Urteil des BVerwG vom 16.06.2015

Vollversammlung, Einstellung des Verfahrens, Juristische Person, Industrie

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Kammerrecht
Rechtsquelle/n:
GG Art. 20 Abs. 2
IHKG § 5 Abs. 1 und 3 Satz 2
VwGO § 43
Stichworte:
Industrie- und Handelskammer; Vollversammlung; unmittelbare Gruppenwahl;
mittelbare Hinzuwahl; Zuordnung der Sitze zu den Wahlgruppen;
Demokratieprinzip; Satzungsautonomie; Feststellungsklage; Kooptation.
Leitsätze:
1. § 5 Abs. 1 IHK-Gesetz lässt eine Kombination aus unmittelbarer Gruppenwahl
und mittelbarer Hinzuwahl einer begrenzten Anzahl weiterer Mitglieder der
Vollversammlung einer Industrie- und Handelskammer zu.
2. Die Wahlordnung einer Industrie- und Handelskammer, die die
Kammerzugehörigen in Wahlgruppen einteilt und diesen nur die Anzahl der
unmittelbar gewählten, nicht aber die der mittelbar hinzugewählten Mitglieder der
Vollversammlung zuordnet, ist mit § 5 Abs. 3 Satz 2 IHK-Gesetz unvereinbar.
Urteil des 10. Senats vom 16. Juni 2015 - BVerwG 10 C 14.14
I. VG Düsseldorf vom 16. März 2011
Az: VG 20 K 25/10
II. OVG Münster vom 27. Juni 2013
Az: OVG 16 A 813/11
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 C 14.14
OVG 16 A 813/11
Verkündet
am 16. Juni 2015
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2015
durch
den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und die Richterinnen
am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, Hoock und Dr. Rublack
für Recht erkannt:
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Das Verfahren wird eingestellt, soweit es den Beigelade-
nen zu 4 betrifft. Insoweit sind die Urteile des Verwal-
tungsgerichts Düsseldorf vom 16. März 2011 und des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 27. Juni 2013 wirkungslos.
Im Übrigen werden die genannten Urteile - mit Ausnahme
der Einstellung des Verfahrens in Ansehung des Beigela-
denen zu 1 - geändert. Es wird festgestellt, dass die Hin-
zuwahl der Beigeladenen zu 2, 3 und 5 vom 2. Dezember
2009 zur Vollversammlung der Beklagten unwirksam ge-
wesen ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Aus-
nahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen
zu 1 bis 5, die diese jeweils selbst tragen.
G r ü n d e :
I
Der Kläger ist Kammerzugehöriger der beklagten Industrie- und Handelskam-
mer. Er wendet sich gegen die mittelbare Hinzuwahl der Beigeladenen zur Voll-
versammlung der Beklagten.
Die Vollversammlung der Beklagten besteht nach ihrer Satzung aus 84 unmit-
telbar gewählten Mitgliedern; ferner können bis zu zehn Mitglieder durch die
Vollversammlung hinzugewählt werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Satzung
der Beklagten vom 2. Dezember 1999 i.d.F. des Änderungsbeschlusses vom
13. Mai 2009, im Folgenden: Satzung). Die auf der Grundlage von § 2 Abs. 1
Satz 3 der Satzung erlassene Wahlordnung der Beklagten regelt das Wahlver-
fahren, die Dauer und die vorzeitige Beendigung der Mitgliedschaft. Sie be-
stimmt, dass die Kammerzugehörigen für die Dauer von fünf Jahren bis zu
94 Mitglieder der Vollversammlung wählen, 84 Mitglieder der Vollversammlung
in gleicher, allgemeiner, geheimer und unmittelbarer Wahl von den Kammerzu-
gehörigen gewählt werden und bis zu zehn Mitglieder in mittelbarer Wahl von
den unmittelbar gewählten Vollversammlungsmitgliedern hinzugewählt werden
können, die insoweit als Wahlmänner handeln (§ 1 Abs. 1 bis 3 der Wahlord-
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nung vom 20. Mai 2003 i.d.F. des Beschlusses der Vollversammlung vom
13. Mai 2009, nachfolgend: WahlO). Die Bewerber für die mittelbare Wahl müs-
sen durch das Präsidium oder von mindestens zehn Mitgliedern der Vollver-
sammlung vorgeschlagen werden (§ 16 Abs. 2 WahlO). Die für die unmittelbare
Wahl der Vollversammlungsmitglieder wahlberechtigten Kammerzugehörigen
sind nach ihrer Branchenzugehörigkeit in acht Wahlgruppen eingeteilt. In jeder
Wahlgruppe wird eine in der Wahlordnung festgelegte Anzahl von Mitgliedern
der Vollversammlung gewählt. Für fünf der acht Wahlgruppen werden zudem
drei Wahlbezirke (Stadt Duisburg, Kreis Wesel und Kreis Kleve) gebildet, denen
jeweils eine bestimmte Anzahl von Sitzen zugeordnet ist (§ 7 WahlO).
