Urteil des BVerwG vom 24.11.2009

Russische Föderation, Genfer Flüchtlingskonvention, Ausreise, Registrierung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 C 20.08
VGH 3 UE 455/06.A
Verkündet
am 24. November 2009
von Förster
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Kläger gegen den Beschluss des Hes-
sischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. April 2008 wer-
den zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
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G r ü n d e :
I
Die Kläger, aus Tschetschenien stammende Eheleute russischer Staatsange-
hörigkeit, und zwei ihrer (insgesamt drei) Kinder erstreben ihre Anerkennung als
Flüchtlinge.
Die Eheleute sind nach ihren eigenen Angaben 1968 bzw. 1971, die beiden
Kinder 1995 bzw. 1996 in Grozny, Tschetschenien, geboren und sind tscher-
kessischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten im Juni 2000 in die Bundesrepublik
Deutschland ein und beantragten Asyl.
Der Kläger zu 1 trug zur Begründung im Wesentlichen vor: Er habe in Grozny
die Schule besucht und nach Ableistung seines Militärdienstes in Weißrussland
an der Universität in Grozny bis 1993 im Fachbereich Wirtschaft studiert und
sein Diplom abgelegt. Im gleichen Jahr habe er seine Frau geheiratet. An-
schließend habe er als Buchhalter gearbeitet. Seit 1995 habe er auf tsche-
tschenischer Seite gekämpft und sich nicht mehr regelmäßig in Grozny auf-
gehalten. Nachdem sich seine tschetschenische Einheit aufgelöst habe, sei er
im Mai 2000 zu Fuß nach Inguschetien in das Flüchtlingslager gegangen, in das
er bereits im September 1999 seine Frau und seine beiden Kinder gebracht
habe. Von hier aus seien sie gemeinsam nach Deutschland gereist. Er habe
Tschetschenien verlassen, weil er Angst gehabt habe, von russischen Soldaten
festgenommen zu werden. In die tscherkessische Republik sei er nicht
übergesiedelt, da er dort niemanden kenne. Er befürchte, inhaftiert oder getötet
zu werden, wenn er in sein Heimatland zurückkehren müsse.
Die Klägerin zu 2 trug im Wesentlichen vor: Sie habe ebenfalls in Grozny die
Schule besucht und eine Ausbildung gemacht, habe jedoch nach der Hochzeit
und der Geburt der beiden Kinder nicht mehr gearbeitet. Wegen des Krieges sei
sie 1999 von Tschetschenen in Uniform von Grozny nach Inguschetien in ein
Flüchtlingslager gebracht worden, da ihr Leben in Gefahr gewesen sei. In ihrem
Heimatland habe sie Angst um ihre beiden kleinen Kinder und ihren Mann ge-
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habt, der auf tschetschenischer Seite gekämpft habe. Deshalb sei sie letztend-
lich nach Deutschland gekommen.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - lehnte mit Bescheid vom
28. September 2001 die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte ab, stellte
fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshin-
dernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte ihnen die Abschiebung in
die Russische Föderation an.
Auf die dagegen erhobenen Klagen hat das Verwaltungsgericht die Beklagte mit
Urteil vom 12. Mai 2004 verpflichtet, den Klägern flüchtlingsrechtlichen Ab-
schiebungsschutz zu gewähren, und im Übrigen (hinsichtlich der Asylanerken-
nung) die Klagen abgewiesen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass
tschetschenische Volkszugehörige seit Ausbruch des zweiten Tschetschenien-
krieges im September 1999 dort einer Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen
seien und ihnen in den übrigen Regionen der Russischen Föderation auch kei-
ne zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Hiervon seien
die Kläger als tscherkessische Volkszugehörige in gleicher Weise betroffen.
