Urteil des BVerwG vom 08.08.2007

Demokratische Republik Kongo, Persönliche Anhörung, Emrk, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 74.07 (bisher: 1 B 13.07)
BVerwG 10 PKH 7.07 (bisher: 1 PKH 8.07)
OVG 1 LB 116/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Beck und Fricke
beschlossen:
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts vom 13. November 2006 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Der Klägerin kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil
die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine
Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die allein auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Be-
schwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde beanstandet, dass das Berufungsgericht der Berufung des
Beklagten im vereinfachten Beschlussverfahren nach § 130a VwGO ohne
mündliche Verhandlung stattgegeben habe, obwohl die Klägerin diesem Vor-
gehen widersprochen habe. Sie sieht darin einen Verstoß gegen das Gebot der
Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) und gegen das Öffentlich-
keitsgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK, der grundsätzlich auch im Rechtsmittelver-
fahren gelte. Jedenfalls hätte das Berufungsgericht schon deshalb eine mündli-
che Verhandlung durchführen müssen, weil es selbst davon ausgegangen sei,
dass der Rechtssuchende in einem Verwaltungsprozess wenigstens einmal Ge-
legenheit haben müsse, sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu
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äußern. Dabei habe es übersehen, dass im vorliegenden Fall mangels eines
geeigneten Dolmetschers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwal-
tungsgericht die Klägerin zu keinem Zeitpunkt Gelegenheit gehabt habe, sich im
Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu äußern. Ausweislich des Sit-
zungsprotokolls über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht
habe der dort anwesende Dolmetscher die Sprache der Klägerin (Kikongo)
nicht dolmetschen können. Damit sei offensichtlich eine den Grundsätzen des
Art. 103 Abs. 1 GG genügende Verhandlung mit der Klägerin, die der deut-
schen Sprache nicht mächtig sei, nicht möglich gewesen. Die fehlende Anhö-
rung der Klägerin in einer für sie verständlichen Sprache sei auch in der Beru-
fungsinstanz nicht nachgeholt worden, so dass sich der Verfahrensverstoß dort
fortgesetzt habe.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen der Beschwerde ist ein Verfahrens-
mangel, auf dem die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhen kann (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO), nicht aufgezeigt.
Gemäß § 130a VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung
durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder ein-
stimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erfor-
derlich hält. Ob das Gericht den ihm nach § 130a VwGO eröffneten Weg der
Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemä-
ßen Ermessen, das nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschät-
zungen überprüfbar ist (stRspr, etwa Beschluss vom 3. Februar 1999 - BVerwG
4 B 4.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 33). Die Beschwerde zeigt nicht auf,
dass ein solcher Ermessensfehler hier vorliegt.
Es trifft zwar zu, dass der Gesetzgeber dem Rechtsschutzsuchenden jedenfalls
einen mit einer mündlichen Verhandlung verbundenen Rechtszug gewährleisten
wollte und das Berufungsgericht deshalb nicht im Wege des Beschlussver-
fahrens nach § 130a VwGO entscheiden darf, wenn das Verwaltungsgericht
verfahrensfehlerhaft gänzlich ohne mündliche Verhandlung oder ohne Beteili-
gung des nicht ordnungsgemäß geladenen Klägers an der mündlichen Ver-
handlung entschieden hat (vgl. Beschluss vom 8. April 1998 - BVerwG 8 B
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218.97 - Buchholz 340 § 15 VwZG Nr. 4 m.w.N.; ferner auch Urteil vom
14. März 2002 - BVerwG 1 C 15.01 - BVerwGE 116, 123 = Buchholz 310
§ 130a VwGO Nr. 58 m.w.N.). Ein solcher gravierender Mangel des erstinstanz-
lichen Verfahrens liegt hier jedoch schon nach dem eigenen Vorbringen der Be-
schwerde nicht vor. Denn vor dem Verwaltungsgericht hat eine Verhandlung im
Beisein der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten stattgefunden. Der
Umstand, dass entgegen § 55 VwGO i.V.m. § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG bei die-
ser Verhandlung ein Dolmetscher für die Muttersprache der Klägerin nicht zu-
gegen war, führt angesichts der anwaltlichen Vertretung der Klägerin nicht da-
zu, dass dieser Fall mit dem völligen Unterbleiben einer gebotenen mündlichen
Verhandlung gleichzusetzen wäre. Die Klägerin hatte jedenfalls die Gelegen-
heit, sich durch ihren Prozessbevollmächtigten in mündlicher Verhandlung zu
äußern, und hätte im Übrigen in diesem Rahmen auch auf eine Verhandlung
mit einem geeigneten Sprachmittler - etwa durch einen Vertagungsantrag - hin-
wirken können.
