Urteil des BVerwG vom 19.06.2014, 10 C 1.14
Stiftungszweck, Vergleich, Firma, Familie
Sachgebiet:
BVerwGE: ja Fachpresse: ja
Sachen, die nicht einem anderen Senat zugewiesen sind
Sachgebietsergänzung:
Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz
Rechtsquelle/n:
BVerfGG § 31 ContStifG §§ 1, 2, 4, 11 ff., § 18 Abs. 1 GG Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 VwGO § 134
Titelzeile:
Ausgestaltung und Bemessung der Leistungen der Conterganstiftung für die Jahre 2004 bis 2012
Stichwort/e:
Anpassungspflicht Gesetzgeber; Contergangeschädigte; Conterganrente; Conterganstiftung; Eigentumsgarantie; Entschädigung; soziale -; Entscheidungsund Gestaltungsspielraum Gesetzgeber; Fürsorge; staatliche -; Gleichbehandlungsgebot; Gleichheitssatz; Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum; Leistungsrichtlinien; Nachbesserungsmaßnahmen Gesetzgeber; Sonderzahlung; jährliche -; Sozialstaatsprinzip; Stiftung Hilfswerk für behinderte Kinder; Stiftung; öffentlich-rechtliche -; Stiftungsautonomie; Stiftungsaufsicht; Stiftungszweck; Untermaßverbot; Unterversorgung; sozialstaatswidrige -.
Leitsatz/-sätze:
Über den durch das Conterganstiftungsgesetz bestimmten Rahmen hinaus haben auch die durch Contergan besonders schwer geschädigten Personen keinen Anspruch auf Erhöhung der Leistungen für den Zeitraum 2004 bis 2012. Ausgestaltung und Bemessung der gesetzlichen Leistungen für diesen Zeitraum sind mit dem Grundgesetz vereinbar (im Anschluss an BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263; Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943).
Urteil des 10. Senats vom 19. Juni 2014 - BVerwG 10 C 1.14
I. VG Köln vom 17. Januar 2013 Az: VG 26 K 4264/11
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 C 1.14 VG 26 K 4264/11
Verkündet am 19. Juni 2014
Thiele als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 2014 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
für Recht erkannt:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 17. Januar 2013 wirkungslos.
Im Übrigen wird die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 17. Januar 2013 zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten, soweit das Verfahren eingestellt worden ist, sowie die weiteren Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
1Der Kläger begehrt von der beklagten Conterganstiftung für vergangene Zeiträume höhere Leistungen (laufende Rentenzahlung; jährliche Sonderzahlung)
als nach dem Conterganstiftungsgesetz (ContStifG) vorgesehen; der Sache
nach steht auch die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes bzw. dessen Vorgängerregelung, des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für
behinderte Kinder“ im Streit.
21. Der 1961 geborene Kläger kam mit Fehlbildungen an allen vier Gliedmaßen
(sog. Dysmelie) und Schädigungen an inneren Organen zur Welt; in der Folgezeit zeigten sich weitere Schäden, u.a. Arterienanomalien. Seine Mutter hatte
während der Schwangerschaft das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan
eingenommen. Der in diesem von der Firma Grünenthal GmbH vertriebenen,
rezeptfrei erhältlichen Medikament enthaltene Wirkstoff Thalidomid führte bei
Einnahme während der Schwangerschaft zu schweren und irreversiblen vorgeburtlichen Schäden. Art und Umfang der Schädigung hingen vor allem vom
Stadium der Schwangerschaft bei Einnahme des Mittels ab. Zwischen dem
1. Halbjahr 1958 und dem 2. Halbjahr 1962 kamen so weltweit etwa 10 000
contergangeschädigte Kinder zur Welt, die Hälfte davon in Deutschland, von
denen heute noch etwa 2 600 Personen im Bundesgebiet leben.
3Im April 1970 verpflichtete sich die Firma Grünenthal GmbH in einem Vertrag,
„zur vergleichsweisen Regelung aller denkbaren Ansprüche, die von Kindern
und deren Eltern wegen Fehlbildungen des Kindes gegen die Chemie
Grünenthal GmbH ... geltend gemacht werden können“, 100 Mio. DM zu zahlen,
sofern die Eltern auf alle weiteren Ansprüche ihres Kindes gegen die Firma
Grünenthal GmbH verzichteten. Der Vergleich gelangte indes nicht zur Durchführung. Um den Geschädigten eine schnelle und wirksame finanzielle Hilfe zur
Verfügung zu stellen, errichtete der Gesetzgeber durch das „Gesetz über die
Errichtung einer Stiftung ‚Hilfswerk für behinderte Kinder‘“ (StHG) vom 17. Dezember 1971 (BGBl I S. 2018) eine Stiftung zur Erbringung von Leistungen an
Contergangeschädigte und Förderungsmaßnahmen zur Eingliederung von Behinderten, vor allem solchen unter 21 Jahren, in die Gesellschaft (§ 2 StHG), in
die neben dem Vergleichsbetrag von 100 Mio. DM ein Betrag in gleicher Höhe
aus Haushaltsmitteln eingebracht wurde. Die Leistungen in Contergan-
Schadensfällen bestanden aus einer Einmalzahlung sowie aus laufenden Rentenzahlungen, die unter bestimmten Voraussetzungen kapitalisiert werden
konnten. Die Höhe der Leistungen richtete sich in dem durch das Gesetz gezogenen finanziellen Rahmen nach der Schwere des Körperschadens und der
hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen. Die Einzelheiten, insbesondere die Maßstäbe der Leistungsbemessung sind durch vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zu erlassende Richtlinien zu regeln.
Nach den in der Folgezeit erlassenen Richtlinien wurden die Körperschäden
nach einem Punktesystem bewertet; die gesetzliche Höchstrente wurde ab
einer Bewertung der Schädigung mit 45 (von 100) Punkten gezahlt. Alle Ansprüche gegen die Firma Grünenthal GmbH erlöschen (§ 23 Abs. 1 StHG).