In der konstituierenden Sitzung der neugewählten Vollversammlung der Beklag-
ten vom 2. Dezember 2009 wurden die Beigeladenen zu 1 bis 5 auf Vorschlag
des Präsidiums mittelbar zu weiteren Mitgliedern der Vollversammlung gewählt.
Der Präsident der Beklagten begründete in der Vollversammlung den Vorschlag
des Präsidiums im Wesentlichen damit, dass es sich bei den Beigeladenen um
namhafte Vertreter ihrer Unternehmen handele und die von ihnen vertretenen
Branchen für den Kammerbezirk von hervorragender Bedeutung seien. Die
Beigeladenen zu 1 bis 5 sind jeweils gesetzliche Vertreter kammerzugehöriger
juristischer Personen, die unterschiedlichen Wahlgruppen zugeordnet sind. So-
weit in ihrer Wahlgruppe Wahlbezirke gebildet sind, entstammt die jeweilige
juristische Person dem Wahlbezirk Stadt Duisburg. Die Beigeladenen zu 1, 2
und 5 waren vor ihrer Hinzuwahl Bewerber in der unmittelbaren Wahl der Mit-
glieder der Vollversammlung. Der Kläger gehört zu einer von den Beigeladenen
nicht vertretenen Wahlgruppe im Wahlbezirk Kleve.
Er hat am 4. Januar 2010 Klage erhoben mit dem Ziel festzustellen, dass die
Hinzuwahl der Beigeladenen zu 1 bis 5 vom 2. Dezember 2009 zur Vollver-
sammlung der Beklagten unwirksam ist. Zur Begründung hat er im Kern vorge-
tragen, die Hinzuwahl der Beigeladenen zu 1 bis 5 verstoße gegen § 5 Abs. 3
Satz 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und
Handelskammern (IHKG). Eine mittelbare Wahl sei zwar zulässig, unterliege
aber gesetzlichen Einschränkungen, die die Beklagte missachtet habe. Das
Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Nachdem der Beigeladene zu 1
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nach Erlass dieses Urteils für ein unmittelbar gewähltes Mitglied der Vollver-
sammlung nachgerückt war, haben die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit in An-
sehung dieses Beigeladenen in der Hauptsache für erledigt erklärt. Entspre-
chend hat der Kläger im Berufungsverfahren seinen Antrag auf die Feststellung
der Unwirksamkeit der Hinzuwahl der Beigeladenen zu 2 bis 5 beschränkt.
Das Oberverwaltungsgericht hat das Verfahren im Umfang der Teilerledigung
eingestellt und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat
es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei als Feststellungsklage zulässig.
