Urteil des BVerwG vom 26.10.2006

Abfindung, Rechtskraft, Grunddienstbarkeit, Belastung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 C 12.05
OVG 9 C 10875/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Oktober 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. h.c. Hien
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar, Prof. Dr. Rubel,
Domgörgen und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz - Flurbe-
reinigungsgericht für Rheinland-Pfalz und das Saarland -
vom 16. Februar 2005 wird aufgehoben, soweit die Klage
abgewiesen wurde. Die Sache wird zur anderweitigen Ver-
handlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsge-
richt zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfah-
rens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt als Teilnehmer des vereinfachten Flurbereinigungsverfah-
rens S. die tatsächliche Herstellung einer im Flurbereinigungsplan ausgewiese-
nen Wegedienstbarkeitsfläche. Zu den vom Kläger in die Flurbereinigung ein-
gebrachten Einlagegrundstücken gehörte u.a. das Altflurstück 1481; es wurde
ihm durch den Flurbereinigungsplan als Abfindungsflurstück Flur 2 Nr. 70 wie-
der zugeteilt. Das darauf stehende Gebäude diente früher Wohnzwecken; zu-
letzt wurde es vom Kläger als Unterstand für landwirtschaftliches Fuhrwerk und
Gerät genutzt. Das Flurstück hat keine unmittelbare Zuwegung zu einer öffentli-
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chen Straßen- oder Wegefläche, sondern ist ringsum von bebauten Grundstü-
cken von Privatpersonen umgeben. Im Nordwesten grenzt es an das im Eigen-
tum der Beigeladenen zu 2 und 3 stehende Flurstück Flur 2 Nr. 69/2 an. Dieses
Flurstück weist sowohl zum Flurstück des Klägers als auch nach Westen ein
Gefälle auf (Längs- und Quergefälle). Während des Flurbereinigungsverfahrens
errichteten die Beigeladenen zu 2 und 3 auf diesem Flurstück an der Nordwest-
grenze des Flurstücks des Klägers eine ca. 2,70 Meter hohe Stützmauer, so
dass sich in der Örtlichkeit dort nunmehr ein Geländeabsatz darstellt.
Mit seinem gegen den Flurbereinigungsplan gerichteten Widerspruch bean-
standete der Kläger eine Reihe von Punkten, u.a. die fehlende Erschließung
des Flurstücks Flur 2 Nr. 70 von der Hauptstraße aus und forderte die Herrich-
tung einer Zuwegung im Bereich des Flurstücks Flur 2 Nr. 69/2 der Beigelade-
nen zu 2 und 3. Sein Widerspruch war insoweit erfolgreich, als die Spruchstelle
für Flurbereinigung mit Anordnung vom 13. Januar 1999 (umgesetzt und zum
Teil abgeändert durch die Nachträge III und IV zum Flurbereinigungsplan) zu
Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Flurstücks Flur 2 Nr. 70 das Flurstück
Flur 2 Nr. 69/2 mit einem Geh- und Fahrrecht belastete, das auf einer bestimm-
ten Teilfläche dieses Flurstücks auszuüben ist. Es handelt sich um einen Strei-
fen von 12 Meter Länge und 3 Meter Breite entlang der Nordostgrenze des
Flurstücks, an dessen südlichen Ende sich die erwähnte Mauer befindet.
Weitere gegen den Flurbereinigungsplan erhobene Einwendungen wies die
Spruchstelle mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 1999 zurück; darin
führte sie u.a. aus, dass eine Entscheidung über die tatsächliche Herstellung
der Zuwegung zurückgestellt werde, weil zwischenzeitlich auf dem Flurstück
bauliche Veränderungen ohne Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde ver-
wirklicht worden seien und die Beigeladenen zu 2 und 3 wegen der Belastung
ihres Flurstücks mit der Grunddienstbarkeit einen Rechtsstreit führten. Daher
sei es zweckmäßig, dessen Ausgang abzuwarten, bevor darüber entschieden
werde, ob auf dem Teil des Flurstücks, auf dem das Geh- und Fahrrecht aus-
geübt werden solle, der frühere Zustand wieder herzustellen sei und ob ggf.
darüber hinaus noch Planierungsmaßnahmen anzuordnen seien.