4Die Mutter des Klägers widersprach in der Folgezeit der Einbringung des Geldes aus dem mit der Firma Grünenthal GmbH geschlossenen Vergleich in die
Stiftung und beantragte die Auszahlung des anteiligen Betrages für den Kläger;
zugleich begehrte sie Kapitalentschädigung und Rente aus den staatlicherseits
eingebrachten Mitteln. Die auf Auszahlung der Vergleichssumme gerichtete
Klage blieb erfolglos. Der Bundesgerichtshof entschied, dass die Entschädigungsansprüche contergangeschädigter Kinder aus dem mit der Firma
Grünenthal GmbH geschlossenen Vergleich durch Leistungsansprüche aus
dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“
ersetzt worden seien und diese Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Die (auch) von dem Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde wies das Bundesverfassungsgericht als unbegründet zurück (Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL
19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263). Die Umgestaltung der privatrechtlichen Ansprüche aus dem Vergleich in gesetzliche Leistungsansprüche unter Überführung
der Vergleichssumme in das Stiftungsvermögen sei verfassungsgemäß; auch
sei die inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Vorschriften des Stiftungsgesetzes, soweit sie zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt worden seien, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
5Das Stiftungsgesetz wurde in der Folgezeit mehrfach geändert. Die ersten Änderungsgesetze beschränkten sich im Kern darauf, die laufenden Conterganrenten mit Blick auf den Anstieg der Lebenshaltungskosten und die Entwicklung
der Nettoeinkommen linear zu erhöhen. Durch das Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen (Conterganstiftungsgesetz - ContStifG -
vom 13. Oktober 2005, BGBl I S. 2967) wurde u.a. die Stiftung umbenannt in
„Conterganstiftung für behinderte Menschen“ und der Stiftungszweck auf die
Leistungserbringung und Hilfe an diesen Personenkreis beschränkt. Durch das
Erste Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2008
(BGBl I S. 1078) wurden die monatlichen Conterganrenten verdoppelt und der
Höchstbetrag auf nunmehr 1 090 € monatlich festgesetzt. Das Zweite Gesetz
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 25. Juni 2009 (BGBl I
S. 1534) konkretisierte u.a. den Stiftungszweck dahin, dass auch die Hilfestellung durch Förderung von Forschungs- und Erprobungsvorhaben nur den durch
Contergan geschädigten Menschen zugute kommen solle, führte eine nach der
Schwere der Schädigung gestaffelte jährliche Sonderzahlung ein, deren
Höchstbetrag nach den Leistungsrichtlinien 3 680 € jährlich beträgt, und koppelte die Erhöhung der monatlichen Conterganrente an die Rentenanpassungen in
der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Zusammenhang mit dieser Gesetzesänderung wurden die Richtlinien für die Gewährung von Leistungen wegen
Contergan-Schadensfällen neu gefasst. Verfassungsbeschwerden gegen das
Erste und das Zweite Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes mit
dem Ziel der Erhöhung der Leistungen nahm das Bundesverfassungsgericht
(Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943)
nicht zur Entscheidung an.
6Durch das erst während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl I
S. 1847) wurden zum 1. Januar 2013 die monatlichen Conterganrenten nahezu
verfünffacht, und zwar auf einen Höchstbetrag von 6 912 € monatlich, Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe eingeführt, für die Mittel in Höhe von bis
zu 30 Mio. € jährlich bereitgestellt wurden. Weiterhin wurde der sozialhilferechtliche Übergang von Unterhaltsansprüchen der leistungsberechtigten Person
sowie der Einsatz von Vermögen beschränkt.
72. Dem Kläger, dessen Fehlbildungen mit zunächst 85,94 (20. April 1974), dann
mit 89,56 (Bescheid vom 16. Juni 1981) und zuletzt mit 97,39 Punkten (Bescheid vom 4. November 2010) bewertet wurden, wurde neben der Kapitalentschädigung eine monatliche Rente in Höhe des jeweiligen gesetzlichen Höchstbetrages gezahlt.
8Unter Bezugnahme auf den Ende 2003 verbreiteten Dokumentarfilm „Contergan: Die Eltern“ wandte sich die Mutter des Klägers mit Schreiben vom 22. Juni
2004 erstmals an das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
und beanstandete eine unzureichende Differenzierung zwischen Schwerstgeschädigten und weiteren Geschädigten, mahnte die Orientierung der Leistungen an der Bemessung von Schmerzensgeld an und forderte eine Nachbesserung der Leistungen an die Schwerstgeschädigten. Gegen einen Bescheid der
Stiftung vom 4. November 2010, durch den der Grad der Schädigung auf
97,39 Punkte festgestellt worden war, legte der Kläger am 7. Dezember 2010
Widerspruch ein, soweit durch diesen Bescheid die monatliche Rente und die
jährliche Sonderzahlung nicht erhöht worden waren, und beantragte in der Folgezeit u.a. eine Verdoppelung seiner Rentenzahlung sowie der jährlichen Sonderzahlung, eine Dynamisierung der Rente in Abhängigkeit von der Inflationsrate sowie die Feststellung, dass diese bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen anrechnungsfrei bleiben solle.
9Zur Begründung machte er insbesondere geltend, dass die undifferenzierte
Zahlung der Höchstrente an alle Contergangeschädigten mit einer Schädigung,
die mit 45 Punkten und mehr bewertet worden sei, rechtswidrig sei. Spätestens
seit dem Film „Contergan: Die Eltern“ sei bekannt, dass sich die Lebenssituation der Contergangeschädigten mit einer Bepunktung bis zu 79,99 fundamental
von der Lebens- und Hilfebedarfssituation der schwerst- und insbesondere vierfach Contergangeschädigten unterscheide und daher eine weitere Differenzierung vorgenommen werden müsse. Die undifferenzierte Leistungsgewährung
widerspreche insbesondere der Verteilung der Leistungen nach Schmerzensgeldkriterien. Der Anspruch auf Leistungserhöhung folge aus dem Stiftungszweck der Beklagten, eine dauerhafte, wirksame Hilfe auf Lebenszeit zu gewährleisten sowie die Contergangeschädigten gegenüber dem Vergleich mit
der Firma Grünenthal GmbH besserzustellen. Für die Schwerstgeschädigten ab
80 Punkten sei dieser Stiftungszweck nicht erreicht worden; er - der Kläger - habe vielmehr von der Stiftung weniger an Leistungen erhalten als er bei einer
Einmalzahlung aus dem mit der Firma Grünenthal GmbH geschlossenen Vergleich hätte erwirtschaften können.
10Undifferenziert und daher willkürlich sei auch die Bemessung der jährlichen
Sonderzahlungen, welche der Linderung von Folge- und Spätschäden dienen
sollten, die bei den einzelnen Geschädigtengruppen durchaus unterschiedlich
ausfielen. Die Leistungen bewirkten keinen Ausgleich für die Vielzahl der Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen; durch die Zahlungen einschließlich der
Leistungen der gesetzlichen Pflegegeldzahlungen sei gerade an der untersten
Grenze sichergestellt, dass Pflege und Betreuung einschließlich der Haushaltsführung durch einen fremden Dritten finanzierbar seien. Der Kläger kritisierte
weiterhin, dass die Richtlinienkompetenz für die Umsetzung des Stiftungszweckes stiftungsrechtswidrig bei der ministerialen Aufsichtsbehörde und nicht bei
der Beklagten selbst liege; damit fungiere die Aufsichtsbehörde quasi selbst als
Stiftung.
11Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni
2011 als unbegründet zurück, weil allein eine Erhöhung der finanziellen Leistungen über das in den Stiftungsrichtlinien vorgeschriebene Maß hinaus erstrebt werde, wofür nach der Gesetzeslage kein Raum bestehe.
123. Der Kläger hat am 2. August 2011 Klage gegen die Beklagte und die Bundesrepublik Deutschland erhoben, mit der er seine Begehren aus dem Verwaltungsverfahren weiterverfolgt hat. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus
dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Stiftungsrechtswidrig gebe
das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der hiernach
nicht wirklich autonomen Beklagten Anweisung, eine ausgehend vom Stiftungszweck zu geringe Leistung auszubezahlen. Der Stiftungszweck könne nicht
durch Richtlinien als Verwaltungsanweisungen eingeengt werden. Wegen der
undifferenzierten Leistungsgewährung hätten die Schwerstgeschädigten die
weniger Geschädigten, die gleichwohl die Höchstrente erhalten hätten, aus
ihrem Anteil mitfinanziert; dies verstoße gegen Art. 3 und 14 GG.
13Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren hinsichtlich der geltend gemachten
Schadensersatzforderungen abgetrennt und auf den ordentlichen Rechtsweg
verwiesen. Es hat weiter Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland
abgetrennt und an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen. Hinsichtlich des
verbliebenen Streitgegenstandes hat es mit Urteil vom 17. Januar 2013 die Klage gegen die Beklagte in Bezug auf Begehren mit Bezug zu künftigen Gesetzesänderungen als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen.
Dem Kläger stünden die begehrten Ansprüche auf Erhöhung der laufenden
Rentenzahlungen, der jährlichen Sonderzahlung und eine an der Inflationsrate
ausgerichtete Dynamisierung der Rente nicht zu. Zwischen den Beteiligten stehe nicht im Streit, dass dem Kläger sowohl die nach dem Gesetz mögliche
Höchstzahlung in Bezug auf die monatliche Rente als auch der in den Richtlinien festgesetzte Höchstbetrag der jährlichen Sonderzahlung bewilligt worden
seien.
14Die gesetzlichen Bestimmungen verstießen nicht gegen das Grundgesetz.
Selbst bei einem angenommenen Grundrechtsverstoß sei die Rechtsfolge nicht
die begehrte Verpflichtung der Beklagten, weil bei Verfassungswidrigkeit der
stiftungsrechtlichen Regelungen keine Rechtsgrundlage für Zahlungen an den
Kläger bestehe. Dem Differenzierungsgebot des Art. 3 GG könne der Gesetzgeber dann neben der begehrten Erhöhung der Rentenzahlungen an Personen,
deren Schädigung mit mehr als 80 Punkten bewertet worden sei, auch durch
eine Absenkung von Zahlungen an die geringer geschädigten Personen Rechnung tragen. Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung verwies das Verwaltungsgericht auf die zu dem Gesetz ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und gelangte auch in Ansehung der tiefgreifenden Lebensbeeinträchtigungen der durch Contergan schwerstgeschädigten Menschen,
ausgehend von der Entstehungsgeschichte und dem Regelungszweck der angegriffenen Bestimmung sowie mit Blick auf mögliche weitere Sozialleistungen
zum Ergebnis, dass die angegriffenen Normen mit der Verfassung, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 sowie
Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar seien. In Bezug auf die Gleichheitskonformität des
Verteilungsmaßstabs nach § 13 Abs. 2 ContStifG (i.V.m. den Richtlinien) hätten
die Ergebnisse eines Anfang 2009 initiierten und Mitte 2010 in Auftrag gegebenen Forschungsprojektes zur Lebens- und Versorgungslage der durch Contergan Geschädigten abgewartet werden dürfen. Eine evidente Verletzung des
Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor. Die Stiftungsleistungen überschritten bereits
heute die nach dem Vergleich bereitgestellten Mittel um ein Vielfaches. Es sei
zu einer deutlichen wirtschaftlichen Besserstellung der Conterganopfer gekommen. Auch unter Berücksichtigung der geltend gemachten Spät- und Folgeschäden sei kein Verstoß gegen Art. 14 GG erkennbar. Aus der Zielsetzung des
Gesetzgebers, auf diese Schäden zu reagieren, könne keine verfassungsrechtliche Verpflichtung nach Art. 14 Abs. 1 GG zu einem bestimmten Leistungsumfang abgeleitet werden. Das Untermaßverbot sei nicht wegen einer Leistungsdifferenzierung zwischen den schwerstgeschädigten Conterganopfern und den
contergangeschädigten Menschen, deren Schädigung mit einer Punktzahl von
45 bis 79,99 Punkten bewertet worden sei, bzw. zu geringer Leistungen an
schwerstgeschädigte Conterganopfer verletzt. Inzwischen gebe es eine Differenzierung nicht nur bei der Höhe der Kapitalentschädigung, sondern auch bei
der jährlichen Sonderzahlung. Hinsichtlich weiterer Verbesserungen sei das
Ergebnis des 2009 angestoßenen Forschungsprogramms abzuwarten gewesen. Selbst bei einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch eine sachlich nicht
gerechtfertigte Gleichbehandlung von Ungleichem sei Rechtsfolge nicht die
Gewährung der begehrten weiteren Leistungen, weil dem Gesetzgeber unterschiedliche Alternativen offenstünden, um eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Verteilung zu erreichen. Bei der Festlegung der für die Anspruchshöhe maßgeblichen Punktzahl fänden Spätschäden ohnehin Berücksichtigung.
Die Regelung zur Anpassung der Conterganrenten nach Maßgabe der Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung sei unbedenklich und
gehe über das Gebotene hinaus; der Vergleich habe keine Dynamisierung vorgesehen.
15Ein Anspruch auf Zahlung der begehrten Beträge ergebe sich auch nicht unmittelbar aus Stiftungsrecht. Es sei schon zweifelhaft, ob sich der Stiftungszweck
tatsächlich mit dem Ziel der dauerhaften wirksamen Hilfe für Contergangeschädigte, ihre Besserstellung gegenüber dem Grünenthal-Vergleich umschreiben
lasse. Das hinter dem Conterganstiftungsgesetz stehende politische Ziel müsse
nicht zwangsläufig mit dem Stiftungszweck identisch sein. Relevant seien solche Motive nur dann, wenn sie in Stiftungsgeschäft und Satzung als Stifterwille
objektiviert seien. Dies sei angesichts der gesetzlichen Definition des Stiftungszwecks nicht der Fall. Der allgemeine Zweck, Leistungen zu erbringen, enthalte
aber keine Vorgaben zur Höhe oder Art der Leistungen. Ein als gegeben unterstellter Stiftungszweck wirksamer und dauerhafter Hilfe sei jedenfalls unter Berücksichtigung der dafür zur Verfügung stehenden beschränkten Mittel zu interpretieren; die unmittelbaren Stiftungsmittel seien aber seit 1997 aufgebraucht.
164. Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger
u.a. eine Verletzung der Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG sowie des Stiftungszwecks. Zur Begründung wiederholt und vertieft der Kläger
sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und dem Klageverfahren und hebt u.a.
hervor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Richtlinien rechtswidrig
seien, weil sie die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich machten. Die Beklagte sei ohne neutrale und unabhängige Aufsichtsbehörde, wenn die Aufsichtsbehörde zugleich die Richtlinienbefugnis besitze. Sie habe auch den Stiftungszweck Förderung und Forschung bislang unzureichend erfüllt. Der Forschungsauftrag 2009 sei zu spät erteilt und verzögert ausgeführt worden. Die
seit 2004 bekannten Spät- und Folgeschäden seien weiterhin ungeregelt. Nach
Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes hat der Kläger den Rechtsstreit hinsichtlich seiner auf die Zeit ab dem
1. Januar 2013 bezogenen Begehren für erledigt erklärt.
17Die Beklagte hat sich der Teilerledigungserklärung angeschlossen und verteidigt im Übrigen das angefochtene Urteil. Für die vom Kläger weiterhin verfolgten Ansprüche enthielten das Conterganstiftungsgesetz oder die Stiftungssatzung keine bundesgesetzliche Anspruchsgrundlage; eine anderweitige Anspruchsgrundlage sei nicht ersichtlich. Aus dem vom Kläger angenommenen
Stiftungszweck folge kein Anspruch auf die konkret geforderten Leistungen,
deren Höchstbeträge im Gesetz festgelegt seien. Die Verwirklichung des Stiftungszwecks stehe unter dem Vorbehalt des vorhandenen Stiftungsvermögens.