Mit der dagegen gerichteten Berufung hat die Beklagte im Wesentlichen geltend
gemacht, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die
Kläger in anderen Teilen der Russischen Föderation keine zumutbare inländi-
sche Fluchtalternative finden könnten.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 10. April 2008
nach § 130a VwGO das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klagen ins-
gesamt abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, die
Kläger hätten Tschetschenien vorverfolgt verlassen, da dort ihr Leben und ihre
Freiheit im Zeitpunkt ihrer Ausreise allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozia-
len Gruppe der aus Tschetschenien stammenden Kaukasier unmittelbar be-
droht gewesen sei. Die Kläger seien als tscherkessische Volkszugehörige aus
Tschetschenien von den russischen Sicherheitskräften keiner anderen, insbe-
sondere keiner milderen Behandlung unterworfen gewesen als die dort leben-
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den tschetschenischen Volkszugehörigen. Die Kläger seien darüber hinaus
nicht - zusätzlich - wegen ihrer persönlichen Erlebnisse als vorverfolgt anzuse-
hen, da der Kläger zu 1 nach seinem eigenen Vortrag nie Kontakt mit den rus-
sischen Sicherheitskräften gehabt habe und zudem lediglich als einfacher Sol-
dat auf Seiten der Tschetschenen gekämpft habe, mithin ein herausgehobenes
Verfolgungsinteresse auf Seiten der russischen Sicherheitskräfte nicht belegt
sei. Die angeblich einmal pro Monat stattfindenden Nachfragen der russischen
Sicherheitskräfte bei der jetzt in der Republik Kabardino-Balkarien lebenden
Mutter des Klägers zu 1 glaube ihm der Senat nicht. Ob im Falle der Rückkehr
der vorverfolgten Kläger nach Tschetschenien stichhaltige Gründe im Sinne des
Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG dagegen sprächen, dass sie dort von
solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden erneut bedroht sein würden,
könne dahinstehen. Denn ihnen stehe als Angehörigen der Volksgruppe der
Tscherkessen, die sich selbst als Adyge bezeichneten, zumindest nach den
Maßstäben des Art. 8 der Richtlinie interner Schutz jedenfalls bei Ansiedlung in
einer der drei Titularrepubliken der Adyge, nämlich Kabardino-Balkarien, Ady-
geja oder Karatschajewo-Tscherkessien, zur Verfügung. Dort müssten sie nicht
wie in weiten Teilen der Russischen Föderation Benachteiligungen aufgrund ih-
rer kaukasischen Herkunft befürchten und ihrer Ansiedlung stünden allenfalls
geringe, überwindbare bürokratische Hürden entgegen. Zwar gehörten die drei
Republiken nach Aussage des Gutachters Prof. Dr. Luchterhandt zu den ärms-
ten und strukturschwächsten Regionen Russlands. Dies bedeute jedoch nicht,
dass sich die Kläger nicht, und sei es auf einfachem Niveau, dort eine Existenz
würden schaffen können. Die Kläger seien im Familienverband mit gegenseiti-
gen Hilfestellungen bei einer Neuansiedlung in einer Region, in der andere
Volkszugehörige ihrer Volksgruppe in nicht unwesentlichem Umfang angesie-
delt seien, nicht auf sich allein gestellt. Sie könnten sich als Zugehörige der
Volksgruppe der Adyge in einer der drei Titularrepubliken, gegebenenfalls unter
Mithilfe der dort ansässigen Adyge, niederlassen und sich als Mitglieder der
dort grundsätzlich erwünschten Volksgruppe auch erfolgreich gegen bürokrati-
sche Hemmnisse hinsichtlich einer Registrierung zur Wehr setzen. Dem stehe
auch nicht die Tatsache entgegen, dass der Kläger zu 1 vorgetragen habe,
während des zweiten Tschetschenienkrieges für die Rebellen gekämpft zu ha-
ben. Denn der Senat glaube ihm nicht, dass auch heute noch wegen dieser
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Tätigkeit bei den Rebellen nach ihm gesucht werde. Aus den Aussagen des
Klägers zu 1 im bisherigen Verfahren ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür,
dass diese Tätigkeit den russischen Sicherheitskräften tatsächlich bekannt ge-
worden sei und er daher bei einer Rückkehr auch derzeit noch gefährdet sei.