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Die daraufhin erhobene Klage des Klägers gegen den Flurbereinigungsplan (in
seiner Fassung durch den Nachtrag IV) wurde mit Urteil des Flurbereinigungs-
gerichts vom 26. September 2001 - 9 C 10380/00.OVG - im Wesentlichen ab-
gewiesen. Die Klage der Beigeladenen zu 2 und 3 gegen die Belastung ihres
Flurstücks Flur 2 Nr. 69/2 mit der Grunddienstbarkeit wurde vom Flurbereini-
gungsgericht mit Urteil vom selben Tage - 9 C 10218/00.OVG - ebenfalls abge-
wiesen.
Mit der hier angegriffenen Schlussfeststellung vom 27. August 2002 stellte die
Flurbereinigungsbehörde fest, dass die Ausführung des Flurbereinigungsplanes
bewirkt sei und den Beteiligten keine Ansprüche mehr zustünden, die im Flurbe-
reinigungsverfahren hätten berücksichtigt werden müssen. Mit seinem dagegen
gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die Zuwegung über
das Flurstück Flur 2 Nr. 69/2 bisher nicht hergestellt worden sei. Nach Rechts-
kraft des die Klage der Beigeladenen zu 2 und 3 abweisenden Urteils sei es
Aufgabe der Flurbereinigungsbehörde, die Zuwegung im Bereich der Dienst-
barkeit auch tatsächlich herzustellen. Solange sei das Flurbereinigungsverfah-
ren noch nicht abgeschlossen.
Nachdem sein Widerspruch ohne Erfolg geblieben war, hat der Kläger mit dem
Antrag Klage erhoben, den Beklagten zu verpflichten, die Wegedienstbarkeits-
fläche so herzustellen, dass sie tatsächliche begangen und befahren werden
könne.
Das Flurbereinigungsgericht hat mit dem angegriffenen Urteil (AUR 2005, 163)
die Schlussfeststellung in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben
und im Übrigen die Klage abgewiesen; zur Begründung hat es ausgeführt:
Der Kläger habe keinen Anspruch auf Aufnahme einer Regelung in den Flurbe-
reinigungsplan des Inhalts, dass eine tatsächliche Zuwegung zu seinem Abfin-
dungsgrundstück hergestellt werde. Dem stehe die Rechtskraft des Urteils des
Flurbereinigungsgerichts vom 26. September 2001 - 9 C 10380/00.OVG - ent-
gegen. Mit der damaligen Klageabweisung stehe rechtskräftig fest, dass der
Kläger durch den Flurbereinigungsplan mit Land von gleichem Wert abgefun-
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den sei. Der Streitgegenstand dieses Urteils umfasse auch die tatsächliche Er-
schließung des Abfindungsflurstücks, auch wenn nur einzelne Gesichtspunkte
vorgebracht worden seien, mit denen die fehlende Wertgleichheit begründet
worden sei. Der Anspruch auf Erschließung sei ein unselbstständiger Bestand-
teil des Anspruchs auf Abfindung mit Land von gleichem Wert. Dies werde ge-
stützt durch die Regelung des § 64 FlurbG, derzufolge die Flurbereinigungsbe-
hörde sich einer Abänderung eines Flurbereinigungsplanes enthalten müsse,
soweit dadurch eine rechtskräftig bestätigte Abfindung berührt werde.
Die Klage habe jedoch teilweise Erfolg, soweit sie gegen die Schlussfeststel-
lung gerichtet sei. Zwar bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ausfüh-
rung des Flurbereinigungsplanes noch nicht vollständig bewirkt sei. Dem Kläger
stehe jedoch noch ein Anspruch zu, der hätte berücksichtigt werden müssen.
