Urteil des BVerwG vom 29.08.2012

Afghanistan, Tod, Rückführung, Wahrscheinlichkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 35.12
OVG 8 A 10357/12
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. August 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft
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beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 30. Mai 2012 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechts-
sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers ist unzu-
lässig. Sie legt den geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in einer den An-
forderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des revisi-
blen Rechts aufgeworfen wird, die sich in dem angestrebten Revisionsverfahren
stellen würde. Eine solche Rechtsfrage lässt sich der Beschwerde nicht ent-
nehmen.
Die Beschwerde hält im Rahmen eines Begehrens auf Gewährung von Ab-
schiebungsschutz, das allein nach Abweisung der weitergehenden Klage durch
das Verwaltungsgericht noch Gegenstand des Berufungsbegehrens war, für
klärungsbedürftig,
„ob afghanische Staatsangehörige, die zum Zeitpunkt der
Entscheidung an einer nicht aktiven Lymphknotentuberku-
lose leiden, im Falle einer Rückführung in ihr Herkunfts-
land eine extreme Gefahrenlage zu gewärtigen haben,
sodass sie gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod
oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein würden,
sofern die obersten Landesbehörden von der Ermächti-
gung, die Abschiebung auszusetzen, keinen Gebrauch
gemacht haben.“,
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„ob die Erkrankung an einer Lymphknotentuberkulose,
wenn auch im nicht aktiven Zustand, eine gesundheitliche
Beeinträchtigung darstellt, die bei einer Rückführung nach
Afghanistan etwa auch in den Raum Kabul, mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine extreme existenzielle Gefahr für
den Betroffenen insbesondere ohne Unterstützung durch
Familien- oder Stammesangehörige begründet.“,
„ob (durch Lymphknotentuberkulose) gesundheitlich vor-
geschädigte Personen in Anbetracht der in Afghanistan
herrschenden schwierigen Versorgungslage ohne Unter-
stützung durch Familien- oder Stammesangehörige von
einer existenziellen Gefahr betroffen sind, sodass sie
gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder
schwersten Verletzungen im Falle einer Rückführung aus-
gesetzt sein würden.“,
„ob Personen, die (durch eine nicht aktive Lymphknoten-
tuberkulose) gesundheitlich vorgeschädigt sind und/oder
seit dem siebten Lebensjahr sich außerhalb Afghanistans
aufgehalten haben, dort ihren Lebensunterhalt dauerhaft
sicherstellen können.“,
„ob gesundheitlich erheblich etwa durch Lymphknotentu-
berkulose vorgeschädigte Personen und/oder solche, die
seit ihrer Kindheit nicht mehr in Afghanistan gelebt haben,
dort eine ausreichende Existenzgrundlage zu finden ver-
mögen, oder aber im Falle einer Rückkehr in ihr Her-
kunftsland eine extreme Gefahrenlage zu gewärtigen ha-
ben, sodass sie gleichsam sehenden Auges dem sicheren
Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein wür-
den.“ und
"ob an inaktiver Lymphknotentuberkulose leidende Perso-
nen in Afghanistan durch harte körperliche Arbeit eine
Existenzgrundlage zu finden und den sicheren Tod oder
schwerste Verletzungen zu vermeiden vermögen oder gar
diesen oder jene gerade herbeiführen und verursachen.“
Mit diesen Fragen, die um denselben Tatsachenkern kreisen, formuliert die Be-
schwerde keine revisionsgerichtlich klärungsfähige Rechtsfrage, sondern zielt
im Kern auf die dem Tatsachengericht vorbehaltene Prognose, ob dem Kläger
aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse angesichts der tatsächlichen Ver-
hältnisse und politischen Gegebenheiten in seinem Heimatstaat Gefahren dro-
hen, welche die Voraussetzungen unionsrechtlicher Abschiebungsverbote nach
§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG oder nationalrechtlicher Abschiebungs-
verbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG erfüllen. Hierfür verweist sie
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u.a. auf die schlechte bzw. katastrophale Versorgungslage in Afghanistan, das
Fehlen sozialer Absicherungssysteme, die traditionell bei den Familien- und
Stammesverbänden liegende soziale Absicherung sowie die Korruption bzw.
Patronagewirtschaft in Afghanistan. Damit greift die Beschwerde der Sache
nach allein die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen
zu den Prognosegrundlagen sowie die darauf aufbauende Prognose als Teil der
Beweiswürdigung an und stellt dem ihre eigene Einschätzung der Sachlage
entgegen, ohne insoweit eine konkrete, abstrakter und fallübergreifender Klä-
rung zugängliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Es fehlt überdies an einer Ausei-
nandersetzung mit den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen, „dass
derzeit keine Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung“ besteht (UA
S. 8), „auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten [ist], dass
alsbald nach der Rückkehr des Klägers mit einer erneuten Aktivierung der Tu-
berkulose zu rechnen ist“ (UA S. 8) und es sich nicht feststellen lasse, „dass der
Kläger insoweit wegen der von ihm durchstandenen Lymphknotentuberkulose
entscheidend körperlich geschwächt wäre […].“ (UA S. 12).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Satz 1 RVG.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Prof. Dr. Kraft
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