Urteil des BVerwG vom 16.08.2005

Grundbucheintragung, Untersuchungsgrundsatz, Gebäude, Unrichtigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 43.05
OVG F 7 D 17/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. August 2005
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die Richter
am Bundesverwaltungsgericht V a l l e n d a r und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsge-
richts (Flurbereinigungsgericht) vom 17. März 2005 wird zu-
rückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit
Ausnahme etwaiger Kosten der Beigeladenen, die diese selbst
tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 1 440,50 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin, die als Eigentümerin landwirtschaftlich genutzter Gebäude
im Gebäudegrundbuch eingetragen ist, strebt die Anordnung des Bodenordungsver-
fahrens nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz an, um das Grundeigentum
unter diesen Gebäuden und an den zugehörigen Funktionsflächen zu erwerben. Der
Beklagte, der bezweifelt, dass die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Gebäudeeigentümerin geworden
ist, hat einen entsprechenden Antrag der Klägerin abgelehnt. Nachdem das Flurbe-
reinigungsgericht den Beklagten verpflichtet hat, das Bodenordnungsverfahren ein-
zuleiten, begehrt er mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision gegen dieses
Urteil.
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II.
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO
(i.V.m. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Ein für
das angefochtene Urteil erheblicher Verfahrensmangel, der die Zulassung der Revi-
sion rechtfertigen könnte, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, und die
Sache hat auch nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Be-
deutung.
1. Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig,
ob die Flurneuordnungsbehörde bei der Eigentumsermittlung an die
Angaben im Gebäudegrundbuch unbedingt gebunden ist oder beim Vorliegen
entgegenstehender bzw. uneinheitlicher Feststellungen, insbesondere gerichtli-
cher Entscheidungen zur Eigentumslage von der ihr grundsätzlich obliegenden
Amts-ermittlungspflicht Gebrauch machen darf oder sogar muss oder die Wi-
derlegung der gesetzlichen Vermutung der Grundbucheintragung allein durch
den jeweiligen Gebäude- oder Bodeneigentümer geführt werden kann.
Eine Frage grundsätzlicher Bedeutung, die im vorliegenden Fall ent-
scheidungserheblich sein könnte, wird damit nicht aufgezeigt, weil das Flurbereini-
gungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass nach Sinn und Zweck der mit
der Grundbucheintragung verbundenen Vermutungsregelung (§ 891 Abs. 1 BGB), an
die § 57 LwAnpG anknüpft, für die Flurneuordnungsbehörde kein Anlass besteht, in
eigener Zuständigkeit die Rechtmäßigkeit einer Grundbucheintragung zu überprüfen.
Letzteres ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesetz und bedarf auf der Grundlage
der zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-
gerichts nicht einer weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren.
Um ihren gegenteiligen Standpunkt zu stützen, beruft sich die Be-
schwerde auf das Urteil des Senats vom 10. Dezember 2003 - BVerwG 9 C 5.03 -
Buchholz 424.02 § 64 LwAnpG Nr. 10, in dem es heißt, der Nutzer landwirtschaftli-
cher Gebäude oder Anlagen könne zum Nachweis seiner Antragsbefugnis nach § 64