Dieser ergebe sich zwar nicht aus dem Flurbereinigungsplan, sondern aus § 34
Abs. 2 Satz 2 FlurbG. Danach könne die Flurbereinigungsbehörde bei einer
zwischenzeitlichen Errichtung von Bauwerken ohne ihre Zustimmung den frühe-
ren Zustand wiederherstellen lassen, wenn dies der Flurbereinigung dienlich
sei. Diese Vorschrift entfalte zwar grundsätzlich keine drittschützende Wirkung;
ausnahmsweise könnten aber auch private Interessen einzelner Teilnehmer
schützenswert sein. Ein derartiger Ausnahmefall liege hier vor, weil durch die
von den Beigeladenen zu 2 und 3 durchgeführten Baumaßnahmen während
des Flurbereinigungsverfahrens die Fläche verändert worden sei, die zur Aus-
übung des Geh- und Fahrrechts bestimmt worden sei. Dadurch sei möglicher-
weise die Benutzung dieser Fläche als Zuwegung erschwert und insoweit das
Interesse des Klägers an der Erschließung seines Abfindungsgrundstücks und
an der Beschaffenheit dieser Fläche berührt. Eine uneingeschränkte Zustim-
mung der Flurbereinigungsbehörde zu der hier durchgeführten Baumaßnahme
liege nicht vor. Insoweit stehe dem Kläger ein Anspruch auf ermessensfehler-
freie Entscheidung des Beklagten gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 FlurbG über die
Wiederherstellung des alten Zustandes zu. Diese Entscheidung sei bislang
nicht getroffen worden, sondern im Widerspruchsbescheid vom 12. August
1999 ausdrücklich offen gehalten und in Aussicht gestellt worden.
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Der Kläger trägt zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Revision vor:
Entgegen der Ansicht des Flurbereinigungsgerichts sei der Erschließungsan-
spruch aus § 44 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 FlurbG ein selbstständig neben dem
Anspruch auf wertgleiche Abfindung bestehender Anspruch, der auch dann
noch prozessual geltend gemacht werden könne, wenn über den Anspruch auf
wertgleiche Abfindung bestandskräftig entschieden sei. Der Anspruch falle nicht
unter den Begriff der wertgleichen Abfindung, sondern finde seine Grundlage in
dem Neugestaltungsauftrag der Flurbereinigungsbehörde und sei der konse-
quente Ausfluss der Pflicht der Teilnehmer nach § 47 FlurbG, den Grund und
Boden für die gemeinschaftlichen Anlagen kostenlos bereit zu stellen. § 44
Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 FlurbG gewähre jedem Teilnehmer eines Flurbereini-
gungsverfahrens ein subjektiv-öffentliches Recht auf Schaffung einer Zuwe-
gung, ohne dass hierbei die Frage der Wertgleichheit zwischen Altbesitz und
Abfindung eine Rolle spiele.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Flurbereinigungsgerichts für Rheinland-
Pfalz und das Saarland vom 16. Februar 2005 aufzuhe-
ben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und den Beklag-
ten zu verpflichten, in den Flurbereinigungsplan S. die An-
ordnung aufzunehmen, dass der Teil des im Eigentum der
Beigeladenen zu 2 und 3 stehenden Grundstücks Gemar-
kung S., Flur 2 Flurstück Nr. 69/2, auf dem die Dienstbar-
keit ruht, so herzustellen ist, dass die mit dem Geh- und
Fahrrecht belastete Fläche tatsächlich begangen und be-
fahren werden kann, um von der Hauptstraße in S. zu
dem Grundstück Flur 2 Flurstück Nr. 70 zu gelangen.
Der Beklagte und die Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht zur
Sache geäußert.
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II
Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne münd-
liche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 138 Abs. 1 Satz 2
FlurbG), ist begründet.
Das angefochtene Urteil, soweit es Gegenstand der Revision ist, verletzt Bun-
desrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Flurbereinigungsgericht hat die Kla-
ge, deren Rechtsschutzziel es zutreffend erkannt hat (1.) und deren Zulässig-
keit im Übrigen keinen Bedenken unterliegt (2.), zu Unrecht mit der Begründung
abgewiesen, dass dem Begehren des Klägers die Rechtskraft des früheren,
seine Klage auf eine andere, wertgleiche Abfindung abweisenden Urteils ent-
gegenstehe; insoweit verkennt das Flurbereinigungsgericht den Umfang der
Rechtskraft (§ 121 VwGO) jenes Urteils (3.). Dies führt gemäß § 144 Abs. 4,
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Aufhebung des revisionsbefangenen Teils des
Urteils und zur Zurückverweisung (4.).
