Urteil des BVerwG vom 19.06.2014

Stiftungszweck, Vergleich, Firma, Familie

Sachgebiet:
Sachen, die nicht einem anderen Senat zugewiesen sind
BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebietsergänzung:
Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz
Rechtsquelle/n:
BVerfGG § 31
ContStifG §§ 1, 2, 4, 11 ff., § 18 Abs. 1
GG Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1,
Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 7
VwGO § 134
Titelzeile:
Ausgestaltung und Bemessung der Leistungen der
Conterganstiftung für die Jahre 2004 bis 2012
Stichwort/e:
Anpassungspflicht Gesetzgeber; Contergangeschädigte; Conterganrente;
Conterganstiftung; Eigentumsgarantie; Entschädigung; soziale -; Entscheidungs-
und Gestaltungsspielraum Gesetzgeber; Fürsorge; staatliche -;
Gleichbehandlungsgebot; Gleichheitssatz; Grundrecht auf ein menschenwürdiges
Existenzminimum; Leistungsrichtlinien; Nachbesserungsmaßnahmen
Gesetzgeber; Sonderzahlung; jährliche -; Sozialstaatsprinzip; Stiftung Hilfswerk
für behinderte Kinder; Stiftung; öffentlich-rechtliche -; Stiftungsautonomie;
Stiftungsaufsicht; Stiftungszweck; Untermaßverbot; Unterversorgung;
sozialstaatswidrige -.
Leitsatz/-sätze:
Über den durch das Conterganstiftungsgesetz bestimmten Rahmen hinaus
haben auch die durch Contergan besonders schwer geschädigten Personen
keinen Anspruch auf Erhöhung der Leistungen für den Zeitraum 2004 bis 2012.
Ausgestaltung und Bemessung der gesetzlichen Leistungen für diesen Zeitraum
sind mit dem Grundgesetz vereinbar (im Anschluss an BVerfG, Urteil vom 8. Juli
1976 - 1 BvL 19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263; Beschluss vom 26. Februar 2010
- 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943).
Urteil des 10. Senats vom 19. Juni 2014 - BVerwG 10 C 1.14
I. VG Köln vom 17. Januar 2013
Az: VG 26 K 4264/11
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 C 1.14
VG 26 K 4264/11
Verkündet
am 19. Juni 2014
Thiele
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
für Recht erkannt:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache
übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Ver-
fahren eingestellt. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungs-
gerichts Köln vom 17. Januar 2013 wirkungslos.
Im Übrigen wird die Revision des Klägers gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 17. Januar 2013 zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten, soweit das Verfahren einge-
stellt worden ist, sowie die weiteren Kosten des Revi-
sionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Conterganstiftung für vergangene Zeit-
räume höhere Leistungen (laufende Rentenzahlung; jährliche Sonderzahlung)
als nach dem Conterganstiftungsgesetz (ContStifG) vorgesehen; der Sache
nach steht auch die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes bzw. dessen Vor-
gängerregelung, des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für
behinderte Kinder“ im Streit.
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1. Der 1961 geborene Kläger kam mit Fehlbildungen an allen vier Gliedmaßen
(sog. Dysmelie) und Schädigungen an inneren Organen zur Welt; in der Folge-
zeit zeigten sich weitere Schäden, u.a. Arterienanomalien. Seine Mutter hatte
während der Schwangerschaft das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan
eingenommen. Der in diesem von der Firma Grünenthal GmbH vertriebenen,
rezeptfrei erhältlichen Medikament enthaltene Wirkstoff Thalidomid führte bei
Einnahme während der Schwangerschaft zu schweren und irreversiblen vorge-
burtlichen Schäden. Art und Umfang der Schädigung hingen vor allem vom
Stadium der Schwangerschaft bei Einnahme des Mittels ab. Zwischen dem
1. Halbjahr 1958 und dem 2. Halbjahr 1962 kamen so weltweit etwa 10 000
contergangeschädigte Kinder zur Welt, die Hälfte davon in Deutschland, von
denen heute noch etwa 2 600 Personen im Bundesgebiet leben.
Im April 1970 verpflichtete sich die Firma Grünenthal GmbH in einem Vertrag,
„zur vergleichsweisen Regelung aller denkbaren Ansprüche, die von Kindern
und deren Eltern wegen Fehlbildungen des Kindes gegen die Chemie
Grünenthal GmbH ... geltend gemacht werden können“, 100 Mio. DM zu zahlen,
sofern die Eltern auf alle weiteren Ansprüche ihres Kindes gegen die Firma
Grünenthal GmbH verzichteten. Der Vergleich gelangte indes nicht zur Durch-
führung. Um den Geschädigten eine schnelle und wirksame finanzielle Hilfe zur
Verfügung zu stellen, errichtete der Gesetzgeber durch das „Gesetz über die
Errichtung einer Stiftung ‚Hilfswerk für behinderte Kinder‘“ (StHG) vom 17. De-
zember 1971 (BGBl I S. 2018) eine Stiftung zur Erbringung von Leistungen an
Contergangeschädigte und Förderungsmaßnahmen zur Eingliederung von Be-
hinderten, vor allem solchen unter 21 Jahren, in die Gesellschaft (§ 2 StHG), in
die neben dem Vergleichsbetrag von 100 Mio. DM ein Betrag in gleicher Höhe
aus Haushaltsmitteln eingebracht wurde. Die Leistungen in Contergan-
Schadensfällen bestanden aus einer Einmalzahlung sowie aus laufenden Ren-
tenzahlungen, die unter bestimmten Voraussetzungen kapitalisiert werden
konnten. Die Höhe der Leistungen richtete sich in dem durch das Gesetz gezo-
genen finanziellen Rahmen nach der Schwere des Körperschadens und der
hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen. Die Einzelheiten, insbe-
sondere die Maßstäbe der Leistungsbemessung sind durch vom Bundesminis-
terium für Jugend, Familie und Gesundheit zu erlassende Richtlinien zu regeln.
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Nach den in der Folgezeit erlassenen Richtlinien wurden die Körperschäden
nach einem Punktesystem bewertet; die gesetzliche Höchstrente wurde ab
einer Bewertung der Schädigung mit 45 (von 100) Punkten gezahlt. Alle An-
sprüche gegen die Firma Grünenthal GmbH erlöschen (§ 23 Abs. 1 StHG).
Die Mutter des Klägers widersprach in der Folgezeit der Einbringung des Gel-
des aus dem mit der Firma Grünenthal GmbH geschlossenen Vergleich in die
Stiftung und beantragte die Auszahlung des anteiligen Betrages für den Kläger;
zugleich begehrte sie Kapitalentschädigung und Rente aus den staatlicherseits
eingebrachten Mitteln. Die auf Auszahlung der Vergleichssumme gerichtete
Klage blieb erfolglos. Der Bundesgerichtshof entschied, dass die Entschädi-
gungsansprüche contergangeschädigter Kinder aus dem mit der Firma
Grünenthal GmbH geschlossenen Vergleich durch Leistungsansprüche aus
dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“
ersetzt worden seien und diese Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Die (auch) von dem Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde wies das Bun-
desverfassungsgericht als unbegründet zurück (Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL
19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263). Die Umgestaltung der privatrechtlichen Ansprü-
che aus dem Vergleich in gesetzliche Leistungsansprüche unter Überführung
der Vergleichssumme in das Stiftungsvermögen sei verfassungsgemäß; auch
sei die inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Vorschriften des Stiftungsgeset-
zes, soweit sie zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt worden seien, ver-
fassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Stiftungsgesetz wurde in der Folgezeit mehrfach geändert. Die ersten Än-
derungsgesetze beschränkten sich im Kern darauf, die laufenden Contergan-
renten mit Blick auf den Anstieg der Lebenshaltungskosten und die Entwicklung
der Nettoeinkommen linear zu erhöhen. Durch das Gesetz über die Conter-
ganstiftung für behinderte Menschen (Conterganstiftungsgesetz - ContStifG -
vom 13. Oktober 2005, BGBl I S. 2967) wurde u.a. die Stiftung umbenannt in
„Conterganstiftung für behinderte Menschen“ und der Stiftungszweck auf die
Leistungserbringung und Hilfe an diesen Personenkreis beschränkt. Durch das
Erste Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2008
(BGBl I S. 1078) wurden die monatlichen Conterganrenten verdoppelt und der
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Höchstbetrag auf nunmehr 1 090 € monatlich festgesetzt. Das Zweite Gesetz
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 25. Juni 2009 (BGBl I
S. 1534) konkretisierte u.a. den Stiftungszweck dahin, dass auch die Hilfestel-
lung durch Förderung von Forschungs- und Erprobungsvorhaben nur den durch
Contergan geschädigten Menschen zugute kommen solle, führte eine nach der
Schwere der Schädigung gestaffelte jährliche Sonderzahlung ein, deren
Höchstbetrag nach den Leistungsrichtlinien 3 680 € jährlich beträgt, und koppel-
te die Erhöhung der monatlichen Conterganrente an die Rentenanpassungen in
der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Zusammenhang mit dieser Gesetzes-
änderung wurden die Richtlinien für die Gewährung von Leistungen wegen
Contergan-Schadensfällen neu gefasst. Verfassungsbeschwerden gegen das
Erste und das Zweite Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes mit
dem Ziel der Erhöhung der Leistungen nahm das Bundesverfassungsgericht
(Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943)
nicht zur Entscheidung an.
Durch das erst während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Dritte Ge-
setz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl I
S. 1847) wurden zum 1. Januar 2013 die monatlichen Conterganrenten nahezu
verfünffacht, und zwar auf einen Höchstbetrag von 6 912 € monatlich, Leistun-
gen zur Deckung spezifischer Bedarfe eingeführt, für die Mittel in Höhe von bis
zu 30 Mio. € jährlich bereitgestellt wurden. Weiterhin wurde der sozialhilferecht-
liche Übergang von Unterhaltsansprüchen der leistungsberechtigten Person
sowie der Einsatz von Vermögen beschränkt.
2. Dem Kläger, dessen Fehlbildungen mit zunächst 85,94 (20. April 1974), dann
mit 89,56 (Bescheid vom 16. Juni 1981) und zuletzt mit 97,39 Punkten (Be-
scheid vom 4. November 2010) bewertet wurden, wurde neben der Kapitalent-
schädigung eine monatliche Rente in Höhe des jeweiligen gesetzlichen Höchst-
betrages gezahlt.
Unter Bezugnahme auf den Ende 2003 verbreiteten Dokumentarfilm „Conter-
gan: Die Eltern“ wandte sich die Mutter des Klägers mit Schreiben vom 22. Juni
2004 erstmals an das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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und beanstandete eine unzureichende Differenzierung zwischen Schwerstge-
schädigten und weiteren Geschädigten, mahnte die Orientierung der Leistun-
gen an der Bemessung von Schmerzensgeld an und forderte eine Nachbesse-
rung der Leistungen an die Schwerstgeschädigten. Gegen einen Bescheid der
Stiftung vom 4. November 2010, durch den der Grad der Schädigung auf
97,39 Punkte festgestellt worden war, legte der Kläger am 7. Dezember 2010
Widerspruch ein, soweit durch diesen Bescheid die monatliche Rente und die
jährliche Sonderzahlung nicht erhöht worden waren, und beantragte in der Fol-
gezeit u.a. eine Verdoppelung seiner Rentenzahlung sowie der jährlichen Son-
derzahlung, eine Dynamisierung der Rente in Abhängigkeit von der Inflationsra-
te sowie die Feststellung, dass diese bei der Inanspruchnahme von Sozialleis-
tungen anrechnungsfrei bleiben solle.
