Urteil des BVerwG vom 30.10.2008

Scharia, Afghanistan, Verfassung, Heimatstaat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 59.08
OVG 20 A 2530/07.A und 20 A 2454/07.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Oktober 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 2008 wird
verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig. Die geltend gemachten Revisionszulassungs-
gründe, die die Versagung der Flüchtlingsanerkennung (1.) und die Versagung
subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (2.) betreffen, sind
nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend darge-
legt.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-
sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt voraus, dass eine klärungsfähige und
klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird. Die Be-
schwerde ist der Auffassung, Angehörige der religiösen Minderheit der Hindu
- wie die Kläger - würden in Afghanistan wegen ihrer Religion verfolgt, und er-
strebt daher die Klärung folgender drei Fragen (Beschwerdebegründung Ab-
schnitt I S. 2 f.):
„1. Begründet die Verfassung der Islamischen Republik
Afghanistan vom 27.01.2004 sowie die Verfassungs- und
Rechtslage Afghanistans eine religiös begründete Diskri-
minierung der Hindus und anderer nicht-islamischer Reli-
gionen, mit der Folge der Verletzung des sich aus § 60
Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 Abs. 2, Art. 10 Ziffer 1b der
Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union
ergebenden Schutzbereichs?
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2. Folgt aus § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 Abs. 2,
Art. 10 Ziffer 1b der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der
Europäischen Union, dass der sich aus dieser Bestim-
mung ergebende asylrechtliche Schutzbereich des Be-
griffs der Religion eine Verfassungs- und Rechtslage im
Heimatstaat voraussetzt, die den islamisch begründeten
Vorbehalt der Scharia nicht beeinhaltet?
3. Wird immer dann der Schutzbereich des § 60 Abs. 1
AufenthG i.V.m. Art. 9 Abs. 2, Art. 10 Ziffer 1b QL verletzt,
wenn im Heimatstaat die dort geltende Landesverfassung
in ihren die weitere gesamte Rechtsordnung prägenden
Bestimmungen wesentlich auf dem Vorbehalt der Scharia
und damit auf der Ausgrenzung Andersgläubiger beruht?“
Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen zielen nicht auf die Klärung von
Fragen des revisiblen Rechts, die in dem angestrebten Revisionsverfahren
beantwortet werden könnten. Sie beziehen vielmehr Umstände in die Fragestel-
lungen ein, die nur von den Tatsachengerichten geklärt und beantwortet werden
können. So betrifft die Frage, ob die Verfassung der Islamischen Republik
Afghanistan vom 27. Januar 2004 sowie die Verfassungs- und Rechtslage
Afghanistans eine religiös begründete Diskriminierung der Hindus und anderer
nicht-islamischer Religionen begründet (Frage 1), die Feststellung und Bewer-
tung ausländischen Rechts. Diese ist aber den Tatsachengerichten vorbehalten
(stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 9 B 19.99 -
Buchholz 402.25 § 26 AsylVfG Nr. 6 m.w.N.). Entsprechendes gilt für die Aus-
wirkungen des Scharia-Vorbehalts in der Verfassung Afghanistans auf den
asylrechtlichen Schutz religiöser Minderheiten (Fragen 2 und 3). Abgesehen
davon, dass es für die Annahme einer Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1
AufenthG nicht allein auf die abstrakte Verfassungs- und Rechtslage im Hei-
matstaat, sondern entscheidend auch auf die jeweilige Rechtsanwendung in der
Praxis ankommt, zeigt die Beschwerde auch nicht auf, dass sich die zu 2. und
3. aufgeworfenen Fragen auf der Grundlage der Feststellungen des Beru-
fungsgerichts in dem angestrebten Revisionsverfahren überhaupt stellen wür-
den. Wie die Beschwerde selbst einräumt, hat das Berufungsgericht nach Aus-
wertung der beigezogenen Erkenntnismittel festgestellt, dass ein diskriminie-
render Charakter der Verfassungs- und Rechtslage als solcher nicht gegeben
sei (UA S. 18). Von dieser Feststellung müsste auch im Revisionsverfahren
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ausgegangen werden (§ 137 Abs. 2 VwGO), da die Beschwerde insoweit keine
durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben hat. Ihre - im Übrigen nicht als Ver-
fahrensrüge kenntlich gemachten - Ausführungen dazu, dass zumindest weite-
rer Aufklärungsbedarf zur Verfolgung der Hindus infolge des Vorbehalts der
Scharia bestehe (Beschwerdebegründung Abschnitt I S. 7), reichen zur Darle-
gung einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO)
nicht aus. Denn die Beschwerde zeigt nicht auf, warum sich dem Berufungsge-
richt trotz der bereits beigezogenen Erkenntnisquellen auch ohne Beweisantrag
der Kläger in der mündlichen Verhandlung eine solche Aufklärung hätte auf-
drängen müssen.
2. Die Beschwerde rügt des Weiteren (Beschwerdebegründung Abschnitt II),
das angefochtene Urteil werde dem vom Bundesverwaltungsgericht in seinen
Urteilen vom 24. Juni 2008 (BVerwG 10 C 43.07 u.a.) entwickelten Maßstab
zum Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60
Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikations-
richtlinie) nicht gerecht. Sie bezieht sich insoweit auf die Ausführungen des
Oberverwaltungsgerichts zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan, die
nicht so kritisch sei, dass jeder zurückkehrende Afghane berechtigterweise die
Sorge hegen müsse, Opfer eines Übergriffs zu werden (UA S. 27 - Beschwer-
debegründung S. 10). Dieses Vorbringen kann als Divergenzrüge im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gewertet werden, entspricht aber nicht deren Darle-
gungsanforderungen.
Zum einen benennt die Beschwerde nicht - wie geboten -, welche divergieren-
den abstrakten, das heißt fallübergreifenden Rechtssätze das angefochtene
und das herangezogene Urteil aufgestellt haben, die in Anwendung derselben
Rechtsvorschrift entwickelt wurden und sich widersprechen. Vielmehr rügt sie
die fehlerhafte Anwendung von Rechtsvorschriften im konkreten Fall. Damit
kann sie aber die Zulassung der Revision nicht erreichen. Im Übrigen zeigt sie
die Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Divergenz nicht auf, denn das
Oberverwaltungsgericht hat den Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2
AufenthG nicht mangels Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts
verneint, sondern deshalb, weil „bereits die in der Qualifikationsrichtlinie gefor-
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derte ernsthafte individuelle Bedrohung nicht festzustellen ist“ (UA S. 25). Auch
die von der Beschwerde angeführte Urteilspassage zur allgemeinen Sicher-
heitslage (UA S. 27) steht in diesem inhaltlichen Zusammenhang.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig Beck
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