1. Das Flurbereinigungsgericht hat das Begehren des Klägers zutreffend dahin
gehend ausgelegt, dass er die Aufnahme einer Anordnung in den Flurbereini-
gungsplan verlangt, dass die umstrittene Grunddienstbarkeitsfläche so herge-
richtet wird, dass sie begeh- und befahrbar ist. Eine in Betracht zu ziehende
Leistungsklage auf bloße tatsächliche Herstellung der Zuwegung (in Ausfüh-
rung des Flurbereinigungsplans) wäre gegen die Teilnehmergemeinschaft (Bei-
geladene zu 1) zu richten gewesen. Sie wäre aber nicht sachdienlich, weil sich
die Pflicht der Teilnehmergemeinschaft, den Flurbereinigungsplan auszuführen
(§ 18 Abs. 1 FlurbG), auf die im Flurbereinigungsplan enthaltenen Regelungen
und Anordnungen beschränkt (vgl. Urteile vom 15. März 1973 - BVerwG 5 C
8.72 - BVerwGE 42, 92 <94 ff.> und vom 26. Oktober 1978 - BVerwG 5 C
85.77 - BVerwGE 57, 31 <36 ff.>). Zu der Grunddienstbarkeit enthält der Flur-
bereinigungsplan aber (über deren Einräumung hinaus) keine weiteren Anord-
nungen. Einer Aufhebung der Schlussfeststellung und des Widerspruchsbe-
scheides bedarf es im vorliegenden Fall nicht (mehr), weil diese bereits durch
das Urteil des Flurbereinigungsgerichts aufgehoben sind. Der erkennende Se-
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nat hat den Revisionsantrag in diesem Sinne ohne sachliche Änderung umfor-
muliert (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO).
2. Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ist nicht deswegen in Zweifel zu zie-
hen, weil er möglicherweise auch zivilrechtlich aus der bestellten Grunddienst-
barkeit heraus gegen die Beigeladenen zu 2 und 3 vorgehen kann mit dem Ziel,
die Grunddienstbarkeitsfläche so herzurichten, dass das Geh- und Fahrrecht
auch tatsächlich ausgeübt werden kann, oder entsprechende Maßnahmen des
Klägers zu dulden. Eine solche Zivilrechtsklage wäre jedoch kein einfacherer
und billigerer Weg zur Erreichung des Rechtsschutzziels, sondern würde min-
destens vergleichbaren prozessualen Aufwand verursachen wie die vorliegende
Klage gegen die Flurbereinigungsbehörde.
Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ist auch nicht dadurch in Frage gestellt,
dass das angefochtene Urteil die vom Kläger angefochtene Schlussfeststellung
aufgehoben und die Flurbereinigungsbehörde unter Hinweis auf § 34 Abs. 2
Satz 2 FlurbG verpflichtet hat, über eine Wiederherstellung des früheren Zu-
standes auf der Grunddienstbarkeitsfläche und damit der Sache nach über das
Herstellungsbegehren des Klägers erneut zu entscheiden. Denn bei dieser Ent-
scheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Beklagten; mit
der vorliegenden Klage begehrt der Kläger dagegen weitergehend eine Ver-
pflichtung des Beklagten zur Herstellung (ohne Ermessensspielraum).
3. Das Flurbereinigungsgericht hat sich an einer Sachprüfung des Klagebegeh-
rens gehindert gesehen, weil dem die Rechtskraft seines früheren Urteils vom
26. September 2001 - 9 C10380/00.OVG - entgegenstehe (§ 121 VwGO i.V.m.
§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG); mit der Abweisung der Klage gegen den Flurbe-
reinigungsplan sei zugleich über die Frage der Erschließung des Abfindungs-
flurstücks entschieden, weil dies Teil des Anspruchs auf wertgleiche Abfindung
(§ 44 Abs. 1 FlurbG) sei. Bei Zugrundelegung der allgemeinen Grundsätze über
den Umfang der Rechtskraft (a) hat das Flurbereinigungsgericht diese im Streit-
fall mit Blick auf den im Widerspruchsbescheid vom 12. August 1999 enthalte-
nen Entscheidungsvorbehalt verkannt (b). Auf die materielle Rechtslage, mithin
auch auf die Frage, ob der Anspruch auf tatsächliche Herstellung der Erschlie-
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ßung (§ 44 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 FlurbG) neben dem Anspruch auf wertglei-
che Abfindung selbstständig durchsetzbar ist, kommt es dagegen nicht ent-
scheidungserheblich an (c).