Sie sei jedoch unbegründet. Die nach § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG vorgesehene Auf-
teilung der Kammerzugehörigen in Wahlgruppen bezwecke eine Zusammen-
setzung der Vollversammlung, die die besondere wirtschaftliche Struktur des
Kammerbezirks möglichst weitgehend widerspiegele. Dieses Ziel lasse sich
durch die Bildung von Wahlgruppen jedoch nie völlig erreichen. Der Wahlord-
nungsgeber sei deshalb nicht gehindert, in Gestalt der Hinzuwahl ein Instru-
ment vorzusehen, das geeignet sei, eine der Zielsetzung des Gesetzes ent-
sprechende Ergänzung der Vollversammlung zu bewirken. Den Industrie- und
Handelskammern komme aufgrund ihrer autonomen Stellung innerhalb des
durch § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG bestimmten rechtlichen Rahmens Gestaltungs-
freiheit zu. Entscheidend könne daher nur sein, dass die Hinzuwahl an der Ver-
folgung des durch § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG vorgegebenen Ziels einer möglichst
repräsentativen Zusammensetzung der Vollversammlung ausgerichtet sei. Eine
Hinzuwahl, die im Einzelfall zu einer Verfälschung des strukturellen Bildes des
Kammerbezirks und insbesondere zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ver-
schiebung der Gewichte der einzelnen Wahlgruppen führe, verstoße gegen das
Gesetz. Gemessen daran sei nicht ersichtlich, dass die Wahlordnung der Be-
klagten gegen höherrangiges Recht verstoße. Auch die konkrete Hinzuwahl der
Beigeladenen zu 2 bis 5 sei nicht zu beanstanden. Die sie tragende Erwägung,
bei den Vorgeschlagenen handele es sich um führende Repräsentanten der
örtlichen Wirtschaft und die von ihnen vertretenen Unternehmen bzw. Branchen
seien für die Kammerwirtschaft von prägender Bedeutung, überschreite nicht
die durch § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG gezogenen Grenzen.
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Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Revision verweist der Kläger auf
seine Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Darin führt er aus: Das
Berufungsgericht habe die Grenzen des der Beklagten durch § 5 Abs. 3 Satz 2
IHKG eingeräumten Entscheidungsrahmens verkannt. Das Bundesverwal-
tungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 3. September 1963 - 1 C
113.61 - (BVerwGE 16, 312) die Zulässigkeit des Wahlgruppenverfahrens und
der mittelbaren Wahl durch Wahlmänner zwar ausdrücklich bestätigt, eine Ko-
optation aber nur anhand objektiver Kriterien für gerechtfertigt gehalten. Sie
müsse der Gewährleistung eines zutreffenden Bildes von der Struktur des
Kammerbezirks und damit der Spiegelbildlichkeit der Vollversammlung dienen.
Zulässig sei nur die Hinzuwahl von Vertretern bedeutsamer Wirtschaftszweige,
die durch die unmittelbare Wahl noch nicht in der Vollversammlung vertreten
seien, nicht hingegen die Hinzuwahl bedeutsamer Personen. Der Wahlvor-
schlag des Präsidiums der Beklagten sei damit begründet worden, dass es sich
um in Fragen der Wirtschaft besonders kompetente Personen handele. Eine
allein auf die Bedeutung der Persönlichkeit gestützte Zuwahl überschreite die
Grenzen des § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG.
Der Beigeladene zu 4 ist mit Ablauf des 31. März 2014 aus der Vollversamm-
lung der Beklagten ausgeschieden. Kläger und Beklagte haben daraufhin den
Rechtsstreit hinsichtlich dieses Beigeladenen übereinstimmend für in der
Hauptsache erledigt erklärt. Die Beklagte hat nach Konstituierung der neu ge-
wählten Vollversammlung am 4. Dezember 2014 auch in Bezug auf die Beige-
ladenen zu 2, 3 und 5 den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt.