Den Klägern drohten an dem Ort des internen Schutzes auch keine sonstigen
Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Für zuziehende Binnen-
migranten bestehe in den drei tscherkessischen Titularrepubliken trotz der dort
herrschenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten weder eine erhebliche konkrete
Gefahr für die in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG genannten Schutzgüter noch eine
ernsthafte individuelle Bedrohung der in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, Art. 15c
der Richtlinie genannten Schutzgüter infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen
eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Mit ihren vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revisionen wenden sich
die Kläger gegen die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass sie internen
Schutz in einer der drei genannten Titularrepubliken der Russischen Föderation
finden könnten. Ihr Prozessbevollmächtigter trägt hierzu im Wesentlichen vor:
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs sei es den Klägern, die we-
der über finanziellen Rückhalt oder Vermögenswerte noch über persönliche
Beziehungen dorthin verfügten, angesichts der prekären wirtschaftlichen Situa-
tion nicht möglich, ein menschenwürdiges Dasein unter Gewährleistung des
elementaren Existenzminimums zu fristen. Der Verwaltungsgerichtshof überse-
he bei seiner Einschätzung, dass die Familie der Kläger inzwischen aus fünf
Personen bestehe, da der im Oktober 2001 geborene jüngste Sohn dazugehö-
re. Im Übrigen stünden einer Ansiedlung in den genannten Republiken auch
unüberwindliche bürokratische Hemmnisse gegenüber. Letztendlich entschei-
dungserheblich sei der in sich schlüssige Vortrag des Klägers zu 1, dass er
während des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges auf Seiten der tsche-
tschenischen Rebellen bewaffnet gekämpft habe. Es bestehe die reale Mög-
lichkeit, dass inzwischen die kämpferischen Aktivitäten des Klägers zu 1 be-
kannt geworden seien und er somit auf der aktuellen Fahndungsliste stehe.
Zum Anderen unterliege er der Gefahr, als Rückkehrer bei einer sicherheits-
dienstlichen Überprüfung befragt und als ehemaliger „Terrorist“ enttarnt zu
werden.
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Die Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses treten der Revision ent-
gegen und verteidigen das angegriffene Urteil.
II
Die Revisionen der Kläger bleiben ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne
Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) einen Anspruch der
Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt. Seine Annahme,
den Klägern stehe interner Schutz in anderen Regionen der Russischen Föde-
ration offen, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
1. Maßgeblich für die Beurteilung des Begehrens auf Zuerkennung der Flücht-
lingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der
Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798) sowie
§ 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung
vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162). Die in diesen Bekanntmachungen be-
rücksichtigten Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufent-
halts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August
2007 (BGBl I S. 1970), die am 28. August 2007 in Kraft getreten sind, hat der
Verwaltungsgerichtshof gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylVfG zu Recht
seiner am 10. April 2008 ergangenen Berufungsentscheidung zugrunde gelegt.
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens
über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlings-
konvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er be-
sitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den
Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1
Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in
einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen
seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung be-
droht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind
Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April
2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaats-
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angehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die ander-
weitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewähren-
den Schutzes (ABl EG Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - ergän-
zend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
Die Bundesrepublik Deutschland hat in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG von der
den Mitgliedstaaten in Art. 8 der Richtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch
gemacht, internen Schutz im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung zu berück-
sichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten bei der
Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragstel-
ler keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunfts-
landes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr,
einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller ver-
nünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält.
Absatz 2 verlangt von den Mitgliedstaaten bei Prüfung der Frage, ob ein Teil
des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die Berück-
sichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Um-
stände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag.