a) Gemäß § 121 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit
über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Nach dem herrschenden
sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Streitgegenstand durch
Klageanspruch und Klagegrund bestimmt, also durch den geltend gemachten
materiellrechtlichen Anspruch und durch den ihm zugrunde liegenden, d.h. zu
seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalt (stRspr, vgl. Urteile vom
20. April 1977 - BVerwG 6 C 7.74 - BVerwGE 52, 247 <249> = Buchholz 238.4
§ 31 SG Nr. 9 S. 7, vom 13. September 1984 - BVerwG 2 C 22.83 - BVerwGE
70, 110 <112> = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 16 S. 13 und vom 10. Mai 1994
- BVerwG 9 C 501.93 - BVerwGE 96, 24 <25> = Buchholz 310 § 121 VwGO
Nr. 68 S. 2; Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 121 Rn. 23). Aller-
dings kommt dem Vorbringen des Klägers bei der Bestimmung des Streitge-
genstands nur Anstoßfunktion zu. Maßgebend ist weder die vom Kläger ge-
wählte Fassung seines Klageantrags (§ 88 VwGO) noch wird der Streitgegen-
stand durch den ausdrücklich vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt be-
schränkt. Der Kläger hat es nicht in der Hand, den vorgegebenen Streitgegen-
stand in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu verengen, noch kann er ver-
langen, dass einzelne entscheidungserhebliche Sachverhaltselemente außer
Betracht zu bleiben hätten (vgl. Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/
Pietzner, VwGO, Stand 13. Erg.-Lfg. April 2006, § 121 Rn. 57). Um den Umfang
der Rechtskraft bestimmen zu können und abzugrenzen, inwieweit über den
Streitgegenstand entscheiden wurde, ist es gerade bei klageabweisenden Urtei-
len notwendig, die Entscheidungsgründe und den Urteilstatbestand zur Ermitt-
lung des Entscheidungssatzes heranzuziehen (stRspr; vgl. Urteile vom
17. September 1963 - BVerwG 2 C 20.63 - BVerwGE 17, 293 <299> und vom
20. November 1997 - BVerwG 5 C 1.96 - BVerwGE 105, 370 <372>). Erforder-
lichenfalls ist zur Auslegung auch das Parteivorbringen heranzuziehen (Urteil
vom 21. September 1984 - BVerwG 8 C 4.82 - BVerwGE 70, 159 <161> =
Buchholz 412.3 § 15 BVFG Nr. 19 S. 3).
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b) Hiervon ausgehend ist in dem Vorprozess, in dem der Kläger auf eine ande-
re, wertgleiche Abfindung geklagt hat, über den im vorliegenden Verfahren gel-
tend gemachten Anspruch auf tatsächliche Herrichtung der Grunddienstbar-
keitsfläche nicht (mit-)entschieden worden.
Der Kläger hatte seinerzeit gegen die in dem Flurbereinigungsplan vorgesehe-
ne Abfindung zahlreiche Einwendungen erhoben. In dem daraufhin erlassenen
Widerspruchsbescheid der Spruchstelle für Flurbereinigung vom 12. August
1999 wurden die Forderungen des Klägers unter elf Widerspruchspunkten be-
handelt. Unter Punkt 7 heißt es zu dem Wunsch des Klägers nach einer wege-
mäßigen Erschließung des Flurstücks Flur 2 Nr. 69/2, dass dieser Forderung
durch die von der Spruchstelle unter dem 13. Januar 1999 angeordnete Ände-
rung des Flurbereinigungsplans (Nachtrag III) abgeholfen worden sei. Sodann
führt die Spruchstelle aus, dass sie über das Begehren des Klägers, die Fläche
dieses Flurstücks in der Weise herzurichten, dass sie mit Fahrzeugen befahren
werden kann, keine Entscheidung zu treffen brauche, und zwar zum einen we-
gen der auf dem Flurstück ohne Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde vor-
genommenen baulichen Veränderungen, zum anderen wegen der von den Bei-
geladenen zu 2 und 3 gegen die Belastung ihres Flurstücks mit der Grund-
dienstbarkeit erhobenen Klage. Bevor darüber entschieden werde, ob auf der
Grunddienstbarkeitsfläche der frühere Zustand wiederherzustellen sei (§ 34
Abs. 2 FlurbG) und ob ggf. darüber hinaus noch Planierungsmaßnahmen anzu-
ordnen seien, sei es zweckmäßig, den Ausgang des Rechtsstreits abzuwarten.