Der Kläger ist dieser Erledigungserklärung entgegengetreten.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom
16. März 2011 und des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 2013 mit Aus-
nahme der Einstellung des Verfahrens in Ansehung des
Beigeladenen zu 1 zu ändern und festzustellen, dass die
Hinzuwahl der Beigeladenen zu 2, 3 und 5 vom 2. Dezem-
ber 2009 zur Vollversammlung der Beklagten unwirksam
gewesen ist.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Berufungsurteil und führt ergänzend aus: Die Kooptation
knüpfe an das tragende Prinzip der funktionalen Selbstverwaltung an, den un-
mittelbar Betroffenen und damit besonders Sachkundigen Angelegenheiten zur
eigenständigen Erledigung zu überlassen und damit öffentliche Aufgaben effek-
tiv wahrzunehmen. In der mittelbaren Hinzuwahl zur Verfeinerung der Abbil-
dung der gewerblichen Wirtschaft in der Vollversammlung liege kein Verstoß
gegen das Demokratieprinzip.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag. Der Vertreter des Bundesinteresses
beteiligt sich an dem Verfahren und tritt dem Berufungsurteil bei.
II
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen verhandeln und ent-
scheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf die Folgen
ihres Ausbleibens hingewiesen worden sind (§ 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1
Satz 1, § 102 Abs. 2 VwGO).
Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 141 Satz 1 i.V.m. § 125
Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit der Kläger und die
Beklagte den Rechtsstreit bezüglich des Beigeladenen zu 4 übereinstimmend
für in der Hauptsache erledigt erklärt haben. Insoweit sind die Urteile der Vor-
instanzen klarstellend für wirkungslos zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m.
§ 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO). Im Übrigen hat die Revision Erfolg. Sie führt
unter Änderung der klageabweisenden Urteile der Vorinstanzen zu der Feststel-
lung, dass die Hinzuwahl der Beigeladenen zu 2, 3 und 5 vom 2. Dezember
2009 zur Vollversammlung der Beklagten unwirksam gewesen ist.
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1. Die Revision ist zulässig. Die Revisionsbegründung genügt den an sie zu
stellenden Anforderungen (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO). Sie enthält einen be-
stimmten Antrag und nimmt zur Begründung der Rechtsverletzung auf das Vor-
bringen der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug. Zu den Erfordernissen einer
ordnungsgemäßen Revisionsbegründung gehört eine Sichtung und rechtliche
Durchdringung des Streitstoffes und eine damit verbundene sachliche Aus-
einandersetzung mit den die Entscheidung des Berufungsgerichts tragenden
Gründen, aus der hervorgeht, warum der Revisionskläger diese Begründung
nicht als zutreffend erachtet (BVerwG, Urteil vom 3. März 1998 - 9 C 20.97 -
BVerwGE 106, 202 <203>; Beschluss vom 12. Juni 2006 - 5 C 26.05 - NJW
2006, 3081). Eine Bezugnahme auf Schriftsätze, die im Verfahren wegen der
Nichtzulassung der Revision vorgelegt worden sind, ist als Begründung der zu-
gelassenen Revision nur ausreichend, wenn die Beschwerdeschrift ausnahms-
weise den Anforderungen (auch) an eine Revisionsbegründung genügt
(BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 7 C 44.07 - BVerwGE 131, 11 = juris
Rn. 12). Das ist hier der Fall. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde
enthält eine umfassende kritische Würdigung des Berufungsurteils unter Würdi-
gung seiner materiell-rechtlichen Richtigkeit.
2. Die Revision ist auch begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verlet-
zung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
a) Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht die Klage als zulässig erachtet.
Sie ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Danach kann
durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechts-
verhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an
der baldigen Feststellung hat. Die Feststellung kann nicht begehrt werden, so-
weit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen
kann oder hätte verfolgen können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Diese Subsidiari-
tätsregelung will eine unnötige Feststellungsklage vermeiden, wenn dem Kläger
eine andere sachnähere oder effektivere Klageart zur Verfügung steht
(BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2013 - 8 C 21.12 - BVerwGE 148, 146
Rn. 18). Das ist hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon
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ausgegangen, dass der Kläger sein Begehren nicht im Wege der Verpflich-
tungsklage hätte verfolgen können. § 15 WahlO sieht nur für die unmittelbare
Wahl der Vollversammlungsmitglieder ein spezielles Wahlprüfungsverfahren
vor. Diese Regelung kann nicht entsprechend auf die mittelbare Hinzuwahl an-
gewandt werden. Deshalb steht dem Kläger die Möglichkeit, nach Abschluss
des Wahlprüfungsverfahrens sein Klageziel mit der Verpflichtungsklage zu ver-
folgen, im Fall der mittelbaren Hinzuwahl nicht zur Verfügung. Ebenso wenig
kann er darauf verwiesen werden, die der Hinzuwahl zugrunde liegenden
Rechtsvorschriften im Wege der Normenkontrolle zur gerichtlichen Überprüfung
zu stellen. Der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber hat von der Ermäch-
tigung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht (Schmidt, in:
Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 47 Rn. 11).
Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein feststellungsfähiges
Rechtsverhältnis. Ein solches liegt vor, wenn rechtliche Beziehungen streitig
sind, die sich aus einem bestimmten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-
rechtlichen Regelung für das Verhältnis mehrerer Personen zueinander oder
das Verhältnis einer Person zu einer Sache ergeben (stRspr; BVerwG, Urteil
vom 31. August 2011 - 8 C 8.10 - BVerwGE 140, 267 ). Ein feststel-
lungsfähiges Rechtsverhältnis ergibt sich hier aus der Pflichtmitgliedschaft des
Klägers bei der Beklagten (§ 2 IHKG) und dessen damit verbundenem Recht,
die Mitglieder der Vollversammlung zu wählen (§ 5 Abs. 1 IHKG). Es umfasst
auch die zwischen dem Kläger und der Beklagten streitige Frage, ob die Voll-
versammlung rechtmäßig zustande gekommen ist.
Das Berufungsgericht hat ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Fest-
stellung der Unwirksamkeit der Hinzuwahl angenommen. Es hat darauf verwie-
sen, dass der Kläger als Pflichtzugehöriger der Beklagten, deren Vollversamm-
lung Beschlüsse verbindlich für alle Kammerzugehörigen trifft, ein schutzwürdi-
ges Interesse an der grundlegenden Klärung der Zulässigkeit der wiederholt
praktizierten Hinzuwahl hat. Dagegen ist nichts zu erinnern. Entgegen der Auf-
fassung der Beklagten besteht das Feststellungsinteresse nach Ablauf der
Wahlperiode am 4. Dezember 2014 fort. Hierfür genügt schon, dass die Pflicht-
mitgliedschaft des Klägers fortbesteht. Im Übrigen kann auch der Inhalt eines
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vergangenen Rechtsverhältnisses zum Gegenstand einer Feststellungsklage
gemacht werden, wenn das nicht mehr bestehende Rechtsverhältnis über des-
sen Beendigung hinaus noch anhaltende Wirkungen entfaltet (BVerwG, Urteil
vom 8. Dezember 1995 - 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <90>), namentlich
wenn auch in Zukunft die gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse
fortbestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1999 - 2 A 5.98 - Buch-
holz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 8 = juris Rn. 15). Diese Voraussetzungen lie-
gen vor. Die derzeit gültige Wahlordnung der Beklagten vom 26. November
2013 ist hinsichtlich des Wahlmodus in ihrem Kern unverändert geblieben. Die
am 4. Dezember 2014 durchgeführte Kooptation weiterer Vollversammlungs-
mitglieder erfolgte nach denselben Regeln wie die zur Prüfung gestellte Hinzu-
wahl vom 2. Dezember 2009.
Der Kläger ist schließlich entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Eine
Verletzung seiner Mitgliedschaftsrechte sowie des davon umfassten Wahlrechts
zur Vollversammlung der Beklagten erscheint nicht ausgeschlossen. Zu Recht
hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass die
Hinzuwahl der Beigeladenen zu einer Verschiebung zu Lasten der Wahlgruppe
des Klägers geführt hat.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage begründet.