Die Regelungen des Stiftungsgesetzes und ihre Anwendung verstießen auch
nicht gegen das Grundgesetz. Art. 14 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Die Vergleichsberechnung des Klägers vernachlässige, dass auch die Stiftungsleistungen für den Vergleich kapitalisiert werden müssten. Art. 3 Abs. 1 GG sei ebenfalls nicht verletzt. Die Nichtberücksichtigung von Folgeschäden könne schon
deswegen nicht anspruchsbegründend wirken, weil der Kläger bereits in die
Gruppe der Schwerstgeschädigten mit den höchsten Leistungen eingeordnet
sei. Bei unterstellter Pflicht zum Tätigwerden aufgrund neuer Erkenntnisse
müsse dem Gesetzgeber zudem ein angemessener Zeitraum verbleiben, um
Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und die ggf. notwendigen Abhil-
femöglichkeiten zu prüfen und vorzubereiten. Zunächst sei er gehalten gewesen, umfassende, wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Lebenssituation und die Bedarfe der ganz unterschiedlich beeinträchtigten, durch Contergan Geschädigten zu erhalten. Dem sei er im Anschluss an die Sitzung des
Familien-Ausschusses Ende Mai 2008 durch den gemeinsamen Antrag vom
3. Dezember 2008, einen entsprechenden Forschungsauftrag zu vergeben, die
Annahme dieses Antrages im Plenum des Deutschen Bundestages am
22. Januar 2009, die nach europaweiter Ausschreibung erfolgte Vergabe des
Forschungsauftrages im Sommer 2010 durch die Beklagte, die Durchführung
des Forschungsvorhabens in den Jahren 2010 bis 2012, die Übergabe des
Endberichtes Ende 2012 und das nachfolgende Gesetzgebungsverfahren für
ein Drittes Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes nachgekommen.
18Unabhängig davon hätten die Regelungen des Conterganstiftungsgesetzes
nicht wesentlich Ungleiches verfassungswidrig gleich behandelt. Eine Unterscheidung der Anspruchsberechtigung für die Sonderzahlung über die durch
Verwaltungsvorschrift vorgegebenen acht Stufen hinaus sei aus Gleichheitsgründen nicht geboten gewesen. Mit der unterschiedslosen Zahlung der
Höchstrente an alle Contergangeschädigten ab 45 Punkten trotz unterschiedlicher Missbildungen seien auch nach den neueren Erkenntnissen bestehende
Unterschiede nicht willkürlich nivelliert worden.
19Das Vorbringen des Klägers zu „grundlegenden Strukturfehlern“ sei - seine
Richtigkeit unterstellt - nicht geeignet, die geltend gemachten weiteren Ansprüche zu begründen.
II
20Soweit die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren einzustellen. Im Übrigen ist die Revision des Klägers
nicht begründet. Die Abweisung der auf zusätzliche Leistungen der Beklagten
gerichteten Klage durch das Verwaltungsgericht verstößt nicht gegen revisibles
Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
21Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig. Die sich aus § 134 Abs. 1 VwGO
ergebenden Formerfordernisse sind gewahrt. Namentlich durfte die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt werden (dazu Urteil vom 10. Dezember 2013 - BVerwG 1 C 1.13 -
BVerwGE 148, 297 Rn. 8).
22Die Revision ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch
auf eine Erhöhung bzw. Verdoppelung seiner laufenden Conterganrente (dazu
A.) oder deren Dynamisierung nach Maßgabe der Inflationsrate (dazu C.) noch
auf eine Verdoppelung der jährlichen Sonderzahlung (dazu B.).
23A. Für das Begehren des Klägers auf zusätzliche Rentenzahlungen fehlt es an
der erforderlichen Rechtsgrundlage. Dem Gesetz über die Conterganstiftung für
behinderte Menschen (Conterganstiftungsgesetz - ContStifG - vom 13. Oktober
2005 - BGBl I S. 2967) lässt sich ein solcher Anspruch nicht entnehmen (1.); er
folgt insbesondere auch nicht aus dem Zweck der Stiftung, den durch Contergan Geschädigten eine Unterstützung und Hilfe zu gewähren (2.). Die insoweit
abschließenden Regelungen des Conterganstiftungsgesetzes sind auch verfassungsgemäß (3.).
241. Nach den Bestimmungen des Conterganstiftungsgesetzes ergibt sich kein
Anspruch des Klägers auf zusätzliche Rentenleistungen.
25Nach § 13 Abs. 1 ContStifG steht den durch Contergan geschädigten Personen
(§ 12 ContStifG) neben einer Kapitalentschädigung, die hier nicht im Streit
steht, eine lebenslängliche Rente zu. § 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG bestimmt für
die Höhe dieser Rente, dass sie sich nach der Schwere des Körperschadens
und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen richtet. § 13
Abs. 2 Satz 2 ContStifG regelt für die monatliche Rente einen Mindest- und
einen Höchstbetrag. Nach § 13 Abs. 6 Satz 4 ContStifG wird der so gezogene
Rahmen durch Richtlinien ausgefüllt, die das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend erlässt. Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz werden grundsätzlich nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet (§ 18 Abs. 1 ContStifG; enger noch § 18 ContStifG
StHG).
26Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass der Kläger seit Errichtung der
Stiftung wegen der Schwere seines Körperschadens in die Gruppe derjenigen
Leistungsempfänger eingeordnet war, für die der Höchstbetrag der monatlichen
Rente zu gewähren war, und dass er diese Leistungen auch tatsächlich erhalten hatte. Eine weitere Erhöhung dieser Rentenleistungen oder eine Befugnis
zur Abweichung von dem durch den Gesetzgeber betragsmäßig gezogenen
Rahmen in Härte- oder Sonderfällen sieht das Conterganstiftungsgesetz nicht
vor.
272. Der Zweck der Stiftung oder allgemeine Grundsätze des Stiftungsrechts bilden keine Rechtsgrundlage für zusätzliche Leistungen, welche den gesetzlich
festgelegten Höchstbetrag überschreiten.
28Die „Conterganstiftung für behinderte Menschen“ (bis Oktober 2005: Stiftung
„Hilfswerk für behinderte Kinder“) ist eine durch Gesetz errichtete Stiftung öffentlichen Rechts, deren Zweck es u.a. ist, Leistungen an behinderte Menschen
zu erbringen (§ 2 Nr. 1 ContStifG). Diese Zweckbestimmung ist keine selbständige Anspruchsgrundlage. Der allgemeine Stiftungszweck wird durch die Regelungen des Stiftungsgesetzes zu den Leistungen wegen Contergan-Schadensfällen (§§ 11 ff. ContStifG) konkretisiert und nach der Gesetzessystematik abschließend ausgeformt. Der im Gesetz niedergelegte Stiftungszweck prägt zwar
die Auslegung und Anwendung der stiftungsgesetzlichen Regelungen, soweit
diese auslegungsbedürftig und -fähig sind. Er kann aber keinen Anspruch auf
Leistungen jenseits oder gegen die diese ausdrücklich gesetzlich regelnden
Bestimmungen begründen. Der gesetzlich bestimmte Stiftungszweck und das
der Stiftung gewidmete Vermögen bilden den Rahmen, der durch Entscheidungen zur Umsetzung des Stiftungszwecks (und durch eine geeignete Stiftungsorganisation) auszufüllen ist (vgl. Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl.