Zur Begründung machte er insbesondere geltend, dass die undifferenzierte
Zahlung der Höchstrente an alle Contergangeschädigten mit einer Schädigung,
die mit 45 Punkten und mehr bewertet worden sei, rechtswidrig sei. Spätestens
seit dem Film „Contergan: Die Eltern“ sei bekannt, dass sich die Lebenssitua-
tion der Contergangeschädigten mit einer Bepunktung bis zu 79,99 fundamental
von der Lebens- und Hilfebedarfssituation der schwerst- und insbesondere vier-
fach Contergangeschädigten unterscheide und daher eine weitere Differenzie-
rung vorgenommen werden müsse. Die undifferenzierte Leistungsgewährung
widerspreche insbesondere der Verteilung der Leistungen nach Schmerzens-
geldkriterien. Der Anspruch auf Leistungserhöhung folge aus dem Stiftungs-
zweck der Beklagten, eine dauerhafte, wirksame Hilfe auf Lebenszeit zu ge-
währleisten sowie die Contergangeschädigten gegenüber dem Vergleich mit
der Firma Grünenthal GmbH besserzustellen. Für die Schwerstgeschädigten ab
80 Punkten sei dieser Stiftungszweck nicht erreicht worden; er - der Kläger - ha-
be vielmehr von der Stiftung weniger an Leistungen erhalten als er bei einer
Einmalzahlung aus dem mit der Firma Grünenthal GmbH geschlossenen Ver-
gleich hätte erwirtschaften können.
Undifferenziert und daher willkürlich sei auch die Bemessung der jährlichen
Sonderzahlungen, welche der Linderung von Folge- und Spätschäden dienen
sollten, die bei den einzelnen Geschädigtengruppen durchaus unterschiedlich
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ausfielen. Die Leistungen bewirkten keinen Ausgleich für die Vielzahl der Beein-
trächtigungen in allen Lebensbereichen; durch die Zahlungen einschließlich der
Leistungen der gesetzlichen Pflegegeldzahlungen sei gerade an der untersten
Grenze sichergestellt, dass Pflege und Betreuung einschließlich der Haushalts-
führung durch einen fremden Dritten finanzierbar seien. Der Kläger kritisierte
weiterhin, dass die Richtlinienkompetenz für die Umsetzung des Stiftungszwe-
ckes stiftungsrechtswidrig bei der ministerialen Aufsichtsbehörde und nicht bei
der Beklagten selbst liege; damit fungiere die Aufsichtsbehörde quasi selbst als
Stiftung.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni
2011 als unbegründet zurück, weil allein eine Erhöhung der finanziellen Leis-
tungen über das in den Stiftungsrichtlinien vorgeschriebene Maß hinaus er-
strebt werde, wofür nach der Gesetzeslage kein Raum bestehe.
3. Der Kläger hat am 2. August 2011 Klage gegen die Beklagte und die Bun-
desrepublik Deutschland erhoben, mit der er seine Begehren aus dem Verwal-
tungsverfahren weiterverfolgt hat. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus
dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Stiftungsrechtswidrig gebe
das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der hiernach
nicht wirklich autonomen Beklagten Anweisung, eine ausgehend vom Stiftungs-
zweck zu geringe Leistung auszubezahlen. Der Stiftungszweck könne nicht
durch Richtlinien als Verwaltungsanweisungen eingeengt werden. Wegen der
undifferenzierten Leistungsgewährung hätten die Schwerstgeschädigten die
weniger Geschädigten, die gleichwohl die Höchstrente erhalten hätten, aus
ihrem Anteil mitfinanziert; dies verstoße gegen Art. 3 und 14 GG.
Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren hinsichtlich der geltend gemachten
Schadensersatzforderungen abgetrennt und auf den ordentlichen Rechtsweg
verwiesen. Es hat weiter Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland
abgetrennt und an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen. Hinsichtlich des
verbliebenen Streitgegenstandes hat es mit Urteil vom 17. Januar 2013 die Kla-
ge gegen die Beklagte in Bezug auf Begehren mit Bezug zu künftigen Geset-
zesänderungen als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen.
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Dem Kläger stünden die begehrten Ansprüche auf Erhöhung der laufenden
Rentenzahlungen, der jährlichen Sonderzahlung und eine an der Inflationsrate
ausgerichtete Dynamisierung der Rente nicht zu. Zwischen den Beteiligten ste-
he nicht im Streit, dass dem Kläger sowohl die nach dem Gesetz mögliche
Höchstzahlung in Bezug auf die monatliche Rente als auch der in den Richtli-
nien festgesetzte Höchstbetrag der jährlichen Sonderzahlung bewilligt worden
seien.
Die gesetzlichen Bestimmungen verstießen nicht gegen das Grundgesetz.
Selbst bei einem angenommenen Grundrechtsverstoß sei die Rechtsfolge nicht
die begehrte Verpflichtung der Beklagten, weil bei Verfassungswidrigkeit der
stiftungsrechtlichen Regelungen keine Rechtsgrundlage für Zahlungen an den
Kläger bestehe. Dem Differenzierungsgebot des Art. 3 GG könne der Gesetz-
geber dann neben der begehrten Erhöhung der Rentenzahlungen an Personen,
deren Schädigung mit mehr als 80 Punkten bewertet worden sei, auch durch
eine Absenkung von Zahlungen an die geringer geschädigten Personen Rech-
nung tragen. Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung verwies das Verwal-
tungsgericht auf die zu dem Gesetz ergangenen Entscheidungen des Bundes-
verfassungsgerichts und gelangte auch in Ansehung der tiefgreifenden Lebens-
beeinträchtigungen der durch Contergan schwerstgeschädigten Menschen,
ausgehend von der Entstehungsgeschichte und dem Regelungszweck der an-
gegriffenen Bestimmung sowie mit Blick auf mögliche weitere Sozialleistungen
zum Ergebnis, dass die angegriffenen Normen mit der Verfassung, insbesonde-
re mit Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 sowie
Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar seien. In Bezug auf die Gleichheitskonformität des
Verteilungsmaßstabs nach § 13 Abs. 2 ContStifG (i.V.m. den Richtlinien) hätten
die Ergebnisse eines Anfang 2009 initiierten und Mitte 2010 in Auftrag gegebe-
nen Forschungsprojektes zur Lebens- und Versorgungslage der durch Conter-
gan Geschädigten abgewartet werden dürfen. Eine evidente Verletzung des
Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor. Die Stiftungsleistungen überschritten bereits
heute die nach dem Vergleich bereitgestellten Mittel um ein Vielfaches. Es sei
zu einer deutlichen wirtschaftlichen Besserstellung der Conterganopfer gekom-
men. Auch unter Berücksichtigung der geltend gemachten Spät- und Folge-
schäden sei kein Verstoß gegen Art. 14 GG erkennbar. Aus der Zielsetzung des
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Gesetzgebers, auf diese Schäden zu reagieren, könne keine verfassungsrecht-
liche Verpflichtung nach Art. 14 Abs. 1 GG zu einem bestimmten Leistungsum-
fang abgeleitet werden. Das Untermaßverbot sei nicht wegen einer Leistungs-
differenzierung zwischen den schwerstgeschädigten Conterganopfern und den
contergangeschädigten Menschen, deren Schädigung mit einer Punktzahl von
45 bis 79,99 Punkten bewertet worden sei, bzw. zu geringer Leistungen an
schwerstgeschädigte Conterganopfer verletzt. Inzwischen gebe es eine Diffe-
renzierung nicht nur bei der Höhe der Kapitalentschädigung, sondern auch bei
der jährlichen Sonderzahlung. Hinsichtlich weiterer Verbesserungen sei das
Ergebnis des 2009 angestoßenen Forschungsprogramms abzuwarten gewe-
sen. Selbst bei einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch eine sachlich nicht
gerechtfertigte Gleichbehandlung von Ungleichem sei Rechtsfolge nicht die
Gewährung der begehrten weiteren Leistungen, weil dem Gesetzgeber unter-
schiedliche Alternativen offenstünden, um eine dem Gleichheitsgrundsatz ent-
sprechende Verteilung zu erreichen. Bei der Festlegung der für die Anspruchs-
höhe maßgeblichen Punktzahl fänden Spätschäden ohnehin Berücksichtigung.
Die Regelung zur Anpassung der Conterganrenten nach Maßgabe der Anpas-
sung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung sei unbedenklich und
gehe über das Gebotene hinaus; der Vergleich habe keine Dynamisierung vor-
gesehen.
Ein Anspruch auf Zahlung der begehrten Beträge ergebe sich auch nicht unmit-
telbar aus Stiftungsrecht. Es sei schon zweifelhaft, ob sich der Stiftungszweck
tatsächlich mit dem Ziel der dauerhaften wirksamen Hilfe für Contergangeschä-
digte, ihre Besserstellung gegenüber dem Grünenthal-Vergleich umschreiben
lasse. Das hinter dem Conterganstiftungsgesetz stehende politische Ziel müsse
nicht zwangsläufig mit dem Stiftungszweck identisch sein. Relevant seien sol-
che Motive nur dann, wenn sie in Stiftungsgeschäft und Satzung als Stifterwille
objektiviert seien. Dies sei angesichts der gesetzlichen Definition des Stiftungs-
zwecks nicht der Fall. Der allgemeine Zweck, Leistungen zu erbringen, enthalte
aber keine Vorgaben zur Höhe oder Art der Leistungen. Ein als gegeben unter-
stellter Stiftungszweck wirksamer und dauerhafter Hilfe sei jedenfalls unter Be-
rücksichtigung der dafür zur Verfügung stehenden beschränkten Mittel zu inter-
pretieren; die unmittelbaren Stiftungsmittel seien aber seit 1997 aufgebraucht.
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4. Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger
u.a. eine Verletzung der Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG so-
wie des Stiftungszwecks. Zur Begründung wiederholt und vertieft der Kläger
sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und dem Klageverfahren und hebt u.a.
hervor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Richtlinien rechtswidrig
seien, weil sie die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich machten. Die Be-
klagte sei ohne neutrale und unabhängige Aufsichtsbehörde, wenn die Auf-
sichtsbehörde zugleich die Richtlinienbefugnis besitze. Sie habe auch den Stif-
tungszweck Förderung und Forschung bislang unzureichend erfüllt. Der For-
schungsauftrag 2009 sei zu spät erteilt und verzögert ausgeführt worden. Die
seit 2004 bekannten Spät- und Folgeschäden seien weiterhin ungeregelt. Nach
Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgeset-
zes hat der Kläger den Rechtsstreit hinsichtlich seiner auf die Zeit ab dem
1. Januar 2013 bezogenen Begehren für erledigt erklärt.
Die Beklagte hat sich der Teilerledigungserklärung angeschlossen und vertei-
digt im Übrigen das angefochtene Urteil. Für die vom Kläger weiterhin verfolg-
ten Ansprüche enthielten das Conterganstiftungsgesetz oder die Stiftungssat-
zung keine bundesgesetzliche Anspruchsgrundlage; eine anderweitige An-
spruchsgrundlage sei nicht ersichtlich. Aus dem vom Kläger angenommenen
Stiftungszweck folge kein Anspruch auf die konkret geforderten Leistungen,
deren Höchstbeträge im Gesetz festgelegt seien. Die Verwirklichung des Stif-
tungszwecks stehe unter dem Vorbehalt des vorhandenen Stiftungsvermögens.