Das Berufungsurteil beruht auf einer unzutreffenden Auslegung von § 5 Abs. 3
Satz 2 IHKG.
aa) Ohne Verstoß gegen revisibles Recht geht das Berufungsgericht allerdings
davon aus, dass die in der Wahlordnung der Beklagten vorgesehene Kombina-
tion aus unmittelbarer Gruppenwahl und mittelbarer Hinzuwahl einer begrenz-
ten Anzahl weiterer Mitglieder der Vollversammlung mit höherrangigem Recht in
Einklang steht.
Nach § 5 Abs. 1 IHKG werden die Mitglieder der Vollversammlung von den
Kammerzugehörigen gewählt. Einen bestimmten Wahlmodus sieht das Gesetz
nicht vor. Vielmehr hat der Gesetzgeber gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 IHKG die Re-
gelung des Näheren über die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts
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und die Durchführung der Wahl der Wahlordnung und damit der autonomen
Rechtsetzung der Industrie- und Handelskammer überlassen (BVerwG, Urteil
vom 3. September 1963 - 1 C 113.61 - BVerwGE 16, 312 <316>).
Dagegen bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Zwar darf sich der Gesetzgeber auch im Rahmen einer zulässigen Autonomie-
gewährung seiner Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig entäußern und seinen
Einfluss auf den Inhalt der von den körperschaftlichen Organen zu erlassenden
Normen nicht gänzlich preisgeben; das folgt aus dem Demokratieprinzip des
Art. 20 Abs. 2 GG. Andererseits wurzeln auch die Prinzipien der Selbstverwal-
tung und Autonomie im demokratischen Prinzip (BVerfG, Beschluss vom 9. Mai
1972 - 1 BvR 518/62 und 308/64 - BVerfGE 33, 125 <158 f.>). Demokratisches
Prinzip und Selbstverwaltung stehen unter dem Grundgesetz nicht im Gegen-
satz zueinander (BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2002 - 2 BvL 5, 6/98 -
BVerfGE 107, 59 <92>). Der Gesetzgeber hat mit der in § 5 Abs. 1 und 3 Satz 1
IHKG getroffenen Regelung dem Demokratiegebot einerseits und dem Prinzip
der Selbstverwaltung andererseits Rechnung getragen. Er hat sich auf die Re-
gelung der Grundzüge der Wahl beschränkt und auf weitergehende Vorgaben
für das Wahlsystem verzichtet. Vor dem Hintergrund historisch tradierter unter-
schiedlicher Wahlsysteme (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 1980 - 5 C 2.79 -
Buchholz 451.09 IHKG Nr. 7) und in Kenntnis des langjährig praktizierten kom-
binierten Wahlsystems von unmittelbarer Wahl und mittelbarer Hinzuwahl hat
der Gesetzgeber auch bei der Änderung des IHK-Gesetzes durch Art. 7 des
Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der
mittelständischen Wirtschaft vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246) keinen
Anlass gesehen, die gesetzliche Regelung im Hinblick auf das Wahlsystem zu
präzisieren.
bb) Die Wahlordnung der Beklagten steht jedoch mit § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG
nicht in Einklang.
(1) Entscheidet sich der Satzungsgeber für ein kombiniertes Wahlsystem von
unmittelbar gewählten und mittelbar hinzugewählten Mitgliedern der Vollver-
sammlung, so ist die Zuordnung der Sitze in der Vollversammlung zu den
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Wahlgruppen unter Einschluss der mittelbar hinzugewählten Mitglieder vorzu-
nehmen.
§ 5 Abs. 3 Satz 1 IHKG sieht vor, dass die Wahlordnung das Nähere über die
Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts, über die Durchführung der
Wahl sowie über Dauer und vorzeitige Beendigung der Mitgliedschaft zur Voll-
versammlung regelt. Die Wahlordnung muss nach § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG Be-
stimmungen über die Aufteilung der Kammerzugehörigen in besondere Wahl-
gruppen sowie die Zahl der diesen zugeordneten Sitze in der Vollversammlung
enthalten und dabei die wirtschaftlichen Besonderheiten des Kammerbezirks
sowie die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Gewerbegruppen berücksichti-
gen. Damit fordert § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG in der Wahlordnung Bestimmungen
über die Zahl der den einzelnen Wahlgruppen zugeordneten Sitze unter Ein-
schluss auch der mittelbar hinzugewählten Mitglieder der Vollversammlung.
