Urteil des BVerwG vom 29.01.2008

Gewalt, Bedrohung, Afghanistan, Stadt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 83.07
OVG 20 A 426/05.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Januar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezem-
ber 2006 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie legt den
geltend gemachten Zulassungsgrund bereits nicht in einer den Anforderungen
des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar (1.).
Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig,
„ob der Begriff des ernsthaften Schadens nach Art. 15
Buchst. c RL 2004/83/EG der verfahrensrechtlichen
Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entgegen-
steht und Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG auch dann an-
zuwenden ist, wenn keine beachtliche Wahrscheinlichkeit
für eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, aber
eine ‚ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher
Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts’ fest-
gestellt wird.“
Die aufgezeigte Rechtsfrage wirft nach Ansicht der Beschwerde eine Vielzahl
von klärungsfähigen und auch klärungsbedürftigen Rechtsfragen im Hinblick auf
die Auslegung und Anwendung von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG
- Qualifikationsrichtlinie - auf, deren revisionsgerichtliche Klärung
voraussichtlich die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften erforderlich machen werde. Dies gelte insbe-
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sondere für die umstrittene Frage der Fortgeltung der verfahrensrechtlichen
Sperrwirkung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die im Text des Art. 15 der
Qualifikationsrichtlinie keine Grundlage mehr habe und auch von dem Erwä-
gungsgrund Nr. 26 der Richtlinie nicht so aufgegriffen werde, wie es der bishe-
rigen Anwendung im deutschen Recht entspreche. Darüber hinaus ergebe be-
reits der Vergleich des Wortlauts von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit dem
Wortlaut von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie, dass sich insoweit in
materieller wie auch in prognoserechtlicher Sicht eine Vielzahl von Auslegungs-
fragen stellten.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde nicht in einer
den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise auf,
dass sich die aufgeworfenen Rechtfragen zu Art. 15 Buchst. c der Qualifikati-
onsrichtlinie in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen würden. Die Be-
schwerde geht zwar zutreffend davon aus, dass im Zeitpunkt der Entscheidung
des Berufungsgerichts die Bestimmung des Art. 15 Buchst. c der Qualifikations-
richtlinie in den Mitgliedstaaten wegen des Ablaufs der Umsetzungsfrist am
10. Oktober 2006 bereits unmittelbar anzuwenden war. Sie legt jedoch nicht
- wie erforderlich - dar, dass und inwiefern es auf die von ihr aufgeworfenen
Fragen auf der Grundlage der für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen
Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) in dem angestreb-
ten Revisionsverfahren ankäme. Die Beschwerde will in erster Linie geklärt wis-
sen, ob bei Vorliegen allgemeiner Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2
AufenthG a.F. (jetzt § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in der Fassung des Gesetzes
zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen
Union vom 19. August 2007, a.a.O.) der Anspruch auf subsidiären Schutz nach
Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie ausge-
schlossen ist. Diese Frage könnte sich im Falle des Klägers nur dann stellen,
wenn nach den Feststellungen des Berufungsgericht zwar die tatbestandlichen
Voraussetzungen eines Anspruchs auf subsidiären Schutz nach Art. 15
Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie im Übrigen vorlägen, wegen des Umstan-
des, dass es sich um Gefahren handelt, denen die Bevölkerung oder die Be-
völkerungsgruppe, der der Kläger angehört, allgemein ausgesetzt sind, ein sol-
cher Anspruch aber verneint worden wäre. Dass dies der Fall ist, legt die Be-
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schwerde indes nicht dar. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines inter-
nationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts, den Art. 15 Buchst. c
der Richtlinie voraussetzt, jedenfalls für den Raum Kabul nicht festgestellt. Wie
die Beschwerde selbst vorträgt, hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass be-
richtete bewaffnete Aktionen und gewalttätige Ausschreitungen, die auf einen
bewaffneten Konflikt hinwiesen und sich in diesen einfügen könnten, zwar zu-