LwAnpG sein Gebäudeeigentum dadurch belegen, dass er entweder "zu Recht im
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Gebäudegrundbuch eingetragen ist oder diese Eintragung nachträglich bean-
spruchen kann, wenn sie bislang noch nicht erfolgt ist" (a.a.O. S. 13). Wie das Flur-
bereinigungsgericht zutreffend erkannt hat, ist diesem Satz - trotz der darin enthalte-
nen Worte "zu Recht" - nicht die Aussage zu entnehmen, dass der Senat die Anfor-
derungen an den Nachweis der Antragsbefugnis nach § 64 LwAnpG mit einer von
der Flurneuordnungsbehörde durchzuführenden Prüfung verknüpfen wollte, die sich
mit der Rechtmäßigkeit der Grundbucheintragung befasst. Denn dies würde in der
Tat im Widerspruch zu der im selben Absatz enthaltenen Aussage der Entschei-
dungsgründe stehen, dass (nur) dann, wenn Streit über die Eigentumslage entsteht,
"weil diese sich nicht aus den Grundbucheintragungen ergibt", die Antragsbefugnis
des Antragstellers von Amts wegen zu ermitteln ist. Das im Anschluss daran zitierte
Senatsurteil vom 2. September 1998 (BVerwG 11 C 4.97 - BVerwGE 107, 177
<185>) befasst sich denn auch mit einem Fall, in dem der Antragsteller seine An-
tragsbefugnis darauf gestützt hatte, dass er, ohne dies durch eine Grundbucheintra-
gung belegen zu können, auf der Grundlage von § 459 ZGB Sondereigentum an be-
stimmten Anlagen erworben hatte. Der Senat hat hier unter Hinweis auf das für das
Verfahren nach § 64 LwAnpG geltende Amtsermittlungsprinzip (vgl. § 63 Abs. 2
LwAnpG i.V.m. §§ 10 bis 14 FlurbG) entschieden, dass die Flurneuordnungsbehörde
an der selbständigen Feststellung des Sondereigentums nicht durch die parallele
Entscheidungsbefugnis des Präsidenten der Oberfinanzdirektion nach Art. 233 § 2 b
Abs. 3 EGBGB gehindert ist. In seinem daran anknüpfenden Urteil vom
10. Dezember 2003 hat der Senat nicht entschieden, dass der Untersuchungsgrund-
satz darüber hinaus auch in denjenigen Fällen behördliche Ermittlungen zur Eigen-
tumsfrage erfordert, in denen sich der Antragsteller zum Nachweis seiner Antragsbe-
fugnis auf eine Eintragung im Grundbuch berufen kann. Dieses Urteil zitiert insoweit
vielmehr im Gegenteil den Wortlaut des § 57 LwAnpG mit dem Hinweis, diese Vor-
schrift regele die Antragsbefugnis des eingetragenen Eigentümers, indem sie die
Flurneuordnungsbehörde auffordere, diese auf der Grundlage der Eintragungen im
Grundbuch festzustellen. Vom Flurbereinigungsgericht sind diese Zusammenhänge
richtig erkannt worden.
Nicht zu beanstanden ist auch die Aussage des Flurbereinigungsge-
richts, dass § 57 LwAnpG an die §§ 891 ff. BGB anknüpft, die den Eintragungen von
Eigentumsrechten im Grundbuch öffentlichen Glauben verleihen und sie
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- vorbehaltlich der Offenkundigkeit des Gegenteils - mit der positiven Vermutung ver-
sehen, dass das eingetragene Recht besteht und dem Eingetragenen seit der Ein-
tragung zusteht. Die Grundlage der Eintragung ist dabei ohne Bedeutung (vgl. BGH,
Urteil vom 26. November 1999 - V ZR 34/99 - RdL 2000, 145). Die Beweisregel des
§ 891 Abs. 1 BGB kommt in allen Verfahrensarten zur Anwendung, also auch etwa
im Verwaltungsprozess (vgl. VGH München, Urteil vom 26. Juli 1999 - 19 B 95.2321 -
RdL 2000, 208 <209>). In einem vorangehenden Verwaltungsverfahren gilt der
Untersuchungsgrundsatz insofern ebenso nur eingeschränkt. Dies stellt die Vorschrift
des § 57 LwAnpG für die Ermittlung der Beteiligten am Bodenordnungsverfahren
klar.