Für diese Auslegung spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift. Der Normtext
des § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG nimmt für die Zuordnung der Sitze in der Vollver-
sammlung zu den Wahlgruppen keine Differenzierung zwischen den unmittelbar
und den mittelbar gewählten Mitgliedern vor; er beschränkt die Zuordnung mit-
hin nicht auf die unmittelbar gewählten Vollversammlungsmitglieder. Das ent-
spricht auch dem Zweck der Vorschrift. Die zwingend vorgesehene Einteilung
der Kammerzugehörigen in Wahlgruppen dient dazu, eine Zusammensetzung
der Vollversammlung zu erreichen, die die wirtschaftliche Struktur des Kam-
merbezirks möglichst weitgehend widerspiegelt (BVerwG, Urteil vom 3. Sep-
tember 1963 - 1 C 113.61 - BVerwGE 16, 312 <317>). Dabei hat der Gesetzge-
ber dem Ziel der sog. Spiegelbildlichkeit der Vollversammlung Vorrang vor dem
Grundsatz der Gleichheit der Wahl eingeräumt. Denn die Gruppenwahl bedeu-
tet eine Abkehr von dem Grundsatz der Erfolgswertgleichheit der Stimmen und
beschränkt sie auf die jeweilige Wahlgruppe. Schließlich legt auch die Geset-
zeshistorie eine enge Auslegung des § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG nahe. Durch Art. 7
des Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in
der mittelständischen Wirtschaft vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246) hat
der Gesetzgeber § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG um die bis dahin nicht geregelte Zu-
ordnung von Sitzen in der Vollversammlung zu den Wahlgruppen ergänzt. Er
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hat damit die Vorgaben für die Wahlordnung präzisiert, den Grundsatz der
Gruppenrepräsentation gestärkt und den Zweck der Vorschrift, eine Vertretung
der unterschiedlichen Gewerbegruppen nach ihrer Bedeutung für die Wirtschaft
des Kammerbezirks in der Vollversammlung sicherzustellen, bekräftigt (BR-Drs.
68/07 S. 82).
(2) Diesen Anforderungen wird die Wahlordnung der Beklagten nicht gerecht.
§ 7 Abs. 2 WahlO in der hier maßgeblichen Fassung teilt zwar die Kammerzu-
gehörigen zum Zweck der Wahl in acht Wahlgruppen ein. § 7 Abs. 3 WahlO
ordnet aber den einzelnen Wahlgruppen jeweils nur eine bestimmte Anzahl der
unmittelbar gewählten Mitglieder der Vollversammlung zu und lässt die mittelbar
hinzugewählten Mitglieder außer Betracht. Danach erweist sich die angegriffene
Hinzuwahl der Beigeladenen zu 2, 3 und 5 bereits deshalb als unwirksam, weil
sie auf einer mit § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG unvereinbaren Wahlordnung beruht.
(3) Aus dem dargelegten Gesetzeszweck des § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG folgt im
Übrigen, dass auch eine Kooptation von Mitgliedern der Vollversammlung allein
aus Gründen, die in der Person der mittelbar Hinzugewählten liegen, wie etwa
deren Reputation oder ihre Tätigkeit für ein besonders renommiertes Unter-
nehmen, mit § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG nicht vereinbar wäre. Inwieweit die hier zu
überprüfende Hinzuwahl auch deshalb zu beanstanden ist, bedarf wegen der
festgestellten Rechtswidrigkeit der Wahlordnung keiner Entscheidung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 2 Satz 1, § 162
Abs. 3 VwGO.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Held-Daab
Hoock
Dr. Rublack
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Held-Daab
Hoock
Dr. Rublack