Urteil des BVerwG vom 19.04.2007

Verfahrensmangel, Beweisantrag, Rüge, Vergleich

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 66.06
OVG F 7 D 4/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. April 2007
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. h.c. Hien
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und Dr. Nolte
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungs-
gerichts vom 27. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtli-
chen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8 483,62 €
festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Verfah-
rensmangel) und des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Divergenz) i.V.m. § 138 Abs. 1
Satz 2 FlurbG gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Als Verfahrensmangel macht die Beschwerde geltend, das Oberverwal-
tungsgericht habe die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ver-
letzt, weil es den Wert der klägerischen Grundstücke unzureichend ermittelt
habe. Diese Rüge greift nicht durch.
Das ergibt sich zunächst daraus, dass die - anwaltlich vertretenen - Kläger es
unterlassen haben, das Gericht mit einem förmlichen Beweisantrag zur weite-
ren Sachaufklärung hinsichtlich der von ihnen behaupteten Tatsachen anzuhal-
ten. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um in der Tatsacheninstanz ei-
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nem Verfahrensbeteiligten anzulastende Versäumnisse zu kompensieren (vgl.
etwa Beschluss vom 17. März 2000 - BVerwG 8 B 287.99 - Buchholz 428 § 30a
VermG Nr. 14 S. 20).
Dass sich dem Oberverwaltungsgericht die von den Klägern vermissten weite-
ren Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken durch einen Beweisantrag
von sich aus hätten aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht in einer den
Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dar (vgl.
hierzu Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 26). Die bloßen Angriffe der Beschwerde gegen die
Richtigkeit der Wertermittlung, die unter Hinweis auf den nach persönlicher Ein-
schätzung des Prozessbevollmächtigten der Kläger „einmalig niedrigen“ Wert
und unter undifferenzierter Angabe von Fällen mit angeblich höheren Boden-
werten in Frage gestellt wird, reichen hierfür nicht aus, weil es sich insoweit um
Kritik an der tatrichterlichen Beurteilung handelt, die einen Verfahrensmangel
nicht begründen kann.
Dem Oberverwaltungsgericht war es im Übrigen nicht verwehrt, sich auf das
vom Beklagten eingeholte Sachverständigengutachten Dr. S. zu stützen und es
als Urteilsgrundlage zu verwerten. Dass es dennoch weiterer Beweiserhebung
bedurft hätte, weil das Gutachten grobe, offen erkennbare Mängel oder unlös-
bare Widersprüche aufweist, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen
ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit
des Gutachters aufkommen lässt (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom
12. September 2005 - 2 BvR 277.05 - NJW 2006, 136 <137 f.>; BVerwG, Be-
schlüsse vom 2. März 1995 - BVerwG 5 B 26.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 267 S. 12 und vom 7. Juni 1995 - BVerwG 5 B 141.94 - Buchholz
310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 268 S. 14), legt die Beschwerde nicht substantiiert
dar. Mit dem Hinweis der Kläger auf das abweichende Wertermittlungsgutach-
ten E. hat sich das Oberverwaltungsgericht auseinandergesetzt und die dort
getroffenen Aussagen nachvollziehbar als veraltet und undifferenziert darge-
stellt. Mit der Rüge, Gutachten und Oberverwaltungsgericht hätten weitere Ver-
gleichskauffälle ermitteln müssen, bezeichnet die Beschwerde einen Verfah-
rensmangel nicht in der von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO geforderten Weise, weil
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sie nicht darlegt, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungs-
maßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen
Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung
voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. hierzu Beschluss vom 19. August
1997 a.a.O.).
2. Die Divergenzrüge ist ebenfalls nicht begründet. Die Beschwerde benennt
zwar Rechtssätze aus der angefochtenen Entscheidung, denen sie solche aus
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26. März 2003
- BVerwG 9 C 5.02 - BVerwGE 118, 91) gegenüberstellt. Widersprüche zwi-
schen diesen Rechtssätzen zeigt sie damit jedoch nicht auf.
Das Oberverwaltungsgericht hat die angeführte Entscheidung des Bundesver-
waltungsgerichts erkannt und sich in seinem Urteil hierauf gestützt. Eine Diver-
genz besteht nicht. Die von der Beschwerde benannten Rechtssätze des Bun-
desverwaltungsgerichts betreffen zunächst die Frage, welche Vergleichs-
grundstücke auszuwählen sind. Danach ist es unzulässig, den Verkehrswert der
zu bewertenden Grundstücke des bodenordnungsrechtlichen Verfahrens-
gebietes ausschließlich durch einen Vergleich mit „Bereinigungsfällen“ zu ermit-
teln, bei denen Grund- und Gebäudeeigentum auseinanderfallen (Urteil vom 26.
März 2003, a.a.O. S. 94 f.). Diesem Verbot hat das Oberverwaltungsgericht
aber weder ausdrücklich noch der Sache nach zuwidergehandelt. Die vom
Gutachter Dr. S. ermittelten und in seinem Gutachten aufgeführten Fälle be-
schränken sich nämlich nicht auf den Kreis bloßer „Bereinigungsfälle“. Soweit
das Bundesverwaltungsgericht darüber hinaus - wie von der Beschwerde ange-
führt - verlangt, die Wertermittlung müsse auf einer hinreichend breiten Grund-
lage von Vergleichsverkaufsfällen beruhen, ist ebenfalls kein Widerspruch er-
kennbar, weil das erwähnte Gutachten und das sich hierauf stützende Urteil des
Oberverwaltungsgerichts die Wertermittlung nicht auf einen solchen Ver-
kaufsfallvergleich gründen. Wenn die Beschwerde der Sache nach kritisiert, das
Oberverwaltungsgericht habe „ohne Not“ darauf verzichtet, Vergleichs-
grundstücke aus vergleichbaren Gebieten heranzuziehen, ist darauf hinzuwei-
sen, dass nach der angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
- gerade im Interesse einer angemessenen Begrenzung des Ermittlungsauf-
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wandes, den auch das Gutachten hervorhebt - keine zwingende Verpflichtung
besteht, das Ermittlungsgebiet zu erweitern (Urteil vom 26. März 2003, a.a.O.
S. 95).
Zu der vom Gutachten angewandten und vom Oberverwaltungsgericht im Er-
gebnis nicht beanstandeten Wertermittlungsmethode verhält sich die angeführte
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Darlegungen, die insoweit
eine Umdeutung der Divergenzrüge in eine Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) rechtfertigen könnten, sind der Beschwerde nicht zu entnehmen (vgl. zu
den Darlegungsanforderungen Beschluss vom 19. August 1997, a.a.O.). Abge-
sehen davon stützt sich das Oberverwaltungsgericht alternativ auf zwei
unterschiedliche Wertermittlungsmethoden, so dass ein Revisionszulas-
sungsgrund hinsichtlich beider Begründungen geltend gemacht werden und
vorliegen müsste (vgl. auch hierzu Beschluss vom 19. August 1997, a.a.O.
S. 15).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3
VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dr. h.c. Hien Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte
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