Urteil des BVerwG vom 28.06.2007

Politische Verfolgung, Bundesamt, Irak, Widerruf

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 36.07 (bisher: 1 B 191.06)
OVG 10 A 11045/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Juni 2007
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 11. August 2006 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers ist unbegründet.
1. Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
„ob die durch das am 01.01.2005 in Kraft getretene Zu-
wanderungsgesetz erfolgte Änderung des § 73 AsylVfG,
also die Einfügung des Absatzes 2a, dazu führt, dass
auch im vorliegenden Falle, also bei Asylwiderrufen, die
nach dem 01.01.2005 erfolgt sind, eine Ermessensent-
scheidung hätte getroffen werden müssen“,
ist inzwischen durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. März
2007 - BVerwG 1 C 21.06 - (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssamm-
lung BVerwGE vorgesehen) geklärt. § 73 Abs. 2a AsylVfG findet danach zwar
grundsätzlich auch für den nach dem 1. Januar 2005 ausgesprochenen Wider-
ruf von Anerkennungen, die vor diesem Zeitpunkt unanfechtbar geworden sind,
Anwendung, allerdings mit der Maßgabe, dass die darin vorgesehene neue
Drei-Jahres-Frist, nach deren Ablauf das Bundesamt für Migration und Flücht-
linge (Bundesamt) spätestens erstmals die Widerrufsvoraussetzungen prüfen
muss, erst vom 1. Januar 2005 an zu laufen beginnt. Auch bei derartigen Alt-
Anerkennungen kommt eine Ermessensentscheidung über den Widerruf, wie
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sie die Beschwerde verlangt, nach § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG erst in Betracht,
wenn das Bundesamt in einem vorangegangenen Verfahren die Wider-
rufsvoraussetzungen sachlich geprüft und verneint hat (Negativentscheidung).
Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung eine
Ermessensentscheidung des Bundesamts im Falle des Klägers nicht für erfor-
derlich gehalten. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage rechtfertigt da-
her zum jetzigen, für die Beschwerdeentscheidung insoweit maßgeblichen Zeit-
punkt weder die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
noch wegen einer nachträglichen Divergenz.
2. Auch die weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen recht-
fertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Die Beschwerde hält die Fragen für klärungsbedürftig,
„ob eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Verän-
derung der maßgeblichen Verhältnisse bereits dann vor-
liegt, wenn zwar ein Regimewechsel im Herkunftsland
stattgefunden hat, dieser jedoch nicht zu einer stabilen
Lage in Richtung einer Demokratisierung, sondern zu bür-
gerkriegsähnlichen Verhältnissen geführt hat, die noch
nicht einmal in Richtung einer Stabilisierung, sondern um-
gekehrt einer Verschärfung der Situation gehen“ und
„ob nicht dann ‚aus anderen Gründen erneute Verfolgung’
droht, wenn zum einen von Teilen der neuen Regierung
gleichsam in Fortsetzung früherer Methoden Verfolgungen
stattfinden bzw. in der neuen politischen Situation erneute
Verfolgungen zumindest durch nichtstaatliche Akteure,
und zwar wechselseitig in Bezug auf jedwede Bevölke-
rungs- und Religionsgruppe stattfinden“.
Damit und mit ihrem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde keine grund-
sätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage auf, die sich auf der Grundlage der
nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht
bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Berufungs-
gerichts in einem Revisionsverfahren stellen würden. So setzt sich die Be-
schwerde nicht damit auseinander, dass nach den Feststellungen des Beru-
fungsgerichts für den Kläger - einen kurdischen Volkszugehörigen sunnitischen
Glaubens - eine Wiederholung der für seine Flucht maßgeblichen Verfol-
gungsmaßnahmen nach der vollständigen Beseitigung des Regimes Saddam
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Husseins auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist
und ihm bei einer Rückkehr in den Irak dort nunmehr auch nicht aus anderen
Gründen politische Verfolgung durch staatliche oder nichtsstaatliche Akteure
droht (UA S. 19 f., 21 ff.). Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen ge-
hen von einer anderen Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse im Irak aus
und würden sich schon deshalb in einem Revisionsverfahren so nicht stellen.
Abgesehen davon setzt sich die Beschwerde auch nicht mit der im Berufungs-
urteil in Bezug genommenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts, insbesondere im Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C
21.04 - BVerwGE 124, 276 (vgl. ferner Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C
15.05 - BVerwGE 126, 243) auseinander und zeigt folglich auch nicht auf, in-
wiefern das angestrebte Revisionsverfahren zu einer erneuten oder weiterrei-
chenden Klärung einer rechtsgrundsätzlichen Frage führen soll. Mit ihren Aus-
führungen wendet sich die Beschwerde in erster Linie gegen die dem Tatsa-
chengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts und
dessen Gefahrenprognose sowie gegen die Subsumtion im vorliegenden Ein-
zelfall. Damit lässt sich die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Be-
deutung nicht erreichen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Dr. Mallmann Beck Prof. Dr. Dörig
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