Urteil des BVerwG vom 08.11.2006

Gemeinde, Erfüllung, Aufwand, Unternehmen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 44.06
OVG 2 LB 40/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. November 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. h.c. Hien
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und Prof. Dr. Rubel
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 26. April 2006 wird zurück-
gewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 885,30 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Sache hat nicht die gel-
tend gemachte grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig,
„ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Gemeinden
aufgrund Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (hier: kommunale Or-
ganisations- und Finanzhoheit) berechtigt sind, gesetzlich
vorgesehene Kur- und Fremdenverkehrsbeiträge auch für
ihre in privater Rechtsform betriebenen Erholungseinrich-
tungen zu erheben“.
Mit dieser Frage knüpft die Beschwerde an die Aussage des Berufungsurteils
(UA S. 7 - 9) an, der in § 5 Satz 2 der Fremdenverkehrsabgabensatzung (FAS)
der Beklagten festgesetzte Abgabesatz beruhe auf einer fehlerhaften Kalkulati-
on, weil insoweit nur Aufwendungen berücksichtigungsfähig seien, die der Ge-
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meinde im Rahmen der Herstellung, Verwaltung und Unterhaltung ihrer öffentli-
chen Einrichtungen selbst entstünden. Bediene sich eine Gemeinde zur Erfül-
lung ihrer Aufgaben einer juristischen Person des Privatrechts, sei deren Auf-
wand nicht gleichzeitig Aufwand der zur Abgabenerhebung berechtigten Ge-
meinde, soweit bei dieser insoweit nicht „Fremdleistungskosten“ anfielen. Letz-
teres sei hier nicht der Fall. Das Vertragswerk, das im vorliegenden Fall mit ei-
ner GmbH zustande gekommen sei, als diese von der Beklagten mit der öffent-
lichen Fremdenverkehrswerbung und dem Betrieb der öffentlichen Fremden-
verkehrseinrichtungen beauftragt worden sei, habe im Zeitpunkt der Erstellung
der Kalkulation keine wirksame Vergütungsvereinbarung enthalten. Diese sei
vielmehr erst später mit Rückwirkung geschlossen worden, ohne dass hierbei
allerdings eine bestimmte Aufwandhöhe festgelegt worden sei. Eine betrags-
mäßig nicht bestimmte Verlustabdeckung wäre aber kein berücksichtigungsfä-
higer Aufwand, wie er mit den Kosten und Aufwendungen nach § 10 Abs. 1
Nr. 1 und 2 KAG SH angesprochen werde. Aus der Befugnis der Beklagten,
sich etwa nach §§ 101 ff. GO SH zur Erfüllung ihrer Aufgaben der privatrechtli-
chen Betätigungsformen zu bedienen, könne nicht gefolgert werden, dass die
sich bei dieser Betätigung ergebenden betriebswirtschaftlichen Kosten ohne
eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung in die Beitragskalkulation einbezo-
gen werden dürften.
Die Vorinstanz hat die von der Beschwerde kritisierte Auffassung somit aus-
schließlich auf das einschlägige Landesrecht gestützt, dessen Nachprüfung
dem Revisionsgericht versagt ist (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO). Ob das Landes-
recht, so wie es die Vorinstanz versteht, mit der Selbstverwaltungsgarantie des
Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar ist, wird in dem angefochtenen Urteil nicht
erörtert. Um einen Klärungsbedarf bezüglich des revisiblen Rechts aufzuzeigen,
genügt es aber nicht, wenn die Beschwerde geltend macht, das Landesrecht
sei von der Vorinstanz unter Verstoß gegen Bundesrecht ausgelegt und ange-
wandt worden. Denn nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwen-
dung einer bundesrechtlichen Vorschrift enthält gleichzeitig eine erst im Revisi-
onsverfahren zu klärende Fragestellung. Hinzutreten müsste vielmehr, dass die
Auslegung der bundesrechtlichen Maßstabsnorm ihrerseits ungeklärte Fragen
von fallübergreifender Bedeutung aufwirft (vgl. z.B. Beschlüsse vom 5. No-
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vember 2001 - BVerwG 9 B 50.01 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren
Nr. 95 = juris Rn. 5, vom 10. April 2000 - BVerwG
11 B 61.99 - juris Rn. 7 und vom 23. März 1992 - BVerwG 5 B 174.91 -
Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 306 S. 42). Dafür gibt das Beschwerdevorbrin-
gen nichts her.
Soweit die Beschwerde mit der von ihr als klärungsbedürftig bezeichneten Fra-
ge die Gewährleistung der Organisationshoheit sowie der Finanzhoheit der
Gemeinden durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG anspricht, fehlt es an einer Ausei-
nandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts. Danach ist die Organisationshoheit der Gemeinde durch die
Vorgaben des Gesetzgebers gebunden und dementsprechend nur einge-
schränkt gegenüber denjenigen Bindungen „wehrfähig“, die sich aus dem
Kommunalrecht ergeben. Nach den hierfür vom Bundesverfassungsgericht
entwickelten Maßstäben (vgl. Beschlüsse vom 7. Februar 1991 - 2 BvL 24/84 -
BVerfGE 83, 363 <382>, vom 26. Oktober 1994 - 2 BvR 445/91 - BVerfGE 91,
228 <236 ff.>) ist dem Beschwerdevorbringen der Beklagten die Möglichkeit
einer Betroffenheit der Organisationshoheit nicht zu entnehmen. Für die kom-
munale Finanzhoheit (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK
1/00 - BVerfGE 103, 332 <358 ff.>) gilt dies entsprechend.
Die Beschwerde macht geltend, durch das Berufungsurteil werde das Abga-
benerhebungsrecht von dem Recht der Gemeinden zur freien Formenwahl bei
der Aufgabenwahrnehmung abgetrennt und die Wahl einer bestimmten Rechts-
form mit einschneidenden wirtschaftlichen Nachteilen verknüpft. Sie muss al-
lerdings einräumen, dass im Berufungsurteil ausdrücklich auf die Möglichkeit
einer Vertragsgestaltung verwiesen wird, die dazu führt, dass bei der Gemeinde
„Fremdleistungskosten“ anfallen, die im Rahmen der Beitragskalkulation be-
rücksichtigungsfähig sind. Es ist nicht nachvollziehbar, warum es einer Ge-
meinde mit Blick auf die ihr garantierte Organisations- und Finanzhoheit nicht
möglich oder nicht zumutbar sein soll, die vertraglichen Beziehungen, in die sie
zu einem von ihr mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben beauftragten Unter-
nehmen eintritt, so auszugestalten, dass dem Unternehmen für seine Tätigkeit
eine Vergütung zugesagt wird, die dann in die Kalkulation als beitragsfähige
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Aufwendung der Gemeinde eingeht. Wirtschaftliche Nachteile treten für die
Klägerin nur dann ein, wenn sie auf den Abschluss einer derartigen Vereinba-
rung und damit auf die Erfüllung derjenigen Anforderungen verzichtet, die das
kommunale Abgabenrecht - so wie es von der Vorinstanz ausgelegt und ange-
wandt wird - an die Erhebung von Fremdenverkehrsabgaben stellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3, § 72 Nr. 1 GKG n.F.
Dr. h.c. Hien Vallendar Prof. Dr. Rubel
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