2010, § 87 Rn. 11; v. Campenhausen/Stumpf, in: v. Campenhausen/Richter,
Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2014, § 17 Rn. 5 und § 20 Rn. 1 f.). Auch der
Grundsatz der Stiftungsautonomie gestattet es bei einer Stiftung des öffentlichen Rechts den an Gesetz und Recht gebundenen (Art. 20 Abs. 3 GG) Stiftungsorganen nicht, unter Berufung auf den Stiftungszweck von den Bestimmungen des Stiftungsgesetzes abzuweichen; der mögliche Ausnahmefall der
Verfassungswidrigkeit der stiftungsgesetzlichen Regelungen liegt hier nicht vor
(s.u. 3).
29Keine andere Beurteilung rechtfertigt die Berufung des Klägers auf einen der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommenen Stiftungszweck, den durch Contergan Geschädigten eine dauerhafte und wirksame Hilfe
zu gewähren, die an Schmerzensgeldkriterien und damit an dem jeweiligen Hilfebedürftigkeitsgrad ausgerichtet sei, und die mit dem Stiftungsgesetz übernommene sozialstaatliche Verantwortung des Gesetzgebers. Allerdings hat das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des ursprünglichen Stiftungsgesetzes (Gesetz über die Errichtung einer Stiftung
„Hilfswerk für behinderte Kinder“ vom 17. Dezember 1971, BGBl I S. 2018
Ausdruck gebracht, „daß zu gegebener Zeit geprüft werden müsse, ob die Leistungen noch mit dem Ziel des Stiftungsgesetzes, den Kindern eine wirksame
und dauerhafte Hilfe zu gewähren, vereinbar seien“, und seiner Auffassung
Ausdruck verliehen, es obliege dem Gesetzgeber, „auch in Zukunft darüber zu
wachen, daß die Leistungen der Stiftung - sei es in Form von Rentenerhöhungen oder in sonstiger Weise - der übernommenen Verantwortung gerecht werden“ (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263
<311, 312>). Es handelt sich indes nicht um die Entscheidung tragende Ausführungen, welche den Stiftungszweck unabhängig von der - vom Bundesverfassungsgericht im Übrigen gebilligten - Ausgestaltung durch den Gesetzgeber mit
Rechtskraft- oder Bindungswirkung (§ 31 BVerfGG) festlegen. Sie betonen
vielmehr die allgemeine Einstandspflicht des Staates für die soziale Fürsorge
und das Gebot der sozialen Solidarität (s.a. ebd. S. 298), für die dem Gesetzgeber ein grundsätzlich weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist. Eine Verletzung von Geboten der sozialen Solidarität durch (evident) unzureichende
Leistungen an die durch Contergan Geschädigten würde einen entsprechenden
Nachbesserungsbedarf des Gesetzgebers bewirken; dieser folgte aber aus der
Verfassung und nicht aus der Nichterfüllung eines gesetzlich festgelegten Stiftungszweckes.
30Aus den stiftungsrechtlichen Erwägungen lässt sich kein Anspruch auf Rentenzahlungen ableiten, die die gesetzliche Höchstgrenze überschreiten. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, der Stiftung fehle
es an der erforderlichen Autonomie und Aufsicht, weil das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durch den Erlass der Richtlinie bestimmend auf die Leistungshöhe einwirke, oder dass die Stiftung ihre sonstigen
Aufgaben, insbesondere bei der Forschung und der Beratung, nicht ausreichend erfüllt habe. Abgesehen davon, dass das Bundesverfassungsgericht die
Grundstrukturen der Stiftungsorganisation, zu der bereits in § 14 Abs. 6 StHG
die Richtlinienbefugnis des Bundesministeriums rechnete, als verfassungsgemäß gesehen hat (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 a.a.O. <305 ff.>) und es für
grobe Versäumnisse der Stiftung an entsprechenden tatrichterlichen Feststellungen fehlt (§ 137 Abs. 2 VwGO), berechtigte dieses Vorbringen des Klägers
selbst dann, wenn es als zutreffend unterstellt würde, die beklagte Stiftung nicht
zu höheren Leistungen.
313. Die stiftungsrechtlichen Bestimmungen zur Rentenhöhe stehen im Einklang
mit dem Grundgesetz. Insbesondere sind sie mit dem Sozialstaatsprinzip
(Art. 20 Abs. 1 GG) (3.1) und dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) (3.2) vereinbar und verletzen den Kläger auch nicht in seinem Eigentumsgrundrecht
(Art. 14 Abs. 1 GG) (3.3) oder weiteren grundgesetzlich verbürgten Rechten
(3.4).
323.1 Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) des Grundgesetzes wird durch
die Festlegung einer Höchstrente durch den Gesetzgeber nicht verletzt.
333.1.1 Das Sozialstaatsprinzip begründet die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1982
- 1 BvR 848/77 u.a. - BVerfGE 59, 231) und die Mindestvoraussetzungen für ein
menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen (BVerfG, Beschluss vom
29. Mai 1990 - 1 BvL 20/86 u.a. - BVerfGE 82, 60 <80>). Die soziale Hilfe für
die Mitbürger, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung gehindert und außerstande sind, sich selbst zu
unterhalten, gehört zu den selbstverständlichen Pflichten des Sozialstaates.
Dem Gesetzgeber steht ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum
zu, ob und in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden
kann und soll (BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 1975 - 1 BvL 4/74 - BVerfGE
40, 121 <133>). Bei Verwirklichung seines Schutzauftrages, durch soziale Hilfen wegen körperlicher Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung gehinderte Menschen soweit als möglich in die Gesellschaft einzugliedern,
ihre angemessene Betreuung in der Familie oder durch Dritte zu fördern sowie
die notwendigen Pflegeeinrichtungen zu schaffen, liegt es indes grundsätzlich in
der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den ihm geeignet erscheinenden
Weg zu bestimmen. Er hat zu entscheiden, inwieweit er die erforderliche Hilfe
durch besondere Leistungssysteme des sozialen Entschädigungsrechts, über
Versicherungsleistungen oder durch Fürsorgeleistungen gewährleistet (BVerfG,
Beschluss vom 18. Juni 1975 a.a.O.).
