Urteil des BVerwG vom 30.01.2012

Im Bewusstsein, Gefährdung, Staat, Kauf

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 41.11
OVG 4 LB 11/10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Januar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 1. September 2011 wird
verworfen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf alle drei Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
1. Die von der Beschwerde behauptete Abweichung des Berufungsurteils von
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
entsprechenden Weise dargelegt. Die Darlegung des Revisionszulassungs-
grundes der Divergenz setzt voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich be-
stimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz
benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts aufgestellten und dessen Entscheidung tragenden Rechtssatz
in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat.
Die Beschwerde trägt hierzu vor, das Berufungsgericht weiche hinsichtlich der
von ihm bejahten Vorverfolgung des Klägers durch nichtstaatliche Akteure von
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinen Urteilen vom
18. Oktober 1983 - BVerwG 9 C 158.80 - (BVerwGE 68, 106) und vom 26. Feb-
ruar 2009 - BVerwG 10 C 50.07 - (BVerwGE 133, 203) ab, weil es von der
Rechtsmeinung ausgehe, dass zur Feststellung einer flüchtlingsrechtlich erheb-
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lichen Vorverfolgung auch die Gefährdung in einem vom Staat der eigenen
Staatsangehörigkeit abweichenden anderen Land berechtige. Ein solcher
Rechtssatz ist der angegriffenen Entscheidung aber nicht zu entnehmen. Das
Berufungsgericht ist vielmehr davon ausgegangen, dass der türkische Kläger
durch nichtstaatliche Akteure vorverfolgt nicht nur aus dem Irak, sondern an-
schließend auch aus der Türkei ausgereist sei (UA S. 19). Begründet hat es
dies damit, dass die Situation der Bedrohung durch die PKK in der Türkei fort-
bestanden habe (UA S. 20). Soweit die Beschwerde geltend macht, das Beru-
fungsgericht habe die Bewertung der Gefahrenlage in der Türkei unter dem An-
satz der für Vorverfolgte geltenden beweisrechtlichen Privilegierung nach § 60
Abs. 1 Satz 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie
2004/83/EG getroffen, wird dies nicht näher dargelegt und finden sich für diese
Behauptung auch keine Anhaltspunkte in den Gründen der angegriffenen Ent-
scheidung.
2. Auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt. Die Darlegung des Zu-
lassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt die
Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich ungeklärten und sowohl für
das Berufungsgericht als auch im Revisionsverfahren entscheidungserhebli-
chen Rechtsfrage voraus und verlangt außerdem die Angabe, worin die allge-
meine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll.
a) Die Beschwerde hält hinsichtlich der vom Berufungsgericht angenommenen
Vorverfolgung des Klägers durch nichtstaatliche Akteure für grundsätzlich klä-
rungsbedürftig,
ob Verfolgungshandlungen nur dann die Beweiserleichte-
rung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG auslö-
sen können, wenn sie im Gebiet des Staates der jeweili-
gen Staatsangehörigkeit des Schutzsuchenden drohen.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde schon nicht die
Entscheidungserheblichkeit der von ihr aufgeworfenen Frage auf, nachdem das
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Berufungsgericht - wie oben dargelegt - eine Bedrohungslage des Klägers auch
im Staat seiner Staatsangehörigkeit angenommen hat.
b) Soweit die Beschwerde hinsichtlich des Ausschlussgrundes der schweren
nichtpolitischen Straftat nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG i.V.m. Art. 12 Abs. 2
Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG für grundsätzlich klärungsbedürftig hält,
ob dieser Ausschlussgrund bei Unterstützungshandlungen
auf Fälle direkten Vorsatzes beschränkt ist oder auch Un-
terstützungshandlungen erfasst, die nicht nur in unmittel-
barem Abzielen auf terroristische Taten geleistet werden,
sondern solche billigend in Kauf nehmen,
fehlt es ebenfalls an hinreichenden Darlegungen zur Entscheidungserheblich-
keit. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass es sich bei der PKK
aufgrund von Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung um eine terroristische
Organisation handele. Für eine im Verhältnis zum Kläger individuelle Zurech-
nung der von der PKK begangenen terroristischen Handlungen fehle es aber
trotz des abgesenkten Beweismaßstabs der „Annahme aus schwerwiegenden
Gründen“ an einer hinreichenden objektiven oder subjektiven Unterstützung von
Handlungen der PKK, die einen Ausschlusstatbestand verwirklichten. In diesem
Zusammenhang weist das Berufungsgericht hinsichtlich der vom Kläger ab
1999 bis zu seiner Loslösung von der PKK im Jahr 2004 wahrgenommenen
politisch-ideologischen Lehrtätigkeit und seiner allgemeinen organisatorischen
Arbeiten (Öffentlichkeitsarbeit, Verbindung zur Zivilbevölkerung) darauf hin,
dass diese vor dem Hintergrund der 1999 ausgerufenen und bis zum Ausschei-
den des Klägers andauernden einseitigen Waffenruhe der PKK zu sehen seien.
