strafverfolgungsbehörden zugrun-
de liegt (Anschläge, bei denen 126 Menschen getötet worden seien, und Betei-
ligung an der Ermordung zweier PKK-Kämpfer in dem Zeitraum von 1993 bis
1998) berechtigt ist, hat das Berufungsgericht offengelassen (UA S. 43). Auch
wenn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts davon ausgegangen
werden kann, dass die PKK aufgrund der Aufnahme in die EU-Terrorliste eine
terroristische Organisation ist und dass der Kläger für einen gewissen Zeitraum
hoher Funktionär dieser Organisation gewesen ist, rechtfertigt dies allein noch
nicht automatisch die Annahme einer dem Kläger zuzurechnenden schweren
nichtpolitischen Straftat. Denn zum einen fehlt es schon an genauen Feststel-
lungen dazu, wann und wie lange der Kläger tatsächlich dem 41-köpfigen Füh-
rungsgremium der PKK angehört hat (nach seinen eigenen Angaben vier Mona-
te ab Februar 1999) und welche konkreten terroristischen Straftaten die PKK
während dieses Zeitraums begangen oder geplant hat, wie dies für die Vermu-
tung einer individuellen Verantwortung des Klägers aufgrund seiner herausge-
hobenen Stellung in der PKK nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäi-
schen Union erforderlich wäre. Zum anderen bedürfte es aber auch bei Eingrei-
fen dieser Vermutung noch einer Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände des
36
- 21 -
Einzelfalls, bei der auch besondere, die Vermutung entkräftende Gesichtspunk-
te zu berücksichtigen sind. Für eine solche Prüfung reichen die bisherigen
Feststellungen des Berufungsgerichts, die aus seiner rechtlichen Sicht auch
nicht entscheidungserheblich waren, nicht aus.
Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht den Sachverhalt mit Blick so-
wohl auf den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat als auch
den des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Natio-
nen aufzuklären haben und dabei für die Beurteilung der Schwere der began-
genen Handlungen und der individuellen Verantwortung des Klägers alle Um-
stände zu ermitteln und zu berücksichtigen haben, die für diese Handlungen
und für die Lage des Klägers kennzeichnend sind.
Bei der Prüfung des Ausschlussgrunds des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ist
zu berücksichtigen, dass die vom Gerichtshof geforderte individuelle Verant-
wortlichkeit eine Verantwortlichkeit im strafrechtlichen Sinne erfordert, wobei
allerdings auch hier das im Vergleich zum Strafrecht abgesenkte Beweismaß
(„wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist“) zu be-
achten ist (zu diesem Beweismaßstab vgl. Urteil vom 31. März 2011 a.a.O.
Rn. 26). Dabei liegt mangels einheitlicher internationaler Kriterien (vgl. die Län-
derberichte in: Sieber/Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender
Darstellung, Teilband 4 Tatbeteiligung, Berlin 2010) grundsätzlich zunächst eine
Orientierung an den Regeln des nationalen Strafrechts zur Täterschaft und Teil-
nahme nahe. Erfasst wird mithin sowohl der Täter als auch der Anstifter einer
schweren nichtpolitischen Straftat. Auch der in sonstiger Weise Beteiligte ist für
eine schwere nichtpolitische Straftat verantwortlich, wenn er eine strafrechtlich
relevante Beihilfe begangen hat. Allerdings muss auch im Fall der Beihilfe der
Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat
im Sinne dieser Vorschrift entsprechen. Denn durch die Regelung über die An-
stiftung und Beteiligung in sonstiger Weise in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie
2004/83/EG und § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG sollte der Ausschlussgrund des
Art. 1 F GFK, der eine solche Regelung nicht enthält, nicht erweitert, sondern
mit Rücksicht auf das unterschiedliche Verständnis von Täterschaft, Anstiftung
und sonstigen Beteiligungsformen in den Strafrechtsordnungen der Mitglied-
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- 22 -
staaten lediglich präzisiert werden (ebenso UK Supreme Court, Urteil vom 17.
März 2010, [2010] UKSC 15, Rn. 33). Das Berufungsgericht wird daher prüfen
müssen, ob vorliegend schwerwiegende Gründe für die Annahme sprechen,
dass der Kläger während seiner Zugehörigkeit zur PKK als Täter oder Teilneh-
mer eine schwere nichtpolitische Straftat begangen hat. Dabei wird es sowohl
die dem Fahndungsersuchen der türkischen Strafverfolgungsbehörden zugrun-
de liegenden Vorwürfe als auch die herausgehobene Stellung des Klägers in-
nerhalb der PKK zu würdigen haben.