Gemäß Absatz 3 kann Absatz 1 auch angewandt werden, wenn praktische
Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat eine individuelle - erlittene oder bevorstehen-
de - Verfolgung der Kläger bei der Ausreise verneint, weil der Kläger zu 1 trotz
seiner Teilnahme am Kampf der tschetschenischen Rebellen als einfacher Sol-
dat nach seinem eigenen Vorbringen nie deswegen festgenommen worden sei
und bei Kontrollen immer wieder habe davonkommen können. Ausschlagge-
bend für seine Ausreise sei nicht die Tatsache gewesen, dass sein Kampf auf
der tschetschenischen Seite den russischen Sicherheitskräften bekannt gewor-
den wäre und nach ihm gesucht worden sei, sondern die Eskalation des
Kriegsgeschehens, bei dem wahllos auch die Zivilbevölkerung in Mitleiden-
schaft gezogen worden sei. Diese Tatsachenfeststellungen haben die Kläger
nicht mit Verfahrensrügen angegriffen, so dass sie für den Senat bindend sind
(§ 137 Abs. 2 VwGO). Sie wirken sich an dieser Stelle nicht zum Nachteil der
Kläger aus, weil der Verwaltungsgerichtshof eine ihnen unmittelbar drohende
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Verfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG schon deshalb
bejaht, weil ihr Leben und ihre Freiheit im Zeitpunkt ihrer Ausreise - gemeint ist
hier ersichtlich die Ausreise der Kläger zu 2 bis 4 aus Tschetschenien im Sep-
tember 1999 und die des Klägers zu 1 im Mai 2000 (BA S. 20) - allein wegen
ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der aus Tschetschenien stammenden Kaukasier
unmittelbar bedroht gewesen seien (BA S. 16 ff.). Ob die Begründung für eine
Gruppenverfolgung den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten
Maßstäben, an denen auch unter Geltung der Richtlinie festzuhalten ist, insbe-
sondere mit Blick auf die gebotenen Feststellungen zur Verfolgungsdichte ge-
nügt (vgl. dazu Urteile vom 21. April 2009 - BVerwG 10 C 11.08 - Buchholz
402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 39, juris Rn. 13 ff. und vom 1. Februar 2007
- BVerwG 1 C 24.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30 Rn. 7 ff.;
vgl. ferner Urteil vom 5. Mai 2009 - BVerwG 10 C 19.08 - juris), kann dahinste-
hen. Selbst wenn man zugunsten der Kläger unterstellt, dass sie ihr Herkunfts-
land vorverfolgt verlassen haben und die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4
der Richtlinie eingreift, steht ihnen ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung
nicht zu. Denn das Berufungsgericht hat sie auf die Möglichkeit internen Schut-
zes nach Art. 8 der Richtlinie innerhalb der Russischen Föderation verwiesen.
Das hält der revisionsgerichtlichen Prüfung stand.
Der Verwaltungsgerichtshof ist aufgrund seiner Beweiswürdigung zu der Über-
zeugung gelangt, dass für die Kläger jedenfalls in den drei tscherkessischen
Titularrepubliken Kabardino-Balkarien, Adygeja und Karatschajewo-Tscher-
kessien keine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von Art. 8 der Richtli-
nie besteht. Dabei ist er zutreffend davon ausgegangen, dass dies im Falle
einer Vorverfolgung unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung nach Art. 4
Abs. 4 der Richtlinie zu ermitteln ist. Er nimmt zwar an, dass die nach dieser
Vorschrift bestehende Vermutung erneuter Verfolgung dann nicht widerlegt wä-
re, wenn nach dem Kläger zu 1 heute noch wegen seiner Teilnahme am Kampf
der Tschetschenen gesucht würde, verneint dies aber aufgrund seiner tatrich-
terlichen Würdigung des klägerischen Vorbringens und der im Berufungsverfah-
ren eingeholten Gutachten, insbesondere von Prof. Dr. Luchterhandt vom
9. April 2007 (BA S. 32 ff.). Dabei legt er im Einzelnen dar, dass und aus wel-
chen Gründen nach seiner Überzeugung die Tätigkeit des Klägers zu 1 bei den
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Rebellen den russischen Sicherheitsbehörden tatsächlich nicht bekannt gewor-
den ist. Weder aus dem eigenen Vorbringen des Klägers zu 1 noch aus den
sonstigen Umständen des Falles ergebe sich, dass russische Sicherheitskräfte
von seiner Tätigkeit bei den Rebellen etwas erfahren haben könnten, zumal er
nie festgenommen worden sei und unbehelligt nach Inguschetien gelangt sei.