Das Berufungsgericht war entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht
schon im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen „der neueren Rechtspre-
chungstendenz des Bundesverwaltungsgerichts“ oder „einer konventionskon-
formen Handhabung des § 130a VwGO“ gehalten, im Berufungsverfahren
mündlich zu verhandeln. Die Beschwerde übersieht dabei, dass nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Art. 6 EMRK in asyl- und aus-
länderrechtlichen Verfahren der vorliegenden Art ohnehin keine Anwendung
findet (vgl. Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG 1 C 15.01 - a.a.O. und Be-
schluss vom 20. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 67.04 - Buchholz 310 § 130a
VwGO Nr. 69 unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäi-
schen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR -; vgl. zuletzt Beschluss vom
4. Mai 2007 - BVerwG 1 B 8.07). Im Übrigen würde sich aus Art. 6 Abs. 1
EMRK - seine Anwendbarkeit unterstellt - auch nach der neueren Rechtspre-
chung kein von der Art der zu entscheidenden Fragen unabhängiges Recht auf
eine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren ergeben (vgl. Beschluss
vom 4. August 2005 - BVerwG 4 B 42.05 - Buchholz 140 Art. 6 EMRK Nr. 10
m.w.N.).
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Die Beschwerde legt schließlich auch sonst nicht dar, dass das Berufungsge-
richt durch die Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 130a VwGO gegen
Verfahrensrecht verstoßen hat. Einen generellen Anspruch auf eine persönliche
Anhörung anwaltlich vertretener Kläger sieht die Prozessordnung entgegen der
Ansicht der Beschwerde auch im Asylrechtsstreit nicht vor (Beschlüsse vom 4.
Februar 2002 - BVerwG 1 B 313.01 - Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 31 und vom
4. März 2005 - BVerwG 1 B 131.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 71). Das
Unterbleiben einer persönlichen Anhörung kann allerdings je nach den
Umständen des Einzelfalles verfahrensfehlerhaft sein, wenn es für die Ent-
scheidung nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungs-
gerichts auf den persönlichen Eindruck von dem Asylbewerber ankommt, etwa
weil das Gericht auf seine Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit seiner An-
gaben abstellt (vgl. etwa Beschlüsse vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B 392.01 -
und vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B 37.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 259 und 260). Dass derartige Umstände im Falle der Klägerin vorliegen,
zeigt die Beschwerde indes nicht auf. Sie setzt sich auch nicht ansatzweise
damit auseinander, aus welchen Gründen das Berufungsgericht den hier allein
noch streitigen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG
wegen der geltend gemachten Gefahr der Verschlimmerung einer Erkrankung
der Klägerin bei einer Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo verneint
hat, und legt folglich auch nicht dar, dass und inwiefern das Berufungsgericht
überhaupt auf die Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit der Angaben der Klä-
gerin abgestellt haben soll. Abgesehen davon gibt die Beschwerde auch nicht
- wie erforderlich - an, was die Klägerin bei der von ihr vermissten Anhörung
noch Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Dr. Mallmann Beck Fricke
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