Urteil des BVerwG vom 14.11.2007

Grundsatz der Unmittelbarkeit, Abschiebung, Verwertung, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 47.07 (bisher: 1 B 218.06)
OVG A 1 B 58/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. November 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 23. August 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmängel
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.
1. a) Die Beschwerde wirft die Frage als grundsätzlich bedeutsam auf,
„ob eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7
Satz 2 AufenthG wegen fehlender oder unzulänglicher
Versorgung mit Wohnung, Arbeitsmöglichkeiten und den
unabdingbaren Existenzbedingungen für Rückkehrer aus
dem Ausland ohne familiäre Bindungen diese gegenüber
Rückkehrern mit diese stützenden familiären Bindungen
sowie gegenüber der übrigen bereits im Zielstaat der Ab-
schiebung lebenden Bevölkerung nur dann als besonders
gefährdet im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG er-
scheinen lässt, wenn sie dort mit Gewissheit Hungersnot,
Epidemien und Kältetod zu erwarten haben.“
Die darin enthaltene Rechtsfrage zur Bestimmung des Wahrscheinlichkeits-
grads einer extremen Gefahrenlage, bei der § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG
(nunmehr: § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG) verfassungskonform einschränkend
ausgelegt und die Berücksichtigung der Gefahren im Rahmen des Satzes 1 der
Vorschrift ermöglicht wird, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache; denn sie ist in der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts zu der insoweit inhaltlich übereinstim-
menden Vorläuferregelung des § 53 Abs. 6 AuslG bereits geklärt. Danach setzt
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die verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung des Satzes 2 voraus,
dass dem Ausländer im Falle seiner Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit
extreme Gefahren drohen. Die hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts der allge-
meinen Gefahr für den jeweiligen Ausländer markiert die Grenze, ab der seine
Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint
(Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 <9 f.>). Dieser
hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formu-
lierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müs-
se, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren
Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (so etwa Urteile vom
17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <328> und vom
29. März 1996 - BVerwG 9 C 116.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 3
S. 12 f.; vgl. auch Urteil vom 19. November 1996 - BVerwG 1 C 6.95 -
BVerwGE 102, 249 <258 f.> sowie zum Erfordernis einer Gesamtschau oder
Gesamtbetrachtung der Gefahren Beschluss vom 23. März 1999 - BVerwG 9 B
866.98 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 17). Auf diese Rechtsprechung hat
das Berufungsgericht Bezug genommen (UA S. 7) und sie seiner Entscheidung
auch in der Sache zugrunde gelegt.
b) Die zu Art. 8 und Art. 15 Buchst. c der am 20. Oktober 2004 in Kraft getrete-
nen Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl L 304/12 vom
30. September 2004) - Qualifikationsrichtlinie - aufgeworfenen Fragen führen
mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zur Zulassung der Revision gemäß
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, dass die
Umsetzungsfrist des Art. 38 Abs. 1 (10. Oktober 2006) im Zeitpunkt der
Entscheidung des Berufungsgerichts noch nicht abgelaufen war. Die Frage ei-
ner Vorwirkung der Richtlinie wird in der Beschwerdebegründung nur gestreift,
nicht aber in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO genügenden Weise angesprochen. Damit erweisen sich die aufgewor-
fenen Fragen in intertemporaler Perspektive für das Berufungsgericht nicht als
entscheidungserheblich. Entgegen der Auffassung der Beschwerde vermag
eine für die Entscheidung des Berufungsgerichts unter keinem Gesichtspunkt
maßgebliche Rechtsfrage die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1
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VwGO nicht zu rechtfertigen (Beschluss vom 30. März 2005 - BVerwG 1 B
11.05 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 32 = NVwZ 2005, 709).
2. Die von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen führen nicht zur Zulas-
sung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
a) Die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe die Aussage des
Zeugen D., eines Mitarbeiters der Beklagten, vom 27. März 2006 vor dem
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in „prozessordnungswidriger“ Wei-
se zum Gegenstand des Verfahrens und zur Grundlage seiner tatsächlichen
Feststellungen gemacht. Weder sei die prozessuale Funktion dieser Zeugen-
aussage im Verfahren verdeutlicht worden, noch habe das Berufungsgericht
klargestellt, nach welchen prozessualen Grundsätzen es sie verwertet habe.