Die dagegen gerichteten Einwände der Revision betreffen die Sachverhalts-
und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, führen aber nicht auf eine Maß-
stabsabweichung oder eine revisionsrechtlich zu beanstandende fehlerhafte
Überzeugungsbildung.
Die Revision rügt weiter, dass von den Klägern vernünftigerweise nicht erwartet
werden könne, sich am Ort des internen Schutzes aufzuhalten (Art. 8 Abs. 1
Richtlinie 2004/83/EG). Dazu führen die Kläger aus, dass sie den für die Re-
gistrierung notwendigen Inlandspass nur erhalten könnten, wenn sie sich nach
Tschetschenien begäben. Dies sei Ihnen wegen der dort bestehenden Verfol-
gungsgefahr nicht zuzumuten. Auch diese Rüge greift nicht durch.
Das Vorbringen der Kläger wird durch die noch den Anforderungen genügenden
tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gestützt. Dieses hat
aufgrund der eingeholten sachverständigen Stellungnahmen und Gutachten
angenommen, dass sich die Kläger als Adyge in einer der drei genannten Titu-
larrepubliken gegebenenfalls unter Mithilfe der dort ansässigen Adyge werden
niederlassen können und sich als Mitglieder der dort grundsätzlich erwünschten
Volksgruppe erfolgreich gegen bürokratische Hemmnisse hinsichtlich einer Re-
gistrierung werden zur Wehr setzen können (BA S. 31 f.). Dabei geht das Beru-
fungsgericht ersichtlich davon aus, dass eine Registrierung - wie in dem er-
wähnten Gutachten von Prof. Dr. Luchterhand näher ausgeführt - letztlich auch
ohne Inlandspass erreicht werden kann. Soweit die Revision meint, dass die
Registrierung nicht ohne Inlandspass möglich sei, der nur in Tschetschenien
beantragt werden könne, legt sie andere tatsächliche Voraussetzungen
zugrunde, als sie das Berufungsgericht festgestellt hat, ohne entsprechende
Verfahrensrügen zu erheben.
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Am Ort des internen Schutzes muss unter Berücksichtigung der persönlichen
Umstände des Betroffenen jedenfalls das Existenzminimum gewährleistet sein
(Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186
<197 Rn. 35>). Dem trägt die angefochtene Entscheidung - wenn auch in knap-
per Form - Rechnung. Insoweit ist davon auszugehen, dass das Berufungsge-
richt bei seiner Annahme eines wirtschaftlichen Auskommens der Familie je-
denfalls „auf einfachem Niveau“ neben dem Gesichtspunkt der Unterstützung
durch dort ansässige Adyge auch die Angaben im Tatbestand der Berufungs-
entscheidung über die Ausbildung der Kläger zu 1 und 2 (Wirtschaftsdiplom und
Näherin) und ihre russischen und tscherkessischen Sprachkenntnisse be-
rücksichtigt hat. Die von der Revision insoweit erhobene Rüge, dass der Ver-
waltungsgerichtshof fälschlicherweise von zwei statt von drei zu versorgenden
minderjährigen Kindern ausgegangen sei, führt ebenfalls nicht auf einen
Rechtsfehler. Abgesehen davon, dass es Sache der Kläger gewesen wäre,
diesen nicht ohne Weiteres aus den Akten ersichtlichen, in ihre Sphäre fallen-
den Umstand im Berufungsverfahren geltend zu machen, zeigt die Revision
nicht auf, dass sich die Bedingungen für ein wirtschaftliches Auskommen damit
entscheidungserheblich verändern würden.
2. Nicht zu beanstanden ist schließlich auch die Annahme des Berufungsge-
richts, dass den Klägern im Hinblick auf den Ort des internen Schutzes weder
subsidiärer Schutz nach der Richtlinie 2004/83/EG (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2
AufenthG) noch nationaler Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1
AufenthG) zusteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Dr. Mallmann
Prof. Dr. Dörig
Beck
Prof. Dr. Kraft
Fricke
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