Urteil des BVerwG vom 02.06.2005

Berufungsschrift, Hauptsache, Eng, Zivilprozess

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 4.05
OVG 2 LB 66/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Juni 2005
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die Richter
am Bundesverwaltungsgericht V a l l e n d a r und Prof. Dr. E i c h b e r g e r
beschlossen:
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 22. November 2004 wird aufge-
hoben.
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Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schluss-
entscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten
des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenent-
scheidung in der Hauptsache.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Die Beschwerde macht sinngemäß als Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO geltend, dass das Berufungsgericht die Berufung zu Unrecht mangels ausrei-
chender Begründung als unzulässig verworfen habe. Hierzu führt sie aus, mit wel-
chen Erwägungen die Berufung in der Berufungsschrift des Klägers vom 2. Sep-
tember 2004 begründet worden ist. Damit genügt sie den Darlegungsanforderungen
des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Im Ergebnis zu Recht beanstandet die Beschwerde, dass das Berufungsgericht
überzogene Anforderungen an die erforderliche Berufungsbegründung gestellt hat.
Nach § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO muss die Berufungsbegründung einen bestimm-
ten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung
(Berufungsgründe). Dem Antragserfordernis und dem Formerfordernis einer geson-
derten Berufungsbegründung wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts regelmäßig entsprochen, wenn in dem einzureichenden Schriftsatz
hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass, in welchem Umfang und weshalb
der Berufungsführer die zugelassene Berufung durchführen will (stRspr; vgl. etwa B-
VerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 59.04 - juris Rn. 2;
Beschluss vom 7. März 2003 - BVerwG 2 B 32.02 - juris Rn. 4; Beschluss vom
8. März 2004 - BVerwG 4 C 6.03 - Buchholz 310 § 124 a VwGO Nr. 26 jeweils
m.w.N.). Die Berufungsbegründung muss dabei substantiiert und konkret auf den zu
entscheidenden Fall bezogen sein. Sie hat in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im
Einzelnen auszuführen, weshalb das angefochtene Urteil nach der Auffassung des
Berufungsführers unrichtig ist und geändert werden muss. Welche Mindestan-
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forderungen in Anwendung dieser Grundsätze jeweils an die Berufungsbegründung
zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab
(vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2001 - BVerwG 1 C 33.00 - BVerwGE 114, 155
<157 f.> m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt die Berufungsschrift vom 2. September 2004. Mit ihr
hat der Kläger "Berufung" gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt und
sie zum einen damit begründet, er sei nach wie vor der Meinung, dass der angefoch-
tene Steuerbescheid und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid unwirksam sei-
en, da sie lediglich ihm und nicht auch dem Miteigentümer und Miterben zugestellt
worden seien und er für jenen auch keine Zustellungsvollmacht besessen habe. Die
Bescheide seien zum anderen auch deshalb rechtswidrig, weil die Eigentümer die
Zweitwohnung lediglich als Kapitalanlage nutzten, wozu auf den erstinstanzlichen
Vortrag Bezug genommen werde. Damit hat der Kläger zum einen klargestellt, dass
er das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das seine Klage abgewiesen worden ist,
insgesamt mit der Berufung angreifen wollte. Zugleich wird aus der Berufungsbe-
gründung hinreichend deutlich, weshalb er abweichend vom Verwaltungsgericht den
angefochtenen Steuerbescheid für unwirksam, jedenfalls aber rechtswidrig hält.
Eine darüber hinausgehende substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen
des verwaltungsgerichtlichen Urteils verlangt § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO, anders
als es das Berufungsgericht meint, hingegen nicht. Der Berufungsführer genügt
grundsätzlich seiner gesetzlichen Begründungspflicht, wenn er in der Berufungsbe-
gründung an seiner in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hinreichend konkret er-
läuterten Auffassung festhält, durch den angegriffenen Bescheid in seinen Rechten
verletzt zu sein, und dadurch zum Ausdruck bringt, dass er von den gegenteiligen Er-
wägungen des angefochtenen Urteils nicht überzeugt ist. § 124 a Abs. 3 Satz 4
VwGO verlangt demgegenüber nicht, dass der Berufungsführer hierzu auf die Be-
gründungserwägungen des angefochtenen Urteils im Einzelnen eingeht. Indem das
Berufungsgericht dies fordert, lehnt es sich zu eng an die Rechtsprechung zur Beru-
fungsbegründung im Zivilprozess und zur Revisionsbegründung im Verwaltungspro-
zess an und berücksichtigt dabei zu wenig die Unterschiede zwischen diesen Verfah-
ren (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23. April 2001, a.a.O. S. 159).
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An die Berufungsbegründung dürften hier auch nicht deshalb erhöhte Anforderungen
gestellt werden, weil der Kläger in seiner Berufungsschrift vom 2. September 2004
weiteren Vortrag für das Berufungsverfahren angekündigt hatte. Denn eine Verpflich-
tung hierzu begründet diese Ankündigung nicht (BVerwG, Beschluss vom 8. März
2004, a.a.O.).
Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, weist der Se-
nat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleuni-
gung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht
zurück. Daran ist er nicht dadurch gehindert, dass die Beschwerde zugleich die Zu-
lassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht. Abgesehen davon, dass mit den beiden erstge-
nannten Grundsatzrügen keine grundsätzlich bedeutsamen Fragen des revisiblen
Rechts bezeichnet werden, die sich in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen
würden, und dass die dritte Grundsatzfrage schon nicht hinreichend im Sinne des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargetan ist, würde der festgestellte Verfahrensmangel
selbst bei Zulassung der Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung zu deren Zurück-
verweisung führen (vgl. dazu Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO,
§ 133 Rn. 86). Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die mit der dritten
Grundsatzrüge wohl angesprochene Frage nach der Zuordnung von Leerstandszei-
ten bei der Mischnutzung von Zweitwohnungen durch Urteil des Senats vom
27. Oktober 2004 (BVerwG 10 C 2.04, KStZ 2005, 50) geklärt ist.
Hien Vallendar Prof. Dr. Eichberger