Urteil des BVerwG vom 15.03.2006

Entgeltlichkeit, Konkretisierung, Entsorgung, Sucht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 BN 1.06
VGH 5 N 3200/02
In der Normenkontrollsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. März 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht V a l l e n d a r und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs
vom 8. September 2005 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 8 340,99 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Die Sache hat
auch unter Berücksichtigung des Schriftsatzes vom 13. März 2006 nicht die geltend
gemachte grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde hält die folgenden Fragen für klärungsbedürftig:
"Steht Art. 3 Abs. 1 GG einer Zuordnung der gesamten Rekultivierungskosten
für einen bereits verfüllten Deponieabschnitt zu den Gebühren für einzelne ab-
grenzbare Teilleistungsbereiche entgegen, wenn die Nutzer eines anderen Teil-
leistungsbereiches, die mit den Kosten nicht belastet werden, diesen Deponie-
abschnitt zu keinem Zeitpunkt genutzt haben?"
"Steht Art. 3 Abs. 1 GG einer Zuordnung der gesamten Abschreibungskosten
für einen bereits verfüllten Deponieabschnitt zu den Gebühren für einzelne ab-
grenzbare Teilleistungsbereiche entgegen, wenn die Nutzer eines anderen Teil-
leistungsbereiches, die mit den Kosten nicht belastet werden, diesen Deponie-
abschnitt zu keinem Zeitpunkt genutzt haben?"
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"Können betriebswirtschaftliche Erwägungen, die darauf zielen, die gebühren-
fähigen Kosten auf einen größeren Nutzerkreis zu verteilen und dadurch die
Kosten für alle Gebührenschuldner im Ergebnis zu senken, einen sachlichen
Grund für die Zuordnung von Kostenmassen allein zu einzelnen Leistungsbe-
reichen darstellen, selbst wenn diese Kosten nicht allein von diesen Leistungs-
bereichen verursacht wurden?"
"Wird das satzungsgeberische Ermessen regelmäßig durch bundesrechtliche
Vorgaben, insbesondere des Äquivalenzprinzips, dahingehend eingegrenzt,
dass eine Berücksichtigung periodenfremder Verluste nur im unmittelbar fol-
genden Kalkulationszeitraum zulässig ist?"
Die zitierten Fragen sind, soweit sie von der Vorinstanz behandelt wor-
den sind, auf der Grundlage von Landesrecht beantwortet worden, dessen Nachprü-
fung dem Revisionsgericht versagt ist (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO). Revisibilität erlan-
gen die Rechtsfragen nicht dadurch, dass sie die Beschwerde mit der Auslegung und
Anwendung des Gleichheitssatzes und des Äquivalenzprinzips zu verknüpfen sucht;
denn es fehlt an der Entscheidungserheblichkeit dieser bun-
des(verfassungs)rechtlichen Maßstäbe. Im Einzelnen ist dazu Folgendes zu bemer-
ken:
Die Vorinstanz stellt entscheidungstragend darauf ab, dass der Normen-
kontrollantrag begründet sei, weil § 10 Abs. 2 Satz 1 HessKAG ein Kostenüber-
schreitungsverbot zu entnehmen sei, dem die Gebührensatzregelung des Antrags-
gegners über die Höhe der Gebührensätze für die Entsorgung des Restabfalls der im
Holsystem entsorgten Grundstücke nicht gerecht würde (Beschlussabdruck S. 16 f.).
Zusätzlich zieht die Vorinstanz in diesem Zusammenhang den Grundsatz der spe-
ziellen Entgeltlichkeit heran, den es § 10 Abs. 3 Satz 1 HessKAG oder aber auch
§ 10 Abs. 2 HessKAG entnimmt (Beschlussabdruck S. 18, 29). Dass sich die Vorin-
stanz in diesem Zusammenhang zusätzlich darauf beruft, die von ihr in Auslegung
und Anwendung des Landesrechts gewonnenen Ergebnisse könnten - zumindest
teilweise - auch dem Äquivalenzprinzip oder dem Gleichheitssatz geschuldet sein,
ändert nichts daran, dass mit dem Hinweis auf diese bundes(verfassungs)rechtlichen
Maßstäbe keine Rechtsfragen revisiblen Rechts aufgeworfen werden. Denn die Vor-
instanz hat in dieser Hinsicht dem Bundesrecht bestenfalls eine zusätzlich tragende
Begründung abgewinnen wollen. Ist die Entscheidung der Vorinstanz auf mehrere
selbständig tragende Begründungen gestützt, so bedarf es in Bezug auf jede dieser
Begründungen eines geltend gemachten und vorliegenden Zulassungsgrundes (vgl.