Die Regelungen des Stiftungsgesetzes und ihre Anwendung verstießen auch
nicht gegen das Grundgesetz. Art. 14 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Die Ver-
gleichsberechnung des Klägers vernachlässige, dass auch die Stiftungsleistun-
gen für den Vergleich kapitalisiert werden müssten. Art. 3 Abs. 1 GG sei eben-
falls nicht verletzt. Die Nichtberücksichtigung von Folgeschäden könne schon
deswegen nicht anspruchsbegründend wirken, weil der Kläger bereits in die
Gruppe der Schwerstgeschädigten mit den höchsten Leistungen eingeordnet
sei. Bei unterstellter Pflicht zum Tätigwerden aufgrund neuer Erkenntnisse
müsse dem Gesetzgeber zudem ein angemessener Zeitraum verbleiben, um
Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und die ggf. notwendigen Abhil-
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femöglichkeiten zu prüfen und vorzubereiten. Zunächst sei er gehalten gewe-
sen, umfassende, wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Lebenssi-
tuation und die Bedarfe der ganz unterschiedlich beeinträchtigten, durch Con-
tergan Geschädigten zu erhalten. Dem sei er im Anschluss an die Sitzung des
Familien-Ausschusses Ende Mai 2008 durch den gemeinsamen Antrag vom
3. Dezember 2008, einen entsprechenden Forschungsauftrag zu vergeben, die
Annahme dieses Antrages im Plenum des Deutschen Bundestages am
22. Januar 2009, die nach europaweiter Ausschreibung erfolgte Vergabe des
Forschungsauftrages im Sommer 2010 durch die Beklagte, die Durchführung
des Forschungsvorhabens in den Jahren 2010 bis 2012, die Übergabe des
Endberichtes Ende 2012 und das nachfolgende Gesetzgebungsverfahren für
ein Drittes Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes nachgekom-
men.
Unabhängig davon hätten die Regelungen des Conterganstiftungsgesetzes
nicht wesentlich Ungleiches verfassungswidrig gleich behandelt. Eine Unter-
scheidung der Anspruchsberechtigung für die Sonderzahlung über die durch
Verwaltungsvorschrift vorgegebenen acht Stufen hinaus sei aus Gleichheits-
gründen nicht geboten gewesen. Mit der unterschiedslosen Zahlung der
Höchstrente an alle Contergangeschädigten ab 45 Punkten trotz unterschiedli-
cher Missbildungen seien auch nach den neueren Erkenntnissen bestehende
Unterschiede nicht willkürlich nivelliert worden.
Das Vorbringen des Klägers zu „grundlegenden Strukturfehlern“ sei - seine
Richtigkeit unterstellt - nicht geeignet, die geltend gemachten weiteren Ansprü-
che zu begründen.
II
Soweit die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt ha-
ben, war das Verfahren einzustellen. Im Übrigen ist die Revision des Klägers
nicht begründet. Die Abweisung der auf zusätzliche Leistungen der Beklagten
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- 12 -
gerichteten Klage durch das Verwaltungsgericht verstößt nicht gegen revisibles
Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig. Die sich aus § 134 Abs. 1 VwGO
ergebenden Formerfordernisse sind gewahrt. Namentlich durfte die Zustim-
mung zur Einlegung der Sprungrevision in der mündlichen Verhandlung zu Pro-
tokoll erklärt werden (dazu Urteil vom 10. Dezember 2013 - BVerwG 1 C 1.13 -
BVerwGE 148, 297 Rn. 8).
Die Revision ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch
auf eine Erhöhung bzw. Verdoppelung seiner laufenden Conterganrente (dazu
A.) oder deren Dynamisierung nach Maßgabe der Inflationsrate (dazu C.) noch
auf eine Verdoppelung der jährlichen Sonderzahlung (dazu B.).
A. Für das Begehren des Klägers auf zusätzliche Rentenzahlungen fehlt es an
der erforderlichen Rechtsgrundlage. Dem Gesetz über die Conterganstiftung für
behinderte Menschen (Conterganstiftungsgesetz - ContStifG - vom 13. Oktober
2005 - BGBl I S. 2967) lässt sich ein solcher Anspruch nicht entnehmen (1.); er
folgt insbesondere auch nicht aus dem Zweck der Stiftung, den durch Conter-
gan Geschädigten eine Unterstützung und Hilfe zu gewähren (2.). Die insoweit
abschließenden Regelungen des Conterganstiftungsgesetzes sind auch verfas-
sungsgemäß (3.).
1. Nach den Bestimmungen des Conterganstiftungsgesetzes ergibt sich kein
Anspruch des Klägers auf zusätzliche Rentenleistungen.
Nach § 13 Abs. 1 ContStifG steht den durch Contergan geschädigten Personen
(§ 12 ContStifG) neben einer Kapitalentschädigung, die hier nicht im Streit
steht, eine lebenslängliche Rente zu. § 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG bestimmt für
die Höhe dieser Rente, dass sie sich nach der Schwere des Körperschadens
und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen richtet. § 13
Abs. 2 Satz 2 ContStifG regelt für die monatliche Rente einen Mindest- und
einen Höchstbetrag. Nach § 13 Abs. 6 Satz 4 ContStifG wird der so gezogene
Rahmen durch Richtlinien ausgefüllt, die das Bundesministerium für Familie,
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Senioren, Frauen und Jugend erlässt. Leistungen nach dem Conterganstif-
tungsgesetz werden grundsätzlich nicht auf andere Sozialleistungen angerech-
net (§ 18 Abs. 1 ContStifG; enger noch § 18 ContStifG ; § 21 Abs. 2
StHG).
Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass der Kläger seit Errichtung der
Stiftung wegen der Schwere seines Körperschadens in die Gruppe derjenigen
Leistungsempfänger eingeordnet war, für die der Höchstbetrag der monatlichen
Rente zu gewähren war, und dass er diese Leistungen auch tatsächlich erhal-
ten hatte. Eine weitere Erhöhung dieser Rentenleistungen oder eine Befugnis
zur Abweichung von dem durch den Gesetzgeber betragsmäßig gezogenen
Rahmen in Härte- oder Sonderfällen sieht das Conterganstiftungsgesetz nicht
vor.
2. Der Zweck der Stiftung oder allgemeine Grundsätze des Stiftungsrechts bil-
den keine Rechtsgrundlage für zusätzliche Leistungen, welche den gesetzlich
festgelegten Höchstbetrag überschreiten.
Die „Conterganstiftung für behinderte Menschen“ (bis Oktober 2005: Stiftung
„Hilfswerk für behinderte Kinder“) ist eine durch Gesetz errichtete Stiftung öf-
fentlichen Rechts, deren Zweck es u.a. ist, Leistungen an behinderte Menschen
zu erbringen (§ 2 Nr. 1 ContStifG). Diese Zweckbestimmung ist keine selbstän-
dige Anspruchsgrundlage. Der allgemeine Stiftungszweck wird durch die Rege-
lungen des Stiftungsgesetzes zu den Leistungen wegen Contergan-Schadens-
fällen (§§ 11 ff. ContStifG) konkretisiert und nach der Gesetzessystematik ab-
schließend ausgeformt. Der im Gesetz niedergelegte Stiftungszweck prägt zwar
die Auslegung und Anwendung der stiftungsgesetzlichen Regelungen, soweit
diese auslegungsbedürftig und -fähig sind. Er kann aber keinen Anspruch auf
Leistungen jenseits oder gegen die diese ausdrücklich gesetzlich regelnden
Bestimmungen begründen. Der gesetzlich bestimmte Stiftungszweck und das
der Stiftung gewidmete Vermögen bilden den Rahmen, der durch Entscheidun-
gen zur Umsetzung des Stiftungszwecks (und durch eine geeignete Stiftungs-
organisation) auszufüllen ist (vgl. Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl.
2010, § 87 Rn. 11; v. Campenhausen/Stumpf, in: v. Campenhausen/Richter,
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Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2014, § 17 Rn. 5 und § 20 Rn. 1 f.). Auch der
Grundsatz der Stiftungsautonomie gestattet es bei einer Stiftung des öffentli-
chen Rechts den an Gesetz und Recht gebundenen (Art. 20 Abs. 3 GG) Stif-
tungsorganen nicht, unter Berufung auf den Stiftungszweck von den Bestim-
mungen des Stiftungsgesetzes abzuweichen; der mögliche Ausnahmefall der
Verfassungswidrigkeit der stiftungsgesetzlichen Regelungen liegt hier nicht vor
(s.u. 3).
Keine andere Beurteilung rechtfertigt die Berufung des Klägers auf einen der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommenen Stiftungs-
zweck, den durch Contergan Geschädigten eine dauerhafte und wirksame Hilfe
zu gewähren, die an Schmerzensgeldkriterien und damit an dem jeweiligen Hil-
febedürftigkeitsgrad ausgerichtet sei, und die mit dem Stiftungsgesetz über-
nommene sozialstaatliche Verantwortung des Gesetzgebers. Allerdings hat das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des ur-
sprünglichen Stiftungsgesetzes (Gesetz über die Errichtung einer Stiftung
„Hilfswerk für behinderte Kinder“ vom 17. Dezember 1971, BGBl I S. 2018
) ausgeführt, die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten hätten zum
Ausdruck gebracht, „daß zu gegebener Zeit geprüft werden müsse, ob die Leis-
tungen noch mit dem Ziel des Stiftungsgesetzes, den Kindern eine wirksame
und dauerhafte Hilfe zu gewähren, vereinbar seien“, und seiner Auffassung
Ausdruck verliehen, es obliege dem Gesetzgeber, „auch in Zukunft darüber zu
wachen, daß die Leistungen der Stiftung - sei es in Form von Rentenerhöhun-
gen oder in sonstiger Weise - der übernommenen Verantwortung gerecht wer-
den“ (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263
<311, 312>). Es handelt sich indes nicht um die Entscheidung tragende Ausfüh-
rungen, welche den Stiftungszweck unabhängig von der - vom Bundesverfas-
sungsgericht im Übrigen gebilligten - Ausgestaltung durch den Gesetzgeber mit
Rechtskraft- oder Bindungswirkung (§ 31 BVerfGG) festlegen. Sie betonen
vielmehr die allgemeine Einstandspflicht des Staates für die soziale Fürsorge
und das Gebot der sozialen Solidarität (s.a. ebd. S. 298), für die dem Gesetz-
geber ein grundsätzlich weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist. Eine Ver-
letzung von Geboten der sozialen Solidarität durch (evident) unzureichende
Leistungen an die durch Contergan Geschädigten würde einen entsprechenden
29
- 15 -
Nachbesserungsbedarf des Gesetzgebers bewirken; dieser folgte aber aus der
Verfassung und nicht aus der Nichterfüllung eines gesetzlich festgelegten Stif-
tungszweckes.
Aus den stiftungsrechtlichen Erwägungen lässt sich kein Anspruch auf Renten-
zahlungen ableiten, die die gesetzliche Höchstgrenze überschreiten. Ein sol-
cher ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, der Stiftung fehle
es an der erforderlichen Autonomie und Aufsicht, weil das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durch den Erlass der Richtlinie be-
stimmend auf die Leistungshöhe einwirke, oder dass die Stiftung ihre sonstigen
Aufgaben, insbesondere bei der Forschung und der Beratung, nicht ausrei-
chend erfüllt habe. Abgesehen davon, dass das Bundesverfassungsgericht die
Grundstrukturen der Stiftungsorganisation, zu der bereits in § 14 Abs. 6 StHG
die Richtlinienbefugnis des Bundesministeriums rechnete, als verfassungsge-
mäß gesehen hat (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 a.a.O. <305 ff.>) und es für
grobe Versäumnisse der Stiftung an entsprechenden tatrichterlichen Feststel-
lungen fehlt (§ 137 Abs. 2 VwGO), berechtigte dieses Vorbringen des Klägers
selbst dann, wenn es als zutreffend unterstellt würde, die beklagte Stiftung nicht
zu höheren Leistungen.
3. Die stiftungsrechtlichen Bestimmungen zur Rentenhöhe stehen im Einklang
mit dem Grundgesetz. Insbesondere sind sie mit dem Sozialstaatsprinzip
(Art. 20 Abs. 1 GG) (3.1) und dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) (3.2) ver-
einbar und verletzen den Kläger auch nicht in seinem Eigentumsgrundrecht
(Art. 14 Abs. 1 GG) (3.3) oder weiteren grundgesetzlich verbürgten Rechten
(3.4).