Damit sei der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt wor-
den. Zudem habe das Berufungsgericht auf die Rüge des Klägers prüfen müs-
sen, ob die prozessuale Einordnung der Aussage des Herrn D. als sachver-
ständiger Zeuge durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zutref-
fend gewesen sei; das sei nicht der Fall, da für die von ihm bekundeten Wahr-
nehmungen keine besondere Sachkunde erforderlich gewesen sei.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen der Beschwerde ist ein Verfahrens-
mangel, auf dem die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhen kann (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO), nicht aufgezeigt.
Weder aus § 96 Abs. 1 VwGO noch aus einer anderen Verfahrensvorschrift
lässt sich ableiten, dass es den Verwaltungsgerichten nur bei Zustimmung der
Verfahrensbeteiligten erlaubt ist, den Inhalt beigezogener und zum Gegenstand
der Verhandlung gemachter Akten bzw. Teilen davon im Wege des Urkunden-
beweises zu verwerten. Die Feststellung von Tatsachen darf allerdings insoweit
nicht allein auf beigezogene Vernehmungsprotokolle gestützt werden, wenn
eine Zeugenvernehmung von einem Beteiligten ausdrücklich beantragt wird
oder sich aus anderen Gründen dem Gericht aufdrängen muss (vgl. Beschlüsse
vom 13. September 1988 - BVerwG 1 B 22.88 - Buchholz 402.24 § 24 AuslG
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Nr. 12 und vom 22. November 1991 - BVerwG 1 B 142.91 - Buchholz 310 § 96
VwGO Nr. 37).
Danach greifen die Einwände des Klägers gegen die Verwertung der Angaben
des Zeugen D. vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, die auch
schon vor der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts im Schriftsatz
vom 11. August 2006 vorgetragen worden waren, nicht durch. Ein Beweisantrag
auf Einvernahme als Zeuge durch das Berufungsgericht wurde ausweislich der
Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 16. August 2006 nicht
gestellt. Die Klägerseite legt auch nicht schlüssig dar, warum sich dem Beru-
fungsgericht die Einvernahme von Herrn D. von Amts wegen hätte aufdrängen
müssen (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Weitere einschränkende Vorgaben zur Verwertung einer Aussage im Wege des
Urkundenbeweises sind dem Prozessrecht nicht zu entnehmen. Insbesondere
hängt die Verwertbarkeit nicht davon ab, ob die Beweisaufnahme vor dem Pro-
zessgericht fehlerfrei erfolgt ist. Ob Ausnahmen bei zu Beweisverwertungsver-
boten führenden Verstößen gegen Prozessrecht bestehen, braucht mangels
darauf zielender Rügen der Klägerseite hier nicht abschließend entschieden zu
werden. Wenn - wie hier - keine gesetzlichen Beweisregeln Anwendung finden,
obliegt es der Beweiswürdigung in dem jeweiligen Einzelfall, welche Bedeutung
das Gericht der in der Urkunde verkörperten Erklärung beimisst und wie es die-
se in der Zusammenschau mit anderen Beweismitteln gewichtet.