Demnach hat die Widerspruchsbehörde eine Entscheidung über diesen Teil des
Widerspruchsbegehrens ausdrücklich bis zum Ausgang des erwähnten Klage-
verfahrens der Beigeladenen zu 2 und 3 gegen die Belastung ihres Flurstücks
mit der Dienstbarkeit zurückgestellt.
Das ist rechtlich als ein Entscheidungsvorbehalt zu werten (vgl. etwa § 36
Abs. 2 Nr. 5 oder § 74 Abs. 3 VwVfG). Mit ihm hat die Widerspruchsbehörde
sich vorbehalten, über diesen Teil des Widerspruchs gegen den Flurbereini-
gungsplan später zu entscheiden. Dies hat zur Folge, dass die Forderung des
Klägers nach tatsächlicher Herrichtung der Grunddienstbarkeitsfläche nicht vom
zurückweisenden Tenor des Widerspruchsbescheides erfasst wurde. Daher
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konnte dieser Teil des Widerspruchs des Klägers gegen den Flurbereinigungs-
plan nicht zum Streitgegenstand des nachfolgenden Klageverfahrens werden.
Diese rechtliche Bewertung wird durch den tatsächlichen Ablauf des anschlie-
ßenden Klageverfahrens bestätigt: Dieser Punkt des Widerspruchsbegehrens
des Klägers ist seinerzeit weder von ihm noch von einem anderen Beteiligten
noch vom Flurbereinigungsgericht erwähnt worden. So wurden in der damali-
gen Klagebegründung sämtliche Punkte des Widerspruchsbescheides behan-
delt mit Ausnahme von Punkt 7, in dem es gerade um die hier streitige Frage
geht. Ebenso verhält es sich mit der Erwiderung des Beklagten. Auch bei dem
Ortstermin des Flurbereinigungsgerichts in jenem Verfahren wurden keine
Feststellungen zu diesem Thema aufgenommen. Das Urteil vom 26. September
2001 schließlich befasst sich weder mit der Grunddienstbarkeitsfläche noch mit
Maßnahmen zur ihrer tatsächlichen Herrichtung, sondern behandelt nur die vier
verbliebenen Streitpunkte. Daran ändert auch nichts, dass es in der damaligen
Klagebegründung abschließend heißt, der Kläger und seine Ehefrau begehrten
eine Neubescheidung „unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im Wider-
spruchsverfahren und Klageprozessverfahren“. Diese pauschale, salvatorische
Formulierung rechtfertigt nicht die Annahme, der Kläger hätte im Vorprozess
auch die tatsächliche Herstellung der Wegefläche - entgegen der ausdrückli-
chen Zurückstellung dieses Punktes im Widerspruchsbescheid und entgegen
der aus dem konkreten Vortrag ersichtlichen Ausklammerung in der Klagebe-
gründung - dennoch zum Prozessgegenstand machen wollen.
Darin liegt keine nach den vorstehenden Grundsätzen unbeachtliche, weil nicht
in die Verfügungsmacht des Klägers gestellte Einengung des Streitgegenstan-
des um bestimmte Sachverhaltselemente. Nicht der Kläger, sondern die Wider-
spruchsbehörde hat durch ihren Entscheidungsvorbehalt bewirkt, dass dieser
Teil der klägerischen Einwände gegen den Flurbereinigungsplan im anschlie-
ßenden Klageverfahren nicht zur Entscheidung stand.
c) Die vorstehende, allein aus allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen
folgende Beurteilung hängt nicht davon ab, ob der von der Widerspruchsbehör-
de aufgrund ihres Entscheidungsvorbehalts zurückgestellte Teil des seinerzeiti-
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gen Widerspruchsbegehrens des Klägers von dem in seinem Vorprozess ver-
folgten Anspruch auf eine andere, wertgleiche Abfindung (§ 44 Abs. 1 FlurbG)
auch materiellrechtlich abtrennbar ist.
Das Flurbereinigungsgericht hat angenommen, dass mit der im Vorprozess ab-
gewiesenen Klage auf eine andere, wertgleiche Abfindung zugleich über den
Anspruch des Klägers auf Erschließung des Grundstücks entschieden worden
sei, weil dieser Anspruch „ein unselbstständiger Bestandteil“ des Anspruchs auf
wertgleiche Abfindung sei. Falls dies so zu verstehen ist, dass sich die Rechts-
kraft der Klageabweisung notwendig auf beide Ansprüche erstreckt, weil diese
materiellrechtlich untrennbar verknüpft sind, kann dem nicht gefolgt werden.