3.1 Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) des Grundgesetzes wird durch
die Festlegung einer Höchstrente durch den Gesetzgeber nicht verletzt.
3.1.1 Das Sozialstaatsprinzip begründet die Pflicht des Staates, für eine gerech-
te Sozialordnung zu sorgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1982
- 1 BvR 848/77 u.a. - BVerfGE 59, 231) und die Mindestvoraussetzungen für ein
menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen (BVerfG, Beschluss vom
30
31
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33
- 16 -
29. Mai 1990 - 1 BvL 20/86 u.a. - BVerfGE 82, 60 <80>). Die soziale Hilfe für
die Mitbürger, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persön-
lichen und sozialen Entfaltung gehindert und außerstande sind, sich selbst zu
unterhalten, gehört zu den selbstverständlichen Pflichten des Sozialstaates.
Dem Gesetzgeber steht ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum
zu, ob und in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vor-
handenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden
kann und soll (BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 1975 - 1 BvL 4/74 - BVerfGE
40, 121 <133>). Bei Verwirklichung seines Schutzauftrages, durch soziale Hil-
fen wegen körperlicher Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen Entfal-
tung gehinderte Menschen soweit als möglich in die Gesellschaft einzugliedern,
ihre angemessene Betreuung in der Familie oder durch Dritte zu fördern sowie
die notwendigen Pflegeeinrichtungen zu schaffen, liegt es indes grundsätzlich in
der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den ihm geeignet erscheinenden
Weg zu bestimmen. Er hat zu entscheiden, inwieweit er die erforderliche Hilfe
durch besondere Leistungssysteme des sozialen Entschädigungsrechts, über
Versicherungsleistungen oder durch Fürsorgeleistungen gewährleistet (BVerfG,
Beschluss vom 18. Juni 1975 a.a.O.).
Höhe und Zusammensetzung der Stiftungsleistungen sind allerdings nicht an
dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1
i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG; dazu BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09
u.a. - BVerfGE 125, 175; vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BVL 2/11 -
BVerfGE 132, 134) zu messen. Als besondere Leistungen der sozialen Ent-
schädigung haben sie nicht die Funktion, den notwendigen Lebensunterhalt für
Personen sicherzustellen, die hierzu nicht aus eigenen Kräften und Mitteln in
der Lage sind. Sie stehen neben der Grundsicherung, haben nicht in erster Li-
nie Versorgungscharakter und gewähren insoweit Zusatzleistungen (BVerfG,
Urteil vom 8. Juli 1976 a.a.O. <311>). Bei der Ermittlung von Einkommen und
Vermögen bei der Existenzsicherung dienenden Leistungen, insbesondere den
Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. jenen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende (SGB II) oder der Sozialhilfe (SGB XII), blieben die monatli-
chen Rentenzahlungen bis zum 30. Juni 2008 in Höhe der Grundrente nach
dem Bundesversorgungsgesetz (§ 21 Abs. 2 Satz 2 StHG; § 18 Abs. 1 Satz 2
34
- 17 -
ContStifG ) und seitdem in vollem Umfang außer Betracht (§ 18 Abs. 1
ContStifG
setzes>).
In seinem Beschluss zum Ersten und Zweiten Conterganstiftungsänderungsge-
setz hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar
2010 - 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 20) die Grundsätze, an
denen eine etwa unzureichende gesetzliche Schutzgewähr zu messen ist, wie
folgt zusammengefasst:
„Nur in seltenen Ausnahmefällen lassen sich der Verfas-
sung konkrete Pflichten entnehmen, die den Gesetzgeber
zu einem bestimmten Tätigwerden zwingen. Ansonsten
bleibt die Aufstellung und normative Umsetzung eines
Schutzkonzepts dem Gesetzgeber überlassen. Ihm kommt
ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungs-
spielraum zu (vgl. BVerfGE 77, 170 <214>; 79, 174
<202>; 88, 203 <262>; 96, 56 <64>; 106, 166 <177>; 121,
317 <356>). Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung
und dem demokratischen Prinzip der Verantwortung des
vom Volk unmittelbar legitimierten Gesetzgebers muss
dieser die regelmäßig höchst komplexe Frage entschei-
den, wie eine aus der Verfassung herzuleitende Schutz-
pflicht verwirklicht werden soll (vgl. BVerfGE 56, 54 <81>).
Die Entscheidung, welche Maßnahmen geboten sind,
kann vom Bundesverfassungsgericht nur begrenzt nach-
geprüft werden. Das Bundesverfassungsgericht kann erst
dann eingreifen, wenn der Gesetzgeber seine Pflicht evi-
dent verletzt hat (vgl. BVerfGE 56, 54, <80 f.>; 77, 170
<214 f.>; 79, 174 <202>; 85, 191 <212>; 92, 26 <46>; Be-
schluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Mai
1998 - 1 BvR 180/88 -; NJW 1998, S. 3264 ff.; Beschluss
der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 2009
- 1 BvR 1606/08 -, juris, Rn. 12). Einen Verfassungsver-
stoß durch unterlassene Nachbesserung eines Gesetzes
kann das Bundesverfassungsgericht insbesondere erst
dann feststellen, wenn evident ist, dass eine ursprünglich
rechtmäßige Regelung wegen zwischenzeitlicher Ände-
rung der Verhältnisse verfassungsrechtlich untragbar ge-
worden ist, und wenn der Gesetzgeber gleichwohl weiter-
hin untätig geblieben ist oder offensichtlich fehlsame
Nachbesserungsmaßnahmen getroffen hat (vgl. BVerfGE
56, 54 <81 f.>).“
35
- 18 -
Dem folgt der erkennende Senat. Dem Gesetzgeber ist weiterhin ein hinrei-
chender Zeitraum zur Anpassung seiner Regelungen an eine sich verändernde
Sachlage unter vorheriger Aufklärung von Art und Umfang des Anpassungsbe-
darfs zuzubilligen (s. nur BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 -
BVerfGE 95, 335 <405>; Beschluss vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 1904/95
u.a. - BVerfGE 101, 331 <350 f.>).
3.1.2 Nach diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass das Leis-
tungssystem des Conterganstiftungsgesetzes bis zum 31. Dezember 2012 ver-
fassungswidrig gewesen ist.
Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75 u.a. -
BVerfGE 42, 263) hatte das Leistungssystem des ursprünglichen Stiftungser-
richtungsgesetzes als verfassungsgemäß bestätigt und dabei auch die Gleich-
behandlung aller geschädigten Personen mit einer Schädigung, die mit mehr
als 45 Punkten bewertet worden war, trotz unterschiedlicher Schädigung und
das Fehlen einer gesetzlichen Bestimmung zur Dynamisierung der monatlichen
Renten verfassungsrechtlich nicht beanstandet (ebd. 309, 311). Es lässt sich
nicht feststellen, dass der Gesetzgeber in der Folgezeit untätig geblieben ist
oder offensichtlich fehlsame Nachbesserungsmaßnahmen getroffen hat, obwohl
die ursprünglich verfassungsgemäße Regelung wegen der zwischenzeitlichen
Veränderung der Verhältnisse verfassungsrechtlich untragbar geworden und
dies auch evident gewesen ist.
3.1.2.1 Der Gesetzgeber ist bis zur Neufassung des Errichtungsgesetzes durch
das Conterganstiftungsgesetz im Jahr 2005 nicht untätig geblieben. Er hat in
insgesamt neun Änderungsgesetzen zum Stiftungsgesetz die Rentenmindest-
und -höchstwerte linear erhöht (vor 2005 zuletzt durch das Neunte Gesetz zur
Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behin-
derte Kinder“ vom 21. Juni 2002, BGBl I S. 2190). Auch soweit hierdurch
- bezogen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes - kein vollständi-
ger Ausgleich der gestiegenen Lebenshaltungskosten herbeigeführt worden
sein sollte und die Erhöhungen erst nachträglich bewirkt wurden, ist weder eine
36
37
38
39
- 19 -
faktische Entwertung der monatlichen Rentenzahlungen noch sonst eine unzu-
reichende Anpassung festzustellen. Den Materialien zu dem Conterganstif-
tungsgesetz (BTDrucks 15/5654 ;
15/5851 ) lassen sich keine Hinweise auf
eine qualitativ oder quantitativ erheblich veränderte Bedarfslage der durch Con-
tergan Geschädigten entnehmen, die den Gesetzgeber hätten veranlassen
müssen, substantielle Leistungsverbesserungen zu erwägen.
3.1.2.2 Eine sozialstaatswidrige Unterversorgung insbesondere der Gruppe der
durch Contergan Schwerstgeschädigten, der auch der Kläger angehört, ist auch
nicht durch den Dokumentarfilm „Contergan: Die Eltern“ und das hierzu er-
schienene Begleitbuch hervorgetreten. Hierdurch mag zwar - auch dies hat das
Verwaltungsgericht tatrichterlich nicht festgestellt - evident geworden sein, dass
sich die Lebenslagen der Betroffenen, ihre Chancen zur Teilhabe in Beruf, Ge-
sellschaft und Privatbereich und die Einschränkungen durch schädigungsbe-
dingte Funktionseinbußen je nach der Körperschädigung teils nachhaltig unter-
schieden haben und die Annahme (auch) des Bundesverfassungsgerichts zu-
mindest relativierungsbedürftig geworden war, ab einer mit 45 Punkten und
mehr bewerteten Schädigung würden die Betroffenen „sich ohne ständige
fremde Hilfe im Leben nicht … behaupten können“ (BVerfG, Urteil vom 8. Juli
1976 - 1 BvL 19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263 <309>). Der sozialgestaltende Ge-
setzgeber hätte in Bezug auf den gesetzlichen Rentenrahmen aber nur und erst
dann tätig werden müssen, wenn hierdurch zumindest für die schwerstgeschä-
digten Personen auch eine sozialstaatswidrige Unterversorgung hervorgetreten
wäre, weil die Zusatzbelastungen nicht oder nicht hinreichend durch Leistungen
etwa der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung oder der Eingliede-
rungshilfe für behinderte Menschen ausgeglichen wurden. Hierfür fehlt jeder
Anhalt. Der Kläger selbst hatte Mitte 2004 sein (nicht beziffertes) Begehren
nach Rentenerhöhung, Zusatzrente oder einmalige nachträgliche weitere Kapi-
talentschädigung nicht mit einer sozialstaatswidrigen Unterversorgung, sondern
damit begründet, dass die Schwerstgeschädigten (ab 80 Punkten) wegen ihrer
schweren Situation im Vergleich zu den weniger Geschädigten zu geringe Leis-
tungen erhielten, den weniger Geschädigten im Bereich von 45 bis 80 Punkten
aber aus Besitzstandsgründen die Renten nicht genommen werden könnten.