b) Die Rüge, das Berufungsgericht habe die Aussage des Zeugen D. vor dem
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wie eine sachverständige Stel-
lungnahme behandelt, begründet keinen Verfahrensmangel. Fehler in der
Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind nach ständiger Rechtsprechung revi-
sionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen
Recht zuzurechnen (vgl. nur Beschluss vom 25. Juni 2004 - BVerwG 1 B
249.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 284 S. 115 m.w.N.). Ein Verfahrens-
verstoß kann ausnahmsweise allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die
Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder
allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. Beschluss vom 25. Juni 2004
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a.a.O.). Dass die angefochtene Entscheidung derartige Mängel aufweist, legt
die Beschwerde nicht ansatzweise dar. Ihr Vorwurf, das Berufungsgericht habe
der im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Aussage zu hohes Gewicht
beigemessen, übersieht, dass es keine generelle Rangordnung der Beweise
oder Beweismittel gibt (vgl. Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
VwGO, § 108 Rn. 19 m.w.N.). Das Berufungsgericht glaubte sich auch nicht an
eine hier nicht einschlägige Beweisregel gebunden, wie sich aus der deutlichen
Relativierung von Teilen der verwerteten Aussage ergibt (UA S. 9: „… dürfte …
als positiv überzeichnet angesehen werden.“). Darüber hinaus wird im Beru-
fungsurteil die Mitteilung der IOM vom 13. April 2006 an das Oberverwaltungs-
gericht Berlin-Brandenburg wiedergegeben, wonach diese Organisation die
Aussagen von Herrn D. im Wesentlichen bestätigen könne (UA S. 12). Diese
Bemerkungen zeigen, dass sich das Berufungsgericht der Sondersituation, die
bei Verwertung der Aussage eines Bediensteten der für die streitgegenständli-
chen Entscheidung zuständigen Behörde vorliegt, bewusst war und sie bei der
Beweiswürdigung entsprechend berücksichtigt hat. Damit scheidet auch ein
allenfalls noch in Betracht kommender Verstoß gegen die Begründungspflicht
nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO aus. Es bedarf mithin keiner Entscheidung, ob
eine entsprechende Rüge der Beschwerde entnommen werden kann.
c) Mit der Aufklärungsrüge ist ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO nicht hin-
reichend bezeichnet. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Auf-
klärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweis-
erhebung absieht, die eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei nicht
ausdrücklich beantragt hat (stRspr, vgl. Beschluss vom 17. Januar 2006
- BVerwG 1 B 77.05 - mit Verweis auf Beschluss vom 24. November 1977
- BVerwG 6 B 16.77 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 161 m.w.N.). Die Be-
schwerde trägt nicht vor, dass der anwaltlich vertretene Kläger einen Beweisan-
trag zur Einholung weiterer Sachverständigengutachten oder Auskünfte gestellt
hat; das war - wie bereits erörtert - auch tatsächlich nicht der Fall.
Der Kläger zeigt auch nicht auf, inwiefern sich dem Berufungsgericht - bezogen
auf die Frage einer extremen Gefahrenlage bei seiner Rückkehr nach
Afghanistan unter Berücksichtigung der zu erwartenden Zahl der Rückkehrer
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aus Deutschland - eine ergänzende Beweiserhebung durch Einholung weiterer
sachverständiger Stellungnahmen oder Auskünfte von Amts wegen hätte auf-
drängen müssen. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass das Beru-
fungsgericht unterschiedliche Quellen zur Bewertung der allgemeinen Lebens-
bedingungen bei Rückkehr nach Afghanistan verwertet hat. Damit lag es
grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts, ob es weitere Auskünfte
sachverständiger Stellen einholt (vgl. Beschlüsse vom 27. März 2000 - BVerwG
9 B 518.99 - InfAuslR 2000, 412 und vom 2. August 2000 - BVerwG 9 B
210.00 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 61 m.w.N.). Die Beschwerde macht nicht
ersichtlich, dass es darüber hinaus weitergehende Erkenntnisse hätte einholen
müssen. Ihr Hinweis auf den Sonderfall der Pflicht zur Beiziehung angebotener
Erkenntnismittel, auf deren Grundlage ein anderes Obergericht zu einer
abweichenden Einschätzung der Lage gekommen ist (Urteil vom 21. November
1989 - BVerwG 9 C 53.89 - InfAuslR 1990, 99), trägt schon deshalb nicht, weil
das Gutachten des Dr. D. vom 25. Januar 2006 vom Berufungsgericht zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht und im Berufungsurteil ausdrücklich
berücksichtigt worden ist (UA S. 14). Zudem vermag die Beschwerde keine
abweichende obergerichtliche Rechtsprechung zu den Lebensbedingungen von
Rückkehrern zu benennen. In Wahrheit wendet sie sich im Gewande der
Aufklärungsrüge gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des
Berufungsgerichts, das unter ausführlicher Auswertung der beigezogenen Quel-
len eine extreme Gefahrenlage für den Kläger verneint hat. Damit kann sie die
Zulassung der Revision nicht erreichen.