34Höhe und Zusammensetzung der Stiftungsleistungen sind allerdings nicht an
dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1
i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG; dazu BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09
u.a. - BVerfGE 125, 175; vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BVL 2/11 -
BVerfGE 132, 134) zu messen. Als besondere Leistungen der sozialen Entschädigung haben sie nicht die Funktion, den notwendigen Lebensunterhalt für
Personen sicherzustellen, die hierzu nicht aus eigenen Kräften und Mitteln in
der Lage sind. Sie stehen neben der Grundsicherung, haben nicht in erster Linie Versorgungscharakter und gewähren insoweit Zusatzleistungen (BVerfG,
Urteil vom 8. Juli 1976 a.a.O. <311>). Bei der Ermittlung von Einkommen und
Vermögen bei der Existenzsicherung dienenden Leistungen, insbesondere den
Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. jenen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende (SGB II) oder der Sozialhilfe (SGB XII), blieben die monatlichen Rentenzahlungen bis zum 30. Juni 2008 in Höhe der Grundrente nach
dem Bundesversorgungsgesetz (§ 21 Abs. 2 Satz 2 StHG; § 18 Abs. 1 Satz 2
ContStifG
ContStifG
35In seinem Beschluss zum Ersten und Zweiten Conterganstiftungsänderungsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar
2010 - 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 20) die Grundsätze, an
denen eine etwa unzureichende gesetzliche Schutzgewähr zu messen ist, wie
folgt zusammengefasst:
„Nur in seltenen Ausnahmefällen lassen sich der Verfassung konkrete Pflichten entnehmen, die den Gesetzgeber zu einem bestimmten Tätigwerden zwingen. Ansonsten bleibt die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts dem Gesetzgeber überlassen. Ihm kommt ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 77, 170 <214>; 79, 174 <202>; 88, 203 <262>; 96, 56 <64>; 106, 166 <177>; 121, 317 <356>). Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip der Verantwortung des vom Volk unmittelbar legitimierten Gesetzgebers muss dieser die regelmäßig höchst komplexe Frage entscheiden, wie eine aus der Verfassung herzuleitende Schutzpflicht verwirklicht werden soll (vgl. BVerfGE 56, 54 <81>). Die Entscheidung, welche Maßnahmen geboten sind, kann vom Bundesverfassungsgericht nur begrenzt nachgeprüft werden. Das Bundesverfassungsgericht kann erst dann eingreifen, wenn der Gesetzgeber seine Pflicht evident verletzt hat (vgl. BVerfGE 56, 54, <80 f.>; 77, 170 <214 f.>; 79, 174 <202>; 85, 191 <212>; 92, 26 <46>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Mai 1998 - 1 BvR 180/88 -; NJW 1998, S. 3264 ff.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 2009 - 1 BvR 1606/08 -, juris, Rn. 12). Einen Verfassungsverstoß durch unterlassene Nachbesserung eines Gesetzes kann das Bundesverfassungsgericht insbesondere erst dann feststellen, wenn evident ist, dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung wegen zwischenzeitlicher Änderung der Verhältnisse verfassungsrechtlich untragbar geworden ist, und wenn der Gesetzgeber gleichwohl weiterhin untätig geblieben ist oder offensichtlich fehlsame Nachbesserungsmaßnahmen getroffen hat (vgl. BVerfGE 56, 54 <81 f.>).“
36Dem folgt der erkennende Senat. Dem Gesetzgeber ist weiterhin ein hinreichender Zeitraum zur Anpassung seiner Regelungen an eine sich verändernde
Sachlage unter vorheriger Aufklärung von Art und Umfang des Anpassungsbedarfs zuzubilligen (s. nur BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 -
BVerfGE 95, 335 <405>; Beschluss vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 1904/95
u.a. - BVerfGE 101, 331 <350 f.>).
373.1.2 Nach diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass das Leistungssystem des Conterganstiftungsgesetzes bis zum 31. Dezember 2012 verfassungswidrig gewesen ist.
38Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75 u.a. -
BVerfGE 42, 263) hatte das Leistungssystem des ursprünglichen Stiftungserrichtungsgesetzes als verfassungsgemäß bestätigt und dabei auch die Gleichbehandlung aller geschädigten Personen mit einer Schädigung, die mit mehr
als 45 Punkten bewertet worden war, trotz unterschiedlicher Schädigung und
das Fehlen einer gesetzlichen Bestimmung zur Dynamisierung der monatlichen
Renten verfassungsrechtlich nicht beanstandet (ebd. 309, 311). Es lässt sich
nicht feststellen, dass der Gesetzgeber in der Folgezeit untätig geblieben ist
oder offensichtlich fehlsame Nachbesserungsmaßnahmen getroffen hat, obwohl
die ursprünglich verfassungsgemäße Regelung wegen der zwischenzeitlichen
Veränderung der Verhältnisse verfassungsrechtlich untragbar geworden und
dies auch evident gewesen ist.
393.1.2.1 Der Gesetzgeber ist bis zur Neufassung des Errichtungsgesetzes durch
das Conterganstiftungsgesetz im Jahr 2005 nicht untätig geblieben. Er hat in
insgesamt neun Änderungsgesetzen zum Stiftungsgesetz die Rentenmindestund -höchstwerte linear erhöht (vor 2005 zuletzt durch das Neunte Gesetz zur
Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ vom 21. Juni 2002, BGBl I S. 2190). Auch soweit hierdurch
- bezogen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes - kein vollständiger Ausgleich der gestiegenen Lebenshaltungskosten herbeigeführt worden
sein sollte und die Erhöhungen erst nachträglich bewirkt wurden, ist weder eine
faktische Entwertung der monatlichen Rentenzahlungen noch sonst eine unzureichende Anpassung festzustellen. Den Materialien zu dem Conterganstiftungsgesetz (BTDrucks 15/5654
15/5851
eine qualitativ oder quantitativ erheblich veränderte Bedarfslage der durch Contergan Geschädigten entnehmen, die den Gesetzgeber hätten veranlassen
müssen, substantielle Leistungsverbesserungen zu erwägen.
403.1.2.2 Eine sozialstaatswidrige Unterversorgung insbesondere der Gruppe der
durch Contergan Schwerstgeschädigten, der auch der Kläger angehört, ist auch
nicht durch den Dokumentarfilm „Contergan: Die Eltern“ und das hierzu erschienene Begleitbuch hervorgetreten. Hierdurch mag zwar - auch dies hat das
Verwaltungsgericht tatrichterlich nicht festgestellt - evident geworden sein, dass
sich die Lebenslagen der Betroffenen, ihre Chancen zur Teilhabe in Beruf, Gesellschaft und Privatbereich und die Einschränkungen durch schädigungsbedingte Funktionseinbußen je nach der Körperschädigung teils nachhaltig unterschieden haben und die Annahme (auch) des Bundesverfassungsgerichts zumindest relativierungsbedürftig geworden war, ab einer mit 45 Punkten und
mehr bewerteten Schädigung würden die Betroffenen „sich ohne ständige
fremde Hilfe im Leben nicht … behaupten können“ (BVerfG, Urteil vom 8. Juli
1976 - 1 BvL 19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263 <309>). Der sozialgestaltende Gesetzgeber hätte in Bezug auf den gesetzlichen Rentenrahmen aber nur und erst
dann tätig werden müssen, wenn hierdurch zumindest für die schwerstgeschädigten Personen auch eine sozialstaatswidrige Unterversorgung hervorgetreten
wäre, weil die Zusatzbelastungen nicht oder nicht hinreichend durch Leistungen
etwa der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung oder der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ausgeglichen wurden. Hierfür fehlt jeder
Anhalt. Der Kläger selbst hatte Mitte 2004 sein (nicht beziffertes) Begehren
nach Rentenerhöhung, Zusatzrente oder einmalige nachträgliche weitere Kapitalentschädigung nicht mit einer sozialstaatswidrigen Unterversorgung, sondern
damit begründet, dass die Schwerstgeschädigten (ab 80 Punkten) wegen ihrer
schweren Situation im Vergleich zu den weniger Geschädigten zu geringe Leistungen erhielten, den weniger Geschädigten im Bereich von 45 bis 80 Punkten
aber aus Besitzstandsgründen die Renten nicht genommen werden könnten.
