Urteil des BVerwG vom 03.11.2006

Eigentumsgarantie, Rüge, Willkür, Begriff

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 6.06
VGH 23 B 05.1745
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. November 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. h.c. Hien
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Domgörgen
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 1. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 1 334,88 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)
gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Als klärungsbedürftig wirft die Beschwerde die Frage auf,
ob bei der Auslegung des Begriffes „Regenwasserkanal“
in § 3 der Entwässerungssatzung der Beklagten die bun-
desrechtliche Vorschrift des § 18b Abs. 1 WHG nicht be-
achtet wurde.
In diesem Zusammenhang will sie geklärt wissen,
ob die Vorschrift des § 18b Abs. 1 WHG dahin auszulegen
ist, dass Abwasserkanäle bestimmten technischen
Mindestanforderungen entsprechen müssen.
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Die erste dieser Fragen wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
Sie betrifft ausdrücklich die Auslegung des Satzungsrechts der Beklagten und
damit Landesrecht. Dessen Auslegung und Anwendung ist einer revisionsge-
richtlichen Kontrolle nicht zugänglich (§ 137 Abs. 1 VwGO) und kann deshalb
eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht rechtferti-
gen. Daran ändert nichts, dass der Begriff des Kanals im Abgabenrecht anderer
Länder in vergleichbarer Weise Verwendung finden mag (vgl. Beschluss vom
25. Oktober 1995 - BVerwG 4 B 216.95 - BVerwGE 99, 351 <353 f.>).
Die mit der vorgenannten Fragestellung verbundene weitere Frage betrifft zwar
die Auslegung von Bundesrecht. Bezogen auf sie ist ein Klärungsbedarf aber
nicht hinreichend dargetan (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), da es auf sie für die
von der Beschwerde problematisierte Zuordnung des von der Beklagten als Teil
ihrer Entwässerungsanlage beanspruchten Grabensystems zum Begriff des
(Abwasser-)Kanals nicht ankommt. § 18b WHG verhält sich nämlich nicht zu
den - allein landesrechtlicher Bestimmung unterliegenden - begrifflichen Vo-
raussetzungen für Kanäle als Teile von Abwasseranlagen, an die die Entwäs-
serungssatzung der Beklagten anknüpft, sondern regelt die wasserrechtlichen
Anforderungen, denen Abwasseranlagen genügen müssen.
Soweit die Beschwerde rügt, die Auslegung des Begriffs „Regenwasserkanal“
durch den Verwaltungsgerichtshof verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip und
sei offensichtlich willkürlich, macht sie lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwen-
dung geltend, die nicht auf eine Grundsatzfrage führt. Die Ausführungen hierzu
geben im Übrigen angesichts des Spektrums möglicher Bedeutungsgehalte des
Kanalbegriffs für den Vorwurf der Rechtsstaatswidrigkeit und Willkür nichts her.
Mit der weiterhin aufgeworfenen Frage,
ob eine Entwässerungssatzung gegen Art. 14 Abs. 1 GG
verstößt, die eine Handlung, welche nach Landesrecht im
Rahmen des Gemeingebrauches gesetzlich erlaubt ist, ei-
ner Beitragspflicht unterwirft,
geht es der Beschwerde um die Vereinbarkeit von Bestimmungen des Landes-
rechts mit der bundesverfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie. Unter diesem
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Gesichtspunkt könnte sich ein bundesrechtlicher Klärungsbedarf nur dann er-
geben, wenn die Auslegung der bundesrechtlichen Maßstabsnorm ihrerseits
ungeklärte Fragen von fallübergreifender Bedeutung aufwerfen würde. Aus die-
sem Grund müsste im Einzelnen dargelegt werden, inwiefern diese Norm noch
klärungsbedürftig ist und warum der zu ihr ergangenen höchstrichterlichen
Rechtsprechung bisher keine Aussagen zu entnehmen sind, die eine hinrei-
chende Klärung bewirken (vgl. Beschlüsse vom 5. November 2001 - BVerwG
9 B 50.01 - NVwZ-RR 2002, 217 und vom 4. April 2002 - BVerwG 6 B 1.02 -
juris Rn. 4). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie be-
schränkt sich darauf, die Beitragserhebung für die Möglichkeit einer als Ge-
meingebrauch qualifizierten Einleitung von Niederschlagswasser in Entwässe-
rungsgräben als unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundeigentum zu rügen,
ohne sich damit auseinanderzusetzen, in welcher Hinsicht bislang ungeklärte
Fragen grundsätzlicher Art zu Inhalt und Tragweite der Eigentumsgarantie in
Bezug auf die Erhebung von Abgaben bestehen.