40
- 20 -
Auch sonst lässt sich in diesem Zeitraum weder den allgemeinkundigen Quellen
noch - ihre revisionsrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit unterstellt - den vom
Kläger beigebrachten oder benannten Unterlagen und Quellen (z.B. W. Freitag,
Contergan. Eine genealogische Studie des Zusammenhangs wissenschaftlicher
Diskurse und biographischer Erfahrungen, 2005; Zichner/Rauschmann/Tho-
mann , Die Contergankatastrophe - Eine Bilanz nach 40 Jahren, 2005)
entnehmen, dass die durch Contergan Geschädigten insgesamt oder doch be-
stimmte Teilgruppen, z.B. die Schwerst- und Mehrfachgeschädigten, auch im
Zusammenwirken der verschiedenen sozialstaatlichen Hilfesysteme in einem
Umfange von sozialstaatlich gebotenen Hilfeleistungen abgeschnitten gewesen
wären, dass der Gesetzgeber des Conterganstiftungsgesetzes umgehend hätte
tätig werden müssen. Im Lichte neuerer Erkenntnisse, insbesondere der Studie
der Universität Heidelberg (Institut für Gerontologie der Ruprecht Karls Universi-
tät Heidelberg, Contergan. Wiederholt durchzuführende Befragungen zu Pro-
blemen, speziellen Bedarfen und Versorgungsdefiziten von contergangeschä-
digten Menschen. Endbericht an die Conterganstiftung für behinderte Men-
schen, 2012) mag allenfalls im Rückblick anzunehmen sein, dass bei einer ge-
naueren Betrachtung der sozialen, insbesondere beruflichen und gesundheitli-
chen Situation der durch Contergan Geschädigten eine bestehende bzw. sich
abzeichnende Unterversorgung früher hätte erkannt werden können. Auch dies
ist indes nicht evident.
3.1.2.3 Der Gesetzgeber hat auf den Erkenntnisfortschritt in den Folgejahren,
aber auch die öffentliche Thematisierung der Verantwortung der Firma
Grünenthal GmbH durch einen im November 2007 ausgestrahlten Fernsehfilm
mit einer Verdoppelung der Mindest- und Höchstwerte für die monatliche Rente
zum 1. Juli 2008 reagiert (Erstes Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungs-
gesetzes vom 26. Juni 2008, BGBl I S. 1078). Der Gesetzentwurf der seinerzei-
tigen Koalitionsfraktionen (BTDrucks 16/8743 S. 4) begründete diese Verdoppe-
lung damit, dass diese „(a)ngesichts des Umfangs der Beeinträchtigung der Be-
troffenen insbesondere durch die Folge- und Spätschäden, die weder durch die
Leistungen der Conterganstiftung noch durch ergänzende Sozialgesetze
ausreichend abgefangen werden können (z.B. Haushaltshilfe, vorzeitiges Aus-
41
42
- 21 -
scheiden aus dem Erwerbsleben, Renteneinbußen usw.)“, sachgerecht und
begründet sei, nachdem der vorangehende Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung (BTDrucks 16/8653) noch lediglich eine moderate Erhöhung der Conter-
ganrente mit Rücksicht auf die Entwicklung der Lebenshaltungskosten und der
Nettoeinkommen um linear 5 v.H. vorgesehen hatte. Auch dem Koalitionsent-
wurf lag aber keine Bedarfsanalyse zugrunde, aus der die Leistungserhöhung
nach Struktur, Art und Höhe gezielt abgeleitet worden wäre; sie lässt sich auch
nicht den Stellungnahmen der Sachverständigen in der im zeitlichen Umfeld
dieses Gesetzentwurfes durchgeführten Anhörung entnehmen (Deutscher Bun-
destag - Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend -, Protokoll
Nr. 16/57 der öffentlichen Anhörung vom 28. Mai 2008 zu dem Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD „Angemessene und zukunftsorientierte finanziel-
le Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen“, BTDrucks 16/8754,
und zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Für einen umfassen-
den Ansatz beim Umgang mit den Folgen des Contergan-Medizinskandals“,
BTDrucks 16/8748). Beide Gesetzentwürfe zielten ausweislich ihrer Begrün-
dung auch nicht auf die Beseitigung oder Abwendung einer verfassungsrecht-
lich bedenklichen Unterversorgungslage; Ziel war die Ausfüllung sozialstaatli-
cher Verantwortung für die durch Contergan Geschädigten. Gegen eine eviden-
te Unterschreitung seiner sozialstaatlichen Schutzpflichten durch den Gesetz-
geber streitet auch der zu diesem Gesetz ergangene Nichtannahmebeschluss
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2010
- 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943).
Die Einführung einer jährlichen Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009
gewährt worden ist (Zweites Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsge-
setzes vom 25. Juni 2009, BGBl I S. 1534), weist ebenfalls nicht auf eine (evi-
dente) verfassungsrechtlich bedenkliche, sozialstaatswidrige Unterversorgung.
Diese Sonderzahlung, für die die Mittel aus einer freiwilligen Zahlung der Firma
Grünenthal GmbH zur Verbesserung der Lebenssituation der contergange-
schädigten Menschen in Höhe von 50 Mio. € sowie Mittel in gleicher Höhe aus
dem Kapitalstock der Stiftung stammen, dient der Verbesserung der Lebenssi-
tuation der Geschädigten und soll die besonderen Bedarfe der contergange-
schädigten Menschen abdecken (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
43
- 22 -
und SPD, BTDrucks 16/12413 S. 1, 7). Die Begründung des Gesetzentwurfes
geht zwar davon aus, dass die Lebenssituation der contergangeschädigten
Menschen zunehmend durch die sehr schmerzhaften Auswirkungen ihrer Be-
hinderung sowie die Spät- und Folgeschäden geprägt und ihre Lebensqualität
erheblich gefährdet oder eingeschränkt sei (BTDrucks 12/12413 S. 7). Die Be-
darfe, welche durch die jährliche Sonderzahlung (ganz oder teilweise) gedeckt
werden sollen, werden aber nach Art oder Höhe nicht bezeichnet; dies hindert
Rückschlüsse auf eine (evidente) Unterversorgung. Die durch das Zweite Ände-
rungsgesetz eingeführte Dynamisierung der monatlichen finanziellen Unterstüt-
zung nach Maßgabe der Entwicklung der gesetzlichen Renten sieht der Ge-
setzentwurf ebenfalls lediglich als sinnvoll und systemgerecht, nicht aber zur
Abwendung eines Verfassungsverstoßes als geboten (BTDrucks 16/12413
S. 11).
3.1.2.4 Auch die Ergebnisse einer im Januar 2012 vorgelegten, im Auftrag der
Beklagten erstellten Internationalen Studie zu Leistungen und Ansprüchen tha-
lidomidgeschädigter Menschen in 21 Ländern (erstellt durch die Rechtsanwalts-
kanzlei DLA Pieper) mussten den Gesetzgeber nicht zum Tätigwerden veran-
lassen. Art und Höhe der jeweils gewährten Leistungen in anderen Ländern und
ihre Einbettung in das allgemeine Leistungssystem sind derart heterogen, dass
es bereits schwerfällt, die von der Studie angestrebte Vergleichbarkeit mit den
entsprechenden Leistungen in Deutschland herzustellen. Auch soweit in ande-
ren Ländern den Geschädigten in der Gesamtschau aller Sicherungssysteme
nominal höhere Leistungen gewährt worden sein sollten, würde dies für sich
allein zudem nicht den Schluss rechtfertigen, dass in der Bundesrepublik
Deutschland die verfassungsrechtlich geforderte Grundversorgung nicht ge-
währleistet (gewesen) sei.
3.1.2.5 Art und Umfang der Leistungsverbesserungen, die der Gesetzgeber
- teils rückwirkend zum 1. Januar 2013 - mit dem Dritten Gesetz zur Änderung
des Conterganstiftungsgesetzes (Gesetz vom 26. Juni 2013, BGBl I S. 1847)
u.a. durch die deutliche Erhöhung der Rentenobergrenze und die Einführung
von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe bewirkt hat, weisen nicht da-
rauf, dass Veränderungen in der Lebenssituation der contergangeschädigten
44
45
- 23 -
Menschen und veränderte Hilfebedarfe den Gesetzgeber zu einem (deutlich)
früheren Zeitpunkt zum Handeln hätten veranlassen müssen.
Mit den Leistungsverbesserungen hat der Gesetzgeber auf den Erkenntnisfort-
schritt reagiert, der sich durch die Ergebnisse der vom Institut für Gerontologie
der Universität Heidelberg durchgeführten Studie „Wiederholt durchzuführende
Befragungen zu Problemen, speziellen Bedarfen und Versorgungsdefiziten von
contergangeschädigten Menschen“ ergeben hat. Der Gesetzentwurf der Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD und FDP (BTDrucks 17/12678 S. 1) geht - gestützt
auf die Ergebnisse dieser Studie - davon aus, dass die Lebenssituation der con-
tergangeschädigten Menschen durch die sehr schmerzhaften Auswirkungen
ihrer Behinderung mit Folge- und Spätschäden geprägt sei und dringender
Handlungsbedarf für die Sicherstellung einer angemessenen und zukunftsorien-
tierten Unterstützung der älter werdenden Betroffenen bestehe. Der Gesetz-
entwurf greift damit die sozialpolitischen, auf eine Verbesserung bzw. Optimie-
rung der Versorgung und Unterstützung zielenden Handlungsempfehlungen
des Gutachtens auf. Der Endbericht des Gutachtens selbst enthält sich verfas-
sungsrechtlicher Bewertungen und in Bezug auf die Quantifizierung zusätzlicher
Leistungen eindeutiger Aussagen; dies gilt auch für den im Frühjahr 2012 vor-
gelegten „Zusammenfassenden Bericht über die ersten Untersuchungsergeb-
nisse und Ableitung erster Handlungsempfehlungen“, der allerdings Angaben
zu ungedeckten finanziellen Belastungen in verschiedenen Bedarfsbereichen
mit teils erheblicher Schwankungsbreite enthält. In dem Gesetzentwurf finden
sich indes keine hinreichenden Hinweise, dass die vorgenommenen Änderun-
gen vom Gesetzgeber nach Art und Umfang als erforderlich angesehen worden
sind, um einen Verfassungsverstoß abzuwenden. Der Gesetzentwurf weist
- ebenfalls im Anschluss an die Ergebnisse des Gutachtens - darauf hin, dass in
den letzten fünf Jahren bei den Folgeschäden als Folge der Abnutzungs-
erscheinungen und Veränderungen des Bewegungsapparates erhebliche Ver-
schlechterungen eingetreten seien. Die deutliche Verschlechterung der ge-
sundheitlichen Lage der durch Contergan Geschädigten gerade in den letzten
Jahren, die auch in dem Gutachten selbst mehrfach betont wird, spricht da-
gegen, die Ergebnisse des Gutachtens in vollem Umfang auch auf die Vergan-
genheit zu beziehen.
46
- 24 -
Der Gesetzgeber selbst hat auch dadurch, dass er sich einen Vorstoß zu einer
Erhöhung der monatlichen Rentenleistungen rückwirkend zum 1. Januar 2012
(Antrag der Fraktion Die Linke „Lebenssituation der durch Contergan geschä-
digten Menschen mit einem Dritten Conterganstiftungsänderungsgesetz und
weiteren Maßnahmen spürbar verbessern“ vom 17. Oktober 2010, BTDrucks
17/11041 S. 2) nicht zu eigen gemacht hat (Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 24. April 2013,
BTDrucks 17/13279 S. 3), zu erkennen gegeben, dass jedenfalls er keinen - gar
verfassungsrechtlichen - Anpassungsbedarf auch für die Vergangenheit zu er-
kennen vermochte. Dies ist nach der Erkenntnislage verfassungsrechtlich auch
nicht zu beanstanden. Dass ein entsprechender Erhöhungs- und Anpassungs-
bedarf für die Vergangenheit sich dem Gesetzgeber als evident hätte aufdrän-
gen müssen, ergibt sich namentlich auch nicht aus dem Endbericht des Gutach-
tens bzw. dem Zwischenbericht; beide enthalten ungeachtet klarer Erkenntnisse
zu bestehenden Unterversorgungslagen auch Differenzierungen, die einen
Rückbezug der Erkenntnisse auf vergangene Zeiträume, insbesondere auch
auf die Zeit ab 2004, ausschließen.