41Auch sonst lässt sich in diesem Zeitraum weder den allgemeinkundigen Quellen
noch - ihre revisionsrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit unterstellt - den vom
Kläger beigebrachten oder benannten Unterlagen und Quellen (z.B. W. Freitag,
Contergan. Eine genealogische Studie des Zusammenhangs wissenschaftlicher
Diskurse und biographischer Erfahrungen, 2005; Zichner/Rauschmann/Thomann
entnehmen, dass die durch Contergan Geschädigten insgesamt oder doch bestimmte Teilgruppen, z.B. die Schwerst- und Mehrfachgeschädigten, auch im
Zusammenwirken der verschiedenen sozialstaatlichen Hilfesysteme in einem
Umfange von sozialstaatlich gebotenen Hilfeleistungen abgeschnitten gewesen
wären, dass der Gesetzgeber des Conterganstiftungsgesetzes umgehend hätte
tätig werden müssen. Im Lichte neuerer Erkenntnisse, insbesondere der Studie
der Universität Heidelberg (Institut für Gerontologie der Ruprecht Karls Universität Heidelberg, Contergan. Wiederholt durchzuführende Befragungen zu Problemen, speziellen Bedarfen und Versorgungsdefiziten von contergangeschädigten Menschen. Endbericht an die Conterganstiftung für behinderte Menschen, 2012) mag allenfalls im Rückblick anzunehmen sein, dass bei einer genaueren Betrachtung der sozialen, insbesondere beruflichen und gesundheitlichen Situation der durch Contergan Geschädigten eine bestehende bzw. sich
abzeichnende Unterversorgung früher hätte erkannt werden können. Auch dies
ist indes nicht evident.
423.1.2.3 Der Gesetzgeber hat auf den Erkenntnisfortschritt in den Folgejahren,
aber auch die öffentliche Thematisierung der Verantwortung der Firma
Grünenthal GmbH durch einen im November 2007 ausgestrahlten Fernsehfilm
mit einer Verdoppelung der Mindest- und Höchstwerte für die monatliche Rente
zum 1. Juli 2008 reagiert (Erstes Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2008, BGBl I S. 1078). Der Gesetzentwurf der seinerzeitigen Koalitionsfraktionen (BTDrucks 16/8743 S. 4) begründete diese Verdoppelung damit, dass diese „(a)ngesichts des Umfangs der Beeinträchtigung der Betroffenen insbesondere durch die Folge- und Spätschäden, die weder durch die
Leistungen der Conterganstiftung noch durch ergänzende Sozialgesetze
ausreichend abgefangen werden können (z.B. Haushaltshilfe, vorzeitiges Aus-
scheiden aus dem Erwerbsleben, Renteneinbußen usw.)“, sachgerecht und
begründet sei, nachdem der vorangehende Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 16/8653) noch lediglich eine moderate Erhöhung der Conterganrente mit Rücksicht auf die Entwicklung der Lebenshaltungskosten und der
Nettoeinkommen um linear 5 v.H. vorgesehen hatte. Auch dem Koalitionsentwurf lag aber keine Bedarfsanalyse zugrunde, aus der die Leistungserhöhung
nach Struktur, Art und Höhe gezielt abgeleitet worden wäre; sie lässt sich auch
nicht den Stellungnahmen der Sachverständigen in der im zeitlichen Umfeld
dieses Gesetzentwurfes durchgeführten Anhörung entnehmen (Deutscher Bundestag - Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend -, Protokoll
Nr. 16/57 der öffentlichen Anhörung vom 28. Mai 2008 zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD „Angemessene und zukunftsorientierte finanzielle Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen“, BTDrucks 16/8754,
und zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Für einen umfassenden Ansatz beim Umgang mit den Folgen des Contergan-Medizinskandals“,
BTDrucks 16/8748). Beide Gesetzentwürfe zielten ausweislich ihrer Begründung auch nicht auf die Beseitigung oder Abwendung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Unterversorgungslage; Ziel war die Ausfüllung sozialstaatlicher Verantwortung für die durch Contergan Geschädigten. Gegen eine evidente Unterschreitung seiner sozialstaatlichen Schutzpflichten durch den Gesetzgeber streitet auch der zu diesem Gesetz ergangene Nichtannahmebeschluss
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2010
- 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943).
43Die Einführung einer jährlichen Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009
gewährt worden ist (Zweites Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 25. Juni 2009, BGBl I S. 1534), weist ebenfalls nicht auf eine (evidente) verfassungsrechtlich bedenkliche, sozialstaatswidrige Unterversorgung.
Diese Sonderzahlung, für die die Mittel aus einer freiwilligen Zahlung der Firma
Grünenthal GmbH zur Verbesserung der Lebenssituation der contergangeschädigten Menschen in Höhe von 50 Mio. € sowie Mittel in gleicher Höhe aus
dem Kapitalstock der Stiftung stammen, dient der Verbesserung der Lebenssituation der Geschädigten und soll die besonderen Bedarfe der contergangeschädigten Menschen abdecken (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD, BTDrucks 16/12413 S. 1, 7). Die Begründung des Gesetzentwurfes
geht zwar davon aus, dass die Lebenssituation der contergangeschädigten
Menschen zunehmend durch die sehr schmerzhaften Auswirkungen ihrer Behinderung sowie die Spät- und Folgeschäden geprägt und ihre Lebensqualität
erheblich gefährdet oder eingeschränkt sei (BTDrucks 12/12413 S. 7). Die Bedarfe, welche durch die jährliche Sonderzahlung (ganz oder teilweise) gedeckt
werden sollen, werden aber nach Art oder Höhe nicht bezeichnet; dies hindert
Rückschlüsse auf eine (evidente) Unterversorgung. Die durch das Zweite Änderungsgesetz eingeführte Dynamisierung der monatlichen finanziellen Unterstützung nach Maßgabe der Entwicklung der gesetzlichen Renten sieht der Gesetzentwurf ebenfalls lediglich als sinnvoll und systemgerecht, nicht aber zur
Abwendung eines Verfassungsverstoßes als geboten (BTDrucks 16/12413
S. 11).
443.1.2.4 Auch die Ergebnisse einer im Januar 2012 vorgelegten, im Auftrag der
Beklagten erstellten Internationalen Studie zu Leistungen und Ansprüchen thalidomidgeschädigter Menschen in 21 Ländern (erstellt durch die Rechtsanwaltskanzlei DLA Pieper) mussten den Gesetzgeber nicht zum Tätigwerden veranlassen. Art und Höhe der jeweils gewährten Leistungen in anderen Ländern und
ihre Einbettung in das allgemeine Leistungssystem sind derart heterogen, dass
es bereits schwerfällt, die von der Studie angestrebte Vergleichbarkeit mit den
entsprechenden Leistungen in Deutschland herzustellen. Auch soweit in anderen Ländern den Geschädigten in der Gesamtschau aller Sicherungssysteme
nominal höhere Leistungen gewährt worden sein sollten, würde dies für sich
allein zudem nicht den Schluss rechtfertigen, dass in der Bundesrepublik
Deutschland die verfassungsrechtlich geforderte Grundversorgung nicht gewährleistet (gewesen) sei.