nähmen, vor allem im Süden und Südosten des Landes; sie prägten bezogen
auf Kabul die Gesamtsituation jedoch nicht, jedenfalls nicht im Sinne einer
schon als ernsthaft zu bewertenden Bedrohung (BA S. 12 f.). In einer Gesamt-
schau der Sicherheitslage in Kabul bleibe danach festzuhalten, dass die Beein-
trächtigungen nicht geprägt seien durch bewaffnete Konflikte, sondern durch
kriminelles Geschehen (BA S. 13). Nach diesen nicht mit Verfahrensrügen an-
gegriffenen Feststellungen könnte im Revisionsverfahren schon mangels dro-
hender willkürlicher Gewalt „im Rahmen eines internationalen oder innerstaatli-
chen bewaffneten Konflikts“ im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Qualifikations-
richtlinie nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger im Raum Kabul
ein ernsthafter Schaden im Sinne dieser Bestimmung droht. Auf die Frage, ob
die Voraussetzungen für einen subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchst. c der
Richtlinie auch wegen des allgemeinen Charakters der dem Kläger bei einer
Rückkehr nach Kabul drohenden Gefahren zu verneinen wäre (vgl. jetzt § 60
Abs. 7 Satz 3 AufenthG), käme es schon aus diesem Grunde in einem Revisi-
onsverfahren nicht an. Soweit sich die Beschwerde darauf beruft, dass auch in
Kabul inzwischen eine Situation willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaff-
neten innerstaatlichen Konflikts herrsche (Beschwerdebegründung S. 10 un-
ten), handelt es sich um die eigene Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse
in Kabul durch die Beschwerde, die in Widerspruch zu den angeführten
Feststellungen des Berufungsgerichts steht und deshalb im Revisionsverfahren
nicht zugrunde gelegt werden könnte.
Soweit die Beschwerde darauf verweist, dass das Berufungsgericht für das
Herkunftsgebiet des Klägers, die im westlichen Afghanistan gelegenen Stadt
Herat, das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bejaht habe,
kann dahinstehen, ob dies den Feststellungen des Berufungsgerichts über die
Zunahme bewaffneter Aktionen und gewalttätiger Ausschreitungen, die sich
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insbesondere auf den Süden und Südosten Afghanistans beziehen, tatsächlich
entnommen werden kann. Denn die Beschwerde legt nicht dar, dass nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts die weiteren Voraussetzungen für einen
Anspruch auf subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchst. c) der Qualifikationsricht-
linie vorliegen, der Anspruch allerdings wegen des allgemeinen Charakters der
dort drohenden Gefahren ausgeschlossen wäre. Sie zeigt damit auch im Hin-
blick auf das Herkunftsgebiet des Klägers nicht auf, dass die von ihr aufgewor-
fene Frage aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts in dem ange-
strebten Revisionsverfahren geklärt werden könnte.
Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsgericht habe den Kläger
zu Unrecht auf eine Rückkehr nach Kabul verwiesen, weil der nationale Ge-
setzgeber mangels Umsetzung von der durch Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie
eröffneten Möglichkeit, das Konzept des internen Schutzes zu übernehmen,
noch keinen Gebrauch gemacht habe, greift dieses Argument schon deshalb
nicht mehr durch, weil in dem angestrebten Revisionsverfahren nach § 77
Abs. 1 AsylVfG auf die im Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts
maßgebliche Rechtslage abzustellen wäre und der Gesetzgeber inzwischen
durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien
der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) in dem neuen
§ 60 Abs. 11 AufenthG auch für den hier streitigen subsidiären Schutz u.a.
Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie für anwendbar erklärt hat. Im Übrigen könnten
sich in diesem Zusammenhang allenfalls etwaige Fragen zur Auslegung von
Art. 8 der Richtlinie stellen; derartige Fragen hat die Beschwerde indes nicht
aufgeworfen.
Auch hinsichtlich der weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Frage, die
sich ganz allgemein darauf richtet, ob der Umfang des subsidiären Schutzes
nach Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie über den des Schutzes nach
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen kann, fehlt es - abgesehen von der
mangelnden Bestimmtheit der Rechtsfrage - an der Darlegung der Entschei-
dungserheblichkeit für das vom Kläger angestrebte Revisionsverfahren anhand
der konkreten Feststellungen des Berufungsgerichts.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Dr. Mallmann Beck Prof. Dr. Kraft
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