Urteil des BVerwG vom 22.06.2007

Rechtliches Gehör, Anhörung, Beweisantrag, Irak

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 56.07 (10 PKH 4.07)
(bisher: BVerwG 1 B 267.06, 1 PKH 79.06)
OVG 16 A 4403/05.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juni 2007
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, Richter und
Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
11. September 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil
er die in jedem Rechtszug gesondert vorzulegende Erklärung über die persönli-
chen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht eingereicht hat. Darüber hinaus
bietet seine Beschwerde, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen er-
gibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Beschwerde genügt hinsichtlich des Revisionszulassungsgrundes der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bereits
nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO und die
darüber hinaus geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-
sache setzt gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO voraus, dass eine klärungsfähige
und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich
der Beschwerde nicht entnehmen.
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Die als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Fragestellung,
„ob … von einer grundsätzlichen Kontrolle des Staatsge-
biets durch staatliche und auch alliierte Kräfte nicht mehr
gesprochen werden kann, so dass zwar noch zugrunde zu
legen ist, dass eine neue Staatsgewalt im Irak vorhanden,
diese aber nicht mehr prinzipiell schutz- und verfolgungs-
mächtig ist“,
zielt im Kern nicht, wie für eine Grundsatzrüge erforderlich, auf eine Rechtsfra-
ge, sondern betrifft die den Tatsachengerichten vorbehaltene Klärung der tat-
sächlichen Verhältnisse im Irak. Die Beschwerde wendet sich insoweit gegen
die ihrer Ansicht nach unzutreffende Feststellung und Würdigung der Sicher-
heitslage im Irak durch das Oberverwaltungsgericht. Indem sie dieser tatsächli-
chen Würdigung des Berufungsgerichts ihre eigene Auffassung entgegenstellt,
kann sie die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache nicht erreichen.
Soweit die Beschwerde auch die Frage zum Gegenstand haben sollte, ob ein
Widerruf der Flüchtlingsanerkennung voraussetzt, dass im Herkunftsstaat eine
prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtige Staatsgewalt vorhanden ist, wird
auf das eine entsprechende Entscheidung des Berufungsgerichts betreffende
Urteil vom 20. März 2007 - BVerwG 1 C 34.06 - verwiesen. Zu der von der Be-
schwerde als Hintergrund der Fragestellung angesprochenen Problematik der
Anforderungen des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK hat das Bundesverwaltungsge-
richt im Übrigen bereits entschieden, dass § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG seinem
Inhalt nach dieser Bestimmung entspricht (Urteil vom 1. November 2005
- BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <282 ff.>; vgl. auch Beschluss vom
28. Juni 2006 - BVerwG 1 B 136.05 -). Schließlich verhilft auch die beiläufige
Bezugnahme auf den Maßstab des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) der am
20. Oktober 2004 in Kraft getretenen Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom
29. April 2004 (ABl Nr. L 304/12 vom 30. September 2004) - Qualifikations-
richtlinie - der Beschwerde nicht zum Erfolg. Die den Widerruf betreffenden Be-
stimmungen der Richtlinie gelten gemäß Art. 14 Abs. 1 nur bei Anträgen auf
internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gestellt wurden
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(Urteil vom 20. März 2007 - BVerwG 1 C 21.06 - Rn. 24) und sind demzufolge
im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar.
2. Die mit der Beschwerde darüber hinaus geltend gemachten Verfahrensmän-
gel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor. Das Berufungsgericht hat weder
gegen seine Pflicht zur Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts (§ 86 Abs. 1
VwGO) verstoßen noch hat es das rechtliche Gehör des Klägers (§ 108 Abs. 2
VwGO) verletzt.
Die Beschwerde sieht einen Verfahrensverstoß darin, dass das Oberverwal-
tungsgericht über die Berufung der Beklagten nach § 130a VwGO ohne münd-
liche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, obwohl nach der ersten
Anhörungsmitteilung ein förmlicher Beweisantrag gestellt worden war. Eine Ent-
scheidung im Verfahren nach § 130a VwGO setzt gemäß Satz 2 der Vorschrift
eine Anhörung nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO voraus. Die Rüge einer Verlet-
zung der Anhörungspflicht hat deshalb Erfolg, wenn eine Anhörung zu dem be-
absichtigten vereinfachten Berufungsverfahren gänzlich unterblieben ist. Hat
das Berufungsgericht hingegen - wie im vorliegenden Verfahren - eine (erste)
Anhörung durchgeführt, so bedarf es mit Blick auf einen danach gestellten Be-
weisantrag zwar in der Regel, aber nicht in allen Fällen einer erneuten (zweiten)
Anhörung. Stellt ein Beteiligter einen Beweisantrag, der in der mündlichen Ver-
handlung gemäß § 86 Abs. 2 VwGO beschieden werden müsste, so wird das
Gericht seiner Pflicht der Gewährung rechtlichen Gehörs in der Regel nur da-
durch gerecht, dass es den Beteiligten durch eine erneute Anhörungsmitteilung
im Sinne des § 130a VwGO in Verbindung mit § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf
die unverändert beabsichtigte Entscheidung durch Beschluss und damit darauf
hinweist, dass es seinem Beweisantrag nicht nachgehen werde (vgl. Beschlüs-
se vom 10. April 1992 - BVerwG 9 B 142.91 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 5
und vom 3. Februar 1993 - BVerwG 11 B 12.92 - Buchholz 310 § 133 n.F.