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z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 26 S. 15). Daran fehlt es hier, und insofern unterscheidet
sich der vorliegende Fall auch von dem Sachverhalt, auf den die Beschwerde unter
Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1994
- BVerwG 8 C 21.92 - (Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 71 S. 23) rekur-
riert, dass nämlich die Gebührenregelung in der vorinstanzlichen Entscheidung aus-
drücklich unter Hinweis auf bundesrechtliche Maßstäbe verworfen wird, dabei aber
unklar bleibt, ob dieses Ergebnis nicht auch auf irrevisibles Landesrecht hätte ge-
stützt werden können.
Die Beschwerde macht nicht substantiiert geltend, dass ein landesrecht-
liches Kostenüberschreitungsverbot und ein landesrechtlicher Grundsatz der speziel-
len Entgeltlichkeit, so wie sie von der Vorinstanz verstanden werden, mit Bundes-
recht unvereinbar wären. Dafür reicht es nicht aus, wenn die Beschwerde die - nicht
näher begründete - Vermutung äußert, dass die Vorinstanz "unter alleiniger Heran-
ziehung des Landesrechts sogar zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre". E-
benso wenig überzeugend ist es, wenn die Beschwerde meint, die Nennung der
bundesrechtlichen Gebührenprinzipien lasse darauf schließen, die Vorinstanz habe
sich "durch das Bundesrecht bei seiner Auslegung des Landesrechts gebunden ge-
sehen". Die Beschwerde muss sich entgegenhalten lassen, dass sowohl zum
Gleichheitssatz wie auch zum Äquivalenzprinzip eine umfangreiche und gefestigte
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt, in der weitgehend geklärt
ist, welche bundesrechtlichen Anforderungen an Gebührenregelungen zu stellen
sind. Wenn die Vorinstanz mit dieser Rechtsprechung sich nicht auseinander setzt,
sondern nur darauf hinweist, dass Schrifttumsmeinungen diese bundesrechtlichen
Gebührenprinzipien mit dem Grundsatz der speziellen Entgeltlichkeit in Beziehung
setzen, fehlt jeder tragfähige Anhaltspunkt dafür, dass die Vorinstanz sich auf der
Grundlage bundesrechtlicher Vorgaben für die von ihr favorisierte Auslegung des
Landesrechts entschieden haben könnte. Das Bundesverwaltungsgericht hat in
ständiger Rechtsprechung im Übrigen betont, das Prinzip der speziellen Entgeltlich-
keit beinhalte aus seiner Sicht eine landesrechtliche Konkretisierung des allgemeinen
Gleichheitssatzes und aus Art. 3 Abs. 1 GG selbst ergebe sich - bei Fehlen einer
näheren Regelung im Landesrecht - noch kein striktes Gebot der gebührenrechtli-
chen Leistungsproportionalität (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2000
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- BVerwG 11 C 7.00 - BVerwGE 112, 297 <301>; Urteil vom 25. Juli 2001 - BVerwG
6 C 8.00 - BVerwGE 115, 32 <46>; Beschluss vom 30. April 2003 - BVerwG 6 C
3.02 - Buchholz 451.9 Art. 234 EU-Vertrag Nr. 1 S. 14; Urteil vom 1. Dezember 2005
- BVerwG 10 C 4.04 - UA S. 25). Die von der Vorinstanz zitierten Schrifttumsmei-
nungen berücksichtigen diese Rechtsprechung nicht, falls sie aus dem Bundesrecht
weitergehende Schlussfolgerungen für die Auslegung des Landesrechts herleiten
wollen. Die Beschwerde zeigt nicht auf, welcher Klärungsbedarf hinsichtlich des revi-
siblen Rechts danach verbleibt, der die begehrte Zulassung der Revision rechtferti-
gen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwert-
festsetzung auf § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG n.F.
Hien Vallendar Prof. Dr. Rubel