Diese Annahme geht schon deshalb fehl, weil für die Beurteilung des Streitge-
genstandes des Vorprozesses nicht auf eine abstrakte materielle Rechtslage
abzustellen ist, sondern auf deren Konkretisierung, die sie in Anwendung auf
einen bestimmten Lebenssachverhalt durch die in einem Verwaltungsverfahren
ergangenen Behördenentscheidungen und den daran anknüpfenden vom Klä-
ger behaupteten Klageanspruch im Prozess erfahren hat, eben durch Klagean-
spruch und Klagegrund (s.o. sub II. 3. a). Selbst wenn die Widerspruchsbehör-
de die Entscheidung über eine tatsächliche Herrichtung der Grunddienstbar-
keitsfläche aus Gründen des materiellen Rechts nicht hätte abtrennen (zurück-
stellen) dürfen, ändert das nichts daran, dass Streitgegenstand des Vorprozes-
ses nur die seinerzeitigen Behördenentscheidungen (der Flurbereinigungsplan
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides) und der mit der Verpflichtungskla-
ge verfolgte Anspruch des Klägers war, dass er unter Aufhebung der dies ver-
neinenden Behördenentscheidungen einen Anspruch auf eine andere, wertglei-
che Abfindung habe. Einen Anspruch des Klägers auf eine tatsächliche Herrich-
tung der Grunddienstbarkeitsfläche hat der insoweit maßgebliche Wider-
spruchsbescheid aber gerade nicht verneint, sondern sich eine Entscheidung
darüber vorbehalten.
Das angefochtene Urteil geht außerdem fehl mit seiner Annahme, der Anspruch
auf wertgleiche Abfindung schließe Einwände betreffend die Erschließung des
Abfindungsgrundstücks selbst dann ein, „wenn nur einzelne Gesichtspunkte
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vorgebracht werden, mit denen die fehlende Wertgleichheit begründet wird“.
Soweit sich das Flurbereinigungsgericht dafür auf einen Beschluss des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 25. April 1956 (BVerwG 1 B 201.55 - BVerwGE 3,
246 <248> = Buchholz 424.00 § 48 ff. RUO Nr. 5 S. 7) und den dort aufgestell-
ten, nach wie vor gültigen Rechtssatz stützt, dass zur Beurteilung der Wert-
gleichheit der Landabfindung stets die gesamte Einlage der gesamten Abfin-
dung gegenüberzustellen ist, trägt dies nicht die vom Flurbereinigungsgericht
daraus gezogene Schlussfolgerung. Diese steht im Widerspruch zu späteren
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Teilnehmer seine
Beanstandungen des Flurbereinigungsplans auf einzelne selbstständige oder
teilbare Festsetzungen desselben beschränken kann (vgl. Beschlüsse vom
20. Juli 1977 - BVerwG 5 CB 72.74 - Buchholz 424.01 § 59 FlurbG Nr. 6 S. 1
<2> und vom 18. März 1985 - BVerwG 5 B 75.93 - n.v. ). Vor
allem aber hat das Bundesverwaltungsgericht die Geltendmachung von abfin-
dungsunabhängigen Einwendungen gegen bestimmte Festsetzungen im Flur-
bereinigungsplan (z.B. im Wege- und Gewässerplan gemäß § 41 FlurbG) aus-
drücklich zugelassen (vgl. Urteil vom 6. Februar 1986 - BVerwG 5 C 40.84 -
BVerwGE 74, 1 <11 f.> = Buchholz 424.01 § 41 FlurbG Nr. 5 S. 21 f.).
Dass die Erschließung eines Grundstücks (genauer: das Ob und das Wie der
Erschließung) ein abfindungsrelevanter, gleichwertigkeitsbestimmender Faktor
i.S.v. § 44 Abs. 1 FlurbG ist, steht außer Zweifel. Doch ist damit noch nicht die
Frage beantwortet, ob die Verpflichtung, dass die Grundstücke durch Wege
zugänglich gemacht werden müssen (§ 44 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 FlurbG), ei-
nen davon zu trennenden, abfindungsunabhängigen Anspruch begründet, der
als solcher selbstständig durchgesetzt werden kann (so VGH München, Urteil
vom 4. Dezember 1980 - 13 A 80 A.318 - RzF - 20 zu § 44 Abs. 3 Satz 3
FlurbG sowie OVG Koblenz, Urteil vom 12. Mai 1981 - 9 C 58/80 - RdL 1981,
241 <243>; a.A.: Schwantag, in: Seehusen/Schwede, FlurbG, 7. Aufl. 1997,
§ 59 Rn. 12). Dies braucht der Senat nach dem Vorstehenden hier indes nicht
zu entscheiden.
