Urteil des BVerwG vom 08.06.2007

Genfer Flüchtlingskonvention, Widerruf, Bundesamt, Irak

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 70.07 (bisher: 1 B 307.06)
OVG 9 A 104/06.A
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Juni 2007
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Richter
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Oktober
2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
Die Beschwerde wirft zunächst folgende Rechtsfrage als grundsätzlich bedeut-
sam auf:
„Ist bei der Beurteilung, ob im Irak eine grundlegende und
dauerhafte Situationsänderung vorliegt, die Richtlinie
2004/83 EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) anzuwenden?“
Die Beschwerde macht geltend, wann eine entscheidungserhebliche Verände-
rung der politischen Verhältnisse im Herkunftsstaat angenommen werden kön-
ne, sei in Übereinstimmung mit der so genannten Wegfall-der-Umstände-
Klausel in Art. 1C Nr. 5 GFK zu beurteilen, die nunmehr wörtlich von Art. 11
Abs. 1 Buchst. e der Qualifikationsrichtlinie übernommen worden sei. Es fehle
an höchstrichterlicher Rechtsprechung zu der aufgeworfenen Frage.
Die aufgeworfene Frage rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Re-
vision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, weil sie in erster
Linie auf die den Tatsachengerichten vorbehaltene Klärung der Verhältnisse im
Irak abzielt und nicht - wie erforderlich - eine Rechtsfrage betrifft. Aber auch
1
2
3
4
- 3 -
wenn man auf die rechtlichen Komponenten der aufgeworfenen Frage abstellt,
ist der Beschwerde deren Klärungsbedürftigkeit nicht zu entnehmen. Die Be-
schwerde berücksichtigt nicht, dass die den Widerruf betreffenden Bestimmun-
gen der Richtlinie über die Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Ver-
längerung der Flüchtlingseigenschaft (Art. 14 i.V.m. Art. 11) im vorliegenden
Fall noch nicht anwendbar sind. Denn sie gelten gemäß Art. 14 Abs. 1 der
Richtlinie nur bei Anträgen auf internationalen Schutz, die - anders als hier -
nach Inkrafttreten der Richtlinie am 20. Oktober 2004 gestellt wurden. Abgese-
hen davon ist auch nicht erkennbar, dass sich für den Widerruf der Flüchtlings-
eigenschaft aus Art. 14 i.V.m. Art. 11 der Richtlinie, der wörtlich an die entspre-
chenden Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention anknüpft, inhaltlich
etwas anderes ergibt als aus § 73 Abs. 1 AsylVfG, der nach der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls im Sinne von Art. 1C Nr. 5
und 6 GFK auszulegen und anzuwenden ist (vgl. Urteil vom 20. März 2007
- BVerwG 1 C 21.06 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung
BVerwGE vorgesehen). Einen weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die Be-
schwerde nicht auf.
Die Beschwerde macht darüber hinaus die grundsätzliche Bedeutung der fol-
genden Frage geltend:
„Ist § 73 Abs. 2a AsylVfG, der am 1. Januar 2005 in Kraft
getreten ist, auf Entscheidungen über Irakwiderrufe an-
wendbar, die nach dem 1. Januar 2005 ergangen sind?“
Diese Frage ist durch das erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
20. März 2007 geklärt. Danach findet § 73 Abs. 2a AsylVfG auf den nach dem
1. Januar 2005 ausgesprochenen Widerruf einer vor diesem Zeitpunkt unan-
fechtbar gewordenen Anerkennung mit der Maßgabe Anwendung, dass die
darin vorgesehene neue Drei-Jahres-Frist, nach deren Ablauf das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge spätestens erstmals die Widerrufsvoraussetzun-
gen prüfen muss, erst vom 1. Januar 2005 an zu laufen beginnt. Eine Ermes-
sensentscheidung über den Widerruf nach § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG kommt
auch bei derartigen Alt-Anerkennungen erst in Betracht, wenn das Bundesamt
in einem vorangegangenen Verfahren Widerrufsvoraussetzungen sachlich ge-
5
6
- 4 -
prüft und verneint hat (Negativentscheidung). Einen weitergehenden Klärungs-
bedarf macht die Beschwerde auch insoweit nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
Satz 1 RVG.
Dr. Mallmann
Richter
Beck
7