Soweit die Beschwerde darüber hinaus einen Verstoß des in der Entwässe-
rungssatzung der Beklagten festgelegten Benutzungszwangs gegen § 1a
Abs. 2 WHG geltend macht, unterlässt sie es schon, eine als klärungsbedürftig
erachtete Frage zu formulieren; auch mit diesem Einwand erschöpft sie sich in
dem Vorwurf fehlerhafter Rechtsanwendung, der als solcher den Zulassungs-
grund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht auszufüllen vermag.
2. Die Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch.
Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe seine Feststellungen zur
Ausgestaltung der Entwässerungsgräben auf nicht aussagekräftige Aktenaus-
züge gestützt und dadurch den Grundsatz freier Beweiswürdigung (§ 108
Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt. Dem kann nicht gefolgt werden. Fehler in der
Sachverhaltswürdigung sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern
dem materiellen Recht zuzuordnen und können deshalb einen Verfahrensman-
gel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl.
Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 266 S. 18 f.). Eine Ausnahme kommt allerdings bei einer aktenwidri-
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gen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür
geprägten Sachverhaltswürdigung in Betracht (vgl. Urteile vom 25. Mai 1984
- BVerwG 8 C 108.82 - Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 35 S. 15 f. und vom
19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.>; Beschluss
vom 2. November 1995 a.a.O.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
Namentlich hat die Vorinstanz keine aktenwidrigen Feststellungen getroffen. Sie
bezieht sich für ihre Angaben zur Ausgestaltung des bestehenden Graben-
systems auf im Einzelnen bezeichnete Unterlagen, die dieses System teils text-
lich, teils zeichnerisch darstellen und sowohl dessen einzelnen Bestandteile als
auch deren jeweilige Ausdehnung erläutern. Wieso diese Unterlagen nicht aus-
sagekräftig sein sollten, legt die Beschwerde nicht ansatzweise dar. Es kann im
Übrigen keine Rede davon sein, der Verwaltungsgerichtshof habe den vom
Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt in sein Gegenteil verkehrt. Seine
Feststellungen, die sich ergänzend zu den dem Verwaltungsgericht verfügbaren
Unterlagen auch auf das erst später erstellte Entwässerungskonzept der Be-
klagten vom 18./25. Juli 2005 nebst Lageplan stützen konnten, decken sich in
der Grundaussage, wonach das Grabensystem weitgehend aus nach oben of-
fenen, lediglich durch verrohrte Teilstücke ergänzten Gräben besteht, mit der-
jenigen des Verwaltungsgerichts. Die rechtliche Zuordnung der Gräben zur ge-
meindlichen Entwässerungsanlage hat der Verwaltungsgerichtshof ohnehin
unabhängig von dem Maß der Verrohrung vorgenommen mit der Folge, dass
der behauptete Verfahrensfehler gar nicht entscheidungserheblich wäre.
Soweit die Beschwerde weiterhin geltend macht, der Verwaltungsgerichtshof sei
ohne Begründung von seiner eigenen früheren Rechtsprechung zu den Vo-
raussetzungen für die Einbeziehung von Gräben in eine gemeindliche Entwäs-
serungsanlage abgewichen und habe dadurch das Willkürverbot verletzt, rügt
sie eine fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts. Da sie nichts dafür
vorträgt, dass es sich um eine Überraschungsentscheidung gehandelt haben
könnte, ist ein Verfahrensfehler hingegen nicht dargetan.
Entsprechendes gilt für die Rüge, das Berufungsgericht habe die Nichtigkeit der
maßgeblichen gemeindlichen Satzung übersehen. Auch diese Rüge bezieht
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sich nur auf die Anwendung des materiellen Rechts und ist daher nicht geeig-
net, den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auszufüllen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG.
Dr. h.c. Hien Dr. Nolte Domgörgen
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