4. Das angefochtene Urteil, soweit es revisionsbefangen ist, beruht auf der Ver-
kennung des Umfangs der Rechtskraft des Urteils im Vorprozess des Klägers.
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Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4
VwGO). Die ergänzend („stützend“) angeführte Begründung, dass die Flurbe-
reinigungsbehörde sich einer Abänderung des Plans deshalb enthalten müsse,
weil dadurch in die rechtskräftig bestätigte Abfindung eingegriffen würde, ist
ebenfalls nicht zutreffend. Denn nach dem Vorstehenden steht die Rechtskraft
des früheren Urteils des Flurbereinigungsgerichts über die wertgleiche Abfin-
dung des Klägers seiner Forderung nach Herrichtung der Wegefläche gerade
nicht entgegen. Da eine inhaltliche Prüfung des geltend gemachten Anspruchs
in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch das Flurbereinigungsgericht noch
aussteht, übt der Senat sein Ermessen dahingehend aus, dass er die Sache an
das Flurbereinigungsgericht zurückverweist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Dr. h.c. Hien Vallendar Prof. Dr. Rubel
Dömgörgen Buchberger
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird gemäß § 52
Abs. 1, § 47 Abs. 1, § 72 Nr. 1 Halbs. 2 GKG n.F. auf 15 500 € festgesetzt; dies
entspricht den von der Flurbereinigungsbehörde unter dem 28. Mai 2003 ermit-
telten voraussichtlichen Kosten für eine tatsächliche Herrichtung der Zuwegung.
Dr. h.c. Hien Domgörgen Buchberger
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Verwaltungsprozessrecht
Fachpresse: ja
Flurbereinigungsrecht
Rechtsquellen:
VwGO
§ 121
FlurbG § 44 Abs. 1, Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1, § 149 Abs. 1
Stichworte:
Flurbereinigung; Flurbereinigungsplan; Wegefläche; Grunddienstbarkeit; Geh-
und Fahrrecht; tatsächliche Herrichtung; Zurückstellung der Entscheidung; Ent-
scheidungsvorbehalt; wertgleiche Abfindung; Rechtskraft; Urteil; Streitgegen-
stand; Schlussfeststellung.
Leitsätze:
1. Die Forderung des Teilnehmers eines Flurbereinigungsverfahrens nach tat-
sächlicher Herrichtung einer im Flurbereinigungsplan vorgesehenen Grund-
dienstbarkeitsfläche zur Ausübung eines Geh- und Fahrrechts wird von der
Rechtskraft eines Urteils, mit dem seine Klage auf eine andere, wertgleiche Ab-
findung abgewiesen wurde, nicht umfasst, wenn die Flurbereinigungsbehörde
zuvor im Rahmen ihrer Entscheidung über den Widerspruch des Teilnehmers
gegen den Flurbereinigungsplan eine Entscheidung über diese Forderung zu-
rückgestellt hat, weil der Ausgang einer Klage der Grundeigentümer der Wege-
fläche gegen die Belastung ihres Grundstücks mit dieser Dienstbarkeit abge-
wartet werden sollte.
2. Dieser Entscheidungsvorbehalt führt dazu, dass der Teilnehmer nicht aus
Gründen der Rechtskraft des Urteils über seine wertgleiche Abfindung (§ 44
Abs. 1 FlurbG) gehindert ist, seine Forderung nach tatsächlicher Herrichtung
der Wegefläche (§ 44 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 FlurbG) weiterhin, ggf. auch noch
gegenüber der Schlussfeststellung (§ 149 Abs. 1 FlurbG), geltend zu machen.
Urteil des 10. Senats vom 26. Oktober 2006 - BVerwG 10 C 12.05
I. OVG Koblenz vom 16.02.2005 - Az.: OVG 9 C 10875/04 -