Urteil des BVerwG vom 10.05.2007

Beschleunigungsgebot, Liquidator, Antragsrecht, Hauptsache

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 71.06
OVG 9 K 13/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Mai 2007
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. h.c. Hien
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und Dr. Nolte
beschlossen:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-
Vorpommern (Flurbereinigungsgericht) vom 13. Septem-
ber 2006 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur an-
derweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Flur-
bereinigungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der
Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über
die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehal-
tenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5 000 €
festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Das Flurbereinigungsgericht hat in seinem Urteil, das die Beklagte mit der auf
Verfahrensrügen gestützten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revisi-
on angreift, unter Aufhebung des angefochtenen Widerspruchsbescheids und
Zurückverweisung in das Widerspruchsverfahren die streitgegenständliche An-
ordnung des Bodenordnungsverfahrens mit der Begründung für rechtswidrig
erklärt, es fehle an der erforderlichen Antragstellung. Der Antrag der Agrarge-
sellschaft „Griese Gegend“ Kuhstorf mbH, deren allein vertretungsberechtigter
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Geschäftsführer der Beigeladene zu 1 sei, könne nicht den Antrag des Gebäu-
deeigentümers ersetzen; dies sei mangels eines Gebäudegrundbuchblatts wei-
terhin die LPG (P) „Fritz Reuter“ Bresegard i.L. Der von der LPG i.L. während
des Klageverfahrens gestellte Antrag sei unwirksam, weil die erforderliche Zu-
stimmung des vierten Liquidators fehle. Dem Flurbereinigungsgericht war vor
der mündlichen Verhandlung bekannt geworden, dass dieser schwer erkrankt
im Krankenhaus lag.
Die Beklagte legt mit ihrer Beschwerde den nunmehr von allen vier Liquidatoren
unterschriebenen Antrag vor und rügt als Verfahrensfehler, dass seitens des
Flurbereinigungsgerichts in der mündlichen Verhandlung ein rechtlicher Hinweis
auf seine Rechtsauffassung unterblieben sei und dass die Zurückverweisung
das Gebot der Verfahrensbeschleunigung verletze, weil das Flurbereinigungs-
gericht die Beiladung des Gebäudeeigentümers hätte anordnen und die beiden
in der mündlichen Verhandlung anwesenden Liquidatoren unter Fristsetzung
einstweilen nach § 124 FlurbG hätte zulassen müssen.
II
Die Beschwerde ist begründet. Das Urteil des Flurbereinigungsgerichts leidet an
einem von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO i.V.m. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, § 60 LwAnpG). Wegen dieses
Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, weist der Senat die
Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Flurbereinigungsgericht
zurück.
Die Beschwerde beanstandet hinreichend substantiiert im Sinne des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO und im Ergebnis zu Recht, dass das Flurbereinigungsge-
richt mit der Zurückverweisung an die Widerspruchsbehörde das flurbereini-
gungsrechtliche Gebot der Verfahrensbeschleunigung verletzt hat. Dieses Ge-
bot hat u.a. in der Regelung des § 144 Satz 1 FlurbG Ausdruck gefunden. Die
genannte Vorschrift verleiht dem Flurbereinigungsgericht, wenn es die Klage für
begründet hält, eine erweiterte Änderungs- und Gestaltungsbefugnis. Das ihm
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dabei eröffnete Ermessen, ob es den angefochtenen Verwaltungsakt durch Ur-
teil ändert oder die Sache unter Aufhebung der behördlichen Bescheide zu-
rückverweist, ist unter Beachtung des Beschleunigungsgebots auszuüben.