Nicht festzustellen ist, dass der Gesetzgeber sich ohne Weiteres zugänglichen
Erkenntnisquellen zur Lage der durch Contergan Geschädigten verschlossen
oder die erforderlichen Untersuchungen in verfassungsrechtlich bedenklicher
Weise verzögert hätte. Der Bundestag hatte allerdings bereits im Januar 2009
die Bundesregierung aufgefordert, einen Forschungsauftrag zu vergeben, der
bestehende Versorgungsdefizite und künftige Unterstützungsbedarfe conter-
gangeschädigter Menschen untersucht (BTDrucks 16/11223
messene und zukunftsorientierte Unterstützung der Contergangeschädigten
sicherstellen“>; BTProt 16/200 vom 22. Januar 2009 S. 21677
Antrages>), und damit weiteren Klärungsbedarf zu erkennen gegeben. Zwi-
schen diesem Beschluss und der Vorlage der Endfassung des erst Mitte 2010
in Auftrag gegebenen Gutachtens lagen nahezu vier Jahre. Diese Dauer ist ver-
fassungsrechtlich aber bereits angesichts der Komplexität und des Umfanges
des Untersuchungsauftrages im Ergebnis nicht zu beanstanden, zumal der Ge-
setzgeber grundsätzlich davon ausgehen durfte, dass angesichts der grund-
47
48
- 25 -
sätzlichen Absicherung durch Contergan geschädigter Personen auch durch die
allgemeinen Systeme der sozialen Sicherung substantielle Betreuungs- und
Versorgungslücken jedenfalls nicht in einem Umfang bestanden, der nach der
Verdoppelung der laufenden Conterganrenten zum 1. Juli 2008 eine deutliche
Beschleunigung gefordert hätte.
3.2 Die gesetzliche Höchstgrenze für die laufende Rentenzahlung verstößt auch
nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
3.2.1 Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Norm-
geber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu be-
handeln (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1998 - 1 BvR 1554/89 u.a. - BVerfGE
98, 365 <385>). Er ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten
oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird,
obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede v
bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtferti-
gen können (stRspr, BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -
BVerfGE 129, 49 <68 f.>). Dies gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch
für ungleiche Begünstigungen (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 BvR
611, 2464/07 - BVerfGE 126, 400 <416>). Der allgemeine Gleichheitssatz ent-
hält indes kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in ver-
schiedenen Ordnungsbereichen mit anderen systematischen und sozialge-
schichtlichen Zusammenhängen gleich zu regeln (BVerfG, Beschluss vom
26. Februar 2010 - 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943).
3.2.2 Nach diesem Maßstab scheidet eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG
durch die gesetzliche Rentenobergrenze (§ 13 Abs. 2 ContStifG) im Verhältnis
zu den Leistungen anderer Regelungen des sozialen Entschädigungsrechts
aus. Der sozialstaatliche Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers umfasst jenseits
der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums grundsätzlich auch
die Entscheidung, an welche tatsächlichen Verhältnisse er Rechtsfolgen knüpft,
wie er von Rechts wegen zu begünstigende Personengruppen definiert und in
welchem Umfang er Leistungen gewährt. Diese Regelungen knüpfen an jeweils
besondere Lebenslagen oder Schadensereignisse an, bei denen die staatliche
49
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51
- 26 -
Einstands- und Entschädigungspflicht jeweils an ein spezielles „Sonderopfer“
anknüpft, das mit der Situation bei der Conterganstiftung nicht vergleichbar ist;
namentlich ergibt sich aus einer möglichen Schutzpflichtverletzung durch eine
etwa unzureichende Arzneimittelkontrolle in der 1950er Jahren keine gesteiger-
te Entschädigungs- oder sozialstaatliche Einstandspflicht des Gesetzgebers
oder ein verfassungsrechtliches Gebot, die durch Contergan Geschädigten in
Struktur und Höhe der Leistungen Personen gleichzustellen, die sich unter Gel-
tung des aktuellen Arzneimittelhaftungsrechts (§§ 84 ff. AMG) ergäben (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2010 a.a.O.).
3.2.3 Die gesetzliche Rentenobergrenze (§ 13 Abs. 2 ContStifG) verstößt auch
nicht deswegen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil bis zum 31. Dezember 2012 die
Staffelung der Rentenhöhe in den Richtlinien des Bundesministeriums für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend für die Gewährung von Leistungen wegen
Contergan-Schadensfällen (s. für den streitbefangenen Zeitraum zuletzt Be-
kanntmachung der Neufassung der Richtlinien vom 30. Juni 2009, BAnz
licher Teil> vom 3. Juli 2009 S. 2313) die Personengruppe in dem Punktzahlbe-
reich von 45 bis 79,99 Punkten einerseits, oberhalb von 80 Punkten anderseits
gleich behandelt hat, obgleich jedenfalls für diesen Personenkreis - so der Klä-
ger - die schädigungsbedingten Funktionseinbußen qualitativ höher seien.
Selbst wenn insoweit eine Verletzung des Untermaßverbotes durch eine unzu-
reichende Differenzierung unterstellt wird, berührte dies allein die Richtlinien,
nicht die gesetzliche Regelung selbst (s. bereits BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976
- 1 BvL 19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263 <309>). Ist eine Erhöhung der Renten-
obergrenze aus sozialstaatlichen Gründen nicht erforderlich, obliegt es dem
Richtliniengeber, einen etwaigen Gleichheitsverstoß bei der Rentenstaffelung in
dem vom Gesetzgeber gezogenen Rahmen zu beseitigen, ohne dass der Ge-
setzgeber zur Erhöhung der Rentenobergrenze gehalten wäre.
Unabhängig davon liegt in der Gleichbehandlung aller Geschädigten ab
45 Punkten trotz unterschiedlicher Schädigung kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1
GG. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Gleichbehandlung in seinem
Urteil vom 8. Juli 1976 (a.a.O.) mit der Erwägung gebilligt, dass die Rente nicht
der Entschädigung für die erlittenen Missbildungen diene und bei der verfas-
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- 27 -
sungsrechtlich zulässigen generalisierenden und typisierenden gesetzlichen
Regelung alle Geschädigten, die 45 Schadenspunkte oder mehr aufweisen,
ohne Unterschied die Höchstrente erhielten, weil diese Geschädigten nach Auf-
fassung der Sachverständigen sich ohne ständige fremde Hilfe im Leben nicht
werden behaupten können. Zu Gunsten des Klägers können der Wegfall der
grundsätzlichen Bindungswirkung (§ 31 BVerfGG) dieses Urteils durch neuere
Erkenntnisse, eine unmittelbare Verantwortung des Gesetzgebers auch für die
Rentenstaffelung sowie der vom Verwaltungsgericht tatrichterlich nicht festge-
stellte Umstand unterstellt werden, dass mit zunehmendem Umfang der Schä-
digung der Bedarf an Pflege, Assistenz sowie Heil- und Hilfsmitteln ansteigt und
diese Steigerung nicht bei Erreichen einer Schädigungspunktzahl von 45 Punk-
ten abbricht oder (wesentlich) abflacht. Jedenfalls bis zu der Vorlage der Be-
richte zu dem Forschungsvorhaben der Universität Heidelberg fehlte es aber an
hinreichend gefestigten Erkenntnissen, dass sich die evidenten Unterschiede
der Körperschäden und der damit verbundenen Funktionseinbußen auch mit
erheblichem Gewicht ausgewirkt haben auf die Hilfe-, Bedarfs- und damit
potentiellen Unterversorgungslagen, die unter Berücksichtigung der durch Hilfe-
und Unterstützungsleistungen aus anderen Leistungssystemen, z.B. der Ein-
gliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 39 ff. BSHG; §§ 53 ff. SGB XII),
der Hilfen nach dem SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Men-
schen) oder der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) bzw. der Hilfe zur Pflege
(§§ 68 ff. BSHG; §§ 61 ff. SGB XII), verblieben sind. Auch bei einer am Verhält-
nismäßigkeitsprinzip orientierten Gleichheitsprüfung ließe sich ein Verstoß
gegen ein verfassungsrechtliches Gebot weiterer Differenzierung indes nur bei
erheblichen Unterschieden auch im anderweitigen ungedeckten Hilfe- und
Unterstützungsbedarf ausmachen.
3.3 Die gesetzliche Rentenobergrenze und das Leistungssystem des § 13
ContStifG stehen auch mit der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) im Ein-
klang.
Die Ansprüche, welche das Conterganstiftungsgesetz infolge der eigentums-
rechtlich unbedenklichen (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75 u.a. -
BVerfGE 42, 263) Umwandlung der Ansprüche aus dem Vergleich mit der Fir-
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- 28 -
ma Grünenthal GmbH gewährt, genießen dem Grunde nach ebenfalls den
Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2010
- 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 31). Dieser Schutz mag zwar
auch nach dem rechnerischen Verbrauch der von der Firma Grünenthal GmbH
eingebrachten Mittel durch Stiftungsleistungen einer ersatzlosen Aufhebung des
Conterganstiftungsgesetzes oder einer substantiellen Absenkung des Leis-
tungsniveaus entgegenstehen. Bereits ein Anspruch auf Dynamisierung der
laufenden Renten kann indes aus Art. 14 Abs. 1 GG nicht hergeleitet werden
(vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 a.a.O. <311>). Erst recht umfasst der
grundrechtliche Eigentumsschutz nicht eine aus Steuermitteln finanzierte, vom
Sozialstaatsgrundsatz nicht geforderte Leistungserhöhung oder ein Leistungs-
niveau, das - aus Sicht des Klägers - das politische Ziel, den Geschädigten eine
wirksame und dauerhafte Hilfe zu gewähren, unabhängig von dem Verbrauch
der aus dem privatrechtlichen Vergleich stammenden Mittel nachhaltig umsetzt.
Nach den vom Verwaltungsgericht übernommenen (UA S. 5) Feststellungen
des Entwurfes eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungs-
gesetzes (BTDrucks 16/12413 S. 7) werden dabei seit 1997 die mehrfach an-
gehobenen Renten aus Bundeshaushaltsmitteln finanziert, da der für individuel-
le Leistungen - also Renten und Kapitalentschädigung - vorgesehene Restbe-
trag des Stiftungsvermögens bis dahin aufgebraucht worden war.
Auch aus dem vom Kläger vorgenommenen Vergleich seiner Vermögenslage
bei einer hypothetischen Anlage des Betrages, den er aus dem privatrechtli-
chen Vergleich erlangt hätte, mit den tatsächlich von der Stiftung erhaltenen
Leistungen lässt sich kein Anspruch auf höhere Leistungen ableiten. Er ver-
nachlässigt bereits, dass für die eigentumsrechtliche Umgestaltung der privat-
rechtlichen Ansprüche eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, bei der ge-
wisse Nachteile, die für Einzelne auftreten mögen, gegen die insgesamt erziel-
ten Vorteile abzuwägen sind (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 a.a.O. <302>). Bei
seinen Berechnungen vergleicht der Kläger zudem den Vermögensstand, der
sich bei Ansparung der Vergleichssumme und darauf entfallender hypotheti-
scher Zinsen (inkl. Zinseszinsen) ergeben hätte, mit der Summe der laufenden
Zahlungen durch die Stiftung, ohne diese in vergleichbarer Weise hypothetisch
zu verzinsen. Dass auch bei vergleichbarer Berechnungsweise die thesaurier-
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- 29 -
ten Stiftungsleistungen hinter dem angesparten Betrag aus dem Vergleich
(deutlich) zurückbleiben, ist vom Verwaltungsgericht tatrichterlich nicht festge-
stellt, vom Kläger nicht dargelegt und erscheint wegen des langjährigen Ver-
gleichszeitraums und des hohen Zinsansatzes ausgeschlossen.
3.4 Die gesetzliche Rentenobergrenze und das Leistungssystem des § 13
ContStifG sind auch sonst mit dem Grundgesetz vereinbar.
