Urteil des BVerwG vom 11.11.2005

Treu Und Glauben, Allgemeiner Rechtsgrundsatz, Abgabenrecht, Verwalter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 67.05
OVG 9 A 1149/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. November 2005
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die Richter
am Bundesverwaltungsgericht V a l l e n d a r und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger zu 4 und 5 gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Juni 2005 in der
Fassung des Beschlusses vom 17. August 2005 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 13 694,19 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Kläger sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, von
der Grundbesitzabgaben (Abfall-, Entwässerungs- und Straßenreinigungsgebühren)
für die Jahre 1997 bis 1999 erhoben worden sind, deren Höhe streitig war. Der Be-
klagte hatte die Abrechungsbescheide und die Bescheide über festgesetzte Säum-
niszuschläge unter Angabe der Anschrift der Eigentumswohnungsanlage an den
Verwalter verschickt. Mit ihrer gegen die Bescheide gerichteten Klage machten die
Kläger geltend, die Bescheide seien wegen fehlender Bestimmtheit in der Bezeich-
nung des Gebührenschuldners nichtig; zumindest müssten aber die Säumniszu-
schläge erlassen werden. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die
Berufung der Kläger gegen die Klageabweisung blieb ohne Erfolg. Die Kläger stre-
ben mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision an.
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II.
Die Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt
nicht die grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, die ihr von
der Beschwerde beigemessen wird (1.). Auch der geltend gemachte Zulassungs-
grund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor (2.).
1. a) Die Beschwerde hält zunächst die Frage für klärungsbedürftig,
"ob die Bescheide so ausgelegt werden können, dass Adressaten
auch solche nicht weiter konkret benannten früheren Wohnungseigentümer sein
können, die ihr Sondereigentum zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Bescheide
bereits verkauft hatten und daher nicht mehr zur Wohnungseigentü-
mergemeinschaft gehörten."
Mit dieser Frage knüpft die Beschwerde daran an, dass die Vorinstanz
den Einwand der Kläger, die angefochtenen Bescheide seien nicht hinreichend be-
stimmt, mit der Begründung verworfen hat, es sei unschädlich, wenn die Mitglieder
der Wohnungseigentümergemeinschaft als Adressaten nicht namentlich benannt
worden seien, weil sich eine hinreichend bestimmbare Regelung im Wege der Aus-
legung ermitteln lasse. Hinsichtlich der Abrechnungsbescheide sei davon auszuge-
hen, dass sie sich an die bei ihrer Bekanntmachung aktuellen Wohnungseigentümer
richteten. Was die festgesetzten Säumniszuschläge angehe, ergebe sich aus einer
tabellarischen Berechnung, dass diejenigen Wohnungseigentümer, die Schuldner der
einzeln aufgeführten und nicht rechtzeitig gezahlten Gebührenforderungen (ge-
wesen) seien, in gleicher Weise auch Schuldner der konkret darauf entfallenen
Säumniszuschläge sein sollten, so dass insoweit auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der
Ansprüche abzustellen sei, für die das Satzungsrecht eine gesamtschuldnerische
Haftung der Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft angeordnet habe.
Die Beschwerde zeigt auch mit ihren weiteren Fragen, die in Abwandlung
der zitierten Ausgangsfrage vom konkreten Einzelfall abstrahieren, nicht auf, warum
sich in einem Revisionsverfahren die Frage nach einer Haftung zwischenzeitlich
ausgeschiedener Wohnungseigentümer stellen soll. Die Kläger selbst gehören der
Wohnungseigentümergemeinschaft weiterhin an. Die Vorinstanz hat offenbar schon
aus diesem Grunde keine Veranlassung gesehen, zu dieser Fragestellung
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Ausführungen zu machen. Es ist nicht ersichtlich, warum dies zu beanstanden sein
sollte.
b) Die Beschwerde wendet sich gegen die Auffassung der Vorinstanz,
dass die Abrechnungsbescheide sich an die bei ihrer Bekanntmachung aktuellen
Wohnungseigentümer richteten. Da nach den weiteren Ausführungen der Vorinstanz
nur diejenigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft gesamtschuldne-
risch hafteten, die ihr bereits bei Fälligkeit der Gebührenforderung angehört hätten,
stelle sich die Frage,
"ob in einem solchen Fall dennoch die pauschale Adressierung an
die Wohnungseigentümergemeinschaft dem Bestimmtheitserfordernis genügt,"
und "ob die Abrechnungsbescheide so auszulegen sind, dass sie nicht die
Feststellung enthalten, dass diejenigen, die zur Zeit ihres Erlasses Mitglieder
der Wohnungseigentümergemeinschaft waren, als Gesamtschuldner für die
angefallenen Säumniszuschläge und Mahnkosten haften."