d) Die in diesem Zusammenhang der Sache nach erhobene Gehörsrüge, das
Berufungsgericht habe hinsichtlich der zu erwartenden Zahl von Abschiebungen
aus Deutschland den Beschluss der Innenministerkonferenz vom 24. Juni 2005
unter Verletzung des § 108 Abs. 2 VwGO verwertet, obwohl dieser nicht zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sei, genügt bereits nicht den
Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. In der Beschwerde-
begründung wird nicht dargelegt, dass und wie der Kläger dieser Einschätzung
des Berufungsgerichts entgegengetreten wäre, wenn er die nicht eingeführte
Quelle gekannt hätte. Deshalb kann dahinstehen, ob der jedenfalls der Fachöf-
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fentlichkeit bekannte IMK-Beschluss ein Jahr nach Erlass überhaupt noch der
förmlichen Einführung in einen Asylprozess bedurfte.
Die des Weiteren gerügte Versagung rechtlichen Gehörs durch Erlass einer
„Überraschungsentscheidung“ mit Blick auf die Einschätzung des Berufungsge-
richts, dass „ungeachtet der Behauptung, dass einer der Stiefcousins ein mäch-
tiger Kommandant in Kabul sei, kein Anlass für die Annahme (bestehe), dieser
werde in der 4,5 Millionenstadt Kabul von der Anwesenheit des Klägers für den
Fall seiner Rückkehr erfahren“, ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Im Be-
rufungsurteil wird die Annahme mangelnder Gefahr einer Verfolgung des Klä-
gers von Seiten seiner Stiefcousins auch durch die Bezugnahme auf das Ver-
waltungsgericht gestützt (UA S. 7). Dieses ist davon ausgegangen, aus der
Sicht seiner Cousins bestehe kein Grund mehr, den Kläger wegen der Streitig-
keiten um Grundbesitz zu bedrohen. Diese Erwägung trägt die Einschätzung
des Berufungsgerichts selbständig, so dass die Gehörsrüge schon aus diesem
Grund nicht den Darlegungsanforderungen genügt.
Im Übrigen setzt die Annahme einer „Überraschungsentscheidung“ voraus,
dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten oder sonst hervorgetretenen
rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entschei-
dung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der
alle oder einzelne Beteiligte nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 29. Juli
1977 - BVerwG 4 C 21.77 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 98). Dagegen kann
von einer Überraschungsentscheidung nicht gesprochen werden, wenn das
Berufungsgericht - wie hier - Schlussfolgerungen aus dem tatsächlichen Vor-
bringen zieht, die nicht den Erwartungen eines Prozessbeteiligten entsprechen
und von ihm für unrichtig gehalten werden. Das Gericht ist unter dem Gesichts-
punkt des rechtlichen Gehörs grundsätzlich nicht verpflichtet, seine Schlussfol-
gerungen vorab mit den Beteiligten zu erörtern, weil diese sich regelmäßig erst
nach der mündlichen Verhandlung aufgrund der abschließenden Beratung er-
geben. Besondere Umstände, die ausnahmsweise ein anderes Vorgehen hät-
ten gebieten können, lassen sich auch nicht aus dem Hinweis der Beschwerde
auf die asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe her-
leiten: Dazu gehört in der Regel, einem tatsächlichen oder vermeintlichen Wi-
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derspruch im Sachvortrag des Asylbewerbers etwa durch dessen Befragung
nachzugehen (Beschluss vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 u.a. -
Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52). Das Berufungsgericht hat aber die
Glaubwürdigkeit der Angaben des Klägers nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr
hat es eine auf dessen Sachvortrag aufbauende prognostische Einschätzung
getroffen, die keiner vorherigen Erörterung mit den Beteiligten in der mündli-
chen Verhandlung bedurfte.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Satz 1 RVG.
Dr. Mallmann Richter Prof. Dr. Kraft
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