Soweit keine Anhaltspunkte für eine persönliche Beteiligung des Betroffenen
vorlägen, bedürfe es für eine persönliche Verantwortlichkeit regelmäßig eines
wesentlichen sonstigen (logistischen, organisatorischen oder auch unmittelbar
ideologischen, d.h. zu terroristischen Taten aufrufenden) Beitrags zur Durchfüh-
rung entsprechender Verbrechen im Bewusstsein von deren Erleichterung (UA
S. 24 ff.). Daran fehle es beim Kläger mit Blick auf seine Tätigkeit und die da-
malige Ausrichtung der PKK. Diesen Ausführungen kann nicht - wie von der
Beschwerde behauptet - entnommen werden, dass das Berufungsgericht, das
bereits eine für die Zurechnung terroristischer Handlungen hinreichende objek-
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tive Unterstützung verneint hat, davon ausgegangen ist, dass nur Unterstüt-
zungshandlungen mit direktem Vorsatz dem Ausschlussgrund unterfallen und
nicht auch solche, bei denen terroristische Handlungen nur billigend in Kauf
genommen würden. Dessen ungeachtet legt die Beschwerde auch nicht dar, zu
welchen terroristischen Aktivitäten der PKK der Kläger bei Zugrundelegung der
für das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Beru-
fungsgerichts einen Beitrag geleistet habe und inwiefern es in diesem Zusam-
menhang entscheidungserheblich auf die Klärung der aufgeworfenen Frage
ankäme.
3. Schließlich genügt die Beschwerde auch hinsichtlich der geltend gemachten
Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht den Darlegungsanforde-
rungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. In diesem Zusammenhang rügt die Be-
schwerde sowohl bezüglich der vom Berufungsgericht bejahten Verfolgungsge-
fahr durch staatliche türkische Stellen als auch hinsichtlich der angenommenen
Gefährdung durch die PKK als nichtstaatlichem Akteur einen Verstoß gegen
§ 108 Abs. 1 VwGO. Dabei greift sie einzelne tatrichterliche Feststellungen und
darauf gestützte Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts an und macht gel-
tend, dass es insoweit an einer nachvollziehbar bzw. nachprüfbar erarbeiteten
Prognosegrundlage fehle und ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz
vorliege.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen wendet sich die Beschwerde der Sa-
che nach vor allem gegen die den Tatsachengerichten vorbehaltene Feststel-
lung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, ohne Um-
stände darzulegen, unter denen Fehler bei der Überzeugungsbildung (§ 108
Abs. 1 Satz 1 VwGO), die auch im Asylrechtsstreit regelmäßig revisionsrecht-
lich dem materiellen Recht zuzuordnen sind, ausnahmsweise auch als Verfah-
rensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO anzusehen sind (vgl. etwa
Beschluss vom 20. August 2003 - BVerwG 1 B 463.02 - Buchholz 402.25 § 1
AsylVfG Nr. 275 m.w.N.). Ebenso wenig wird ein Verstoß gegen die Begrün-
dungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO schlüssig dargelegt.
Wie umfang-
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und detailliert im Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche
Überzeugungsbildung leitend gewesen sind, lässt sich nicht abstrakt umschrei-
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ben. Im Allgemeinen genügt es jedoch, wenn der Begründung - wie hier - ent-
nommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen
Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat
(vgl. Beschluss vom 20. August 2003 a.a.O.).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Fricke
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