Dies sind Fragen, deren grundsätzliche Bedeutung von der Beschwerde
nicht dargelegt wird (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO); denn ein Klärungsbedarf i.S. von
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann nicht schon mit dem pauschalen Hinweis aufgezeigt
werden, dass eine "Rechtsprechung zu einem solchen Sachverhalt" fehlt. Selbst
wenn man annehmen wollte, dass der tatrichterlich ermittelte Erklärungswert der an-
gefochtenen Bescheide für das Revisionsgericht nicht als Tatsachenfeststellung nach
§ 137 Abs. 2 VwGO bindend feststeht (dazu BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001
- BVerwG 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <280>; anders möglicherweise z.B. Urteil
vom 18. Juni 1980 - BVerwG 6 C 55.79 - BVerwGE 60, 223 <228 f.>), wird von der
Beschwerde keine Rechtsfrage des revisiblen Rechts formuliert, die über den
Einzelfall hinausgehende Bedeutung hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August
1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).
c) Als klärungsbedürftig bezeichnet die Beschwerde weiterhin die Fra-
ge,
"ob die fehlende namentliche Benennung der Schuldner und die
fehlende Aufschlüsselung der im Einzelnen zu zahlenden Beträge durch eigene
Ermittlungen und Berechnungen des Wohnungseigentumsverwalters ersetzt
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werden kann, und die Bescheide nach dessen Empfängerhorizont damit als
bestimmt genug angesehen werden können."
Ein Klärungsbedarf, der die Zulassung der Revision rechtfertigt, ist auch
unter diesem Aspekt nicht erkennbar. Die Anwendung der Auslegungsregel des
§ 133 BGB, wonach der erklärte Wille maßgebend ist, so wie ihn der Empfänger der
Erklärung bei objektiver Würdigung verstehen kann, ist in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt (so z.B. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1980
- BVerwG 6 C 55.79 -, a.a.O.). Empfänger der Bescheide war hier nach dem von der
Vorinstanz festgestellten Sachverhalt der Verwalter der Eigentumswohnanlage. Für
das Revisionsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend festgestellt ist ebenso, dass
dieser die Bescheide als Vertreter aller damaligen Wohnungseigentümer und nicht
als Vertreter der Gemeinschaft in Empfang genommen hat. Die jetzt bemängelte
Kurzbezeichnung ist seinerzeit vom Verwalter nicht als unverständlich gerügt wor-
den. Wenn die Beschwerde das in tatrichterlicher Würdigung auf dieser Grundlage
gewonnene Auslegungsergebnis mit dem Hinweis auf § 27 WEG in Zweifel ziehen
will, führt dies nicht weiter. Es entspricht nämlich der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, dass auch bei Grundbesitzabgaben, die als Forderun-
gen gegen die einzelnen Wohnungseigentümer gerichtet sind, aber gesamtschuldne-
risch anfallen, der Verwalter nach § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG kraft Gesetzes empfangs-
bevollmächtigt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1994 - BVerwG 8 C 15.93 -
Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 37 S. 3). Aus dem von der Beschwerde in
diesem Zusammenhang angeführten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom
25. September 2003 - V ZB 21/03 - (NJW 2003, 3476 ff.) ergibt sich insoweit nichts
Abweichendes. Mit der Auslegung von Bescheiden, mit denen bei einer Eigentums-
wohnanlage Grundbesitzabgaben erhoben werden, befasst sich diese Entscheidung
nicht.
d) Unter Hinweis auf die Anerkennung einer Teilrechtsfähigkeit der
Wohnungseigentümergemeinschaft in dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom
2. Juni 2005 - V ZB 32/05 - (NJW 2005, 2061 ff.) hält die Beschwerde die Frage für
klärungsbedürftig,
"ob die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft über-
haupt als Gesamtschuldner für die Säumniszuschläge haften können."
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Dabei übersieht die Beschwerde, dass die Vorinstanz die gesamt-
schuldnerische Haftung dem kommunalen Abgabenrecht entnommen hat, das nach
§ 137 Abs. 1 VwGO nicht revisibel ist. Die Auslegung dieses Rechts durch die Vorin-
stanz ist für das Revisionsgericht bindend (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Die Teil-
rechtssubjektivität der Wohnungseigentümergemeinschaft, die der Bundesgerichts-
hof letztlich aus der Entstehungsgeschichte sowie dem Regelungszusammenhang
der §§ 27, 28 WEG herleitet (a.a.O., S. 2063 ff.), hindert die Geltung einer im kom-
munalen Abgabenrecht statuierten gesamtschuldnerischen Haftung der Wohnungs-
eigentümer für Grundbesitzabgaben nicht. Soweit der Bundesgerichtshof für die Be-
gründung einer Haftung neben dem Verband entweder die Übernahme einer persön-
lichen Schuld oder "eine ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers" (a.a.O.,
S. 2067) verlangt, steht gerade dies einer Veranlagung der einzelnen Wohnungsei-
gentümer, die im kommunalen Abgabenrecht verankert ist, nicht entgegen. Wenn die
Beschwerde der gesamtschuldnerischen Haftung im Übrigen entgegenhalten will,
dass die Kosten der Abfallentsorgung verbrauchsabhängig und im Sondereigentum
verursacht worden seien, rekurriert sie auf einen Sachverhalt, der von der Vorinstanz
so nicht festgestellt worden ist und schon deswegen für das Revisionsgericht nicht
entscheidungserheblich sein kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. September 1996
- BVerwG 9 B 387.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 12).
e) Für klärungsbedürftig erachtet die Beschwerde die Frage,
"ob nicht die Annahme einer gesamtschuldnerischen Haftung der
Wohnungseigentümer für die Säumnisgebühren angesichts der Insolvenz des
früheren Mehrheitseigentümers Fa. … eine Unbilligkeit nach § 227 AO dar-
stellt."
