Urteil des BVerwG vom 08.08.2007

Rechtliches Gehör, Syrien, Staatenloser, Irak

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 79.07 (10 PKH 12.07; bisher: 1 B 26.07; 1 PKH 16.07)
OVG 3 L 315/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
des Landes Sachsen-Anhalt vom 23. November 2006 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil
die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine
Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
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Die Beschwerde, die sich auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132
Abs. 2 VwGO stützt, hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die von der Beschwerde behauptete grundsätzli-
che Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde spricht in diesem
Zusammenhang insgesamt acht Fragenkomplexe an, die sich jeweils auf die
Situation staatenloser Kurden in Syrien beziehen. Soweit diesem Vorbringen
Rechtsfragen zu entnehmen sind, geht die Beschwerde nicht darauf ein, inwie-
weit diese Fragen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung behandelt und
geklärt sind und inwiefern anlässlich des Entscheidungsfalles weiterer Klä-
rungsbedarf besteht. Die Beschwerde macht auch nicht oder nur unzureichend
ersichtlich, dass sich die angesprochenen Fragen in einem Revisionsverfahren
in entscheidungserheblicher Weise stellen würden. Dies hat der Senat zu sie-
ben der acht Fragenkomplexe auf entsprechende Rügen der Prozessbevoll-
mächtigten des Klägers in dem Beschluss vom 27. Juni 2007 - BVerwG 10 B
30.07 (früher: 1 B 98.06) - im Einzelnen ausgeführt. Hierauf wird Bezug ge-
nommen.
Der neue, achte Fragenkomplex bezieht sich - wie andere Grundsatzrügen - auf
einen Sachverhalt, der im Wesentlichen mit der 1962 in Syrien durchgeführten
Volkszählung zusammenhängt. So hält die Beschwerde (Nr. 1.3 der Be-
schwerdebegründung) für klärungsbedürftig, „ob die Frage nach der Zielgerich-
tetheit einer Maßnahme lediglich bei der Konsequenz vorangegangenen staat-
lichen Tuns anknüpfen darf oder ob der Gesamtzusammenhang, also auch das
vorangegangene Tun, mit zu würdigen ist“. Auch diese Frage würde sich - von
allem anderen abgesehen - in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das
Berufungsgericht ist auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen, die
von der Beschwerde nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen
worden sind (vgl. dazu unten unter 3.) und das Revisionsgericht deshalb binden
(§ 137 Abs. 2 VwGO), zu der Überzeugung gelangt, dass für den Kläger, ein
Mitglied der Gruppe staatenloser, „nichtregistrierter“ Kurden in Syrien, keine
politische Verfolgungsgefahr besteht, selbst wenn die 1962 erfolgte Ausbürge-
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rung bzw. Nichtregistrierung ein Akt politischer Verfolgung gewesen sein sollte
(vgl. UA S. 11 f. und 22 f.).
2. Die von der Beschwerde geltend gemachte Divergenz der Berufungsent-
scheidung zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt nicht vor
(§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Senat nimmt auch in diesem Zusammenhang
Bezug auf seinen Beschluss vom 27. Juni 2007. Denn die von der Beschwerde
nunmehr erhobenen Divergenzrügen entsprechen den Divergenzrügen in dem
früheren Verfahren.
3. Ohne Erfolg macht die Beschwerde Verfahrensmängel geltend (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO). Der unter Nr. 3.1, 3.3 und 3.4 der Beschwerdebegründung erho-
bene Vorwurf, das Berufungsgericht habe wesentliches Vorbringen des Klägers
nicht hinreichend erwogen, trifft nicht zu. Auch dies hat der Senat in seinem
Beschluss vom 27. Juni 2007 auf entsprechende Rügen der Prozessbevoll-
mächtigten des Klägers bereits dargelegt (dort zu Nr. 3.1, 3.2 und 3.3 der Be-
schwerdebegründung).