3.4.1 Eine Verletzung staatlicher Pflichten aus Art. 2 Abs. 2 GG, sich schützend
vor das Leben des Einzelnen zu stellen und auch Risikovorsorge gegen Ge-
sundheitsgefährdungen zu treffen, durch die Regelungen zur Rentenhöhe ist
ebenfalls nicht zu erkennen und wird von dem Kläger substantiiert auch nicht
vorgetragen. Aus Art. 2 Abs. 2 GG folgt ohnehin regelmäßig kein verfassungs-
rechtlicher Anspruch auf Bereitstellung bestimmter Gesundheitsleistungen
(BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25
<44>). Das Vorbringen des Klägers zu den aus seiner Sicht unzureichenden
Aktivitäten der Stiftung im Bereich der Erforschung der gesundheitlichen Spät-
und Folgeschäden sowie der Information über erkannte Gesundheitsrisiken be-
trifft nicht Art und Höhe der laufenden Rentenleistungen an die Geschädigten.
3.4.2 Soweit der Kläger aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG u.a. den Zweck der Stif-
tung, dauerhaft und wirksam Hilfe für die contergangeschädigten Menschen zu
gewähren, bestimmte Anforderungen an die Autonomie und Ausgestaltung der
Stiftung oder einen Anspruch auf deren aufgabengerechte Ausstattung mit Fi-
nanzmitteln herleitet, kann er damit nicht durchdringen. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG
ist eine Kompetenznorm, die den Bundesgesetzgeber ermächtigt, auf dem Ge-
biet der öffentlichen Fürsorge Bundesgesetze zu erlassen. Allein aus dieser
Gesetzgebungszuständigkeit folgen indes bereits objektivrechtlich keine Ge-
setzgebungspflichten oder -aufträge und erst recht keine subjektiv-öffentlich-
rechtlichen Leistungsansprüche oder Rechte auf Normerlass (s. statt vieler
Seiler, in: Epping/Hillgruber, GG-Kommentar, 2009 Art. 70 Rn. 4; Jarass/Pie-
roth, GG-Kommentar 13. Aufl. 2014, Art. 70 Rn. 22).
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- 30 -
4. Soweit der Kläger höhere Leistungen für die Zeit begehrt, in der noch das
Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ an-
zuwenden war (Januar 2004 bis Oktober 2005), gelten die vorstehenden Erwä-
gungen entsprechend. Insbesondere enthielt auch § 14 Abs. 2 StHG einen
Höchstbetrag für die monatliche Rente.
B. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Verdoppelung der
jährlichen Sonderzahlung für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 31. Dezember
2012 oder zumindest deren Erhöhung. Die einfachgesetzlichen Regelungen
des Conterganstiftungsgesetzes sehen keine weitergehenden Leistungen vor
(1.); sie verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht (2.).
1. Aus dem Stiftungsgesetz oder den Leistungsrichtlinien ergibt sich kein Ver-
doppelungs- oder Erhöhungsanspruch zu Gunsten des Klägers.
1.1 Rechtsgrundlage für die jährliche Sonderzahlung ist § 13 ContStifG in der
Fassung, die diese Regelung durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Con-
terganstiftungsgesetzes (Gesetz vom 25. Juni 2009, BGBl I S. 1534
2009>) erhalten hat. Hiernach erhalten die leistungsberechtigten Personen eine
jährliche Sonderzahlung, soweit dafür Mittel nach § 11 Satz 2 Nr. 1 im Stif-
tungsvermögen vorhanden sind (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 ContStifG), deren
Höhe sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorge-
rufenen Funktionsstörungen richtet. Das Nähere regeln die nach § 13 Abs. 6
ContStifG von dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend zu erlassenden Richtlinien. In dem streitbefangenen Zeitraum legt die
„Tabelle der jährlichen Sonderzahlungen ab 2009“ (Anlage 4 der Neufassung
der Richtlinien für die Gewährung von Leistungen wegen Contergan-
Schadensfällen vom 30. Juni 2009, BAnz vom 3. Juli 2009 S. 2313
nien>) die Höhe der jährlichen Sonderzahlung fest, und zwar in acht Schädi-
gungsstufen, die nach dem Grad der durch Schädigungspunkte bewerteten
Schwere des Körperschadens gestaffelt sind (erste Stufe, für die eine jährliche
Sonderzahlung gewährt wird: 10 - 19,99 Schädigungspunkte). Der Kläger erhält
den Höchstbetrag der nach der Tabelle vorgesehenen Sonderzahlung in Höhe
von 3 680 €, die bei einer mit 80 und mehr Punkten bewerteten Schädigung
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- 31 -
gezahlt wird. Er macht auch nicht geltend, dass ihm nach ausdrücklichen Rege-
lungen des Stiftungsgesetzes oder der Richtlinien weitergehende Leistungen
zustünden.
1.2 Der Kläger hat aus dem Stiftungszweck oder allgemeinen Grundsätzen des
Stiftungsrechts keinen Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung, die über die
ihm nach § 13 Abs. 1, 2 und 6 ContStifG i.V.m. Anlage 4 der Richtlinien ge-
währten Leistungen hinausgeht. Diese Bestimmungen konkretisieren den Leis-
tungsumfang ohne Rechtsverstoß gegen das Stiftungsrecht.
1.2.1 Der Stiftungszweck des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ContStifG, durch Contergan Ge-
schädigten Leistungen zu erbringen, wird auch für die jährliche Sonderzahlung
durch die weiteren Regelungen des Gesetzes, insbesondere zum Stiftungsver-
mögen (§ 4 Abs. 1 ContStifG) und dessen Verwendung (§ 11 Satz 2 Nr. 1
ContStifG), zu Art und Umfang der Leistungen (§ 13 Abs. 1 und 2 ContStifG)
und die Ermächtigung zu deren Konkretisierung durch die Leistungsrichtlinien
(§ 13 Abs. 6 ContStifG) durch den Gesetzgeber konkretisiert. Diese Bestim-
mungen begrenzen wegen des Vorrangs des Gesetzes den Rückgriff auf all-
gemeine, übergreifende Grundsätze des Stiftungsrechts und schließen es auch
aus, Art oder Umfang der Leistungsgewährung unmittelbar aus dem Stiftungs-
zweck herzuleiten. Nicht zu vertiefen ist dabei, inwieweit dies bei Stiftungen des
privaten Rechts möglich wäre. Die Beklagte jedenfalls ist eine Stiftung öffentli-
chen Rechts, bei der der Gesetzgeber befugt ist, den Stiftungszweck festzule-
gen und die Mittel und Wege seiner Verwirklichung zu konkretisieren. Für einen
übergreifenden, auch den Gesetzgeber selbst bindenden Stiftungszweck, nach
dem nicht nur die gesetzlich vorgesehenen, sondern kraft allgemeinen Stif-
tungsrechts gesetzesunabhängig alle für eine wirksame und dauerhafte Hilfe
aus Sicht einzelner Betroffener erforderlichen Leistungen zu erbringen sind, ist
bereits deswegen kein Raum; dafür gibt auch das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zum Stiftungsgesetz 1974 (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976
- 1 BvL 19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263) keinen Anhalt.
1.2.2. Mit Stiftungsrecht vereinbar ist auch die Ermächtigung an das Bundesmi-
nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, auf der Grundlage der zur
64
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- 32 -
Verfügung stehenden Mittel die Maßstäbe zur Bemessung der Leistungen fest-
zulegen (§ 13 Abs. 6 Satz 2 ContStifG). Das umfangreiche Vorbringen des Klä-
gers zu der aus seiner Sicht unzureichenden Autonomie der Stiftung sowie
einer Vermischung von Steuerungs- und Aufsichtsfunktionen geht daran vorbei,
dass diese vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976
a.a.O.) nicht beanstandete Richtlinienbefugnis vom Gesetzgeber selbst einge-
räumt worden ist, dem bei der Ausgestaltung einer öffentlich-rechtlichen Stif-
tung ein weiter Spielraum zuzubilligen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1959
- 2 BvF 1/58 - BVerfGE 10, 20 <45 ff., 49 ff.>). Für einen Missbrauch der Stif-
tungsform durch den Gesetzgeber ist hier nichts ersichtlich. Die Festlegung der
genauen Höhe der Leistungen obliegt nach § 13 Abs. 6 ContStifG einem demo-
kratisch unmittelbar verantwortlichen Ministerium. Die Stiftungen zukommende
Autonomie ist aber bei Stiftungen des öffentlichen Rechts, die - wie hier die Be-
klagte - für die Leistungen in nicht unerheblichem Umfang auch Steuermittel
verwenden, in Ausgleich zu bringen mit der demokratischen Kontrolle und
Steuerung durch parlamentarisch verantwortliche Instanzen. Die Ermächtigung
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist hierfür
ein jedenfalls rechtlich zulässiges Mittel.
1.2.3 Die Festlegung der gestaffelten Leistungshöhe durch die Richtlinien, de-
ren genaue Rechtsnatur hier nicht abschließend zu bestimmen ist, verstößt
auch nicht gegen den sozialrechtlichen Gesetzesvorbehalt. Ungeachtet der Be-
deutung, welche die Stiftungsleistungen insgesamt, aber auch die jährliche
Sonderzahlung für die betroffenen Geschädigten haben, handelt es sich jeden-
falls nicht um Leistungen zur Sicherung des Grundrechts auf ein menschen-
würdiges Existenzminimum, die durch den Gesetzgeber selbst in einem trans-
parenten, rationalen Verfahren auf der Grundlage nachvollziehbarer Bedarfs-
ermittlungen festzulegen sind (BVerfG, Urteile vom 9. Februar 2010 - 1 BvL
1/09 u.a. - BVerfGE 125, 175 und vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -
BVerfGE 132, 134; s.a. oben Rn. 33 ff.). Überdies hat der Gesetzgeber für die
jährliche Sonderzahlung das zur Verfügung stehende Gesamtvolumen (§ 4 Abs.
1 Nr. 2 und 3 i.V.m. § 11 Satz 2 Nr. 1 ContStifG) und den Verteilungsschlüssel
(§ 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG) (Schwere des Körperschadens und dadurch
hervorgerufene Körperfunktionsstörungen) hinreichend bestimmt festgelegt und
67
- 33 -
so die dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ver-
liehene Konkretisierungsbefugnis hinreichend bestimmt.
1.2.4 Die in der Tabelle zur jährlichen Sonderzahlung (Anlage 4 der Richtlinie)
vorgenommene Staffelung der Leistung füllt den vom Gesetz gezogenen Rah-
men in zumindest vertretbarer Weise aus. Nicht zu prüfen ist, ob dies die ge-
rechteste und zweckmäßigste Lösung ist oder auch eine andere, aus Sicht des
Klägers möglicherweise vorzugswürdigere Ausgestaltung rechtlich nicht zu be-
anstanden gewesen wäre. Der Richtliniengeber hat sich für die Leistungsbe-
messung ersichtlich an der Begründung des Entwurfes für ein Zweites Gesetz
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes (BTDrucks 16/12413 S. 11)
orientiert, nach dem sich die Höhe der Sonderzahlungen im Einzelfall ergibt aus
dem zur Verfügung stehenden Betrag von insgesamt 100 Mio. €, aus den künf-
tig hieraus erwirtschafteten Erträgen, aus der Anzahl der leistungsberechtigten
Personen, der Laufzeit der Sonderzahlungen von 25 Jahren sowie einer Punk-
tetabelle, die sich an der Punktetabelle für Kapitalentschädigung orientiert und
durch die im Vergleich zur Conterganrente stärkere Differenzierung eine ge-
rechtere Verteilung anstrebt. Diese Faktoren berücksichtigen vertretbar auch
die gesetzlichen Verteilungsvorgaben.
1.2.5 Die in der Richtlinie für den Kläger festgelegte Höhe der jährlichen Son-
derzahlung verstößt auch weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch
das Gebot des § 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG, die Leistung an der Schwere des
Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen
auszurichten.
