Urteil des BVerwG vom 25.03.2009

Sicherheit, Folter, Beweiserleichterung, Polizei

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 68.08 (10 PKH 29.08)
VGH 4 UE 155/06.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Der Klägerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozess-
kostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin ..., ..., beige-
ordnet.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 4. September 2008 wird verworfen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor
(§ 166 VwGO, §§ 114 ff., 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Die auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ge-
stützte Beschwerde der Beklagten ist unzulässig. Sie legt den geltend gemach-
ten Zulassungsgrund nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO entsprechenden Weise dar.
Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht gehe im Rahmen seiner
Prognoseerstellung von dem Grundsatz aus, eine hinreichende Sicherheit vor
Verfolgung setze voraus, dass Übergriffe gleichsam überhaupt nicht mehr vor-
kämen oder aber in jedem Fall vom Staate sanktioniert würden. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. Februar 1989
- BVerwG 9 C 29.87) genüge jedoch auch bei dem abgesenkten Prognose-
maßstab nicht die abstrakte, theoretische Möglichkeit einer fortdauernden Ver-
folgungsgefahr, sondern es müssten konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall vor-
liegen, die ernsthafte Zweifel an der künftigen Sicherheit belegen könnten. Die
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diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts zeichneten sich durch
wenig konkrete Belege für einen noch nicht gänzlichen Entfall der Foltergefahr
aus. Zudem erscheine die Prognose im vorliegenden Fall als willkürliche (Gna-
den-)Entscheidung, völlig aus der Luft gegriffen und sei daher in Wirklichkeit
pure Spekulation.
Mit diesem Vorbringen und den weiteren Ausführungen der Beschwerde ist eine
Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan. Diese setzt
vielmehr die Bezeichnung eines inhaltlich bestimmten, die angefochtene
Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatzes voraus, mit dem die Vorin-
stanz einem in der Rechtsprechung unter anderem des Bundesverwaltungsge-
richts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechts-
vorschrift widersprochen hat. Daran fehlt es hier. Das bloße Aufzeigen einer
fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den
Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 = NJW 1997, 3328).
Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung den für Vorverfolgte geltenden
herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab unter Verweis auf die Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR
147/80 u.a. - BVerfGE 54, 341 <360>) und des Bundesverwaltungsgerichts (Ur-
teil vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169) zugrun-
de gelegt. Die Beschwerde benennt auch mit dem Verweis auf die ständige
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und das Urteil vom 8. Februar
1989 (BVerwG 9 C 29.87) keinen abweichenden Rechtssatz aus der Entschei-
dung des Berufungsgerichts, sondern wendet sich gegen die aus ihrer Sicht
unzutreffende Prognoseerstellung des Berufungsgerichts mit Blick auf die Situ-
ation in der Türkei. Damit kann sie die Zulassung der Revision nicht erreichen.
Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht unter lediglich formaler Be-
zugnahme auf die Maßstäbe des Bundesverwaltungs- und Bundesverfas-
sungsgerichts in der Sache abweichende abstrakte Kriterien angewandt habe.
Das ist auch nicht erkennbar, denn der Verwaltungsgerichtshof hat konkret für
die Person der Klägerin ausgeführt, warum bei einer Rückkehr in die Türkei der
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Einsatz - politisch motivierter - subtiler Methoden der Folter anlässlich einer
Überstellung an die politische Abteilung der Polizei nicht mit der erforderlichen
hinreichenden Sicherheit auszuschließen ist. Ob in dem Herkunftsland ein Risi-
ko der Folter besteht, wie hoch es ist und ob es sich in der Person des Asylbe-
werbers zu realisieren vermag, sind typischerweise - und so auch hier - Fragen
der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, bei der das Berufungsgericht zu an-
deren Ergebnissen gekommen ist als sie die Beklagte für richtig hält. Mit ihrem
Vorbringen wendet sich die Beschwerde letztlich im Gewande der Divergenzrü-
ge gegen die dem Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung
des Sachverhalts, ohne die behauptete Maßstabsabweichung darzutun; damit
kann sie die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht
erreichen.
Der pauschale Hinweis auf die „Vermutungsumkehrung“ nach Art. 4 Abs. 4 der
Qualifikationsrichtlinie rechtfertigt auch keine Zulassung der Revision wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Der vom Berufungsgericht ange-
wandte Maßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit führt nach der
Rechtsprechung des Senats regelmäßig zu dem gleichen Ergebnis wie die Be-
weiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Vorlagebe-
schluss des Senats vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - juris Rn.14).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wur-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Satz 1 RVG.
Dr. Mallmann Prof. Dr. Kraft Fricke
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