Beim Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, der jedenfalls bei
Handlungen des Terrorismus mit internationaler Dimension auch von Personen
verwirklicht werden kann, die keine Machtposition in einem Staat oder einer
staatsähnlichen Organisation haben (vgl. oben Rn. 28), setzt der Tatbestand
nicht notwendig die Begehung einer strafbaren Handlung voraus (ebenso zu
Art. 1 F Buchst. c GFK: UK Court of Appeal, Urteil vom 24. März 2009, [2009]
EWCA Civ 226, Rn. 30). In den hier einschlägigen UN-Resolutionen zu Antiter-
rormaßnahmen (vgl. Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/83/EG) wird in
Bekräftigung dessen, dass jede Handlung des internationalen Terrorismus eine
Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt, aus-
drücklich erklärt, „dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terroris-
mus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen
stehen und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer
Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen
und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“ (Resolution 1373 [2001] des
Sicherheitsrats vom 28. September 2001, Nr. 5). Daraus ergibt sich, dass
Handlungen des internationalen Terrorismus allgemein und unabhängig von
ihrer strafrechtlichen Relevanz im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen
der Vereinten Nationen stehen. Von diesem Ausschlussgrund können auch
Personen erfasst werden, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten
solcher terroristischen Aktivitäten vornehmen. Zusätzlich wird allerdings - um
der Funktion des Ausschlussgrundes gerecht zu werden - in jedem Fall zu prü-
fen sein, ob der individuelle Beitrag ein Gewicht erreicht, das dem der Aus-
schlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG entspricht.
39
- 23 -
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert er-
gibt sich aus § 30 RVG.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Beck
Prof. Dr. Kraft
Fricke
40
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Asylrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
AsylVfG
§ 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2, § 30 Abs. 4, § 73 Abs. 1, § 77
AufenthG
§ 60 Abs. 8 Satz 2
AuslG 1990
§ 51 Abs. 3 Satz 2
EMRK
Art. 3
GG
Art. 16a Abs. 1, Art. 23 Abs. 1
GFK
Art. 1 F Buchst. b und c
Richtlinie 2004/83/EG
Art. 3, 12 Abs. 2 und 3, Art. 14 Abs. 3
AEUV
Art. 288 Abs. 3
Stichworte:
Asyl; Flüchtlingsanerkennung; Widerruf; Sachlagenänderung; Änderung der
Sachlage; Prognosemaßstab; Rechtsänderung; Ausschluss; Ausschlussgründe;
Asylunwürdigkeit; schwere nichtpolitische Straftat; Ziele und Grundsätze der
Vereinten Nationen; Vereinte Nationen, Ziele und Grundsätze der -; Terroris-
mus; Unterstützung; PKK; Wiederholungsgefahr; Verhältnismäßigkeit; Vertrau-
ensschutz; Abschiebungsschutz; unionsrechtskonforme Auslegung; Anwen-
dungsvorrang des Unionsrechts.
Leitsätze:
1. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist mit Blick auf die zwingend gebotene Beach-
tung der flüchtlingsrechtlichen Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 2, Art. 14
Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG unionsrechtskonform dahingehend auszule-
gen, dass bei Vorliegen solcher Ausschlussgründe der Widerruf einer vor In-
krafttreten der Ausschlussregelungen ausgesprochenen Flüchtlings- und Asyl-
anerkennung zulässig und geboten ist.
2. Der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling nach § 3 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 und 3 AsylVfG setzt nicht voraus, dass von dem Ausländer eine gegen-
wärtige Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die All-
gemeinheit ausgeht. Er setzt, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen die-
ser Ausschlussgründe erfüllt sind, auch keine auf den Einzelfall bezogene Ver-
hältnismäßigkeitsprüfung voraus (im Anschluss an EuGH, Urteil vom
9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09 - NVwZ 2011, 285).
3. Zuwiderhandlungen gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen
im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG können jedenfalls bei Aktivitäten
des internationalen Terrorismus auch von Personen begangen werden, die kei-
ne Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder einer
staatsähnlichen Organisation innehaben (im Anschluss an EuGH, Urteil vom
9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09 - NVwZ 2011, 285).
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4. Allein die Zugehörigkeit einer Person zu einer Organisation, die ihre Ziele
(auch) mit terroristischen Mitteln zu erreichen sucht, rechtfertigt nicht automa-
tisch die Annahme eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
oder 3 AsylVfG. Es bedarf vielmehr in jedem Einzelfall einer Würdigung der ge-
nauen tatsächlichen Umstände, um zu ermitteln, ob die von der Organisation
begangenen Handlungen schwere nichtpolitische Straftaten oder Zuwiderhand-
lungen gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen im Sinne dieser
Ausschlussgründe sind und der betreffenden Person eine individuelle Verant-
wortung für die Handlungen zugerechnet werden kann (im Anschluss an EuGH,
Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09 - NVwZ 2011, 285).
5. Wegen der Verwechselbarkeit der Rechtsstellung eines Asylberechtigten
nach Art. 16a GG und eines Flüchtlings im Sinne der Richtlinie 2004/83/EG
verbieten es die unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 3 der Richtlinie, eine nach
Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlos-
sene Person als Asylberechtigten anzuerkennen oder diese Anerkennung auf-
rechtzuerhalten (wie Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C 2.10).
Urteil des 10. Senats vom 7. Juli 2011 - BVerwG 10 C 26.10
I. VG Gelsenkirchen vom 29.11.2005 - Az.: VG 14a K 2880/04.A -
II. OVG Münster vom 27.03.2007 - Az.: OVG 8 A 5118/05.A -