Unter Nr. 3.2 der Beschwerdebegründung rügt die Beschwerde eine Verletzung
des rechtlichen Gehörs, weil es sich bei der Entscheidung des Berufungsge-
richts um eine Überraschungsentscheidung handele; der Kläger habe nicht
wissen können, dass das Berufungsgericht davon ausgehen würde, dass
ca. 120 000 Kurden nach 1945 illegal nach Syrien eingewandert seien. Eine
solche Gehörsverletzung zeigt die Beschwerde indessen nicht in einer den Dar-
legungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise
auf. Aus dem Recht auf rechtliches Gehör folgt - auch in der Ausprägung, die
dieses Recht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat - keine allgemeine Frage- und
Aufklärungspflicht des Gerichts. Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, inwie-
weit hier eine Hinweispflicht bestanden haben soll. Im Übrigen hat das Beru-
fungsgericht entgegen der Auffassung der Beschwerde angenommen, dass
viele Kurden bereits vor 1945 ihren ständigen Aufenthalt auf dem Gebiet der
heutigen Republik Syrien hatten, dies aber nicht belegen konnten (UA S. 9 und
10). Die syrische Regierung habe behauptet, dass es sich bei den Kurden, die
1962 als Ausländer erfasst bzw. nicht registriert worden seien, um Flüchtlinge
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bzw. nach 1945 Zugewanderte gehandelt habe; einen Nachweis hierfür sei die
Regierung jedoch schuldig geblieben (UA S. 11). Auch die Familie des Klägers
habe sich bereits vor 1945 auf dem Gebiet des heutigen Syriens aufgehalten
(UA S. 12). Auch soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang geltend
macht, das Gericht habe wesentliches Vorbringen des Klägers nicht zur Kennt-
nis genommen, zeigt es eine Gehörsverletzung nicht schlüssig auf.
Ohne Erfolg rügt die Beschwerde schließlich, dass das Berufungsgericht Be-
weisanträge des Klägers abgelehnt und dadurch dessen Anspruch auf Gewäh-
rung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Die Beschwerde bezieht sich zunächst
auf den Antrag, darüber Beweis zu erheben, dass es nach der Unabhängigkeit
Syriens nicht mehr in nennenswertem Umfang eine Einwanderung von Kurden
oder anderen Ethnien aus der Türkei oder dem Irak gegeben habe. Die Be-
schwerde zeigt in diesem Zusammenhang nicht auf, dass das Berufungsge-
richt, das diesen Antrag wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit abgelehnt
hat, damit verfahrensfehlerhaft vorgegangen ist. Namentlich setzt sich die Be-
schwerde nicht hinreichend damit auseinander, dass das Berufungsgericht, wie
ebenfalls ausgeführt, zu der Überzeugung gelangt ist, dass für den Kläger keine
politische Verfolgungsgefahr besteht, selbst wenn das Vorgehen des syrischen
Staates bei der Volkszählung 1962 ein Akt politischer Verfolgung gewesen sein
sollte.
Entsprechendes gilt für den Beweisantrag zu klären, dass es eine Vorgabe des
syrischen Staates für die Durchführung der Volkszählung 1962 gegeben habe,
die Zahl der Kurden mit syrischer Staatsangehörigkeit vor allem im Grenzgebiet
zur Türkei und dem Irak um mindestens 100 000 zu verringern. Auch hier zeigt
die Beschwerde nicht hinreichend auf, dass die Frage für das Berufungsgericht
entgegen dessen Auffassung bei der Ablehnung des Beweisantrags entschei-
dungserheblich war.
Unschlüssig ist auch die Rüge hinsichtlich des Antrags auf Beweiserhebung
darüber, dass die syrische Arabisierungspolitik nach wie vor nicht beendet sei.
Das Berufungsgericht hat den Antrag u.a. mit der Begründung abgelehnt, es
verfüge insoweit bereits über hinreichende Erkenntnismittel. Die Beschwerde
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legt nicht dar, aus welchen Gründen es ermessensfehlerhaft gewesen sein soll,
dass das Berufungsgericht von der Einholung weiterer sachverständiger Stel-
lungnahmen und Auskünfte abgesehen hat. Im Übrigen ist das Berufungsge-
richt nicht davon ausgegangen, dass die syrische Arabisierungspolitik beendet
sei. Es hat eine sachverständige Stellungnahme, in der von einer „anhaltenden
Arabisierungspolitik“ die Rede ist, seiner Entscheidung ausdrücklich, wenn auch
mit Einschränkungen zugrunde gelegt (UA S. 22). Auch hinsichtlich der
weiteren in der Beschwerdebegründung angeführten Beweisanträge zeigt die
Beschwerde nicht in einer den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entspre-
chenden Weise auf, dass die Ablehnung gegen Verfahrensrecht verstößt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Dr. Mallmann Richter Fricke
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