Steht eine Planänderung in Rede, setzen seine besonderen Befugnisse (§ 143
FlurbG) und seine fachkundige Besetzung (§ 139 FlurbG) das Flurbereini-
gungsgericht regelmäßig in den Stand, die erforderlichen und zweckmäßigen
Änderungen selbst auszusprechen. Nur dort, wo es ihm im Hinblick auf Umfang
und Schwierigkeit des zu Veranlassenden unzumutbar erscheint, selbst eine
Planänderung vorzunehmen, ist eine Zurückverweisung gerechtfertigt (vgl. Ur-
teil vom 17. April 1975 - BVerwG 5 C 38.74 - BVerwGE 48, 160 <166>). Dies
folgt aus dem Beschleunigungsgebot und der daraus abzuleitenden Pflicht des
Flurbereinigungsgerichts, wenn eben möglich, den Rechtsstreit zu einem sach-
lichen Ende zu bringen (vgl. Beschluss vom 26. Februar 1988 - BVerwG 5 B
143.86 - Buchholz 424.01 § 2 FlurbG Nr. 4 S. 3).
Hier hat sich das Flurbereinigungsgericht unter Berufung auf § 144 Satz 1
FlurbG für eine Zurückverweisung der Sache an die Widerspruchsbehörde ent-
schieden. Grund hierfür war, dass aus seiner Sicht der angefochtene Anord-
nungsbeschluss mangels wirksamer Antragstellung zwar rechtswidrig ergangen
war, dieser Mangel aber noch dadurch geheilt werden konnte, dass der - bereits
von drei Liquidatoren gestellte - Zusammenführungsantrag nachträglich die
Zustimmung des vierten Liquidators fand. Bei dieser Verfahrenskonstellation
hat das Flurbereinigungsgericht die Klage zwar - wie es § 144 Satz 1 FlurbG
voraussetzt - als begründet angesehen, dennoch aber keine Spruchreife für
eine Aufhebung des Anordnungsbeschlusses und der daran anknüpfenden
Verwaltungsakte angenommen. Nicht in Erwägung gezogen hat das Flurberei-
nigungsgericht die Möglichkeit, sich selbst um die Einholung der Zustimmung
des vierten Liquidators zu bemühen und die Sache auf diesem Wege spruchreif
zu machen. Dies wertet der Senat als einen Verfahrensfehler, den der Beklagte
unter dem Aspekt mit Erfolg rügen kann, dass das Beschleunigungsgebot ver-
letzt ist.
Revisionsrechtlich begegnet es keinen Bedenken, wenn das Flurbereinigungs-
gericht davon ausgeht, dass der Antrag von der LPG i.L. auch im Wider-
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spruchsverfahren mit heilender Wirkung gestellt werden kann. Nicht zu folgen
wäre dem Flurbereinigungsgericht darin, falls es angenommen hat, die Vor-
schrift des § 144 Satz 1 FlurbG komme unmittelbar zur Anwendung. Dem steht
nämlich entgegen, dass hier für das Flurbereinigungsgericht nicht die Möglich-
keit zur Wahl stand, „den angefochtenen Verwaltungsakt durch Urteil [zu] än-
dern“. Aus diesem Grunde war die genannte Vorschrift auf die vorliegende Ver-
fahrenskonstellation nur entsprechend oder aber ihrem Rechtsgedanken nach
anwendbar. Die sich daraus ergebenden Handlungsalternativen hat das Flurbe-
reinigungsgericht nicht umfassend in den Blick genommen, wenn es sich für die
Zurückverweisung entschieden hat, ohne erkennbar in Erwägung zu ziehen,
dass es in Beachtung des Beschleunigungsgebots seine Pflicht gewesen wäre,
der von ihm als Gebäudeeigentümer ermittelten LPG i.L. noch im Klageverfah-
ren Gelegenheit zu geben, die Antragstellung nachzuholen. Diese Handlungsal-
ternative hätte sich dem Flurbereinigungsgericht aufdrängen müssen, wenn es
berücksichtigt hätte, dass aus dem Beschleunigungsgebot seine Verpflichtung
folgt, alles Zumutbare zu tun, um das Verfahren selbst einer Sachentscheidung
zuzuführen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Flurbereinigungsgericht
nicht auf irgendeine Hilfestellung seitens der Widerspruchsbehörde angewiesen
war, um kurzfristig eine Klärung der Frage herbeizuführen, ob auch der vierte
Liquidator dem - bereits namens der LPG i.L. gestellten - Zusammenfüh-
rungsantrag zustimmt. Nachdem das Flurbereinigungsgericht Kenntnis davon
erlangt hatte, dass der vierte Liquidator schwer erkrankt im Krankenhaus lag,
war nämlich die Vermutung naheliegend, dass einer nachträglichen Zustim-
mung keine unüberwindbaren Hindernisse entgegenstehen würden. So hat of-
fenkundig auch das Flurbereinigungsgericht die Lage eingeschätzt; denn ande-
renfalls ist sein an die Widerspruchsbehörde gerichteter Hinweis, die Zustim-
mung könne mit heilender Wirkung nachträglich eingeholt werden, nicht ver-
ständlich. Es fehlt dann aber auch ein rechtfertigender Grund dafür, warum sich
das Flurbereinigungsgericht nicht selbst um die Einholung dieser Zustimmung
bemüht hat. Hierin erblickt der Senat angesichts des Beschleunigungsgebots
einen Ermessensfehlgebrauch.
Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, die LPG i.L. habe bisher nicht
zu den Beteiligten des Rechtsstreits gehört. Dieser Umstand hätte das Flurbe-
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reinigungsgericht nämlich dazu veranlassen müssen, eine Beiladung der LPG
i.L. auszusprechen, um ihr auf diese Weise die Möglichkeit zu verschaffen, ihr
Antragsrecht auszuüben. Dabei mag dahinstehen, ob hier ein Anwendungsfall
von § 65 Abs. 2 VwGO anzunehmen ist. Zumindest reduziert sich ein Ermes-
sen, das nach § 65 Abs. 1 VwGO gegeben wäre, im vorliegenden Fall auf Null,
solange die LPG i.L. nicht verbindlich erklärt hat, auf ihr Antragsrecht verzichten
zu wollen.
Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat darauf hin, dass es auch zu
beanstanden sein dürfte, wenn das Flurbereinigungsgericht nicht die Agrarge-
sellschaft „Griese Gegend“ Kuhstorf mbH beigeladen hat, obwohl dieser durch
das angefochtene Urteil die von ihr beanspruchte Antragsbefugnis als Gebäu-
deeigentümer abgesprochen wird.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 3 GKG.
Dr. h.c. Hien Vallendar Dr. Nolte
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Flurbereinigungsrecht
Fachpresse:
ja
Recht der deutschen Einheit
Rechtsquellen:
LwAnpG
§ 64
FlurbG
§§ 139, 143, 144 Satz 1
Stichworte:
Bodenneuordnungsverfahren; Anordnungsbeschluss; Antragsbefugnis; Gebäu-
deeigentum; Beschleunigungsgebot; Zurückverweisung an die Widerspruchs-
behörde.
Leitsätze:
1. Das Beschleunigungsgebot gebietet es dem Flurbereinigungsgericht, wenn
eben möglich, den Rechtsstreit zu einem sachlichen Ende zu bringen (im
Anschluss an den Beschluss vom 26. Februar 1988 - BVerwG 5 B 143.86 -
Buchholz 424.01 § 2 FlurbG Nr. 4 S. 3).
2. Das Beschleunigungsgebot ist auch dann zu beachten, wenn das Flurberei-
nigungsgericht auf die Klage des Bodeneigentümers gegen Entscheidungen,
die in einem auf Antrag eines vorgeblichen Gebäudeeigentümers
durchgeführten Bodenordnungsverfahren ergangen sind, den Anordnungs-
beschluss mit der Begründung für rechtswidrig erachtet, es habe einen an-
deren Gebäudeeigentümer ermittelt.
Beschluss des 10. Senats vom 10. Mai 2007 - BVerwG 10 B 71.06
I. OVG Greifswald vom 13.09.2006 - Az.: OVG 9 K 13/05 -