VwGO Nr. 10, jeweils m.w.N.). Sinn und Zweck des § 86 Abs. 2 VwGO ist es,
einerseits das Gericht zu veranlassen, sich vor Erlass der Sachentscheidung
über die Entscheidungserheblichkeit des Beweisantrags schlüssig zu werden,
und andererseits die Beteiligten auf die durch die Ablehnung des Beweisantrags
entstandene prozessuale Lage hinzuweisen. Gleiches wird durch die erneute
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Anhörung erreicht; dadurch wird insbesondere dem Beweisführer die Ein-
schätzung ermöglicht, wie das Gericht seinen nach der ersten Anhörung ge-
stellten Beweisantrag bewertet (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1983
- BVerwG 9 C 15.83 - Buchholz 312 EntlG Nr. 32 und Urteil vom 16. März 1994
- BVerwG 11 C 48.92 - Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 10).
Von der erneuten Anhörung kann das Berufungsgericht jedoch verfahrensfeh-
lerfrei absehen, wenn das Vorbringen des Beweisführers nicht den Anforderun-
gen genügt, die erfüllt sein müssen, um dem Gericht überhaupt Veranlassung
zu geben, sich damit zu befassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bezieht
sich nur auf entscheidungserhebliches Vorbringen; er verpflichtet das Gericht
nicht, Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen oder zu erörtern, auf die es aus
seiner Sicht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt. Deshalb erübrigt
sich eine erneute Anhörung beispielsweise, wenn das Vorbringen unsubstanti-
iert ist, neben der Sache liegt oder früheren Vortrag lediglich wiederholt; ent-
sprechendes gilt bei Beweisanträgen (Beschluss vom 18. Juni 1996 - BVerwG 9
B 140.96 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 16). Maßgeblich für die Beurteilung
der Entscheidungserheblichkeit ist hierbei die sachlich-rechtliche Auffassung
des Berufungsgerichts.
Wenn es hiernach auch im Rahmen von § 130a VwGO nicht zwingend einer
Vorabentscheidung über einen gestellten Beweisantrag bedarf, muss allerdings
- wenn das Berufungsgericht an einer Entscheidung ohne mündliche Verhand-
lung festhält - aus den Entscheidungsgründen seines Beschlusses ersichtlich
sein, dass es die Ausführungen des Beteiligten zur Kenntnis genommen und
seine Beweisanträge vorher auf ihre Rechtserheblichkeit geprüft hat. Insoweit
korrespondiert der Verzicht auf eine Vorabentscheidung über einen Beweisan-
trag mit der Pflicht des Berufungsgerichts, die Erheblichkeit der Beweiserhe-
bung vor der Entscheidung zu prüfen und sich in den Entscheidungsgründen
damit auseinanderzusetzen (Beschluss vom 24. November 1994 - BVerwG 8 B
176.94 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 12).
Diesen Erfordernissen genügt der angefochtene Beschluss; denn eine erneute
Anhörungsmitteilung war ausnahmsweise wegen des eingeschränkten Streit-
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gegenstands des Berufungsverfahrens und die im Hinblick darauf unzureichen-
de Substantiierung des Beweisantrags entbehrlich. Nach der vollumfänglichen
Aufhebung des angefochtenen Widerrufsbescheids vom 9. Mai 2005 durch das
Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2005 hat das Oberverwal-
tungsgericht mit Beschluss vom 23. Mai 2006 die Berufung auf Antrag der Be-
klagten nur hinsichtlich des Widerrufs der Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG
zugelassen. Damit ist die gerichtliche Aufhebung des Widerrufs der Feststellung
nach § 53 Abs. 4 und Abs. 6 AuslG in Rechtskraft erwachsen und die
Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 und Abs. 6
Satz 1 AuslG im Bescheid vom 10. Januar 2001 besteht fort. Vor diesem Hin-
tergrund hätte der Kläger mit Blick auf den eingeschränkten Prüfungsmaßstab
des - nunmehr geltenden - § 60 Abs. 1 AufenthG im Berufungsverfahren näher
dazu vortragen müssen, warum ihm die geltend gemachte Gefahr der Blutrache
in Anknüpfung an ein Merkmal des § 60 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 1 AufenthG
und zudem landesweit droht. Dafür war weder etwas vorgetragen noch sonst
wie ersichtlich. Demzufolge sind die - äußerst knappen - Ausführungen des Be-
rufungsgerichts (BA S. 14) zur Begründung fehlender Erheblichkeit des Vor-
trags drohender Blutrache im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab des § 60
Abs. 1 AufenthG noch als ausreichend anzusehen.
Für die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang ebenfalls gerügte Ver-
letzung des Grundsatzes freier richterlicher Beweiswürdigung bietet ihr Vorbrin-
gen - unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein
Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO revisionsrechtlich als Verfahrensfeh-
ler gerügt werden kann - keinen Anhaltspunkt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich
aus § 30 Satz 1 RVG.
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