Der Richtliniengeber hat bei der jährlichen Sonderzahlung deutlich stärker diffe-
renziert als bei der Conterganrente und insbesondere die dort vom Kläger be-
anstandete Gleichstellung aller Geschädigten, deren Schädigung mit mehr als
45 Punkten bewertet worden ist, nicht übernommen. Es ist vom Verwaltungsge-
richt tatrichterlich nicht festgestellt, nicht erkennbar und vom Kläger auch nicht
substantiiert vorgetragen, dass innerhalb der Gruppe der Schwerstgeschädig-
ten, deren Schädigung mit mehr als 80 Punkten bewertet worden ist, in Bezug
auf die Bedarfs- und Unterversorgungslagen Unterschiede von solcher Art und
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solchem Gewicht erkennbar waren oder sind, dass zur Wahrung des aus dem
Gleichheitssatz folgenden Untermaßverbotes eine weitergehende Differenzie-
rung angezeigt gewesen wäre. Demgegenüber greift auch der Hinweis des Klä-
gers nicht durch, die Mehrleistungen im Vergleich zur Gruppe mit bis zu
80 Schädigungspunkten von 460 € jährlich erlaube bei einer auf den wöchentli-
chen Pflegebedarf bezogenen Berechnung eine allenfalls geringfügige Verbes-
serung der Betreuungssituation. Die jährliche Sonderzahlung hat schon wegen
der für sie zur Verfügung stehenden begrenzten Mittel allenfalls Ergänzungs-
funktion und ist nicht bestimmt oder geeignet (gewesen), etwa bestehende
Unterversorgungslagen vollständig auszugleichen.
Auch der allgemeine Zweck der jährlichen Sonderzahlung, die besonderen Be-
darfe der contergangeschädigten Menschen in Zukunft abzudecken und die
Lebenssituation der leistungsberechtigten Personen zu verbessern (BTDrucks
16/12413 S. 1 und 7), gebietet schon deswegen nicht eine weitere „Spreizung“
durch die Einführung einer Empfängergruppe im Bereich jenseits von 80 Schä-
digungspunkten oder eine exponentielle Steigerung der Sonderzahlung, weil bei
Erlass des Gesetzes klare, differenzierte Erkenntnisse zu den Bedarfs- und
Unterversorgungslagen fehlten und mit Blick auf den bereits eingeleiteten Maß-
nahmen zur Aufklärung der Lebens- und Versorgungslage der Geschädigten
auch kein Ermittlungsdefizit bestand (s.a. oben Rn. 42 f.).
2. Die Regelungen des Conterganstiftungsgesetzes zur jährlichen Sonderzah-
lung sind mit dem Grundgesetz auch insoweit vereinbar, als sie der vom Kläger
begehrten Verdoppelung bzw. Erhöhung der Sonderzahlung entgegenstehen.
2.1 Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) gebot keine Verdoppelung der
jährlichen Sonderzahlung für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 31. Dezember
2012; vom Kläger nicht substantiiert angegriffen ist dabei, dass der Gesetzge-
ber diese besonderen Leistungen erst rückwirkend zum 1. Januar 2009 einge-
führt hat.
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der jährlichen Sonderzahlung durch
das Zweite Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes (Gesetz vom
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25. Juni 2009, BGBl I S. 1534) im Anschluss an die Verdoppelung der gesetzli-
chen Mindest- und Höchstwerte für die Conterganrenten zum 1. Juli 2008 durch
das Erste Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes (Gesetz vom
26. Juni 2008, BGBl I S. 1078) die Lebenssituation der contergangeschädigten
Menschen verbessern wollen (BTDrucks 16/12413 S. 1). Unmittelbarer Anstoß
für die Einführung der jährlichen Sonderzahlung war dabei die Bereitschaft der
Firma Grünenthal GmbH, zu diesem Zweck einen Betrag in Höhe von 50 Mio. €
über die Conterganstiftung zur Verfügung zu stellen. Weder dieser Zahlung der
Firma Grünenthal GmbH noch der Entscheidung, weitere Mittel in gleicher Höhe
aus dem Kapitalstock der Stiftung an die leistungsberechtigten Personen aus-
zuzahlen, um die besonderen Bedarfe der contergangeschädigten Menschen in
Zukunft abzudecken, lag indes ein klare, differenzierte und auch nach dem
Grad der Schädigung differenzierende Betrachtung dieser besonderen Bedarfs-
lagen oder der Unterversorgungslagen zugrunde, die sich aus rechtlichen Leis-
tungsbegrenzungen oder systematischen Umsetzungsschwierigkeiten bei den
anderen sozialen Sicherungssystemen ergeben. Diese Erkenntnisse sind erst-
mals mit den Ergebnissen der Studie der Universität Heidelberg in einer Weise
gewonnen worden, die dem Gesetzgeber nach Art und Umfang eine zielgerich-
tete und passgenauere Anpassung des Leistungssystems des Conterganstif-
tungsgesetzes ermöglichte. Bei der bestehenden Erkenntnislage bestand nach
den vom Bundesverfassungsgericht für die Anpassung sozialstaatlicher Leis-
tungen entwickelten Grundsätzen (s.o. Rn. 33 ff.) kein Anlass für eine weitere
Erhöhung des für die jährliche Sonderzahlung zur Verfügung stehenden Fi-
nanzvolumens aus dem Kapitalstock der Stiftung bzw. aus Haushaltsmitteln
oder eine Konzentration dieser Mittel auf die besonders schwer geschädigten
Personen.
2.2 Für die Verfassungskonformität im Übrigen wird auf die Gründe verwiesen,
aus denen die gesetzliche Rentenobergrenze mit der Verfassung im Einklang
steht (s.o. Rn. 31). Sie gelten für die gesetzliche Ausgestaltung der jährlichen
Sonderzahlung zumindest entsprechend. Nicht zu vertiefen ist dabei, ob auch
der von der Firma Grünenthal GmbH in die Stiftung eingebrachte, vom Gesetz-
geber für die jährliche Sonderzahlung bestimmte Betrag durch Art. 14 Abs. 1
GG geschützte Leistungsansprüche ausgelöst hat.
75
- 36 -
C. Dem Kläger steht auch der geltend gemachte Anspruch auf Anpassung der
laufenden Rentenleistungen nach Maßgabe der Inflationsrate nicht zu.
1. Es ist nicht erkennbar und wird von dem Kläger auch nicht geltend gemacht,
dass ihm die Erhöhungen der Conterganrente, die sich aus der zum 1. Juli 2009
in § 13 Abs. 2 Satz 4 ContStifG eingefügten Anpassungsklausel nach Maßgabe
der Entwicklung der Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung ergeben
hatten, nicht gewährt worden wären. Dagegen spricht durchgreifend die Fas-
sung des Revisionsantrages zu 1.
Einem Anspruch auf eine weitergehende Anpassung der Conterganrente (Diffe-
renz zwischen einer Rentenerhöhung und der Inflationsrate) und eine formelge-
bundene Dynamisierung auch für vorangehende Zeiträume fehlt es an einer
gesetzlichen Grundlage. Aus dem vom Kläger herangezogenen Stiftungszweck
einer wirksamen und dauerhaften Hilfe kann ein solcher Anspruch für den Klä-
ger schon deswegen nicht folgen, weil er für die Zeit bis zum 30. Juni 2009
einen Verstoß gegen die gesetzlich festgelegte Rentenobergrenze bewirkt hätte
und für die Zeit ab dem 1. Juli 2009 die ausdrückliche gesetzliche Anpassungs-
regelung des § 13 Abs. 2 Satz 4 ContStifG entgegensteht.
2. Sowohl das Fehlen einer formelgebundenen Rentenanpassungsregelung (bis
30. Juni 2009) als auch die zum 1. Juli 2009 in das Gesetz eingefügte Erhö-
hungsregelung des § 13 Abs. 2 Satz 4 ContStifG sind mit dem Grundgesetz
vereinbar.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Einwand fehlender Dynamisierung der
Renten ausdrücklich als nicht gerechtfertigt zurückgewiesen (BVerfG, Urteil
vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75 u.a. - BVerfGE 42, 263 <311>) und dabei darauf
verwiesen, dass die Renten nach dem Stiftungsgesetz nicht in erster Linie Ver-
sorgungscharakter hätten, sondern Zusatzleistungen gewährten. Die nachfol-
gende Wiedergabe von Äußerungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteilig-
ten, dass zu gegebener Zeit geprüft werden müsse, ob die Leistungen noch mit
dem Ziel des Stiftungsgesetzes, den Geschädigten eine wirksame und dauer-
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hafte Hilfe zu gewähren, vereinbar seien, und der Gesetzgeber, sobald dies
nicht mehr der Fall sei, nicht umhin komme, die Leistungen angemessen zu
erhöhen oder die Rente zu dynamisieren, legt weder den Stiftungszweck - gar
mit verfassungsgerichtlicher Bindungswirkung - für Gesetzgeber oder Gerichte
fest noch enthält sie einen verfassungsrechtlichen Dynamisierungsauftrag. Das
Referat dieser Äußerungen enthält vielmehr einen Appell des Bundesverfas-
sungsgerichts, dass sich der Gesetzgeber seiner sozialpolitischen Verantwor-
tung für den betroffenen Personenkreis bewusst sein und entsprechend han-
deln werde. Art und Umfang bindender verfassungsrechtlicher Pflichten des
Gesetzgebers erweitert dies nicht; namentlich folgt hieraus kein Anspruch auf
eine bestimmte Berechnung periodischer Rentenerhöhungen oder einen voll-
ständigen, anderen Empfängern von Leistungen nicht gewährten Inflationsaus-
gleich. Jedenfalls seit dem Zeitpunkt, zu dem die laufenden Conterganrenten
nach Verbrauch des Stiftungskapitals durch Zuwendungen aus dem Bundes-
haushalt finanziert werden, scheidet durch die Nichtdynamisierung auch ein
Substanzverlust der im Stiftungsgesetz eingeräumten, eigentumsrechtlich ge-
schützten Ansprüche aus (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2010
- 1 BvR 1541, 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 31).
D. Soweit die Revision des Klägers zurückgewiesen worden ist, folgt die Kos-
tenentscheidung aus § 154 Abs. 2 VwGO. Soweit die Beteiligten den Rechts-
streit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, entspricht
es billigem Ermessen (§ 161 Abs. 2 VwGO), dem Kläger die Kosten aufzuerle-
gen, weil er unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes
auch insoweit unterlegen gewesen wäre. In Bezug auf die Begehren auf zusätz-
liche Leistungen (laufende Rentenzahlung; jährliche Sonderzahlung) war im
Zeitpunkt der Bekanntgabe des Dritten Gesetzes zu Änderung des Contergans-
tiftungsgesetzes (Gesetz vom 26. Juni 2013, BGBl I S. 1847), das zum
1. Januar 2013 substantielle Leistungserhöhungen bewirkt hat, offenkundig der
Zeitraum noch nicht abgelaufen, der dem Gesetzgeber für die Auswertung der
durch die Studien der Universität Heidelberg gewonnenen Erkenntnisse zu Be-
darfs- und Unterversorgungslagen der durch Contergan geschädigten Men-
schen zuzubilligen ist. In Bezug auf die Gewährung durch künftige Gesetze
81
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geregelte Leistungserhöhungen und deren Nichtanrechnung auf anderweitige
Sozialleistungen wird auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsge-
richts verwiesen.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Prof. Dr. Kraft
Ri´inBVerwG Fricke
Dr. Maidowski
ist wegen Erkrankung verhindert
zu unterschreiben.
Prof. Dr. Berlit
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 48 250 €,
für die Zeit nach der Erledigung auf 38 520 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG).
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Prof. Dr. Kraft