Im Übrigen wird auch zu der Vorschrift des § 12 Satz 1 FlurbG, die in
§ 57 LwAnpG ihre Entsprechung findet, in Literatur und Rechtsprechung durchweg
anerkannt, dass die Eintragung des Eigentums im Grundbuch jedenfalls so lange
maßgebend ist, bis der Nachweis der Unrichtigkeit erbracht ist (vgl. OVG Frank-
furt/Oder, Urteil vom 11. November 1999 - 8 D 21/98.G - RdL 2000, 216 <217>
m.w.N.). Dieser Nachweis ist nicht erbracht, wenn - wie im vorliegenden Fall - zu
Vorfragen des Eigentumserwerbs divergierende Entscheidungen der zuständigen
Zivilgerichte ergangen sind. Es ist in derartigen Fällen nicht Aufgabe der Flurneuord-
nungsbehörde oder des nachfolgend angerufenen Flurbereinigungsgerichts, im Zu-
sammenhang mit der Einleitung des Bodenordnungsverfahrens über die streitig ge-
bliebenen Fragen zu entscheiden (vgl. OVG Frankfurt/Oder, Urteil vom
26. September 2002 - 8 D 30/99.G - RdL 2004, 326 <328>). Ein derartiger Streit
könnte die von der Flurneuordnungsbehörde zu treffende Entscheidung erheblich
verzögern und damit die Erfüllung des in § 64 LwAnpG enthaltenen Gestaltungsauf-
trags ohne Notwendigkeit ernsthaft behindern (zu diesem Gesichtspunkt vgl.
BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003, a.a.O. S. 13).
Die von der Beschwerde beiläufig aufgeworfene Frage, ob in entspre-
chender Anwendung von § 12 Satz 2 FlurbG ein Nachweis des Gebäudeeigentums
durch eine Bescheinigung der Gemeinde geführt werden kann, rechtfertigt eine Zu-
lassung der Revision nicht, weil sich diese Frage im vorliegenden Fall für das Revisi-
onsgericht nicht stellen würde; dieser Sachverhalt liegt hier nicht vor.
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2. Die Beschwerde sieht einen Verstoß gegen den Überzeugungs-
grundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO darin, dass das Flurbereinigungsgericht
seiner Entscheidung einen unvollständig ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt
habe. Zugleich sei das Flurbereinigungsgericht seiner Aufklärungspflicht nach § 86
Abs. 1 VwGO nicht nachgekommen. Diese Verfahrensrügen greifen nicht durch. Sie
richten sich gegen die vom Flurbereinigungsgericht nur hilfsweise angestellte Erwä-
gung, dass die Bedenken, die von dem Beklagten gegen das Gebäudeeigentum der
Klägerin angeführt worden sind, nicht überzeugend sind. Davon bleibt unberührt,
dass das Flurbereinigungsgericht sein Urteil in erster Linie und selbständig tragend
damit begründet hat, diese Bedenken seien nach § 57 LwAnpG unbeachtlich. Das
Urteil kann danach nicht auf den vom Beklagten gerügten Verfahrensfehlern beru-
hen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3
VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Hien
Vallendar
Prof. Dr. Rubel
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Flurbereinigungsrecht
Fachpresse: ja
Recht der deutschen Einheit
Rechtsquellen:
LwAnpG
§ 57, § 63 Abs. 2, § 64
FlurbG
§ 12
BGB
§ 891 Abs. 1
EGBGB
Art. 233 § 2 b Abs. 3
Stichworte:
Bodenordnungsverfahren; Anordnungsbeschluss; Antragsbefugnis; Gebäudeeigen-
tum; streitige Eigentumsverhältnisse; Grundbucheintragung; Vermutungsregelung;
Amtsermittlung; Untersuchungsgrundsatz.
Leitsatz:
Die Vorschrift des § 57 LwAnpG stellt für das Bodenordnungsverfahren klar, dass der
Untersuchungsgrundsatz keine weiteren Ermittlungen zur Eigentumsfrage erfordert,
wenn sich der Antragsteller zum Nachweis der Antragsbefugnis nach § 64 LwAnpG
auf eine Grundbucheintragung berufen kann.
Beschluss des 10. Senats vom 16. August 2005 - BVerwG 10 B 43.05
I. OVG Bautzen vom 17.03.2005 - Az.: OVG F 7 D 17/04 -