453.1.2.5 Art und Umfang der Leistungsverbesserungen, die der Gesetzgeber
- teils rückwirkend zum 1. Januar 2013 - mit dem Dritten Gesetz zur Änderung
des Conterganstiftungsgesetzes (Gesetz vom 26. Juni 2013, BGBl I S. 1847)
u.a. durch die deutliche Erhöhung der Rentenobergrenze und die Einführung
von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe bewirkt hat, weisen nicht darauf, dass Veränderungen in der Lebenssituation der contergangeschädigten
Menschen und veränderte Hilfebedarfe den Gesetzgeber zu einem (deutlich)
früheren Zeitpunkt zum Handeln hätten veranlassen müssen.
46Mit den Leistungsverbesserungen hat der Gesetzgeber auf den Erkenntnisfortschritt reagiert, der sich durch die Ergebnisse der vom Institut für Gerontologie
der Universität Heidelberg durchgeführten Studie „Wiederholt durchzuführende
Befragungen zu Problemen, speziellen Bedarfen und Versorgungsdefiziten von
contergangeschädigten Menschen“ ergeben hat. Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP (BTDrucks 17/12678 S. 1) geht - gestützt
auf die Ergebnisse dieser Studie - davon aus, dass die Lebenssituation der contergangeschädigten Menschen durch die sehr schmerzhaften Auswirkungen
ihrer Behinderung mit Folge- und Spätschäden geprägt sei und dringender
Handlungsbedarf für die Sicherstellung einer angemessenen und zukunftsorientierten Unterstützung der älter werdenden Betroffenen bestehe. Der Gesetzentwurf greift damit die sozialpolitischen, auf eine Verbesserung bzw. Optimierung der Versorgung und Unterstützung zielenden Handlungsempfehlungen
des Gutachtens auf. Der Endbericht des Gutachtens selbst enthält sich verfassungsrechtlicher Bewertungen und in Bezug auf die Quantifizierung zusätzlicher
Leistungen eindeutiger Aussagen; dies gilt auch für den im Frühjahr 2012 vorgelegten „Zusammenfassenden Bericht über die ersten Untersuchungsergebnisse und Ableitung erster Handlungsempfehlungen“, der allerdings Angaben
zu ungedeckten finanziellen Belastungen in verschiedenen Bedarfsbereichen
mit teils erheblicher Schwankungsbreite enthält. In dem Gesetzentwurf finden
sich indes keine hinreichenden Hinweise, dass die vorgenommenen Änderungen vom Gesetzgeber nach Art und Umfang als erforderlich angesehen worden
sind, um einen Verfassungsverstoß abzuwenden. Der Gesetzentwurf weist
- ebenfalls im Anschluss an die Ergebnisse des Gutachtens - darauf hin, dass in
den letzten fünf Jahren bei den Folgeschäden als Folge der Abnutzungserscheinungen und Veränderungen des Bewegungsapparates erhebliche Verschlechterungen eingetreten seien. Die deutliche Verschlechterung der gesundheitlichen Lage der durch Contergan Geschädigten gerade in den letzten
Jahren, die auch in dem Gutachten selbst mehrfach betont wird, spricht dagegen, die Ergebnisse des Gutachtens in vollem Umfang auch auf die Vergangenheit zu beziehen.
47Der Gesetzgeber selbst hat auch dadurch, dass er sich einen Vorstoß zu einer
Erhöhung der monatlichen Rentenleistungen rückwirkend zum 1. Januar 2012
(Antrag der Fraktion Die Linke „Lebenssituation der durch Contergan geschädigten Menschen mit einem Dritten Conterganstiftungsänderungsgesetz und
weiteren Maßnahmen spürbar verbessern“ vom 17. Oktober 2010, BTDrucks
17/11041 S. 2) nicht zu eigen gemacht hat (Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 24. April 2013,
BTDrucks 17/13279 S. 3), zu erkennen gegeben, dass jedenfalls er keinen - gar
verfassungsrechtlichen - Anpassungsbedarf auch für die Vergangenheit zu erkennen vermochte. Dies ist nach der Erkenntnislage verfassungsrechtlich auch
nicht zu beanstanden. Dass ein entsprechender Erhöhungs- und Anpassungsbedarf für die Vergangenheit sich dem Gesetzgeber als evident hätte aufdrängen müssen, ergibt sich namentlich auch nicht aus dem Endbericht des Gutachtens bzw. dem Zwischenbericht; beide enthalten ungeachtet klarer Erkenntnisse
zu bestehenden Unterversorgungslagen auch Differenzierungen, die einen
Rückbezug der Erkenntnisse auf vergangene Zeiträume, insbesondere auch
auf die Zeit ab 2004, ausschließen.
48Nicht festzustellen ist, dass der Gesetzgeber sich ohne Weiteres zugänglichen
Erkenntnisquellen zur Lage der durch Contergan Geschädigten verschlossen
oder die erforderlichen Untersuchungen in verfassungsrechtlich bedenklicher
Weise verzögert hätte. Der Bundestag hatte allerdings bereits im Januar 2009
die Bundesregierung aufgefordert, einen Forschungsauftrag zu vergeben, der
bestehende Versorgungsdefizite und künftige Unterstützungsbedarfe contergangeschädigter Menschen untersucht (BTDrucks 16/11223
sicherstellen“>; BTProt 16/200 vom 22. Januar 2009 S. 21677
Antrages>), und damit weiteren Klärungsbedarf zu erkennen gegeben. Zwischen diesem Beschluss und der Vorlage der Endfassung des erst Mitte 2010
in Auftrag gegebenen Gutachtens lagen nahezu vier Jahre. Diese Dauer ist verfassungsrechtlich aber bereits angesichts der Komplexität und des Umfanges
des Untersuchungsauftrages im Ergebnis nicht zu beanstanden, zumal der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgehen durfte, dass angesichts der grund-
sätzlichen Absicherung durch Contergan geschädigter Personen auch durch die
allgemeinen Systeme der sozialen Sicherung substantielle Betreuungs- und
Versorgungslücken jedenfalls nicht in einem Umfang bestanden, der nach der
Verdoppelung der laufenden Conterganrenten zum 1. Juli 2008 eine deutliche
Beschleunigung gefordert hätte.
493.2 Die gesetzliche Höchstgrenze für die laufende Rentenzahlung verstößt auch
nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
503.2.1 Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1998 - 1 BvR 1554/89 u.a. - BVerfGE
98, 365 <385>). Er ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten
oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird,
obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (stRspr, BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -
BVerfGE 129, 49 <68 f.>). Dies gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch
für ungleiche Begünstigungen (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 BvR
611, 2464/07 - BVerfGE 126, 400 <416>). Der allgemeine Gleichheitssatz enthält indes kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Ordnungsbereichen mit anderen systematischen und sozialgeschichtlichen Zusammenhängen gleich zu regeln (BVerfG, Beschluss vom
26. Februar 2010 - 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943).
513.2.2 Nach diesem Maßstab scheidet eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG
durch die gesetzliche Rentenobergrenze (§ 13 Abs. 2 ContStifG) im Verhältnis
zu den Leistungen anderer Regelungen des sozialen Entschädigungsrechts
aus. Der sozialstaatliche Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers umfasst jenseits
der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums grundsätzlich auch
die Entscheidung, an welche tatsächlichen Verhältnisse er Rechtsfolgen knüpft,
wie er von Rechts wegen zu begünstigende Personengruppen definiert und in
welchem Umfang er Leistungen