Damit kann die Beschwerde schon deswegen die grundsätzliche Be-
deutung der Rechtssache nicht darlegen, weil die Vorschrift des § 227 AO hier ihre
Geltung einer Bezugnahme im einschlägigen kommunalen Abgabenrecht verdankt,
so dass sie ebenfalls dem nicht revisiblen Landesrecht zuzuordnen ist (vgl. BVerwG,
Urteil vom 14. Februar 2001 - BVerwG 11 C 9.00 - BVerwGE 114, 1 <4>). Die von
der Beschwerde aufgeworfene Frage wird auch nicht dadurch klärungsbedürftig,
dass die Unbilligkeit der Gebührenforderung zusätzlich mit einem Verstoß gegen den
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Gleichheitsgrundsatz und das Äquivalenzprinzip begründet wird. Zwar handelt es
sich dabei um bundesrechtliche Maßstabsnormen. Allein mit dem Hinweis, das Lan-
desrecht sei von der Vorinstanz unter Verstoß gegen Bundesrecht angewandt wor-
den, erlangt die Rechtssache aber noch nicht die angestrebte Revisibilität (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 23. März 1992 - BVerwG 5 B 174.91 - Buchholz 310 § 132
VwGO Nr. 306). Die Anforderungen, die für das kommunale Abgabenrecht aus dem
Gleichheitsgrundsatz und dem Äquivalenzprinzip erwachsen, sind weitgehend ge-
klärt. Die von der Beschwerde formulierte Fragestellung lässt fortbestehenden Klä-
rungsbedarf, der als fallübergreifend anzusprechen wäre, nicht erkennbar werden.
f) Gleiches gilt für die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
"ob die Geltendmachung der Säumniszuschläge angesichts der
offenkundigen und schwerwiegenden Fehlerhaftigkeit der zugrunde liegenden
Bescheide über die Festsetzung der Abfallgebühren, der überlangen … Bear-
beitungszeit des Beklagten zur Behebung dieses Fehlers, sowie der unerfüllten
Aufforderungen …, die geschuldeten Beträge aufzuschlüsseln, eine Unbilligkeit
im Sinne des § 227 AO bzw. einen Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und
Glauben darstellt, die zum vollständigen Erlass der Säumniszuschläge führt."
Auch ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der - wie hier Treu und Glau-
ben - zu dem Zweck herangezogen wird, das einschlägige kommunale Abgabenrecht
zu ergänzen, ist nämlich ebenfalls dem irrevisiblen Recht zuzurechnen und
deswegen ungeeignet, eine Zulassung der Revision zu rechtfertigen (vgl. etwa
BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2000 - BVerwG 1 B 51.00 - Buchholz 310
§ 144 VwGO Nr. 69 S. 5).
2. Die Beschwerde kann auch nicht mit ihrer Divergenzrüge durchdrin-
gen. Der Beschluss der Vorinstanz weicht entgegen der Auffassung der Beschwerde
nicht i.S. von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts ab, die in der Beschwerdebegründung zitiert wird. Denn
dies würde voraussetzen, dass eine unterschiedliche Beantwortung einer die
Entscheidung tragenden abstrakten Rechtsfrage vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 25. Februar 1994
- BVerwG 8 C 2.92 - (Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 68 S. 5 f.) für einen
Abfallgebührenbescheid den Verwalter nach § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG nicht kraft Ge-
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setzes als empfangsbevollmächtigt angesehen. Dies hat das Bundesverwaltungsge-
richt aber daraus gefolgert, dass es sich nach dieser Vorschrift nur dann um eine
"gemeinschaftliche Angelegenheit" der Wohnungseigentümer handele, wenn es um
"gesamtschuldnerische Gebühren" gehe, was nach dem seinerzeit in Schleswig-
Holstein geltenden Kommunalabgabenrecht nicht der Fall gewesen sei. Wie zuvor
(oben 1. c) bereits erwähnt wurde, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts geklärt, dass bei gesamtschuldnerisch anfallenden Grundbesitzabga-
ben der Anwendung des § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG nichts im Wege steht. Die Vorin-
stanz hat - für das Revisionsgericht bindend - in Anwendung des in Nordrhein-
Westfalen geltenden Gebührenrechts eine gesamtschuldnerische Haftung bejaht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2
VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 3 GKG.
Hien Vallendar Prof. Dr. Rubel