Urteil des BVerwG vom 31.01.2014

Asylbewerber, Flüchtlingseigenschaft, Beteiligter, Verdacht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 5.14
OVG 3 KO 222/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwal-
tungsgerichts vom 2. Juli 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) und auf Aufklärungsrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die von der Beschwerde behauptete rechtsgrund-
sätzliche Bedeutung. Die Beschwerde wendet sich gegen die Rechtsauffassung
des Berufungsgerichts, der Kläger habe im asylrechtlichen Folgeverfahren kei-
ne hinreichend guten Gründe dafür vorgebracht, dass seine erst nach der Ab-
lehnung des ersten Asylantrags aufgenommenen exilpolitischen Aktivitäten auf
einer anderen Triebfeder als der Schaffung von Nachfluchtgründen beruhten
und seinem Anerkennungsbegehren daher die Regelung des § 28 Abs. 2
AsylVfG entgegenstehe.
Sie hält die Frage für klärungsbedürftig,
welche Kriterien für die Bewertung der vom Bundesver-
waltungsgericht geforderten „guten Gründe“ des Asylbe-
werbers im Rahmen von § 28 Abs. 2 AsylVfG bei nach der
Ausreise vorgenommenen exilpolitischen Aktivitäten zu
berücksichtigen sind und welche Gewichtung den einzel-
nen Kriterien beizulegen ist (Beschwerdebegründung
S. 6).
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Diese Frage kann schon deshalb nicht zur Zulassung einer Grundsatzrevision
führen, weil es sich hierbei nicht um eine fallübergreifend zu beantwortende
rechtsgrundsätzliche Frage handelt. Die Beantwortung der Frage hängt nämlich
wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, die sich einer
abstrakten, generalisierenden Bewertung durch das Revisionsgericht entziehen.
Nach der auch vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgericht wird durch die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG die risiko-
lose Verfolgungsprovokation durch Nachfluchtgründe, die der Betreffende nach
Abschluss des ersten Asylverfahrens selbst geschaffen hat, regelhaft unter
Missbrauchsverdacht gestellt (vgl. Urteile vom 18. Dezember 2008 - BVerwG
10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 = Buchholz 402.25 § 28 AsylVfG Nr. 24 jeweils
Rn. 14 und vom 24. September 2009 - BVerwG 10 C 25.08 - BVerwGE 135, 49
= Buchholz 402.25 § 28 AsylVfG Nr. 25 jeweils Rn. 21). Die Maßstäbe für die
Abgrenzung des Regelausschlusses von einem Ausnahmefall, in dem nach
Abschluss des Erstverfahrens geschaffene Nachfluchtgründe zur Flüchtlings-
anerkennung führen, sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts aus dem vom Gesetzgeber gewählten Regelungsmodell sowie dem
Zweck der Vorschrift zu entwickeln. Die gesetzliche Missbrauchsvermutung ist
dann widerlegt, wenn der Asylbewerber den Verdacht ausräumen kann, er habe
Nachfluchtaktivitäten nach Ablehnung des Erstantrags nur oder aber haupt-
sächlich mit Blick auf die erstrebte Flüchtlingsanerkennung entwickelt oder in-
tensiviert. Bleibt das Betätigungsprofil des Betroffenen nach Abschluss des
Erstverfahrens unverändert, liegt die Annahme einer missbräuchlichen Ver-
knüpfung von Nachfluchtaktivitäten und begehrtem Status eher fern. Wird der
Asylbewerber jedoch nach einem erfolglosen Asylverfahren erstmals exilpoli-
tisch aktiv oder intensiviert er seine bisherigen Aktivitäten, muss er dafür gute
Gründe anführen, um den Verdacht auszuräumen, dies geschehe in erster Li-
nie, um die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung zu schaffen (vgl.
Urteile vom 18. Dezember 2008 a.a.O. Rn. 16 und vom 24. September 2009
a.a.O. Rn. 26).
Die Beurteilung der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage, wann ein Asyl-
bewerber „gute Gründe“ im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung zu § 28
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Abs. 2 AsylVfG vorgebracht hat, ist eine den Tatsachengerichten vorbehaltene
Frage der Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Einzelfall. Wie das Bundes-
verwaltungsgericht bereits entschieden hat, hat der Tatrichter hierzu die Per-
sönlichkeit des Asylbewerbers und dessen Motive für seine erstmalig aufge-
nommenen oder intensivierten Aktivitäten vor dem Hintergrund seines bisheri-
gen Vorbringens und seines Vorfluchtschicksals einer Gesamtwürdigung zu
unterziehen. Die Frage lässt sich hingegen nicht verallgemeinerungsfähig be-
antworten und ist damit einer rechtsgrundsätzlichen Klärung im Revisionsver-
fahren nicht zugänglich. Das Gleiche gilt für die weitere Frage, ob in jedem Ein-
zelfall eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorgenommen werden muss und
worauf sich diese ggf. zu erstrecken hätte.
2. Die Beschwerde rügt weiter, dass das Berufungsgericht seiner Pflicht zur
Sachverhaltsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nicht nachgekommen sei.
Allerdings fehlt es für die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz an der Entschei-
dungserheblichkeit des aus Sicht der Beschwerde näher aufzuklärenden Sach-
verhalts mit der Folge, dass auch diese Rügen ohne Erfolg bleiben.
Das Berufungsgericht hat die Abweisung der auf Zuerkennung der Flüchtlings-
eigenschaft gerichteten Klage zunächst tragend darauf gestützt, dass ihrer Be-
rücksichtigung § 28 Abs. 2 AsylVfG entgegensteht. Nur als zusätzliche Begrün-
dung hat es ausgeführt, dass auch ohne Berücksichtigung der Ausschlusswir-
kung des § 28 Abs. 2 AsylVfG kein Anspruch auf Anerkennung der Flüchtlings-
eigenschaft bestehe (UA S. 13 unten). Auf die nähere Aufklärung des Sachver-
halts zum Anerkennungsanspruch, auf den sich die beiden Aufklärungsrügen
beziehen, kommt es damit nicht entscheidungserheblich an, nachdem gegen
die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zu § 28 Abs. 2 AsylVfG keine
durchgreifenden Revisionsrügen erhoben worden sind (siehe Ziffer 1 dieses Be-
schlusses).
Auch im Hinblick auf die Feststellung von Abschiebungsverboten zeigt die Be-
schwerde keine Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO auf. Denn ein Gericht ver-
letzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich
dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich ver-
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tretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat und die sich dem Gericht
auch nicht aufdrängen musste (Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B
81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265). Die Aufklärungsrüge dient
nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise
hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (Urteil vom 29. Mai 2008
- BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u.
Asylrecht Nr. 21 jeweils Rn. 13 m.w.N.); lediglich schriftsätzlich angekündigte
Beweisanträge genügen den genannten Anforderungen nicht (Beschluss vom
3. Juli 1998 - BVerwG 6 B 67.98 - juris Rn. 2). Der anwaltlich vertretene Kläger
hat in der Berufungsverhandlung vom 2. Juli 2013 keine Beweisanträge gestellt.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich dem Berufungsgericht, nachdem es zahl-
reiche Erkenntnisquellen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat und
von dem Kläger durch die Befragung in der mündlichen Verhandlung einen per-
sönlichen Eindruck gewinnen konnte, zu den von der Beschwerde genannten
Beweisthemen weitere Ermittlungen von Amts wegen hätten aufdrängen müs-
sen. Damit kann die Aufklärungsrüge keinen Erfolg haben.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine abweichende Festsetzung nach § 30 Abs. 2
RVG liegen nicht vor.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Prof. Dr. Kraft
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